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Sie konnte ihren absoluten Stimmenanteil gegenüber 1998, als sie 44% der Stimmen errang, noch auf 51% steigern und verfügt nun über 126 Mandate der insgesamt 181 Sitze – im Vergleich zu 117 Mandaten 1998. Besonders erfolgreich erwies sich die BJP in Gebieten, die von den pogromartigen anti-muslimischen Ausschreitungen nach dem Anschlag von Godhra am stärksten betroffen waren. In 50 von 65 dieser Wahlkreise in Zentral- und Nord-Gujarat errang die BJP die Mandate. Zusätzlich konnten die Hindu-Nationalisten Stimmen in den Stammesgebieten erringen, die traditionell eher die wichtigsten Oppositionspartei, den Congress (I), unterstützt hatten. Diesmal hingegen gewann die BJP alle 12 Sitze in Gebieten mit überwiegender Stammesbevölkerung. Lediglich auf der Halbinsel Saurashtra und in Kutch – Gebiete, die kaum von den Unruhen betroffen waren - musste die BJP leichte Verluste hinnehmen. Die Wahlen, die durch ein massives Aufgebot von Sicherheitskräften geschützt wurden, verliefen friedlich. Mit 63% erreichte die Wahlbeteiligung fast ein Rekordhoch.
Der hohe Wahlsieg der Hindu-Nationalisten hat selbst Beobachter überrascht. Sicherlich liegt die Höhe des Wahlsieges – die BJP errang mehr als zwei Drittel der Mandate - zum Teil im indischen Mehrheitswahlrecht begründet, wonach nur der Mandatsgewinner zählt, aber selbst wenn man die Zahlen unter dem Aspekt des Verhältniswahlrechtes betrachtet, bleibt zu konstatieren, dass die BJP in Gujarat über eine absolute Mehrheit verfügt.(1) In der Analyse des Wahlergebnisses ist von "Modi Magic" (2), dem Charisma des alten und neuen Ministerpräsidenten Narendra Modi die Rede, die nicht nur aus der Sicht der unterlegenden Congress-Party starke Züge von "Goebbels Propaganda" (3) trägt. Zudem wird auf die Kastenarithmetik hingewiesen, die die indische Politik zunehmend bestimmt, und vor allem natürlich auf die pogromartigen Ausschreitungen gegenüber der moslemischen Minderheit, die von der regierenden BJP nach dem Anschlag von Godhra bewusst geschürt wurden und die die Bevölkerung Gujarats entlang vermeintlicher religiöser Grenzen polarisieren.
Ein in der Diskussion weniger beachteter Aspekt, der dennoch in einer polykausalen Erklärung des Wahlerfolges nicht übersehen werden sollte, ist das Vermögen der BJP sich in traditionale Strukturen, Weltbilder und Ideologien, in denen keine Unterscheidung zwischen Politik und Religion im westlichen Sinne möglich ist, einzubinden, für ihre Strategien zu instrumentalisieren und umzudeuten. Als Beispiel soll hier die Rath Jatra, das jährliche Wagenfest des Gottes Jagannath, herangezogen werden, das kurz nach dem Anschlag von Godhra, in der Zeit des Wahlkampfes in Ahmedabad, der größten Stadt Gujarats, zum 125. Mal durchgeführt wurde. Das Nachrichtenmagazin Frontline (4) schrieb im Anschluss daran:
"On July 12, Ahmedabad witnessed a saffron show of muscle – both literally and metaphorically. As the Jagannath rath yatra passed through the predominantly Muslim Walled City area, young men and boys wearing saffron bandanas flexed their muscles at the crowds. Others ran through the streets with wild abandon, waving swords, trishuls and sticks. By insisting that the rath yatra be held despite fears of further violence, Chief Minister Narendra Modi had proved his point: that he can reap political gains with an aggressive Hindutva line. That muscle-flexing works."
Neben einer offensichtlichen Demonstration der Stärke und der Markierung eines als eigen beanspruchten Territoriums durch die Prozession werden hier tiefergehende Bedeutungen transportiert, die auch in der indischen (englisch-sprachigen) Presse selten erwähnt werden und sich im Fall der Rath Jatra erst mit Blick auf Orissa und im besonderen auf Puri als Zentrum des Jagannath-Kultes erschließen.
Jagannath gilt als wichtigste Gottheit Mittelindiens, dessen Wurzeln vermutlich im stammesgesellschaftlichen Kontext liegen, der aber eine überregionale Ausstrahlung – Puri mit dem Haupttempel gilt als eine der heiligsten Städte innerhalb des Hinduismus – besitzt und der als Inkarnation Vishnus gesehen wird. Der Kult um Jagannath ist untrennbar verbunden mit der Institution des Königtums bzw. konkret der Person des Gajapati wie sich der König in Puri nannte. In Bezug zu Jagannath wurde der König zunächst als Stellvertreter (rauta) und Sohn des Gottes (putra) gesehen. Später wandelte sich dessen Rolle zum "Ersten Diener des Gottes" (adya sebaka), der nach dem Willen des Gottes regiert, wodurch Widerstand gegen die Herrschaft des Königs zum Angriff auf den Gott selbst wurde. Ab dem späten 19. Jahrhundert erscheint der König zudem selbst als Abbild (pratima) des Gottes, d.h. gerade in dieser letzten, besonders gegenwärtigen Konzeption wird der König zum "wandelnden Vishnu" (calanti Vishnu), der den Gott personifiziert.(5) Zudem wurde durch die Verbindung zur Gottheit Jagannath – als männlicher Hauptgott (ishta devta) des Königreiches und eben Manifestation Vishnus - das dharma, das moralische Recht, im Königtum verankert. Diese Beziehung verlieh dem König die höchste Form von Autorität und Legitimation. Es stellte eine Verbindung her zur universalen Ordnung, wodurch das Königreich als partikularer Ausdruck des Universums und gleichzeitig in Einklang mit diesem erschien. Die Bindung an Jagannath bzw. Vishnu machte das Königtum zu einem Reich der Ordnung, zu einem göttlichen Königreich.(6)
Neben der ideologischen Konzeption des Königs und neben architektonischen Manifestationen des Kultes - der Haupttempel in Puri entstand im 12. Jahrhundert in der Zeit der Ganga-Dynastie, einem bedeutenden hinduistischen Herrscher-Geschlecht vor der Moghul-Periode - kam dem Königs innerhalb der Rituale des Wagenfestes ein entscheidender Platz zu. Der Gajapati fegte mit einem goldenen Besen den Weg, den Jagannath vom Tempel bis zu seinem Wagen zurücklegte, wodurch der König im Bezug zur Gottheit die an sich als äußerst verunreinigende Stellung eines Straßenkehrers einnahm, die noch heute mit Unberührbarkeit assoziiert wird. Zum einen konnte das Ritual damit ohne den König nicht stattfinden und die Ordnung ohne den König gar nicht aufrechterhalten werden, zum anderen fand sich hier eine rituelle Inversion: in Bezug zu Jagannath erschien der König als ein Diener so wie seine Untertanen ihm sonst dienten. Aus anderen Kontexten wie etwa auch dem deutschen Karneval ist bekannt, dass sich solche kurzfristigen Umkehrungen der Rollen im Ritual gemeinschaftsstiftend auswirken und die soziale Struktur langfristig stabilisieren.(7)
Doch zurück zu Modi, der - wie Fotos (8) zeigen – während des Wagenfestes in Ahmedabad die zentrale Position auf Jagannaths Wagen einnahm. Offenbar versuchte Modi das rituelle Idiom des Wagenfestes zur eigenen göttlichen Legitimierung zu nutzen, sich selbst in die Position des Königs zu bringen, sich zum Erhalters einer hinduistisch konzipierten Ordnung und Gujarat als dessen Ausdruck bzw. sich selbst zum Gott-König zu stilisieren. Der Kult um Jagannath bietet sich hierbei im Kontext einer von Modi durchaus gewünschten Polarisierung der Religionsgruppen an: Der Jagannath-Tempel verweigerte einst aufsehenerregend der damaligen Premierministerin Indira Gandhi den Zutritt zum Tempel in Puri, die, da mit einem Parsen verheiratet, nicht mehr als Hindu angesehen wurde. Nach wie vor werden Nicht-Hindus vom Besuch des Tempelinneren ausgeschlossen, die allerdings außerhalb des Tempels mahaprasad, die Speise der Götter, wie alle anderen Gläubigen zu sich nehmen können, wodurch durch den Tempelzutritt geschaffene Grenzen auch wiederum transzendiert werden können. Durch seine Positionierung innerhalb der Rath Jatra stellt sich Modi somit erfolgreich in die Tradition großer hinduistischer Könige wie der imperialen Gangas und eines Kultes der sich im Kern als expliziter Hindu-Kult versteht.
Der traditionale Nexus zwischen Politik und Religion besteht somit fort wie auch die Versuche seiner Instrumentalisierung. Bereits 1990 verstand der heutige indische Innenminister und Vizepremier L.K. Advani (ebenfalls BJP) in seiner legendären "Rath Jatra" von Somnath nach Ayodhya dies überaus eindrucksvoll zu nutzen: Er stellte seine Prozession symbolisch als Feldzug des Gottes Rama (9) und sich selbst damit als Verfechter einer gerechten Ordnung und Herrschaft (ram rajya) dar, für die der Gott Rama nach seinem Sieg über die Dämonen in erster Linie steht. Eine "Vishwas Yatra" (10), eine Prozession gleichen Musters – allerdings in Bezug zu einer regionalen Göttin, ist bereits angekündet worden vom BJP-Ministerpräsident von Himachal Pradesh, wo 2003 Landtagswahlen stattfinden. In ähnlicher Weise versucht auch der Congress den Bezug zur Religion für sich zu nutzen – erinnert sei an dieser Stelle beispielsweise an die Rituale, die Sonia Gandhi in ihrem Bemühen sich mit dem Hinduismus zu identifizieren während der Maha Khumba 2001 durchführte (11), bevor sie selbst ein symbolisches reinigendes Bad im Ganges nahm. Dennoch scheint es gerade den Hindu-Nationalisten in besonders erfolgreicher Art und Weise zu gelingen, sich und ihre Politik religiös zu legitimieren, den Anspruch auf göttliche Autorität überzeugend darzulegen und letztlich in Wählerstimmen umzumünzen.
(1) The Hindu, Online Edition, 16/12/02
(2) The Hindu, Online Edition, 16/12/02
(3) The Hindu, Online Edition, 16/12/02
(4) Frontline, vol.19, no.15, 20/07/02, S.9
(5) Hardenberg (2000: 68ff) "Ideologie eines Hindu-Königtums", Berlin (Arab. Buch)
(6) Galey (1990: 169ff) "Kingship and the Kings", Chur (harwood). Abgesehen von der Beziehung zu Jagannath spielen die lokal verortete Beziehung zum Thron und der Zugang zu der weiblichen Macht einer Göttin eine wichtige Rolle in der rituellen Konzeption des Königtums.
(7) Turner, V. 1995 [1969] "The Ritual Process. Structure and Anti-Structure", New York
(8) Frontline, Vol.19, Nr.15, 20/07/02
(9) Davis, R.H. 1997 "The Iconography of Rama’s Chariot" in: Ludden, D. "making India hindu", Delhi (OUP)
(10) The Hindu, Online Edition, 22/12/2002
(11) India Today 05/02/01, S.29f; Rashtriya Sahara, Februar 2001, S.76
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