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30. August 2008. Nachrichten: Indien - Politik & Recht Harkishan Singh Surjeet - ein Meistertaktiker und Gegner des Hindu-Nationalismus

Zum Tod des ehemaligen CPI/M-Generalsekretärs

Mit Harkishan Singh Surjeet verstarb nach Indrajit Gupta (1919 - 2001) und Chandrashekhar (1927 - 2007) eine weitere herausragende politische Persönlichkeit aus dem linken Lager der indischen Politik. Surjeet gehörte zu den pragmatischen Machtpolitikern, die es den indischen Kommunisten ermöglichten, in den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit im System der indischen Staatsklassenherrschaft politisch gesellschaftsfähig zu werden und Spielräume auch auf der Ebene der nationalen Politik operativ zu nutzen.

Mit Harkishan Singh Surjeet verstarb nach Indrajit Gupta und Chandrashekhar eine weitere herausragende politische Persönlichkeit aus dem linken Lager der indischen Politik. Surjeet gehörte zu den pragmatischen Machtpolitikern, die es den indischen Kommunisten ermöglichten, in den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit im System der indischen Staatsklassenherrschaft politisch gesellschaftsfähig zu werden und Spielräume auch auf der Ebene der nationalen Politik operativ zu nutzen.

Harkishan Singh Surjeet, "der Chanakya 1 der Koalitionspolitik" (Mail Today, 2.8.2008, S. 6), verstarb nach längerer Krankheit im 93. Lebensjahr am 1. August 2008 an einem plötzlichen Herzversagen. Als Generalsekretär der Communist Party of India/Marxist (CPI/M) steuerte er zwischen 1992 und 2005 die Geschicke der 1964 aus der 1925 gegründeten Communist Party of India (CPI) abgespaltenen CPI/M. Zusammen mit Jyoti Basu, dem langjährigen Ministerpräsidenten von West Bengal, trug er dazu bei, dass die CPI/M insbesondere in West Bengal ihre militante Politik zugunsten eines pragmatischen und investitionsfreundlichen Wirtschaftskurses veränderte. Harkishan Singh Surjeet, der bereits die "Dritte Front"-Regierungen 1989-90 und 1996-97 förderte, war auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass es nach den Unterhauswahlen 2004 zu einer Unterstützung der Vereinigten Fortschrittlichen Allianz (UPA) von außen durch die CPI/M sowie andere linke Parteien kam.

Politischer Pragmatiker ohne nennenswerte Theorie

Der am 23. März 1916 im Dorf Rupowal geborene und im Dorf Bundala (Jalandhar) im Punjab aufgewachsene Harkishan Singh Surjeet, ein Sikh, trat in seiner Jugend einer gegen die britischen Kolonialherren gerichteten Bewegung (Naujawan Bharat Sabha, 1930 vom radikalen Freiheitskämpfer Bhagat Singh gegründet) bei. Surjeet schwor seinem Sikh-Glauben ab und wurde Atheist. 1934 wurde er Mitglied der CPI und Mitbegründer ihrer Bauernorgansiation (Kisan Sabha) in der Kornkammer Punjab, wo die damals noch vereinten Kommunisten nach der Unabhängigkeit in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine starke politische Kraft darstellten.

Der Freiheitskämpfer, der außerdem acht Jahre im Untergrund wirkte, verbrachte insgesamt rund 10 Jahre in Gefängnissen, acht unter den Briten und zwei unter der Congress-Herrschaft während des von Indira Gandhi verfügten Ausnahmezustands zwischen 1975 bis 1977. Kurz nach der Unabhängigkeit forderte er bereits einen eigenen Sikh-Staat, was er später als Fehler einräumte. Die Theorien des Marxismus gehörten nicht unbedingt zu den Stärken des ehemaligen Generalsekretärs. Er war ein Autodidakt mit Primarschulausbildung - ganz im Gegensatz zum ersten, weltweit in freien Wahlen zur Macht gekommenen kommunistischen Ministerpräsidenten E.M.S. Namboodiripad oder dem ehemaligen CPI-Generalsekretär S. A. Dange. Die Stärken des Verstorbenen lagen speziell in seinem Organisationstalent.

Harkishan Singh Surjeet brachte die regionalen Zeitungen Dukhi Duniya und Chingari im Punjab heraus. 1947 wurde er CPI-Parteisekretär im Punjab. Der Fußballfan hielt lebenslang den Kontakt zu seinem Heimatdorf und initiierte Entwicklungsprojekte wie eine Schule, für die er - Sohn eines in Australien verhältnismäßig wohlhabend gewordenen Vaters - eigenes Land zur Verfügung stellte, und ein kleines Krankenhaus. 1967 wurde Bundala zum Modell-Dorf erklärt.

Harkishan Singh Surjeet, ein entschiedener Opponent hindu-nationalistischer Kräfte, steuerte die CPI/M in einer dramatischen Umbruchsphase indischer Politik. Sie wurde durch den Verlust der Congress-Hegemonie, den Aufstieg der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), das landesweite Anwachsen von Regionalparteien und - als Ergebnis des zweiten demokratischen Aufbruchs, so der führende indische Politologe Yogenra Yadaw - durch den Aufstieg der Bahujan Samaj Party (BSP) gekennzeichnet wurde. Es gelang ihm in einem allmählichen Prozess die gegen die Congress-Partei dogmatisch gerichtete Haltung der CPI/M - die den Congress einst unverblümt als "Lakaien des Imperialismus" bezeichnete - aufzuweichen, was sich dann 2004 im Gemeinsamen Mindestprogramm niederschlug. Sein Versuch, nach der Wahlniederlage der von P. V. Narasimha Rao geführten Congress-Regierung 1996 seinen engen Vertrauten Jyoti Basu zum Premierminister küren zu lassen, scheiterte allerdings am Widerstand der jüngeren Kader im Politbüro und Zentralkommitee der CPI/M. Basu selbst nannte diese Ablehnung damals "einen groben historischen Fehler".

Der Verstorbene war auch dafür verantwortlich, dass der Generationswechsel innerhalb der CPI/M in einer längeren Phase ohne nennenswerte Probleme stattfand. Sein Nachfolger Prakash Karat und das einflussreiche Politbüro-Mitglied Sitaram Yechuri, beide von der Universität direkt in Parteifunktionen gehievte und keineswegs unbedingt an der Basis verwurzelte Politiker, erfreuten sich seiner besonderen Förderung.

Würdigung der Persönlichkeit

Der politische Einfluss von Harkishan Singh Surjeet, den Beobachter als "glatt wie einen Aal" bezeichneten, reichte weit über seine eigene Partei hinaus. Er bewirkte gegenüber Congress-Premier P. V. Narasimha Rao die Nominierung von K. R. Narayanan, einem Dalit, als Vize- und späteren Präsidenten der Indischen Union. Es wurde Surjeet deshalb attestiert, "dass er besser als jeder andere Politiker im Land die Dynamiken der Koalitionspolitik verstand." (Dhirendra K. Jha: "The Chanakya of coalition politics." Mail Today, 2.8.2008, S. 6)

Die Betroffenheit über seinen Tod war deshalb nicht nur auf seine Genossen beschränkt, sondern fand ihr Echo innerhalb eines breiten Spektrums der indischen Staatsklasse. Premierminister Manmohan Singh, der den um sein Leben ringenden Landsmann aus dem Punjab noch wenige Wochen zuvor im Krankenhaus aufsuchte, sagte über den Verstorbenen: "Ich war zutiefst geschockt und von Schmerzen ergriffen über das Hinscheiden von Surjeet. Er war einer der Architekten der UPA."

Zahlreiche politische Persönlichkeiten aus allen Parteien erwiesen dem im CPI/M-Parteihauptquartier aufgebahrten Harkishan Singh Surjeet und danach bei seiner elektrischen Einäscherung die letzte Ehre, darunter auch Mayawati. Die Ministerpräsidentin von Uttar Pradesh ist eine neue und zugleich wichtigste Verbündete der CPI/M im Kampf um die politische Macht in Indien, der im Jahr 2009 voraussichtlich seinem Höhepunkt finden wird. Das zu erleben war dem "Meistertaktiker" Surjeet, der in seiner Jugend eigentlich Dichter werden wollte, nicht mehr vergönnt.

 

 

Fußnote

[ 1 ] Der historische Chanakya (circa 350-283 vor unserer Zeitrechnung) war ein Berater und eine Art Premierminister des ersten Maurya-Herrschers Chandragupta (circa 340-293 vor unserer Zeitrechnung). Er galt als Architekt für dessen Aufstieg zur Macht. Er war Gelehrter an der Universität von Taxila und es wird weitgehend angenommen, dass er für das erste indische Großreich verantwortlich zeichnete.

Chanakya wird mit Kautilya und Vishnugupta, Namen die als Verfasser der politischen Abhandlung Arthashastra gelten, identifiziert, weshalb Chanakya in der westlichen Welt als der "indische Machiavelli" gilt. Einige Wissenschaftler betrachten Chanakya als einen der ersten Verwaltungsökonomen.

 

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