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23. April 2001. Analysen: Politik & Recht - Südasien Red Star beyond China

Maoismus in Südasien

Auch mehr als 50 Jahre nach dem Ende der Kolonialherrschaft in Südasien, die von vollmundigen Versprechen der neuen Führer begleitet war, verdienen dort über 500 Millionen der 1,3 Milliarden Menschen weniger als einen Dollar am Tag - 40 Prozent aller Armen der Welt. Jeder Dritte Analphabet lebt auf dem Subkontinent, und die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahre sind unterernährt. (World Bank 2000)

Ausschnitt aus der Times of IndiaRotes Indien?
Eine Grafik der Times of India
(Foto: Christoph S. Sprung)

Zu den Ärmsten der Armen gehören die Landlosen und Kleinstbauern. Sie sind die Hauptleidtragenden der extrem ungleichen Verteilung von Bodenbesitz, die in manchen Regionen dominiert. So kontrolliert z.B. in Nepal, wo mehr als 90 Prozent der Menschen von der Landwirtschaft leben, ein Zehntel der Bevölkerung die Hälfte des Bodens, während die Hälfte der Nepalis nur knapp sieben Prozent des Bodens besitzt. Im indischen "Armenhaus" Bihar kontrollieren sechs Prozent der Bauern 40 Prozent der Fläche. Wiederholt gab es Versuche von Landreformen, die in den meisten Fällen aber aufgrund von Schlupflöchern Makulatur blieben. (Töpfer 1998a)

Besonders betroffen von der Besitzlosigkeit sind die "unberührbaren" Kastenlosen und die sogenannte "Stammesbevölkerung". Geboren als Außenseiter, leben diese Gruppen seit Jahrtausenden am unteren Ende der Gesellschaft und werden von den Kastenhindus mit Verachtung und Ekel gestraft. Nur wenige haben den sozialen Aufstieg geschafft, so dass sie bis heute die bevorzugten Opfer der Ausbeutung durch die allmächtigen Großbauern sind, die ihnen oft selbst die dürftigen Mindestlöhne verweigern. Zahlreiche Familien, die dem Teufelskreis der ländlichen Armut nicht entrinnen können, enden so in der Schuldknechtschaft, der faktischen Versklavung durch ihren "Landlord".

Kommunisten gegen Grundherren

Bereits in den Jahren der indischen Unabhängigkeit begannen Kader der 1925 mit Unterstützung Moskaus gegründeten Communist Party of India in Telengana im despotisch regierten Fürstentum Hyderabad mit der Agitation gegen den "Feudalismus". Inspiriert von der chinesischen Revolution und den Ideen Maos begannen sie, die Gründung von Dorfräten zu organisieren, die Volksgerichte abhielten, Milizen aufstellten, Landbesitzer enteigneten und diese zusammen mit lokalen Beamten vertrieben. Auf dem Höhepunkt der Bewegung kontrollierte die Guerilla ein Gebiet mit 3.000 Dörfern und drei Millionen Menschen. Die Unruhen, die - wenn auch unter anderen Vorzeichen - auf andere Teile des Fürstentums übergriffen, boten New Delhi einen willkommenen Anlass, den Anschluss Hyderabads an die Indische Union zu erzwingen. Im September 1948 entsandte die Nehru-Regierung die Armee, um in einer sogenannten "Polizei-Aktion" die Ordnung wiederherzustellen. Innerhalb weniger Tage brachen die Truppen den Widerstand des herrschenden Nizams, und Hyderabad trat der Indischen Union bei. Nachdem die Kommunisten in den ersten Monaten der Bewegung noch gemeinsam mit der Kongresspartei gegen das alte Regime gekämpft hatten, waren mit ihrem Machtzuwachs auch die Gegensätze offen zutage getreten. Daher begegnete die Armee den Kommunisten mit brutaler Repression. 60.000 Soldaten wurden nach Telengana entsandt, die Zivilbevölkerung wurde interniert, um der Guerilla die Basis zu entziehen - eine von den Briten seit dem Burenkrieg erprobte Taktik, die schnell aufging: 4.000 Kader wurden getötet und Zehntausende inhaftiert. (Mikesell 1997)

Das blutige Ende des Telengana-Aufstandes zeigte Indiens Kommunisten ihre Schwäche. Fortan verließen sie den revolutionären Weg und integrierten sich ins junge parlamentarische System, wo sie im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit ein Schattendasein neben der übermächtigen Kongresspartei fristeten. Frustriert von den Misserfolgen entbrannte innerhalb der Partei eine erbitterte Strategiedebatte. Als 1962 der indisch-chinesische Krieg ausbrach, vertiefte sich der ideologische Graben. Während sich der von der chinesischen Revolution inspirierte Flügel auf die Seite Pekings stellte, verurteilten seine innerparteilichen Gegner den Angriff Chinas und bezogen damit gleichzeitig im sino-sowjetischen Konflikt auf Seiten Moskaus Stellung. 1964 schließlich trennte sich die pro-chinesische Fraktion von der Mutterpartei und gründete die Communist Party of India (Marxist) (CPM).

Rebellion und Machterhalt

Der Startschuss für eine Neuauflage des revolutionären Kampfes fiel drei Jahre später in Westbengalen. Dort kam ein Bündnis linker Parteien unter Führung der CPM Ende der 1960er an die Macht. Die radikale Parteijugend, häufig städtisches "Lumpenproletariat" und perspektivlose Studenten, nutzte die Gunst der Stunde und organisierte den Widerstand gegen die alten Eliten: Neben Streiks und städtischen Unruhen organisierte sie im März 1967 in dem Dorf Naxalbari, nahe der Grenze zu Nepal, einen Aufstand von Plantagenarbeitern. Obwohl die CPM bemüht war, keine Konflikte zwischen der Polizei und den eigenen Kadern zu provozieren, war sie nun um des Machterhalts Willen gezwungen, die Rebellion niederschlagen zu lassen. Verbittert über das Vorgehen der Mutterpartei wandten sich die militanteren CPM-Mitgliedern vom "reformistischen" Weg ab und gründeten die Communist Party of India (Marxist-Leninist) (CPI-ML), die dem Parlamentarismus abschwor und auf den revolutionären Kampf nach Vorbild Maos setzte. Unter dem Namen "Naxaliten", der an das Dorf erinnert, in dem die Bewegung ihren Ausgang nahm, kämpften sie bis Mitte der 1970er Jahre in Westbengalen als Stadtguerilla und zettelten kurzlebige Bauernrevolten an. Schließlich griff Indira Gandhi in die politischen Wirren ein und unterstellte den unruhigen Bundesstaat der Kontrolle New Delhis. Es folgten Jahre des Staatsterrorismus gegen die Naxaliten und vermeintliche Sympathisanten: Folter und illegale Hinrichtungen durch Polizei und gedungene Kriminelle waren an der Tagesordnung und forderten weit mehr Opfer als die maoistische Gewalt. (Kohli 1990: 267ff.)

Wie die Fische im Wasser...

Viele Aktivisten flohen vor der Brutalität der staatlichen Repression in andere Bundesstaaten, wo sie den militanten Kampf fortsetzten. Heute sind maoistische Untergrundkämpfer in mindestens sieben der 28 indischen Unionsstaaten aktiv. Zu den Hochburgen der revolutionären Gewalt gehören die fruchtbaren Ebene des nordindischen Bihar, das Hochland von Jharkhand und die Wälder des Deccan-Plateaus in Chhattisgarh und Andhra Pradesh. Dort kämpfen Gruppen wie die CPI-ML (Party Unity), das Maoist Communist Centre, die CPI-ML (Liberation) oder die People´s War Group (PWG) gegen die Macht von Grundherren und ihren Privatarmeen sowie die Polizei. Was in den frühen 1970er Jahren meist mit der gezielten Hinrichtung von "Klassenfeinden" begann, hat sich in den betroffenen Regionen zum offenen Bürgerkrieg ausgeweitet, der jährlich Hunderte von Opfern fordert.

Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte gelang es den Naxaliten, eine größere Gefolgschaft unter den Landlosen und verarmten Kleinstbauern - meist Kastenlose oder Adivasis - zu mobilisieren, mit denen sie fortan die Besetzung von Land organisierten oder sie im Kampf um höhere Löhne unterstützten. Während die Bewegung in ihren Anfängen noch mit Pfeil und Bogen, Speeren und selbstgebauten Schusswaffen kämpfte, hat sie an militärischer Schlagkraft gewonnen. Schnellfeuergewehre werden ebenso eingesetzt wie Landminen. Auf diese Weise hat die Guerilla insbesondere in Zentralbihar, einigen Regionen des angrenzenden Chotanagpur-Plateaus und im südlichen Andhra Pradesh ganze Landstriche unter ihre Kontrolle gebracht, aus denen sich die Polizei weitgehend zurückgezogen hat. In den "befreiten Gebieten" wurden Parallelverwaltungen eingerichtet. Wachdienste werden ebenso organisiert wie die ideologische Schulung. "Volksgerichte" urteilen über Großgrundbesitzer und vermeintliche Polizeispitzel, regeln die Neuverteilung von besetztem Land und sprechen Schiedssprüche in Streitfällen. Staatsangestellte und Geschäftsleute werden gezwungen, "Steuern" zu zahlen. Allein für Bihar wird geschätzt, dass die Naxaliten, jährlich mehr als zwölf Millionen DM von Lokalbeamten und Unternehmen erpressen, die trotz der Schutzgelder über nach wie vor profitable Pfründe oder gewinnbringende Lizenzen zum Bau von Straßen oder Abbau von Erzen oder Holz verfügen. (Töpfer 1998b) Zusätzlich beschaffen sich die Rebellen Waffen durch sporadische Angriffe auf Polizeikasernen, und ihnen wird der Zugang zum internationalen Waffenschwarzmarkt durch Verbindungen zu den Terrorgruppen des indischen Nordostens und den Tamil Tigers in Sri Lanka nachgesagt.

... oder wie ein Hecht im Karpfenteich

Die "Revolution" ist zum Geschäft geworden. Daher überrascht es nicht, dass die etwa 20 Fraktionen, in die sich die Bewegung im Laufe der Zeit aufgespaltet hat, zum Teil heftige Kämpfe um Einflussgebiete untereinander führen. Zwischen die Fronten geraten insbesondere Kastenlose und Adivasis, obwohl sie bereits zu den Hauptleidtragenden des Terrors durch die Privatarmeen der "Landlords" gehören. Hinzu kommen die sporadischen Strafaktionen gegen vermeintliche Abweichler und Polizeiinformanten, die für Linientreue sorgen sollen. Berichte, die bereits die politischen Unterstützung der Naxaliten durch die arme Landbevölkerung im Schwinden begriffen sehen, scheinen vor diesem Hintergrund glaubwürdig, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Betroffenen an politischen Alternativen mangelt, und gerade den Ärmsten der Armen die Flucht in die überfüllten Städte verwehrt bleibt, da ihnen das Geld und die Kontakte fehlen. Ernsthafte Friedensbemühungen hat es noch nicht gegeben. Während der indische Staat bisher mit Aufrüstung und Repression reagierte oder das Feld der Selbstjustiz durch die "Landlord"-Armeen überließ, blieben die Naxaliten Maos Motto von der "Macht aus dem Lauf der Gewehre" treu.

Volkskrieg in Nepal

Übergegriffen hat die revolutionäre Gewalt inzwischen auch auf das benachbarte Nepal. Nachdem es bereits Anfang der 1970er Jahre eine erfolglose "Annhilation-Campaign" gegen Großgrundbesitzer gab, die vom Aufstand im benachbarten Naxalbari beeinflusst war, erklärte die Communist Party of Nepal (Maoist), im Februar 1996 der Monarchie den Krieg. Unzufrieden mit dem "Reformismus" der großen kommunistischen Partei und der allgemeinen Stagnation des politischen Entwicklung, die nach der Demokratisierung des Landes zu Beginn der 1990er Jahre zunächst hoffungsvoll begonnen hatte, ging die Splittergruppe in den Untergrund. Während der Konflikt sich zunächst auf gelegentliche Feuergefechte mit der Polizei in abgelegenen Bergregionen beschränkte, erhielten die Maobadi, wie sie genannt werden, schnell Massenzulauf von arbeitslosen Jugendlichen und armen Dorfbewohnern. Die Angaben über die Zahl ihrer bewaffneten Kämpfer schwanken zwischen 2.000 und 20.000. In mehreren Distrikten übt die Guerilla die faktische Verwaltungsmacht aus. Sie finanziert sich durch Überfälle auf Kleinstadtbanken, die Schutzgelderpressung reicher Bauern sowie die Abgabenerhebung von der Bevölkerung. (Huwe 1999)

Während die Staatsmacht der Gewalt in der unzugänglichen Provinz zunächst tatenlos gegenüberstand, fährt sie seit 1998 einen Kurs der Konfrontation, bei dem wie üblich die Zivilbevölkerung zwischen die Fronten geriet. Zwischen 1.600 und 3.000 Todesopfer hat der "Volkskrieg" in den vergangenen fünf Jahren gefordert. Die Regierung hat den Maobadi wiederholt Verhandlungen angeboten, scheute sich aber bisher, deren Bedingungen für eine Aufnahme des Dialogs zu erfüllen. Im Gegensatz zu Indien hat der volkswirtschaftliche Schaden, den der Konflikt mit dem Maoisten verursacht, aber spürbare Folgen für die politische Klasse: Das Tourismusgeschäft, Hauptdevisenquelle des Trekking-Paradieses, ist mittlerweile erheblich betroffen. Vielleicht erhöht dieser Umstand zumindest für das Himalaya-Königreich die Chancen für einen Kompromiss.

Ein nachhaltige Befriedung der blutigen Klassenkämpfe in Südasien wird aber so lange nicht in Sicht sein, wie das gilt, was mir ein feister Großgrundbesitzer in Südindien sagte, während er sich die Finger genüsslich nach seinem Curry ableckte: "Wir leben, um zu essen", und ohne Scham im Hinblick auf seine Landarbeiter hinzufügte: "Sie essen, um zu arbeiten."

Quelle: Der Text erschien im Original in der Zeitschrift illoyal. Journal für Antimilitarismus, Nr.15, Frühling 2001.

Quellen

  • Huwe, Stefan-Philipp (1999): Krieg in Nepal 1999, von der AG Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg
  • Kohli, Atul (1990): Democracy and Discontent. India´s Growing Crisis of Governability, Cambridge
  • Mikesell, Stephen (1997): The Chinese Way in Telengana, in: Himal. South Asia, Vol.10, No.5, September/Oktober 1997, S.12-15
  • Pathak, Brindeshwar (1993): Rural Violence in Bihar, New Delhi
  • Ross, Thomas (1991): Der Tod des heiligen Baumes. Bericht aus dem innersten Indien, München
  • Sigrist, Christian u.a. (1976): Indien. Bauernkämpfe - Die Geschichte einer verhinderten Entwicklung von 1757 bis heute, Berlin
  • Töpfer, Eric (1998a): Bundesstaaten Indiens. Bihar, in: Südasien, Nr.4/98, S.33-36
  • Töpfer, Eric (1998b): Bihar. Ein vergessener indischer Bürgerkrieg, in: antimilitarismusinformation, 7/98, S.41-45
  • World Bank (2000): Regional Brief South Asia, September 2000

 

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