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13. November 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Afghanistan Warlords zu Freiheitskämpfern

Die Nordallianz hat neue Freunde

Trotz der Unterstützung durch US-amerikanische Bomben gelang es den oppositionellen Kämpfern nur sehr langsam, den Taliban-Truppen Gelände abzuringen. Zwar erweiterten die Truppen der Nordallianz ihr Einflussgebiet, konnten aber noch keine größere Stadt erobern.

Erst zwei Wochen nach Beginn der Bombardements am 7. Oktober 2001 meldeten sie, gegen Masar-e Sharif, die wichtigste Stadt im Norden, vorzurücken. Bis Ende Oktober gelang es ihnen jedoch nicht, die Stadt zu erobern.

Seit Beginn der Kampagne gegen die Taliban sind nicht nur viele diktatorische Regime Asiens zum begehrten Partner der USA in ihrem "Kampf für die Freiheit" geworden, auch die afghanische Nordallianz erhält jetzt - neben russischer und iranischer Hilfe - auch die Unterstützung der amerikanischen Regierung.

Welche Gruppen umfasst die Nordallianz, und lässt ihr möglicher Erfolg tatsächlich eine Demokratisierung und eine Abkehr von despotischer Herrschaft, wie durch die Taliban ausgeübt, erwarten?

Die als "Nordallianz" - oder gar in der Eigenbezeichnung "Vereinigte Front" - benannten Truppen sind ein loser Zusammenschluss lokaler Kriegsherren, die mit ihren Truppen Enklaven im dünnbesiedelten Nordosten kontrollieren. Ihr Zusammenschluss geht auf das Jahr 1997 zurück, als die verschiedenen Gruppen unter dem Eindruck des raschen Vorrückens der Taliban in fast allen Landesteilen eine Zusammenarbeit und die Aufstellung einer gemeinsamen Gegenregierung vereinbarten. Die Warlords kämpfen in ihren Gebieten jedoch völlig eigenständig, es gibt keine zentrale Kommandostruktur. Sie regieren in ihren Territorien vielfach uneingeschränkt, die Zahl der unter Waffen gepressten Männer schwankt je nach Größe des Gebiets zwischen einigen Hundert und mehreren Tausend Soldaten. Die Abstimmung untereinander ist beschränkt: Mitte Oktober erklärte der usbekischsprachige Kommandeur Mahmud Hassan, mit 5.000 Soldaten ein einflussreicher Kriegsherr, gegenüber einem Reporter der Zeit, dass seit der Ermordung des charismatischen Ahmed Shah Massud das Oberkommando nicht mehr getagt habe. Und das "Oberkommando" sei eher als Versammlung von Kommandeuren zu verstehen, die sich gelegentlich träfen, um einzelne Offensiven gemeinsam zu beraten. Befehle könne da niemand geben, jeder Kommandeur sei ein kleiner König.

Alle Gruppen der Allianz haben schon mindestens einmal gegeneinander gekämpft. Außer ihrer Feindschaft gegenüber den Taliban hält die ehemaligen Mujaheddin nichts zusammen, auch nicht die oft erwähnte ethnische Zugehörigkeit zu den Minderheitenvölkern Afghanistans. Wie das Beispiel Rashid Dostums, des derzeit wohl populärsten Kriegsherren, zeigt, scheint das wichtigste Kapital in der eigentümlichen Ökonomie dieses Jahrzehnte alten Bürgerkriegs neben der Zahl der aufzubietenden Kämpfer vor allem äußerste Skrupellosigkeit zu sein:

Dostum stützte bis 1992 die noch von der Sowjetunion installierte Regierung Najibullah. Als Najibullah vor den anrückenden Truppen von Burhanuddin Rabbani und Ahmed Massud fliehen wollte, lieferte Dostum den kurz darauf hingerichteten Najibullah aus, wechselte die Fronten, und plünderte mit den beiden tadschikischen Kommandanten gemeinsam die Stadt. Wenig später schloss er sich den Truppen des paschtunischen Kommandeurs Gulbuddin Hekmatyar an, der an Burhanuddin Rabbanis statt die Präsidentschaft reklamierte. Gemeinsam bombardierte ihre Artillerie Kabul über zwei Jahre.

Als jedoch 1996 eine neue Taliban-Miliz, vorwiegend aus paschtunischen Bauern, deren Führer in pakistanischen Religionsschulen ein ultraorthodoxes Islamverständnis indoktriniert worden war, im schnellen Vormarsch weite Teile des Landes eroberte und schließlich vor Kabul stand, zogen sich beide Kriegsparteien in ihre Heimatregionen zurück: Rabbani und Massud in den Nordosten, Dostum nach Mazar-e Sharif. Doch schon ein Jahr später, im Mai 1997, stürzte ihn sein Vertrauter Abdul Malik und übergab die Stadt an die Taliban. Unmittelbar nach deren Einzug wendete Malik seine Waffen jedoch erneut gegen die Taliban; er soll damals 10.000 Gefangene gemacht haben, mehrere Hundert davon ließ er zu Tode quälen. Ebenfalls seinen Truppen zuzurechnen ist ein Massengrab mit 2.000 getöteten Taliban, das wenig später nahe der Stadt entdeckt wurde.

Für seine Grausamkeit wurde Malik mit dem Vorsitz der neu gegründeten "Vereinigten Front" belohnt, die damals als Zusammenschluss der verblieben Taliban-Gegner gegründet wurde. Erst 1999 gelang es Dostum sein Karrieretief zu überwinden und erneut die usbekischen Milizen unter seiner Führung zu sammeln. Sein Konkurrent Malik muss sich seither mit dem Posten des Gesundheitsministers in der "Regierung" der Nordallianz zufrieden geben.

Neben den tadschikischsprachigen Milizen unter dem am 9. September 2001 ermordeten Massud und Rabbani (die als "Partei" unter dem Namen Jama'at-e Islami organisiert sind) sowie der usbekischen Jumbesh-e Milli um Rashid Dostum, zählen zur Nordallianz noch die Hezb-e Wahdat, die die Vertretung der schiitischen Hazaras zu sein reklamiert. Auch sie kennen ihre "Verbündeten" aus gemeinsamen Kämpfen: Als Massuds Truppen 1994 Massaker unter der schiitischen Bevölkerung Kabuls begann, rückten Truppen der Wahdat auf Kabul vor und lieferten sich Gefechte mit Massuds Jama'at.

Auch wenn die skrupellosen Warlords der Nordallianz und ihre Söldner nicht das krude Islamverständnis der Taliban teilen, sind sie die denkbar schlechtesten Partner, um dem geschundenen Volk Afghanistans die Rückkehr in ein friedliches Leben zu ermöglichen und um demokratische Institutionen aufzubauen. Nur ein starkes Mandat der Vereinten Nationen kann die Übergabe der Macht an zivile Akteure ermöglichen.

Quellen

  • Who are the Northern Alliance? in: BBC News. South Asia, 13.11.2001
  • Die Landsknechte des Westens in: Die Zeit, Nr.43, 18.10.2001
  • Die Nordallianz als "trojanisches Pferd", in: NZZ, 24.9.2001
  • Weder "vereinigt" noch eine "Front", in: NZZ, 15.10.2001
  • Stammesführer planen die Zukunft, in: Süddeutsche Zeitung, 25.10.2001
  • Ewiger Kampf um ein Grab, in: Süddeutsche Zeitung, 10.11.2001

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