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30. April 2005. Nachrichten: Politik & Recht - Südasien Kricket-Diplomatie

Pakistans Präsident Musharraf zu Besuch in Indien

Pakistans Präsident General Pervez Musharraf besuchte Indien vom 16. bis 18. April 2005. Die in einer gemeinsamen Erklärung vorgetragenen Ergebnisse der Visite sind als deutlicher Ausdruck einer neuen Zeitrechnung im bilateralen Verhältnis der beiden südasiatischen Nachbarn zu werten.

Musharraf traf mit seinem Amtskollegen A.P.J. Abdul Kalam, Premierminister Dr. Manmohan Singh, der Präsidentin der Kongresspartei, Sonia Gandhi, dem früheren hindu-nationalistischen Premierminister Atal Behari Vajpayee, dem aktuellen Oppositionschef L.K. Advani und einer ganzen Reihe anderer indischer Spitzenpolitiker zusammen.

Nach dem letzten Besuch Musharrafs im Juli 2001, der damals unglücklicherweise nicht die erhofften Ergebnisse brachte, wurde dieses Mal von beiden Seiten versucht, nahezu alles anders zu machen. So besuchte das pakistanische Staatsoberhaupt zunächst den Schrein des Sufi-Heiligen Moiddin Chishty in Ajmer (Rajasthan), was beim letzten Mal wegen der hastigen Abreise nicht mehr zustande kam. Auch die Medien artikulierten im Vorfeld des Treffens nicht annährend an so viele Erwartungen wie vor vier Jahren. Damals war das Meeting bereits im Vorfeld als historisches Gipfeltreffen bewertet worden.

Kricket als Aufhänger

Indiens Premierminister Singh und General Musharraf kamen am 17. April im neu erbauten Feroze-Shah-Kotla-Stadion von Delhi anlässlich des Finalspiels einer aus sechs Eintagesspielen bestehenden Serie zwischen den Kricket-Nationalmannschaften beider Länder zusammen. Der pakistanische Militär- und Staatschef war erst wenige Wochen zuvor von indischer Seite zum Zuschauen eingeladen worden, nachdem er im Rahmen eines Zeitungsinterviews - mehr oder weniger freundlich verpackt - angefragt hatte.

Dass es nicht nur beim gemeinsamen "Kricketschauen" blieb - auch wenn das Stadion in einem Kraftakt der Sicherheitskräfte in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt wurde - war allen Beteiligten klar. Nachdem die beiden Politiker den "Kricketgöttern" beider Länder die Hände geschüttelt hatten, verabschiedeten sie sich noch in der Anfangsphase des Spiels nach knapp 60 Minuten und ließen nahezu die gesamte politische Elite New Delhis, mehrere zehntausend Fans beider Länder und ihre Teams zurück.

Kein zweites Agra

Dem Misserfolg des Gipfels von Agra zwischen dem damaligen Premierminister Vajpayee und General Musharraf vor fast vier Jahren war eine eine Abkühlung gefolgt, die 2002 fast in einem Krieg zwischen den Nuklearmächten mündete. Nur durch das massive Einwirken anderer Staaten - allen voran der USA, deren Präsident Pakistan als Hauptverbündeten in seinem "Kampf gegen den Terrorismus" betrachten - wurde seit April 2003 eine langsame Wiederannäherung zwischen den beiden Nachbarn ermöglicht.

In mittlerweile kontinuierlichen Verhandlungen und so genannten vertrauensbildenden Maßnahmen wurden schließlich die diplomatischen Kontakte wiederbelebt, folgten Öffnungen stillgelegter Flug- und Bahnverbindungen, wurde ein Waffenstillstand entlang der innerkaschmirischen "Line of Control" (LoC) erzielt und den Sportfans beider Länder eine ganze Reihe von "Freundschaftsserien" ihrer Kricket- und Hockey-Nationalmannschaften beschert. Am 24. September 2004 trafen sich Singh und Musharraf dann erstmals am Rande der UN-Generalversammlung in New York zu einem ersten, kurzen Gedankenaustausch.

Der wohl bedeutsamste Schritt aufeinander zu fand Anfang April mit der Eröffnung einer direkten Buslinie zwischen den Provinzhauptstädten auf beiden Seiten der LoC statt. Die Verbindung vom indisch kontrollierten Srinagar ins pakistanisch verwaltete Muzaffarabad war vor 58 Jahren unterbrochen worden.

Konkrete Ergebnisse

In einer gemeinsamen Erklärung verabredeten beide Seiten nun eine ganze Reihe von Schritten, die auch aufgrund ökonomischer und kommerzieller Aspekte für die gesamte Region bedeutsam sind. Entgegen den Vorstellungen einiger kashmirischer Separatisten wurde Kashmir von Musharraf nicht als alleiniges bzw. Hauptthema während des Besuchs behandelt.

Dennoch verabredeten Indien und Pakistan auch künftig an ihrer Kooperation entlang der LoC festzuhalten. Dabei sollen fortan verstärkt Familien aus den beiden Teilen der Gebirgsregion durch eine entspanntere Visapolitik zusammen geführt werden, aber auch die Handelbeziehungen, der Pilgertourismus und die kulturelle Zusammenarbeit ausgebaut werden.

Offensichtlich gelang es der pakistanischen Seite, Indien erfolgreich zu vermitteln, dass die islamistischen Terrorgruppen, die im indischen Teil Kashmirs operieren, keinesfalls von Islamabad unterstützt werden, sondern auch im eigenen Land ein ernsthaftes Sicherheitsproblem darstellen, wie die beiden Attentatsversuche auf Musharraf Ende 2003 zeigten. Dennoch verwies Musharraf auf die "unverhältnismäßig hohe" Truppenpräsenz im Kashmirtal, die eine gewisse Militanz "herausfordere". Von indischer Seite - namentlich dem indischen Verteidigungsminister Pranab Mukherjee - wurde daraufhin erklärt, sein Ministerium werde eine Reduzierung der Truppen im Tal eingehend prüfen.

Außerdem wurde eine ganze Reihe von infrastrukturellen Verbesserungen verabredet, die auch noch relativ schnell umgesetzt werden sollen. So wurde vereinbart, neben weiteren Buslinien zwischen den beiden Teilen Kashmirs und im Punjab (von Amritsar nach Lahore) auch eine Bahnlinie zwischen Gujarat und dem Sindh (Khokrapur-Munnabao) bereits zum 1. Januar 2006 zu eröffnen. Noch vor Jahresende werden die beiden Länder Konsulate in Karachi und Mumbai (Bombay) einrichten. Die Regierung des Unionsstaates Maharashtra wurde dazu bereits von der indischen Zentrale aufgefordert ein geeignetes Grundstück auszusuchen.

Weiterhin wurde verabredet, schnellstmöglich Ergebnisse bezüglich eines umstrittenen Flussverlaufs im südlichen Grenzabschnitt beim Rann of Kuchch (Sir Creek) und im äußersten Nordosten, dem Siachen Gletscher im Karakorum-Gebirge, zu erzielen.

Im Folgemonat ist ein Treffen zwischen den Öl- und Gasministern beider Länder vereinbart, die über eine gemeinsame Zusammenarbeit beraten sollen. Dabei wird es auch um indische Pipelinepläne durch Pakistan gehen.

Der glorreiche Sieg der pakistanischen Kricketnationalmannschaft bei der Eintagesserie - oder umgekehrt die bittere Niederlage des indischen Teams auf eigenem Boden - wurde angesichts der Fülle von gemeinsamen Initiativen in nächster Zeit zumindest in beiden Hauptstädten schnell unter den Teppich gekehrt.

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