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31. Juli 2004. Nachrichten: Politik & Recht - Südasien Mit begrenztem Erfolg auf schwierigem Terrain

Joschka Fischer wirbt in Asien für ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat

Es war seine längste Dienstreise seit Amtsantritt. Vom 13. bis zum 23. Juli 2004 tourte Bundesaußenminister Joschka Fischer – begleitet von einer Parlamentariergruppe und einer Delegation mittelständischer Unternehmer aus dem Bereich erneuerbare Energien – durch Indien, die Volksrepublik China, Bangladesh, Sri Lanka und Pakistan. Schwerpunkt seiner Gespräche mit Staatsoberhäuptern, Regierungschefs, Amtskollegen und Oppositionspolitikern waren die anstehende Reform der Vereinten Nationen und die deutschen Ambitionen auf einen ständigen Sitz in einem erweiterten UN-Sicherheitsrat.

Obwohl nur Indien – nicht uneigennützig – das Anliegen unterstützte, und das zukünftige Wohlwollen Chinas nach seiner offenen Kritik an der Menschenrechtslage mehr als fragwürdig scheint, wertete Fischer, der die Reise ausdrücklich nicht als "Wahlkampf" für einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat verstanden wissen wollte, anschließend als "Erfolg": Sein Werben für die UN-Reform habe Gehör gefunden. Zudem wurde berichtet, dass mit der konstruktiven Atmosphäre und den wirtschaftlichen Gesprächen auch der Weg für den Oktober-Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Indien und Pakistan geebnet worden sei.

Hintergrund der diplomatischen Initiative Fischers ist die seit langem anstehende Reform der Vereinten Nationen, deren Umsetzung insbesondere durch den 11. September 2001 und seine Folgen in greifbare Nähe gerückt ist. Eine von UN-Generalsekretär Kofi Annan beauftragte Kommission soll noch Ende 2004 ihre Vorschläge vorlegen. Bereits im nächsten Jahr könnte dann die UNO-Vollversammlung eine veränderte Charta mit einer Zwei-Drittel Mehrheit absegnen. Im Zentrum der Reformdebatte steht naturgemäß der 15-köpfige Sicherheitsrat, der nach Artikel 24 der Charta die "Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" trägt. Obwohl das Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA in den aktuellen Diskussionen auf dem Prüfstand steht, gehört eine Erweiterung der exklusive Runde zu den wichtigsten Tagesordnungspunkten. Ziel ist es, die bisherige Dominanz westlicher Industrienationen zu brechen und die Zusammensetzung geographisch und demographisch repräsentativer zu gestalten. Die Liste der Kandidaten ist lang. Im Gespräch sind aber maximal fünf neue Dauermitglieder.

Deutsch-indische Interessengemeinschaft

Angesichts dessen begann Fischers Reise vielversprechend. Sein erster Stopp war die indische Hauptstadt New Delhi, wo er mit Premierminister Manmohan Singh und Außenminister Natwar Singh hochrangige Vertreter der neuen Regierung traf. Man stimmte darin überein, dass eine Reform des UN-System dringend notwendig sei und der Sicherheitsrat repräsentativer werden solle, um die "Realitäten des 21. Jahrhunderts" widerzuspiegeln. Fischer, der Indien als "aufsteigenden Stern" in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht bezeichnete, war sich mit seinem Amtskollegen einig, dass das Gastland und Deutschland "natürliche Kandidaten" für einen erweiterten Sicherheitsrat seien. Beide Seiten sicherten sich gegenseitige Unterstützung ihrer Ambitionen zu. Wirklich überraschend war die Erklärung allerdings nicht. Spätestens seit dem Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1993 sind sich beide Staaten einig, dass ihnen in der neuen Weltordnung nach Ende des Kalten Krieges ein privilegierterer Platz zustünde. Zudem ging Fischer mit der Unterstützung eines ständigen indischen Sitzes im Sicherheitsrat kein großes Risiko ein, nachdem bereits Russland, Frankreich und Großbritannien in der Vergangenheit ihre Zustimmung signalisiert hatten. Gesprochen wurde in New Delhi auch über das indo-pakistanische Verhältnis, den "Krieg gegen den Terror" im Allgemeinen und die Situation in Afghanistan und dem Irak im Besonderen. Premier Singh erklärte, einen "praktischen Ansatz" zur friedlichen Lösung der Streitfragen mit Pakistan zu verfolgen. Verständnis äußerte Fischer für die indische Entscheidung, einen Zaun entlang der Waffenstillstandslinie in Kashmir zu bauen, um eine weitere Infiltration von militanten Separatisten aus Pakistan zu unterbinden.

Verärgerte Veto-Macht China

In China reagierten Fischers Gastgeber nicht nur zurückhaltend gegenüber dem deutschen Wunsch auf dauerhafte Aufnahme in den Sicherheitsrat, sondern regelrecht verärgert auf die offene Kritik des Gastes an der Todesstrafe, Umerziehungslagern und der Situation in Tibet, seiner Forderung nach einer friedlichen Beilegung der Taiwan-Frage und freien Wahlen in Hongkong. Die Volksrepublik brauche "keine Belehrungen" konterte der chinesische Außenminister Li Zhaoxing und verwies auf die "souveränen Rechte" seines Landes. Die Wogen zu glätten versuchte Fischer, indem er betonte, dass die Bundesregierung an der Ein-China-Politik festhalten wolle und Taiwan, Tibet und Hongkong als Teile der Volksrepublik anerkenne. Ob die Zusicherung die asiatische Veto-Macht für die Zukunft milde stimmt, bleibt fraglich, nachdem bereits Bundespräsident Johannes Rau bei seinem letzten Besuch in Beijing deutliche Worte in Sachen Menschenrechten gefunden hatte.

Diplomatische Zurückhaltung in Dhaka und Colombo

Anschließend reiste Fischer weiter nach Bangladesh. Es war der erste Besuch eines bundesdeutschen Außenministers seit Gründung des Staates 1971. In den Gesprächen mit seinem Amtskollegen Morshed Khan, Premierministerin Khaleda Zia und Oppositionsführerin Sheikh Hasina lobte Fischer die Rolle Bangladeshs in der internationalen Gemeinschaft – gemeint war insbesondere der devisenbringende Beitrag des armen Landes zu UN-Blauhelmtruppen – und betonte die Bedeutung des Landes als "gemäßigte islamische Nation mit religiöser Toleranz" im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Angesichts der von anderer Seite kritisierten Koalition von Premier Zias Bangladesh Nationalist Party mit islamistischen Parteien und den kaum ein Jahr zurückliegenden Verdächtigungen durch US-Medien, Rückzugsraum für Al-Qaida-Leute zu sein, dürften die Gastgeber sich gebauchpinselt gefühlt haben. Allerdings sprach sich Fischer für eine Stärkung der Demokratie und die verbesserte Bekämpfung der Korruption aus. Immerhin ist Bangladesh ein so genanntes "Schwerpunktpartnerland" deutscher Entwicklungshilfe, und so wird die Bundesregierung um die Probleme wissen, Mittel den eigentlichen Adressaten zukommen zu lassen. Konsequenterweise überwies das Auswärtige Amt kurz nach der Heimkehr Fischers 200.000 Euro zur Hilfe von Opfern der aktuellen Flutkatastrophe nicht an die Regierung in Dhaka, sondern an die deutsche NGO "Ärzte für die Dritte Welt – German Doctors", die in Slums der Hauptstadt die Menschen mit dem Nötigsten versorgt. Damit erfüllte das Auswärtige Amt das von Fischer in Dhaka gegebene, aber vor Ort nicht konkretisierte Hilfsangebot elegant. Trotz aller freundlicher Gesten und der ausdrücklichen Hoffnung des deutschen Außenministers auf "Unterstützung unserer Freunde" blieb Kollege Khan vage: Zuerst müssten die Kriterien einer Reform der UNO feststehen, erklärte dieser und ergänzte aufmunternd, dass er sicher sei, dass Deutschland danach seinen "angemessenen Platz" finden werde.

Ähnlich war das Ergebnis der Gespräche in Sri Lanka. Auch hier war der Besuch eines Bundesaußenministers Premiere. Die Regierung in Colombo unterstütze die Reform des UN-Sicherheitsrates, hieß es, sei aber unentschieden, welche potenziellen Neumitglieder sie unterstützen werde. Diskutiert wurden bei den Treffen mit Präsidentin Chandrika Kumaratunga, Außenminister Lakshman Kadirgamar und Oppositionsführer Ranil Wickremesinghe auch der in eine Sackgasse geratene Friedensprozess mit den Tamil Tigers, der gegenwärtig mit norwegischer Hilfe wiederbelebt werden soll. Fischer sicherte seine Unterstützung zu. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland nach Japan das zweitgrößte Geberland für Entwicklungshilfe ist, ist dies durchaus eine Aussage mit Gewicht. Darüber hinaus sprach er sich für einen Ausbau des Handels zwischen beiden Ländern aus.

Auf seiner Weiterreise machte Fischer erneut Zwischenstopp in Indien, wo er in Mumbai vor der indisch-deutschen Handelskammer sprach. Dort warb er um Investitionen indischer IT-Firmen und indische IT-Experten. Einig war er sich mit vielen Zuhörern, dass die "Green Card" Regelung zur Anwerbung hochqualifizierter Arbeitsmigranten unzureichend sei. Während ursprünglich innerhalb von drei Jahren 20.000 Experten nach Deutschland geholt werden sollten, waren es am Ende nur 14.000, unter ihnen 4.000 Inder, die häufig über unzumutbare bürokratische Hürden klagten. Fischer versprach, dass mit dem neuen Einwanderungsgesetz, das Anfang 2005 in Kraft tritt, Besserung zu erwarten sei.

Tröstende Worte für das unverzichtbare Pakistan

Der Abschluss der Reise war der Aufenthalt in Pakistan, wo der Außenminister von Staatspräsident Pervez Musharraf für 90 Minuten empfangen wurde. Doch trotz der protokollarischen Ehren zeigte sich Musharraf wenig begeistert von der deutsch-indischen Interessensgemeinschaft. Er "respektiere" den deutschen Wunsch nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat, machte aber mit Hinweis auf die ungelöste Kashmir-Frage seine Bedenken gegenüber einem indischen Sitz deutlich. Unerträglich ist für Islamabad die Aussicht auf ein Veto-Recht des mächtigen Nachbarn, mit dem dieser UN-Resolutionen zum indo-pakistanischen Verhältnis blockieren könnte. Fischer spielte den Widerspruch herunter und versuchte den Spagat: "Unsere Unterstützung ist nicht gegen eine dritte Partei gerichtet. Und für uns ist entscheidend, dass wir Freunde beider Seiten, Pakistans und Indiens, sind." Gesprochen wurde auch über die Massenvertreibung und das Flüchtlingsdrama im Sudan. Musharraf erklärte sich bereit, seinen Einfluss für eine Lösung der humanitären Katastrophe in Darfur zu nutzen. Da Pakistan ebenso wie Deutschland gegenwärtig zu den zehn nichtständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats gehört, zielte die Bemerkung wohl auch auf die Verhandlungen über die inzwischen verabschiedete UN-Resolution ab, die Khartum nun ein Ultimatum stellt, gegen die arabischen Milizen vorzugehen. Gleichwohl betonte Musharraf, dass die territoriale Integrität des muslimisch dominierten Landes auf jeden Fall zu achten sei und erteilte damit einer militärischen Intervention eine Absage. Etwas Erleichterung nach den schwierigen Gesprächen in Islamabad dürfte die Einladung von Außenminister Kurshid Kasuri in dessen Privathaus in seiner Heimatstadt Lahore gebracht haben, wo Fischer seine Reise bei einem Empfang mit Diplomaten und Intellektuellen ausklingen ließ.

Wieder zurück in Deutschland mit Fragen und Kritik an der Werbetour konfrontiert – "wie einen Kropf" bräuchte die Welt einen ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat titelte beispielsweise die ZEIT – erklärte der grüne Außenminister im ZDF, dass ein europäischer Sitz für ihn zwar "Priorität Nummer eins" sei, allerdings angesichts der britischen und französischen Widerstände kaum realisierbar. Mit seiner Reise sei es ihm um starke und handlungsfähige multilaterale Institutionen gegangen, in denen Fragen "der Umwelterhaltung, der Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit" eine Rolle spielten. Warum es hierfür allerdings eines ständigen deutschen Sitzes im Sicherheitsrat bedarf, ließ Fischer, der in diesem Zusammenhang explizit die Welthandelsorganisation nannte, offen.

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