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Ein solcher Ort in der Provinz, abseits großer Metropolen, ist das frühere Kleinkönigtum Bonai - einst ein schwer zugängliches Tal inmitten des zentralindischen Dschungels gelegen, umgeben von Bergen und Wasserfällen und regiert von einem jener legendenumwobenen, sagenhaft reichen Rajas bzw. Königen, den Krösussen von Britisch Gnaden. Der hiesige Wasserfall Khandadhar gilt dabei mit einer imposanten Höhe von 244 m nicht nur als der höchste, sondern auch als einer der schönsten des Bundesstaates Orissa im östlichen Indien. Genau oberhalb dieses Wasserfalls, in einer Gegend reich an Bodenschätzen plant der südkoreanische Stahlkonzern POSCO - immerhin drittgrößter Stahlproduzent weltweit 1 - den Abbau von Eisenerz auf einer Fläche von 6.200 Hektar 2 , um damit ein ebenfalls geplantes Stahlwerk an der Küste Orissas zu versorgen, das bis 2016 fertig gestellt sein soll. Das Gesamtprojekt ist mit einer Investitionssumme von 12 Milliarden Dollar beziffert und gilt damit als die größte ausländische Einzelinvestition in der Geschichte Indiens. 3 .
Der Abbau von Eisenerz ist an sich nicht neu in Bonai. Bereits das unmittelbar nach der indischen Unabhängigkeit von Krupp gebaute Stahlwerk in Rourkela wird mit Eisenerz aus den rund 50 km entfernten Bergen um Bonai versorgt. Doch während sich der Bergbau bisher auf relativ wenige Orte in den Bergen selbst beschränkt, wird durch das Ausmaß der Eisenerzgewinnung nun auch das Tal direkt bedroht. Um ihrem Widerstandes gegen das Mega-Projekt Ausdruck zu verleihen, ist mittlerweile ein "Komitee zur Verteidigung Khandadhars" (Khandadhar Surakshya Samiti) gegründet worden - eine recht breite Koalition um den lokalen Parlamentsabgeordneten und früheren Unionsminister für Stammesangelegenheiten, Juel Oram, obwohl dessen Partei, die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), Teil der Koalitionsregierung in Orissa ist, die wiederum die Industrialisierung massiv vorantreibt. Das Komitee, das auch vom Raja (dem ehemaligen, lokalen König) unterstützt wird, befürchtet einerseits eine dramatische Verringerung der Wasserquantität, von der die Bauern in 22 Dörfern unterhalb des Wasserfalls unmittelbar abhängen. Gerade dieses Land, auf dem einst die Mango-, Litschi- und Zitronenbäume des Raja standen, gilt als besonders fruchtbar. Andererseits wird vor allem eine weitere Verschlechterung der Wasserqualität erwartet. Schon heute färbt sich der vom Wasserfall gespeiste Fluss vollständig rot, wenn das Eisenerz einer kleineren, bereits in Betrieb befindlichen Mine der Orissa Mining Corporation (OMC) durch Regen ausgewaschen wird und sich im Fluss sammelt, der auch als Trinkwasserquelle dient. Neuere Studien zeigen zudem bereits jetzt eine massive Absenkung des Wasserspiegels in der Region mit entsprechenden Folgen für die Bewässerung. 4
Neben der unmittelbaren Lebensgrundlage der Bauern und einem noch wenig entwickelten Tourismus, dürfte die relativ intakte Umwelt mit ausgedehnten Waldflächen, in denen beispielsweise eine substantielle Elefantenpopulation heimisch ist, bedroht sein. Schon heute liegt, so "Spiegel-Online" auf einer jüngst veröffentlichten Liste, einer der zehn gesundheitsschädlichsten Orte dieser Welt in Orissa - ebenfalls wie Bonai am Fluss Brahmani, wenn auch weiter flussabwärts in Sukinda, wo nicht Eisenerz, sondern Chrom abgebaut wird. 5 In das gegenwärtige Bild einer forcierten und von Regierungsseite stark geförderten Industrialisierung, die wenig oder keine Rücksicht auf die Umwelt nimmt, passt auch ein Ausspruch, der dem Ministerpräsidenten Orissas zugeschrieben wird und der wohl auch die Stimmung mancher Fabrikanten ausdrückt: "Let's develop first and clean up later...".
Abgesehen von der Ungewissheit, inwiefern die lokale Bevölkerung trotz aller Versprechen - POSCO kündigte immerhin die Schaffung von 13.000 direkten und weiteren 35.000 indirekt damit verbundenen Arbeitsplätzen an - von dem Projekt profitieren könnte, beunruhigt viele Einwohner, dass die Mine genau dort entstehen soll, oberhalb von Khandadhar, wo die Muttergottheit Kant Kumari ihren Sitz hat. Einmal im Jahr verlässt sie (bzw. ihr irdisches Abbild in Form einer Cobra) ihre Höhle am Berg, um die frühere Hauptstadt und den alten Palast des Königtums zu besuchen und sich ihren zahllosen Anhängern zu zeigen, bevor sie in ihre Berge zurückkehrt. Nicht nur den Raja treibt die Sorge um, wo die Göttin bleiben wird, wenn POSCO hier Erz abbaut?
Während die Priester der Göttin Zuversicht ausstrahlen, dass die Göttin den Bergbau in ihrem Gebiet nie zulassen wird - "Die Mutter wird die Familien der POSCO-Leute auslöschen", verkünden sie -, sind andere eher gewillt, konkreten Widerstand zu organisieren. Argwöhnisch wird beobachtet, wer in das Gebiet kommt, um eventuelle Vermessungsarbeiten für POSCO durchzuführen. Vorbild ist dabei in gewisser Weise die Küstenregion, wo das Stahlwerk entstehen soll und wo die Einwohner das Areal - ihren Grund und Boden - bzw. jede Zufahrtsstraße bereits mit bewachten Toren abgeriegelt haben und keine POSCO-Mitarbeiter in ihre Dörfer lassen. Als koreanische und indische Arbeiter kürzlich dennoch versuchten, erste vorbereitende Arbeiten durchzuführen, wurden sie von den Dorfbewohnern kurzerhand - vorübergehend - gefangen genommen. Die Presse in Orissa sprach später von "kidnapping". 6
Wie stark die Auseinandersetzungen um Land eskalieren können, haben bereits die Vorgänge in Kalinganagar, ebenfalls in Orissa, gezeigt. Im Januar 2006 starben bei den dortigen Kämpfen zwischen der Polizei und den mit Pfeil und Bogen bewaffneten Stammesangehörigen, die gegen die Einzäunung ihres Landes für ein Stahlwerk des Tata-Konzerns demonstrierten, dreizehn Stammesangehörige und ein Polizist. Schon heute macht das Wort eines "zweiten Kalinganagar" bei den erbosten Bauern in Bonai die Runde und die Bereitschaft zum Widerstand wächst. Eine Protestveranstaltung in Bonai Anfang August 2007, an der nach Schätzungen rund 20.000 Menschen aus den betroffenen Dörfern teilnahmen, könnte dabei nur der Anfang der Proteste sein. Die Gegner des Projektes sprechen bereits von möglichen Blockaden aller Zufahrtswege inklusive der Eisenbahn, was insbesondere Auswirkungen auf das Stahlwerk in Rourkela hätte.
Die Frage ist heute allerdings nicht mehr, ob eine Industrialisierung stattfinden wird oder soll oder eben nicht - in den letzten sieben Jahren sind bereits zwölf Sponge Iron (Eisenschwamm) Fabriken im Tal selbst entstanden -, sondern nur wie eine weitere Industrialisierung aussehen und geregelt werden kann. Oder wie der alte Raja von Bonai es einmal formulierte: "India has developed since Independence, alright, but at what cost?"
[ 1 ] Financial Times Deutschland,19.März 2007, siehe: http://www.weltreporter.net/texte/41/page9.pdf.
[ 2 ] Siehe Tehelka http://www.tehelka.com/story_main33.asp?filename=Bu180807poscoplan.asp, Zugang 02.11.2007.
[ 3 ] Siehe BBC News South Asia, http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/4686638.stm, Zugang 03.11.2007
[ 4 ] Siehe Tehelka http://www.tehelka.com/story_main33.asp?filename=Bu180807poscoplan.asp, Zugang 02.11.2007. – siehe auchNDTV Profit, http://www.ndtvprofit.com/homepage/storybusinessnew.asp?id=39833&template=, Zugang 03.11.2007.
[ 5 ] Siehe spiegel online: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,505490,00.html, Zugang 02.11.2007. Indien hat den zweifelhaften Ruhm nicht nur einmal, sondern gleich zweimal auf der Liste vertreten zu sein.
[ 6 ] Siehe Times of India, BBSR Edition, 14.10.2007, S.1; Indian Express, BBSR Edition, 16.10.2007, S.1.
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