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16. September 2005. Interviews: Politik & Recht - Indien "Leider hat sich die Situation nicht verbessert"

Der Menschenrechtsanwalt Parvez Imroz im Interview über die aktuelle Lage im indischen Teil Kaschmirs.

Wie sieht die Situation im Kaschmirtal heute aus? Hat die Regierung vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen?
Im Allgemeinen hatten wir die Hoffnung, dass sich die Situation mit den vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Indien und Pakistan, insbesondere mit der Eröffnung der Buslinie Srinagar-Muzaffarabad, verbessern würde. Leider ist das nicht der Fall. Es gibt im Kaschmirtal zwei parallele Systeme. Das eine hat ein ziviles Gesicht, das andere besteht aus den Sicherheitskräften, die über Leben und Tod entscheiden und die Bewegungsfreiheit der Menschen kontrollieren. Der indische Staat hat mit dem Beginn der Entspannungspolitik und den vertrauensbildenden Maßnahmen die Gelegenheit ergriffen, um die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft von der Lage der Menschenrechte in Kaschmir abzulenken. Der Staat ist auch bemüht, Menschrechtsaktivisten davon abzuhalten, die Unwahrheiten der Regierung öffentlich zu machen. Für Menschenrechtsaktivisten ist die Arbeit hier sehr gefährlich, weil man permanent den eigenen Rücken im Blick haben muss, während man seiner Arbeit nachgeht.
Sie vertreten viele Fälle von vermissten Personen mit ungeklärtem Verbleib. Wie viele Fälle wurden bislang aufgeklärt, wie viele Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen?
Es wurden mehr als 300 Petitionen auf Grundlage der Habeaskorpusakte [engl. Gesetz von 1679 zum Schutz der persönlichen Freiheit, nach dem niemand ohne gerichtliche Untersuchung in Haft gehalten werden darf] beim High Court eingereicht. In keinem einzigen Fall sind die vermissten Personen wieder aufgetaucht. In vielen Fällen, in denen es sich um Personen handelt, die bei Ermittlungen oder Durchsuchungen durch die Sicherheitskräfte spurlos verschwanden, wurden Leichen exhumiert. Die Sicherheitskräfte hatten die Toten als ausländische Terroristen ausgegeben, doch es stellte sich heraus, dass es sich um einheimische Widerstandskämpfer handelte. Die Gerichtsbarkeit ist Teil des Staates und insofern genießen Sicherheitskräfte Immunität unter dem Armed Forces Act. Niemand wurde bislang zur Rechenschaft gezogen.
Welche Bedeutung hat das Denkmal für die Verschwundenen, für das kürzlich die Grundsteinlegung erfolgte?
Das Denkmal trägt die Botschaft "Nie wieder!". Damit wollen die Angehörigen ausdrücken, dass eine solche Willkür nie wieder geschehen soll. Die 200.000 Angehörigen der 10.000 Verschwundenen brauchen einen Ort der Trauer und des Gedenkens an ihre Familienangehörigen. Das Denkmal ist von gleicher Bedeutung wie an anderen Orten der Welt, wo es keine Gräber gibt, und die Betroffenen Denkmäler für vermisste Menschen errichtet haben.
Wie sieht es mit der Bewegungsfreiheit heute aus?
Ohne Erlaubnis der staatlichen Autoritäten dürfen auch keine friedlichen Demonstrationen stattfinden. Wer sich nicht daran hält, dem droht die Verfolgung. Das war der Fall bei einer Demonstration der zivilgesellschaftlichen Initiative "Vereinigung der Eltern der Verschwunden", die mit Gewalt von der lokalen Polizei aufgelöst wurde.
Was denken Sie über die Politik der neuen Regierungskoalition im Unionsstaat unter der Führung von Chief Minister Mufti Sayeed Mufti Sayeed ein? Hat er gute Arbeit geleistet?
Mit der neuen Regierung, die nach den Wahlen im November 2002 an die Macht kam, hat sich außer den Slogans nichts geändert, obwohl die aktuell regierende "Jammu & Kashmir People’s Democratic Party" mit dem Menschenrechtsthema zu den Wahlen antrat. Seit Antritt der Regierung der "Jammu & Kashmir People’s Democratic Party" haben wir 150 neue Fälle von verschwundenen Personen dokumentiert sowie 90 Fälle von außergerichtlichen Exekutionen, wozu wir auch die Todesfälle in Haft zählen. Angesichts eines Apparates von 700.000 stationierten Sicherheitskräften dürfte es für jede Regierung im Unionsstaat schwierig sein, das Militär zu neutralisieren. Sie kann zwar regieren, hat jedoch nicht die Macht, gegen Angehörige der Truppen Strafverfahren einzuleiten. Das Verhältnis der Militärpräsenz ist angesichts der Realitäten unangemessen. Lieutenant-General Nirbhay Sharma, der bis Juni für die 15 Armeekorps im Kaschmirtal zuständig war, sagte am 1. Mai, dass die Zahl der Terroristen auf Anzahl von 2.000 zurückgegangen sei. Trotz der Ankündigungen der indischen Regierung hat es keine Truppenreduzierung gegeben. Im Gegenteil, 10.000 junge Kaschmiris bekamen weitere Jobs in paramilitärischen Einheiten. Vor allem in abgelegenen Distrikten wie Doda und Kupwara, die für Presse und Menschenrechtsorganisationen nicht zugänglich sind, ist die Lage der Menschenrechte nach wie vor schlecht.
Welche Erwartungen haben die Menschen im Kaschmirtal?
Die Menschen glauben, dass vertrauensbildende Maßnahmen am wirksamsten wären, wenn der Staat und die Extremisten, die Gewalt endlich beenden würden.
Welche Rolle spielt heute das außerparlamentarische Oppositionsbündnis "All Parties Hurriyat Conference"?
Es ist in sich zersplittert, vertritt sehr unterschiedliche Interessen und hat wenig Ansehen, repräsentiert aber anderseits Erwartungen der Menschen.
Was erwarten Sie von der neuen Zentralregierung, dem Bündnis der United Progressive Alliance (UDP) unter Führung der Kongresspartei?
Jede Regierung, ob die UDP oder ihre Vorgänger, scheint die gleiche Politik in Kaschmir zu verfolgen. Die allgemeine Meinung ist, dass die BJP-geführte Regierung konsequent in ihrer Unehrlichkeit war. Und die Kongresspartei ist schließlich für das ganze Desaster mitverantwortlich und kann daher kaum darauf hoffen, dass ihr eine Lösung für den Kaschmirkonflikt zugetraut wird.

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Menschenrechte in Indien .

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