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25. November 2005. Nachrichten: Politik & Recht - Sri Lanka Sri Lanka nach den Präsidentschaftswahlen

Rückkehr zum status quo oder status quo ante?

Am 17. Oktober 2005 waren die 13 Millionen Wahlberechtigten in Sri Lanka aufgerufen einen neuen Präsidenten zu wählen. Die seit elf Jahren regierende Amtsinhaberin Chandrika Kumaratunga konnte aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Die Wahl gewonnen hat der bisherige Premierminister Mahinda Rajapakse mit einer knappen Mehrheit von 180.000 Stimmen. Er lehnt jegliche Autonomie für die Tamilen-Region ab.

Wieder einmal lagen die Wahlforscher komplett falsch (vielleicht sollte man inzwischen immer das Gegenteil von dem annehmen, was sie voraussagen): Umfragen sagten einen knappen Gewinn für Ranil Wickremesinghe in den Präsidentschaftswahlen in Sri Lanka voraus, wenn sie nicht ganz bescheiden von einem nicht einzuschätzenden "Kopf-an-Kopf-Rennen" sprachen. Vielleicht hätten sie auf den tamilischen Geschäftsmann aus Colombo hören sollen, der bereits 2004 den Sieg der UPFA (United Peoples Freedom Alliance) entgegen anderslautenden Einschätzungen voraussagte und auch diesmal auf Mahinda Rajapakse setzte.

Unterschiedliche Wahlprogramme - Knappes Ergebnis

Es war ein denkbar knappes Ergebnis: etwa 50% für Rajapakse von der SLFP (Sri Lanka Freedom Party), 48% für den Rivalen Wickremesinghe von der UNP (United National Party). Die Wählerschaft ist demnach fast in gleiche Teile gespalten. Der Wahlkampf befaßte sich fast ausschließlich mit zwei großen Themenkomplexen: Wirtschaftslage und -politik sowie die Fortführung des Friedensprozesses. Zu beiden Themen hatten die Kandidaten durchaus unterschiedliche Ansätze. Wickremesinghe plädierte für eine Wirtschaftspolitik im Sinne der Globalisierung, verstärkte Privatisierung, Abbau des Beamtenapparates und Abbau von Subventionen. Rajapakse dagegen stand für die Abkoppelung von der Globalisierung, Subventionen für Beamte und andere Arbeitergruppen, Protektion der einheimischen Wirtschaft. Damit folgte er der sozialistischen Vergangenheit seiner Partei und den Forderungen seiner Koalitionsparteien: JVP (Janatha Vimukthi Peramuna/People's Liberation Front) sowie der klerikalen JHU (Jathika Hela Urumaya).

Wickremesinghe berief sich darauf, daß er den Friedensprozeß in Gang gesetzt habe und weiterführen werde. Er ließ zudem verlauten, er habe die Tiger dadurch gezähmt, daß er eine Spaltung herbeigeführt und ihre Boote zerstört habe. Es nützte ihm nichts.

Rajapakse nahm alle Bedingungen der JVP für Wahlunterstützung an, die darauf abzielten, das Waffenstillstandsabkommen neu auszuhandeln, das P-TOMS (Post-Tsunami Operation Managment Structure) zu annullieren und den unitarischen Charakter des Landes zu erhalten und im Höchstfalle den Tamilengebieten Devolution zu gewähren. Rajapakse erklärte zudem, er wolle mit Prabhakaran persönlich reden und dabei die Verstöße gegen den Waffenstillstand ansprechen.

Rajapakse setzte sich mit seiner harten Linie durch, obwohl selbst die scheidende Präsidentin Chandrika Kumaratunga, die aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren durfte, sich von ihm distanzierte.

Wie schon bei den Wahlen 2004 war es die arme städtische und ländliche Bevölkerung, die für Rajapakse bzw. die UPFA votierte. Die linksliberale städtische Elite, die traditionell der SLFP zuneigt und vor allem die Wirtschaftspolitik der UNP scharf ablehnt, fühlte sich gezwungen, für ihn bzw. seine Friedenspolitik zu stimmen. Diese Schicht ist jedoch nicht wahlentscheidend.

Wahlentscheidend war eine Schicht, für die Wickremesinghe der abtrünnige "Westler" war: schon gekleidet wie ein Europäer, stammt er aus dem Südwesten des Landes und konnte daher auch dessen Stimmen und die des Hochlandes gewinnen. Er ist urban, gewandt, spricht ausgezeichnet Englisch und fühlt sich auf dem internationalen Parkett wohl. Zudem gehört er einer Dynastie an, die lange Sri Lanka beherrscht hatte: er ist der Neffe Jayewardenes, Präsident Sri Lankas von 1978 bis 1989.

Rajapakse dagegen gilt als der Junge aus dem Volk: er kommt aus dem Süden, aus Hambantota und konnte das Bild eines urwüchsigen, nicht vom Westen verdorbenen kleinen Mannes vermitteln. Er kleidet sich einheimisch, spricht Sinhala und setzt sich anscheinend für die kleinen Leute ein: er ist einer der Unseren. Daß er ein erfolgreicher Jurist ist und den Wahlkreis Hambantota von seinem Vater geerbt hat, der schon zu den Gründungsmitgliedern der SLFP gehörte, wird nicht erwähnt. Auch wird weitgehend verschwiegen, daß er nach dem Tsunami 82 Mrd. Rupies Spendengelder in die eigene Tasche steckte und sie erst nach Schlagzeilen in den Medien und auf Druck seiner Partei wieder zurückgab. Es gelang ihm aber, genügend Gelder zu horten, so daß er Hambantota bevorzugt mit Tsunamihilfe versorgen konnte. Das brachte ihm natürlich die Stimmen dieses Bezirks ein.

Sinhalesische Mehrheit Sri Lankas gespalten

Die Spaltung der Wählerschaft war eine Spaltung der sinhalesischen Mehrheit: die Minderheiten, vor allem die Tamilen, wählten weitgehend nicht. D.h. die Mehrheit der Sinhalesen steht dem Friedensprozeß und Konzessionen an die Tamilen ambivalent gegenüber. Die Koalitionspartner der SLFP, die JVP und klerikale Organisationen wie die JHU (Jathika Hela Urumaya) haben bis heute großen Einfluß auf die ländliche Bevölkerung, und wenn sie das föderale Modell und die Konzessionen an die Tamilen verteufeln, so schließt sich letztere dem an, auch wenn es ihre Söhne sind, die in einem erneuten Waffengang sterben würden. Die JVP (Janatha Vimukthi Peramuna/People's Liberation Front) verbindet die Forderungen nach dem Einheitsstaat mit solchen nach mehr wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit und Antiglobalisierungskampagnen. Auch dies spricht die arme städtische und ländliche Bevölkerung an, der dadurch zusätzlich suggeriert wird, die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) sei schuld an ihrer Misere. Mit anderen Worten, die Bevölkerung hofft, daß ein Sieg, politisch oder militärisch, über die LTTE, gleichzeitig ihre wirtschaftliche Lage verbessern wird.

Wahlen mit geringer tamilischer Beteiligung

Genau diese Konstellation hoffte anscheinend die LTTE zu demonstrieren. Schon vor zwei Monaten erklärten ihre Vertreter, sie werde keine Wahlempfehlung aussprechen, da ihr der Wahlausgang gleichgültig sei. Keiner der Kandidaten werde für die Tamilen etwas ändern, da die sinhalesische Mehrheit den Tamilen feindlich gegenüberstehe. Verschiedene Organisationen riefen denn auch zum Wahlboykott auf. Die LTTE forderte zwar nicht ausdrücklich einen Wahlboykott, sie sagte, es liege im Ermessen jedes einzelnen, ob er wähle oder nicht. Sie machte aber deutlich, daß sie eine Stimmabgabe von Tamilen für nutzlos hielt. Die Mehrheit der Tamilen nahm daher nicht an den Wahlen teil. Dies erklärt nach Meinung einiger Experten die Niederlage Wickremesinghes: mit den Stimmen der Tamilen hätte er gewinnen können. War das dann tatsächlich das Ziel der LTTE? Den hardliner Rajapakse an die Macht zu bringen? Diese Meinung wird manchmal vertreten: damit könne die LTTE demonstrieren, daß die Sinhalesen nicht konzessionsbereit seien und sogar eine neue Konfrontation rechtfertigen. Während dies ein Grund für die Haltung der LTTE sein könnte, so steckt vermutlich noch mehr dahinter: schon Monate vor der Wahl (bevor Wickremesinghe sich mit der Spaltung der LTTE brüstete) erklärte sie, Wickremesinghe sei in seiner Politik unehrlich und daher nicht wählbar. Die SLFP (Sri Lanka Freedom Party) sei wenigstens ehrlich in ihrer Konfrontation.

Interessen der LTTE

Diese Interpretation wurde nach der Wahl weiter verfeinert: die Wahl habe gezeigt, daß Wickremesinghe nicht zu trauen sei. Rajapakses Sieg habe deutlich gezeigt, daß den Sinhalesen an einem Frieden mit den Tamilen nicht gelegen sei; die Mehrheit habe sich vielmehr gegen den Friedensprozeß ausgesprochen. Quod erat demonstrandum: mit den Stimmen der Tamilen hätte, nicht nur nach Meinung der LTTE, Wickremesinghe gewählt werden können, mit den Stimmen der Sinhalesen allein aber nicht. Damit kann die LTTE demonstrieren, daß eine Mehrheit der Sinhalesen gegen die Aussöhnung mit den Tamilen ist: ein Kandidat, der Frieden will, kann nur mit den Stimmen der Minderheiten gewinnen. Für den Friedensprozeß sei dies keine günstige Voraussetzung. Die Argumentation der LTTE hat eine gewisse Logik: wenn eine Mehrheit der Mehrheitsethnie, nämlich der Sinhalesen, sich gegen Konzessionen im Friedensprozeß ausspricht, so hat dieser wohl tatsächlich wenig Chancen. Wenn dies stimmt, so deutet das zumindest darauf hin, daß die politisch Verantwortlichen es seit Jahren versäumt haben, die Bevölkerung vom Nutzen des Friedensprozesses zu überzeugen, ein Manko, auf das bereits Jehan Perera wiederholt hingewiesen hat: fast alle sprechen sich für Frieden aus, es scheint aber meist ein Frieden gemeint zu sein, in dem die Tamilen zuvor militärisch besiegt wurden.

Es gab noch einen dritten Grund für den Boykottaufruf: hätten Tamilen an der Wahl teilgenommen, hätten sie damit implizit den sri lankanischen Staat und seine Organe anerkannt. Das konnte aber nicht im Interesse der LTTE sein, die ja zeigen will, daß sie nicht nur einen eigenen Staat hat, sondern auch in der Lage ist, ihn zu verwalten und zu verteidigen. Die Meinung der Tamilen scheint hier gespalten: teils glauben sie, daß sie vom sri lankanischen Staat nichts mehr erwarten können, teils hoffen sie auf Aussöhnung. Anscheinend haben sich aber selbst die Colombo-Tamilen nur in geringer Zahl an der Wahl beteiligt. Wo Tamilen die Stimme abgaben, stimmten sie jedoch für Wickremesinghe, auch im Osten, obwohl hier der abtrünnige LTTE-Kommandeur Karuna zur Wahl Rajapakses aufgerufen hatte. Die offizielle Reaktion der LTTE auf das Wahlergebnis wird allerdings wohl erst am 27.11. veröffentlicht werden, wenn Prabhakaran an seinem Geburtstag und Heldengedenktag seine programmatische Rede zur "Lage der Nation" hält.

Neuer Waffengang oder Stagnation im Friedensprozess?

Wie wird es jedoch nun weitergehen? Wird es tatsächlich, wie Pessimisten annehmen, zu einem neuen Waffengang kommen? Das erscheint eher unwahrscheinlich, da keine Seite ihn sich leisten kann: es wäre ein internationales Disaster für beider Ansehen. Wie aber wird sich Rajapakses Politik gestalten? Die bekannte Tatsache, daß an der Macht die Dinge ganz anders aussehen als auf dem Weg dahin, zeigt sich auch hier: nach der Vereidigung schlug Rajapakse erstaunlich friedfertige Töne an: er wolle ein Präsident für alle Volksgruppen sein, er werde mit der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) reden und über das CFA (Cease Fire Agreement) verhandeln, er strebe wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit für alle an, und er wolle auf keinen Fall einen neuen Krieg. Wie er diese Ziele allerdings erreichen will, ohne sein Wahlprogramm entscheidend zu modifizieren, erklärte er nicht. Die Wahl seines Premierministers stellte diese behauptete Mäßigung wieder sehr in Frage: Ratnasiri Wickremanayake ist ein womöglich noch größerer Falke als Rajapakse: er hat sich für eine militärische Lösung des Problems ausgesprochen und die Sinhalesen aufgefordert, mehr Kinder zu bekommen, die dann Soldaten werden können. Er hat auch ursprünglich die Antikonversionsgesetzesvorlage eingebracht und gefordert, die skandinavische Vermittlung zu beenden. Daß Rajapakse diesen Mann statt Anura Bandaranaike zum Premierminister macht, deutet nicht nur auf eine harte Linie, sondern auch auf den Wunsch, die Familie Bandaranaike endgültig von der Politik auszuschließen. Rajapakse will sich hiermit anscheinend an der mangelnden Unterstützung seiner Kandidatur durch die Familie Bandaranaike rächen. Die Ankündigung, daß Wickramanayake Premier würde, hat die Börsenkurse in Sri Lanka zum zweiten Mal nach der Wahl einbrechen lassen.

Für die Zukunft scheint die günstigste Voraussage eine Fortdauer der Stagnation zu sein. Selbst in Indien ist man über das Wahlergebnis nicht unbedingt glücklich. Die Inder möchten in den sri lankanischen Sumpf nicht wieder hineingezogen werden, sie hatten auf die Fortsetzung des Friedensprozesses unter Wickremesinghe gehofft. Jetzt könnten sie sich allerdings gezwungen sehen, doch eine aktivere Rolle in einem Konflikt zu spielen, der immer auch die Gefahr birgt, auf Indien überzugreifen. Die Lage bleibt, wie so viele Jahre lang, labil. Daran sollten sich die Menschen in Sri Lanka allerdings inzwischen gewöhnt haben.

Quelle: Diese Analyse erschien im Original im Asienhaus-Rundbrief 20/2005 vom 25.11.2005.

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