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06. Februar 2004. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Setzt Kongress auf Nehru-Erben?

Urenkel des ersten Premiers könnten die Oppositionspartei aus dem Tal holen

Vor den im April erwarteten Parlamentswahlen in Indien versucht die Kongresspartei, mit den beiden jüngsten Sprösslingen der Nehru-Gandhi-Dynastie – Priyanka und Rahul – Wähler zu beeindrucken.

Auch wenn sie noch gar nicht richtig auf Indiens politischer Bühne Fuß gefasst haben, liefern sie bereits pausenlos Schlagzeilen: Priyanka (verheiratete Vadra) und Rahul Gandhi, die Kinder der Kongresspartei-Präsidentin Sonia und des 1991 ermordeten Ex-Premiers Rajiv Gandhi. Priyanka und Rahul bereisten im Januar 2004 zwei Wahlbezirke im Unionsstaat Uttar Pradesh, die traditionell zu den Hochburgen der Kongresspartei zählen. Sie unterhielten sich mit Bauern, Handwerkern, plauschten in Imbisstuben mit "einfachen" Leuten und berieten mit Parteiaktivisten. Überall fanden sie enormen Anklang.

Am Ende ihrer Tour ersuchte die Jugendorganisation Uttar Pradeshs der Kongresspartei offiziell die Parteizentrale in Delhi, Priyanka und Rahul sollten in die aktive Politik eintreten. Kurz darauf folgte die Kongressjugend des Unionsstaates Maharashtra mit einer ähnlichen Petition und Zeitungsannoncen, in denen das Geschwisterpaar bereits als neue "Führer Indiens und Hoffnungsträger der Nation" gepriesen wurden. Mutter Sonia kommentierte lediglich, ihre Kinder sollten selbst entscheiden.

Zweifellos zeigen die Gandhi-Sprösslinge nicht zufällig gerade jetzt, ein paar Wochen vor den Parlamentswahlen Flagge. Die Chancen der Kongresspartei stehen nicht gerade gut. In etlichen Unionsstaaten verlor sie Ende vergangen Jahres wichtige Wahlen, und ihr Bemühen um Koalitionspartner zeitigt bislang nur mäßigen Erfolg. Die regierende Nationale Demokratische Allianz mit der Indischen Volkspartei (BJP) schwimmt hingegen auf einer Erfolgswelle, beeindruckt die Wähler mit einer Reihe von Steuererleichterungen und "Sozialgeschenken".

In dieser Situation hält es die Kongresspartei offenbar für angebracht, die vermeintliche "Trumpfkarte Priyanka und Rahul" auszuspielen. Beide wären in einem Familienklima von Freiheitskämpfern aufgewachsen. Vor allem Priyanka sei bei ihrer Großmutter Indira Gandhi in die Schule gegangen und habe es nicht nötig, "Politik zu lernen". So jedenfalls argumentieren die eifrigen Befürworter der Fortsetzung der Nehru-Gandhi-Dynastie, zumal Mutter Sonia wegen ihrer italienischen Herkunft und ihres schwachen politischen Formats den Traum, je Indiens Premier zu werden, inzwischen wohl ausgeträumt hat.

Günstig für eine Installierung der Nehru-Urenkel erscheint auch der demographische Faktor: Etwa 60 Prozent der Wählerschaft sind jünger als 35 Jahre alt. Die Geschwister gehören genau zu dieser Altersgruppe, einer Generation, in der Tradition und westliche Einflüsse wie nie zuvor sich zu vermischen beginnen und denen etwas Neues, Modernes vorschwebt. Für sie könnten die Gandhis zu einer Alternative werden. Die Konkurrentin BJP kann derart junge Kader nicht ins Rennen schicken und wirbt deshalb mit der Reife und Erfahrung ihres Veteranen, des 80 Jahre alten Premiers Atal Bihari Vajpayee.

Die entscheidende Frage bleibt natürlich, ob Priyanka und Rahul überhaupt etwas Anderes, zum Beispiel einen neuen Sozialvertrag, eine ernsthafte Orientierung auf die Millionen Unterprivilegierten anbieten können. Das alles steht noch in den Sternen. Und trotzdem zeigt sich die BJP bereits recht nervös.

Quelle: Der Beitrag erschien am 4. Februar 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

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