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13. Juni 2007. Rezensionen: Indien - Geschichte & Religion Mahasweta Devi: Indische Schriftstellerin und Menschenrechtlerin

Eigentlich sollte die bengalische Schriftstellerin Mahasweta Devi (geb. 1926) dem deutschen Lesepublikum gut bekannt sein, denn es sind im Vergleich zu anderen Autoren aus dem vielsprachigen Indien viele ihrer Werke ins Deutsche übersetzt worden. Dies ist vor allem das Verdienst der Heidelberger Südasiengruppe, allerdings haben sich bislang nicht die großen Verlage für diese Autorin interessiert, die immerhin im vorigen Herbst zur Eröffnung der größten deutschen Buchmesse gesprochen hat.

Anders als in Indien, wo der Seagull Verlag ihre Bücher in englischer Übersetzung vertreibt und somit in ganz Indien wie im englischsprachigen Raum bekannt macht, glaubt man hier wohl nicht, ein lukratives Geschäft mit Mahasweta Devi machen zu können. Dies mag an den Themen liegen, denen sich die Autorin literarisch und politisch zuwendet. Sie sind unter anderem auf ein scheinbares Randproblem des heutigen Indien gerichtet, dem Leben oder besser gesagt, dem Überlebenskampf der Adivasis , den Ureinwohners Indiens. Nicht einmal viele Inder interessieren sich für diese Landsleute und die politische Führungsschichten noch weniger. Was also sollen wir damit anfangen? Hans-Martin Kunz stellt uns in seinem Buch Mahasweta Devi als Schriftstellerin und politische Aktivistin vor und man versteht am Ende, warum diese Autorin auch uns etwas zu sagen hat.

Mahasweta Devi Buch
Buchtitel von Hans-Martin Kunz bei Draupadi. Foto: Melitta Waligora

Das Buch gliedert sich in zwei große Abschnitte. Zunächst erfahren wir in einer kurzen Einleitung einiges aus Mahasweta Devis Leben sowie über ihre Arbeitsweise und Themen. Der erste große Abschnitt beginnt mit einem Interview, das der Autor mit ihr geführt hat. Es folgen drei Erzählungen, die für diesen Band vom Autor aus dem Bengali ins Deutsche übertragen wurden. Sie repräsentieren unterschiedliche Schaffensperioden, lassen aber zugleich den unverkennbaren Stil der Schriftstellerin erkennen: knapp, genau, nüchtern und fesselnd. Der Abschnitt schließt mit einem Essay, in dem Mahasweta Devi über ihren Umgang mit den oralen Traditionen der Adivasis in ihrem Werk schreibt.

Die oben erwähnte Heidelberger Südasiengruppe, zu der auch Hans-Martin Kunz gehört, hatte bisher Romane der Autorin übersetzt und herausgegeben. Daher ist es in jedem Fall ein großes Verdienst des Buches, uns mit einigen Kurzgeschichten von Mahasweta Devi bekannt zu machen, die in ihrem Schaffen überwiegen. In dieser Kunstform ist sie eine große Meisterin und ich liebe vor allem die Geschichten aus Palamu (Jharkhand), von denen eine im vorliegenden Band aufgenommen wurde. Sie heißt "Klageweib" und wurde sowohl verfilmt als auch für die Bühne bearbeitet. Es ist die Geschichte einer Frau, die ihr Leben nicht nur in Armut und Schuldknechtschaft verbringen, sondern weitere Schicksalsschläge durch den Verlust ihres Ehemanns, Sohnes etc. hinnehmen muss. Doch niemals kann sie angesichts ihres eigenen Elends weinen, es fehlt ihr dazu die Kraft und auch die Zeit, so merkwürdig uns das erscheinen mag. Ihr Leben gewinnt erst etwas an materieller Sicherheit, ja fast an Wohlergehen, als sie es übernimmt, die Toten anderer zu beklagen, die dafür zahlen. Doch dies ist nur der an sich schon viel sagende Handlungsstrang, dazu kommt ein ganzes dörfliches Figurenensemble samt Gutsherr und Priester, das von Mahasweta Devi mit kurzen Pinselstrichen gezeichnet und genau getroffen wird. Ihre Kunst ist es, uns Leser in diese Leben hinein zunehmen und das Klagen über dessen Ungerechtigkeiten, Grausamkeiten und Elend selbst zu hören. Sie braucht nicht plakativ anzuklagen.

Eine Schwierigkeit, die Texte von Mahasweta Devi zu übersetzen, liegt sicher darin, dass sie oft lokale Dialekte verwendet, um der Sprech- und Denkweise der Menschen, die sie schildert, nahe zu kommen. Insofern ist die gelungene Übersetzung des Autors hoch zu würdigen. Zugleich ist das Verfahren der Autorin für Hans-Martin Kunz eine der Strategien, mit denen sich Mahasweta Devi als ethnographische Schriftstellerin ausweist. Dem Nachweis dieser Interpretation des Schaffens der Autorin ist der zweite Abschnitt des Buches gewidmet.

Mahasweta Devi
Mahasweta Devi während der Buchmesse in Frankfurt (a. M.) im Oktober 2006. Foto: Christoph S. Sprung

Im Zentrum der Analyse steht der Roman "Pterodactylus", der auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Er kann nach Meinung des Autors als ethnographischer Roman gelesen werden, da hier die Frage aufgeworfen wird, ob und wie fremde Kulturen, in diesem Falle die der Adivasis, literarisch in einem mainstream-Indien repräsentiert werden können. Daran schließe sich die Frage nach dem Verhältnis von Ethnologie und Literatur an (S. 26), die später konkretisiert wird als Frage, wie man aus einer ethnologischen Perspektive literarische Texte lesen kann. (S. 129)

In einem ersten Schritt zeigt Hans-Martin Kunz, wie sich Mahasweta Devi als ethnographische Autorität selbst konstruiert. Hierzu zieht er Informationen über ihre politischen Aktivitäten und ihre zahlreichen journalistischen Äußerungen heran. Es wird klar, dass sie das Leben der Menschen, über die sie schreibt, aus eigener Anschauung und Mitleben kennt und aus einer tiefen Verbundenheit mit ihnen für ihre Rechte kämpft. In ihren literarischen Texten gewährleistet sie die Authentizität ihrer Darstellung durch deren Realitätsgehalt – nichts ist erfunden, sondern hat einen realen Ursprung, durch eine authentische Sprache (die oben bereits erwähnte Verwendung lokaler Dialekte) und durch den Anspruch, die Ereignisse aus der Perspektive der Beschriebenen zu schildern. Mit ihrem politischen Engagement, das sich u.a. in dem Öffentlichmachen von eklatanten Missständen in journalistischen Texten und in der Gründung wie Unterstützung zahlreicher Organisationen zum Schutz der Rechte von Marginalisierten niederschlägt, hat sie das Vertrauen dieser Menschen gewonnen. Dazu zählen die Armen unter der Landbevölkerung, die Adivasis wie die sogenannten denotified tribes, die von der Kolonialregierung als criminal tribes registriert wurden und denen bis heute dieses Stigma anhängt.

In einem zweiten Schritt analysiert Hans-Martin Kunz den Roman "Pterodactylus" unter dem Aspekt, wie die Autorin ihre ethnographische Autorität im literarischen Text umsetzt und welche Strategien sie dabei verwendet. Er demonstriert diese verschiedenen Strategien, wozu die Integration von nichtliterarischen Elementen wie reportageartige Passagen, Zitate aus Enzyklopädien und Auflistungen von Statistiken, das Erwähnen von realen Personen etc. gehören. Dazu kommt direkte Kritik an den lokalen Landbesitzverhältnissen, wie überhaupt an den sozialen und politischen Strukturen, wie sie z.T. wortgetreu auch in ihren journalistischen Arbeiten zu finden sind. Diese Zusätze sind es allerdings, die den Roman etwas sperrig für diejenigen erscheinen lassen, die weniger an faktischer Realität interessiert sind, sondern einfach einen Roman genießen wollen, der zudem auf Tatsachen beruht, die jedoch literarisch verarbeitet sind. Bei Mahasweta Devi blicken sie den Leser direkt und ungeschützt ins Auge und dies ist durchaus beabsichtigt. Dass man den Roman dennoch mit Spannung zu Ende liest, liegt an dem Kunstgriff des Pterodactylus, der den großen Verlust symbolisiert, den Indien erleidet, da es viele Kulturen seiner Völker nicht achtet und untergehen lässt. Und dieser Punkt ist es, der uns die Autorin nahe bringt: Sie lässt uns die großen Reduktionsleistungen, die mit der Etablierung der Moderne, des Industriekapitalismus, der Nationen und der Globalisierung einhergehen, schmerzlich fühlen und auf neue Weise erkennen. Hans-Martin Kunz öffnet uns mit seiner Analyse des Romans "Pterodactylus" den Blick dafür.

Der dritte Schritt ist eine Reflektion über Literatur und Ethnologie. Insgesamt kann ich dem Interesse des Autors, Mahasweta Devi als ethnographische Schriftstellerin zu etablieren, nicht ganz folgen und er selbst findet die Sache streitbar (S.127). Manche ihrer Werke können unter dem Aspekt gelesen werden, hier etwas über die Lebensbedingungen konkreter Menschengruppen zu erfahren. Doch lässt sich ihr Werk nicht darauf reduzieren, denn daneben stehen Romane mit historischen oder zeitgenössischen Themen, wie z.B. die Naxaliten. Meine Lesart ihrer Werke war immer der von der Autorin klar herausgearbeitete soziale und politische Aspekt, durch den die Schicksale der Beschriebenen bestimmt werden. Ich kann ferner nicht der Auffassung des Autors zustimmen, dass wir als Lesende nicht an dem individuellen Schicksal der Charaktere interessiert seien (S.22). Mir ist es jedenfalls anders ergangen und ich habe mich bei der Lektüre, insbesondere der Kurzgeschichten, von der Autorin leicht mitnehmen und fesseln lassen – wäre sie sonst so eine gute Schriftstellerin, die in fast alle indischen Sprachen übersetzt ist?

Dem Buch hätte im Ganzen ein Lektorat gut getan, um Wiederholungen wie unklare Sätze zu vermeiden und eine klarere Struktur des Textes zu erreichen. Dem Draupadi Verlag kommt das Verdienst zu, sich zusammen mit der Heidelberger Südasiengruppe weiter um diese Autorin zu bemühen und sie einem breiten Publikum vorzustellen – in einem überdies schön gestaltetem Buch. Wir können mit Spannung auf eine Sammlung von Kurzgeschichten Mahasweta Devis warten.

Quelle: Hans-Martin Kunz: Mahasweta Devi. Indische Schriftstellerin und Menschenrechtlerin. Heidelberg: Draupadi Verlag, 2006. ISBN 3-937603-02-6

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