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Die pakistanische Politik gleicht einem Gordischen Knoten. Verschiedenste Interessengruppen stehen sich im Wahlkampf feindselig gegenüber. Oppositionkräfte beäugen sich misstrauisch, politische Gegner werden diffamiert und behindert. Die ursprünglich für den 8. Januar angesetzten Wahlen waren wegen der landesweiten Unruhen nach der Ermordung Benazir Bhuttos, der Vorsitzenden der Pakistanischen Volkspartei (PPP), am 27. Dezember auf den 18. Februar verschoben worden.
Die Debatte um die Gleichschaltung der Justiz hält an. Noch immer demonstrieren Anwälte und Bürgerrechtler, die gleichwohl nur einen Teil der gebildeten Mittelschicht repräsentieren. Im März vergangenen Jahres hatte Musharraf den Obersten Richter Iftikhar Chaudhry suspendiert. Nach landesweiten Protesten wurde er zwischenzeitlich wieder eingesetzt, dann aber im Zuge des Notstands erneut entlassen. Seitdem steht er unter Hausarrest. Die Zerstrittenheit der zwei größten Oppositionsparteien, der PPP und der dem ehemaligen Premierminister Nawaz Sharif folgenden Pakistanischen Muslimliga (PML-N), verhindert eine Verbindung zu einer großen Protestbewegung mit zivilgesellschaftlichen Kräften. Aus politischem Eigennutz folgt keine der beiden Parteien dem Wahlboykottaufruf der Anwälte.
Die PML-N rückt zwar die Richterfrage in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne, tritt aber vor allem an, um der PPP, die nach der Ermordung Bhuttos auf die Solidarität möglicher Wechselwähler hofft, nicht das Feld als größte politische Kraft zu überlassen. Das einst angestrebte Oppositionsbündnis gegen Musharraf ist, seitdem Bhutto nach Absprachen mit dem Musharraf-Regime heimkehrte und während des Notstands stets mehrgleisig agierte, Vergangenheit. Nawaz Sharif ist rechtlich von der Bewerbung um einen Parlamentssitz ausgeschlossen – im Gegensatz zu Bhutto, für die eine Amnestie zurechtgeschneidert worden war –, mischt aber dennoch aktiv als Parteiführer im Wahlkampf mit.
Die PPP macht aus ihrer Abneigung gegen Musharraf ebenfalls keinen Hehl, alles andere wäre in der derzeitigen Situation auch Selbstzerstörung. Sie thematisiert die Debatte um die Wiedereinsetzung Chaudhrys jedoch kaum, da dies die einst zwischen Bhutto und Musharraf getroffenen Amnestie-Vereinbarungen nachträglich in Frage stellen würde. Gleichwohl kann vermutet werden, dass sich die Partei einer möglichen Übernahme von Regierungsämtern – auch unter einem Präsidenten Musharraf – nicht entziehen würde. Für den Posten des Premierministers wird Makhdoom Amin Fahim gehandelt. Er ist ein enger Vertrauter des Bhutto-Clans und hatte bisher den stellvertretenden Vorsitz der PPP-Parlamentsfraktion inne. Bhuttos Witwer, Asif Ali Zardari, hätte die Partei als Spitzenkandidat wegen seiner zahlreichen Korruptionsaffären eher in Misskredit gebracht. Als stellvertretender Parteichef der PPP leitet er deren Amtgeschäfte für seinen Sohn, der nach dem Tod seiner Mutter formal die Führung übernommen hat.
Lediglich mehrere kleinere Parteien haben sich zu einem Wahlboykott entschlossen, darunter die Bewegung für Gerechtigkeit (PTI) des einstigen Kricket-Stars Imran Khan, verschiedene kleinere Regionalparteien und die Jamaat-e-Islami (JI). Der Wahlboykott der JI führt zum weiteren Auseinanderdriften der islamistischen Parteien, die 2002 bei den Wahlen in einer Allianz aus sechs religiösen Parteien angetreten waren und als Unterstützer des Regimes – dank Wahlmanipulationen – offiziell zwölf Prozent verbuchen konnten.
Während seiner Europa-Reise Ende Januar, die ihn auch zu EU-Vertretern und zur Nato in Brüssel führte, betonte Musharraf stets, die Wahlen würden frei und fair ablaufen. Auf Nachfragen wiederholte er fleißig sein Lippenbekenntnis, dass er freiwillig sein Amt niederlegen würde, wenn eine Zweidrittel-Mehrheit des neu gewählten Parlaments dies verlange. Soweit wird es wohl nicht kommen. Die Wahlkommission ist nicht erst seit der Durchführung der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Oktober vergangenen Jahres ein Instrument des autokratischen Regimes. Auch bei den vorigen Parlamentswahlen im Oktober 2002 hatte es offensichtliche Manipulationen gegeben. Das Ergebnis sicherte die Herrschaft des damals zugleich als Armeeoberkommandierenden und Präsidenten agierenden Generals Musharraf ab. Sein Putsch von 1999 wurde danach mit einer Zweidrittelmehrheit vom neuen Parlament legitimiert.
Musharrafs politisches Ansehen ist ruiniert. Ijaz Shafi Galani, Sprecher des pakistanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup, betont, dass sich seit Monaten nahezu konstant 70 Prozent der Pakistanis ein Abtreten des Präsidenten wünschen. Die Umfragewerte für die ihn unterstützende Absplitterung der Pakistanschen Muslimliga (PML-Q), im Volksmund gerne spöttisch "the King’s party" genannt, sind desaströs. Gilani zufolge besteht "kaum die Wahrscheinlichkeit, dass die Unterstützer von Musharraf ein Drittel der Sitze gewinnen können".
Der Präsident hat verschiedene Möglichkeiten, um eine neue ihm wohlgesinnte Regierungsmehrheit zusammenzustellen und so seine Amtsenthebung zu verhindern: Entweder er lässt die Wahlen fälschen, wovon Gallup zufolge 53 Prozent der Befragten ausgehen, oder er versucht, eine neue Koalition zu schmieden, wie er es mit Bhutto vor ihrem Tod beabsichtigte. Dies dürfte nun mit der PPP schwer werden, denn die Mehrheit der Wähler vermutet eine Beteiligung der Regierung oder des Geheimdienstes an dem Attentat auf Bhutto. Nur 17 Prozent glauben an eine Täterschaft des al-Qaida-Netzwerks.
Diesmal könnte das Wahlfälschen jedoch schwieriger werden. Über 30 unabhängige Nichtregierungsorganisationen, koordiniert von dem Journalisten und Bürgerrechtsaktivisten Muddassir Rizvi, haben sich zum "Free and Fair Elections Network" zusammengeschlossen. In der größten Mobilisierungskampagne von Wahlbeobachtern in der Geschichte Pakistans wollen sie die Wahl des nationalen Parlaments und der vier Provinzversammlungen in 40.000 der 64.000 Wahllokale beobachten. Seit Wochen veröffentlichen sie Berichte über Verstöße im Wahlkampf. Dabei tun sich nicht nur Vertreter der Regierungsparteien hervor, obgleich diese durch Zweckentfremdung staatlicher Einrichtungen für Wahlkampfzwecke und dem Einsatz von oft zweifelhaften juristischen und polizeilichen Instrumenten sich besondere Vorteile verschaffen. Ansonsten unterscheiden sich Oppositionelle und Regierungsparteien wenig in der "Wahl ihrer Wahlkampfwaffen": Politische Gegner werden beleidigt und eingeschüchtert, man versucht, Einfluss auf die Presse zu nehmen, zeigt gerne Stärke mit dem offenen Präsentieren von Waffen und zerstört Läden möglicher Gegner oder öffentliche Einrichtungen.
So gerät der Wahlkampf zur Farce, und wieder wird Wasser auf die Mühlen jener Kreise im Militär und der Sicherheitsdienste gegossen, die überzeugt davon sind, dass einzig sie die nationale Einheit gewährleisten können. Trotzdem erkennen immer mehr Angehörige aus diesen Reihen, dass auch sie ein Teil des Problems sind. Zahlreiche pensionierte Militärs melden sich öffentlich zu Wort und fordern einen Rückzug des Militärs aus der Politik. Doch dieser Schritt wird nur gelingen, wenn es gleichzeitig zu einer Transformation Pakistans in eine funktionierende Demokratie kommt. Doch danach sieht es so bald nicht aus.
Der Beitrag erschien im Original am 14. Februar 2008 in der Wochenzeitung Jungle World 07/2008.
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