Die Zentren der queeren Bewegung in Indien sind die Metropolen Delhi, Kalkutta und Bombay. Aber auch in ländlicherer Umgebung gibt es Engagement. Die Organisation Sahaytrika tritt in Kerala für die Rechte von 'Frauen, die Frauen lieben' ein. Ihr Ziel ist es erstens ein Netzwerk für 'Frauen, die sich von Frauen angezogen fühlen' aufzubauen und Beratung anzubieten, zweitens die Marginalisierung von sexuellen Minderheiten, insbesondere von Lesben, in Kerala zu dokumentieren, und drittens Öffentlichkeitsarbeit für queeres Leben zu machen. Dabei will sie die Rechte von Lesben nicht als Nischenthema behandeln, sondern in Diskursen über Menschenrechte und zu Gewalt gegen Frauen verankern. Devaki Menon ist das Pseudonym der Gründerin von Sahayatrika, der unsichtbaren Sprecherin der Organisation. Sie selber ist im westlichen Ausland aufgewachsen, war dort in der queeren Bewegung aktiv und kam erst als Erwachsene nach Kerala. Gemeinsam mit anderen baute sie Sahayatrika auf, ohne dabei jemals ihre Identität in der Öffentlichkeit zu offenbaren. Die "Lessons from Sahayatrika" sind eine Analyse der Arbeit von Sahayatrika, in der auch die Probleme und Diskussionen der queeren Bewegung analysiert werden. Ein zentrales Thema ist das der Sichtbarkeit, der Vorteile und Probleme, die mit ihr verbunden sind. Denn erst wenn Queeres sichtbar wird, wird es auch angreifbar. Wenn lesbische Paare 'out' sind, dann bekommen sie alltägliche Diskriminierungen zu spüren, dann verlieren sie ihre Stellungen, Ausbildungsplätze, Wohnungen, sozialen Kontakte. Das Nichteinhalten von Genderstereotypen, zum Beispiel in Kleidung und Frisur, führt zu Belästigungen und Bedrohungen. Auch für Organisationen ist Öffentlichkeit potentiell gefährlich. So besteht permanent die Gefahr unter Section 377 wegen der Förderung unnatürlichen Sexes angeklagt zu werden. Es ist schwierig Büroräume zu bekommen und zu behalten. Gleichzeitig ist öffentliches Agieren wichtig. Denn erst durch die Presseberichte über Sahayatrika erfuhren viele queere Frauen in Kerala, dass sie nicht alleine sind. Häufig zum ersten mal hatten sie so Zugang zu einer Ansprechpartnerin für ihr Anderssein. Diesem Paradox der Sichtbarkeit kann Sahayatrika nur mit einer differenzierten Strategie begegnen. Zum einen bietet die Organisation (zusammen mit anderen) geschützte Räume der Sicherheit, und zum anderen agiert sie mit Presseberichten, Veranstaltungen und Publikationen in der Öffentlichkeit. Die meisten Anfragen an Sahayatrika ranken sich um das Thema Heirat und Ehe. Diese sind für junge Frauen in Kerala ein soziales Muss, dem sie kaum entfliehen können. Heiraten werden erzwungen trotz bestehender lesbischer Beziehungen, lesbische Beziehungen werden geführt trotz Ehen. Lesbische Paare wünschen sich eine legale Dokumentation ihrer Beziehung. Da (Homo-)Sexualität so stark tabuisiert ist und der Zwang zur Ehe so hoch ist, zweifeln viele Frauen an sich selbst, wollen sich therapieren lassen, möchten einen Geschlechtswechsel vornehmen oder werden von Selbstmordgedanken geplagt. In Kerala, dem Bundesstaat mit der höchsten dokumentierten Selbstmordrate in Indien, gibt es viele Berichte über lesbische Doppelselbstmorde. Sahayatrika ist entstanden aus einem Projekt zur Dokumentation dieser Selbstmorde. Dabei stellt sich die Frage, ob es in Kerala tatsächlich mehr lesbische Selbstmorde gibt als anderswo, oder ob sie nur besser dokumentiert sind. Auffällig ist, dass es vor allem Frauen aus marginalisierten Gemeinschaften und unteren Einkommensschichten sind, die gemeinsam Selbstmord begehen. Dies kann daran liegen, dass Frauen aus der Mittelschicht über mehr Ressourcen (materiellen und immateriellen) verfügen, um andere Auswege zu finden. Es kann aber auch daran liegen, dass die Mittelschicht besser in der Lage ist, solche Selbstmorde zu verschleiern. (Urmila Goel) [mehr ...]