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16. September 2005. Analysen: Wirtschaft & Soziales - Indien Der Kampf um das Menschenrecht auf Nahrung in Indien

Indien verfügt über große Bestände an Reis und Getreide – der Vorrat wird mit insgesamt 50 Millionen Tonnen angegeben. Durch ein öffentliches Verteilungssystem sollen diese Bestände der bedürftigen Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Doch bisher erreicht das bestehende Verteilungssystem nicht alle bedürftigen Bevölkerungsgruppen hinreichend. Nach wie vor besteht große Not: Indien ist das Land mit der höchsten Anzahl an unterernährten Menschen weltweit. Die Hälfte aller Kinder ist unterernährt. 33% der Kinder kommen bereits untergewichtig auf die Welt. Etwa 350 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, das sind etwa 27 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Im Jahre 2001 herrschte in Indien eine große Dürre - in vielen Unionsstaaten hielt sie bereits das zweite oder dritte Jahr an. Angesichts der großen Anzahl von Hungertoten, unter anderem in Orissa und Rajasthan, und des gleichzeitigen Überschusses an Getreidebeständen mobilisierte sich die Zivilgesellschaft und brachte eine Verbandsklage vor das Oberste Gericht, dem indischen Supreme Court.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob das in Artikel 21 der indischen Verfassung verankerte "Recht auf Leben" auch das Recht auf angemessene Nahrung insoweit einschließt, dass Indien seine Nahrungsmittelreserven für die Bedürftigen zugänglich machen muss.

Ein positives Urteil würde ein Meilenstein im Kampf für das Menschenrecht auf Nahrung[1] bedeuten, da das Gericht letztendlich darüber entscheidet, inwieweit der Staat für die Umsetzung dieses Menschenrechts in der Pflicht steht.[2]

Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte und das Recht auf Nahrung

Das Recht auf Nahrung ist eines der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR)[3] und im Sozialpakt[4] aufgeführten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (wsk-Rechte).

Die wsk-Rechte wurden neben den bürgerlichen und politischen Menschenrechten bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 niedergelegt und später in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag übernommen und fortentwickelt: dem sogenannten Sozialpakt, der 1976 in Kraft trat.[5] Die inhaltliche Bestimmung der einzelnen Rechte erfolgt unter anderem durch den Ausschuß für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR), vor allem durch die Veröffentlichung der General Comments.[6]

Der Sozialpakt unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom Zivilpakt[7], der die bürgerlichen und politischen Menschenrechte umfaßt. So sieht zum Beispiel der Sozialpakt im Gegensatz zum Zivilpakt kein Mechanismus für ein Individualbeschwerdeverfahren vor. Begründet wird dies mit der angeblich schwachen Rechtsqualität der wsk-Rechte: Sie würden im Gegensatz zu den im Zivilpakt verankerten Rechte keine individuellen Rechtsansprüche begründen und ihre Umsetzung sei ressourcenabhängig.[8]

Dies führte dazu, dass den wsk-Rechten in der Vergangenheit weniger Beachtung geschenkt wurde, als den bürgerlichen und politischen Rechten. Während der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 wurde die Idee der Unteilbarkeit, Interdependenz und Universalität aller Menschenrechte jedoch wieder hervorgehoben. Und auch jüngere völkerrechtliche Interpretationen ermöglichen ein anderes Verständnis der wsk-Rechte. Im Zuge dieser Entwicklung wird zwischen drei Verpflichtungsebenen für alle Menschenrechte unterschieden: die der Respektierungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten. [9]

Am Beispiel des Rechts auf Nahrung läßt sich dies folgendermaßen veranschaulichen:

  • Die Respektierungspflichten verlangen u.a. vom Staat, dass dieser keine Maßnahmen ergreift, die den Zugang zu Nahrung verhindern könnten.
  • Die Schutzpflichten der Staaten sollen u.a. vor Übergriffen Dritter schützen und z.B. verhindern, dass private Unternehmen oder Einzelpersonen andere an ihrem Zugang zu Nahrung hindern.
  • Gewährleistungspflichten bedeuten u.a. für die Staaten, dass sie die Umsetzung des Rechts auf Nahrung gewährleisten und Maßnahmen unterstützen sollen, die den Zugang der Bevölkerung zu Nahrung erleichtern. Außerdem ist der Staat dazu verpflichtet, direkt, z.B. in Form von Nahrungsmittelhilfe in Katastrophensituationen, das Recht auf Nahrung umzusetzen.

Daneben hat auch die Arbeit einer Vielzahl von internationalen und nationalen Menschenrechtsorganisationen, die thematische Schwerpunktsetzung auf die wsk-Rechte in der Entwicklungszusammenarbeit, sowie neuere völkerrechtliche Entwicklungen zu einer zunehmenden Akzeptanz der wsk-Rechte sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch unter Experten geführt.[10] Als besonderer Erfolg ist zu bewerten, dass die von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen eingerichtete Arbeitsgruppe prüft, ob ein Beschwerdeverfahren zum Sozialpakt geschaffen werden soll.[11]

Positive Entwicklungen der wsk-Rechte sind auch hinsichtlich des Rechts auf Nahrung zu beobachten. Auf dem Welternährungsgipfel 1996 wurde das Recht auf Nahrung in den Aktionsplan mitaufgenommen, mit dem Ziel, die Zahl der Hungernden weltweit bis zum Jahre 2015 zu halbieren. In seinem General Comment Nr. 12[12] von 1999 stellte der CESCR klar, dass es in den meisten Gegenden der Welt nicht um Ressourcenknappheit geht, sondern dass der fehlende Zugang zu Nahrung oder zu den entsprechenden Ressourcen für die Nahrungsbeschaffung das eigentliche Problem ist.[13] Nahrungsmittel sind laut CESCR dann verfügbar, wenn die Möglichkeit besteht, sich selbst direkt von produktivem Land und natürlichen Ressourcen zu ernähren, oder die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln durch funktionierende Systeme zur Verteilung, Verarbeitung und Vermarktung ermöglicht wird.

Als weiteres Zeichen dafür, dass das Recht auf Nahrung in den letzten Jahren vorangetrieben wird, können auch die Ergebnisse der Folgekonferenz der Welternährungskonferenz in Rom im Jahre 2002 angesehen werden. Dort wurde eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe gegründet, die freiwillige Leitlinien zur progressiven Verwirklichung des Rechts auf Nahrung ausgearbeitet hat, welche 2004 von der Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) angenommen wurden.[14]

Eine wichtige Einrichtung der Vereinten Nationen, um das Thema auf internationaler Ebene zu fördern, ist die des Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung. Der Sonderberichterstatter, Jean Ziegler, beobachtet weltweit den Zustand der Ernährungssicherheit und verfaßt darüber jedes Jahr einen Bericht.

Die Anerkennung einzelner wsk-Rechte auf nationaler Ebene ist von fundamentaler Bedeutung für ihre Umsetzung. Die genannten Entwicklungen führten dazu, dass das Recht auf Nahrung inzwischen in den Gesetzen einer Reihe von Ländern Erwähnung findet.[15]

Das Beschwerdeverfahren vor dem indischen Supreme Court

Indien hat am 10. April 1979 den Sozialpakt ratifiziert und sich als Vertragsstaat damit unter anderem der Umsetzung des Rechts auf Nahrung verpflichtet. [16] Wie der General Comment 12 des CESCR beschreibt, geht es bei der Umsetzung des Rechts auf Nahrung vor allem um den Zugang zu Nahrung und die Nahrungsmittelverfügbarkeit. Um diesen Zugang zu gewährleisten, verfügt Indien über ein öffentliches Verteilungssystem (Public Distribution System (PDS)), das von der indischen Lebensmittel-Kooperation (Food Cooperation of India (FCI)) verwaltet wird und welches ermöglichen soll, Grundnahrungsmittel wie Reis und Getreide verbilligt an die Bedürftigen weiterzugeben. Die dafür bereitzustellenden Nahrungsmittel stammen aus staatlichen Subventionskäufen, die vorrangig das Einkommen der indischen Kleinbauern sichern sollen. In den vergangenen Jahren wurden zudem acht gesetzliche Programme erlassen, die der Ernäherungssicherung dienen sollen. Sie sind jeweils auf die Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen zugeschnitten. Jedoch wurden die Ernährungssicherungsprogramme durch die staatlichen Bestände nicht versorgt.

Als im Jahr 2001 aufgrund anhaltender Dürre die Zahl der Hungertoten in Indien rapide anstieg, war dies Anlass für die "Volksvereinigung für die Freiheiten der Bürger" ("People's Union for Civil Liberties" (PUCL)) eine Klage beim Supreme Court, dem höchsten Gericht in Indien, einzureichen.[17] Die Spannung zwischen der großen Not in Indien bzw. dem allgemeinen Bedürfnis nach Ernährungssicherung einerseits und den tatsächlich bestehenden Möglichkeiten zur Hilfe andererseits, war für die Beschwerdeführerinnen und -führer unerträglich geworden. Denn Indien verfügt damals wie heute über große Bestände an Reis und Getreide, die es von indischen Händlern zu Festpreisen aufkauft und über Jahre einlagert, ohne diese Ressourcen an die Bedürftigen hinreichend weiterzureichen. Die Klage fordert daher, dass die staatlichen Lagerbestände von Reis und Getreide unverzüglich eingesetzt werden, um die Hungersnot zu lindern, denn die Bedürftigen werden weder über das öffentliche Verteilungssystem, noch über die staatlichen Ernährungssicherungsprogramme erreicht.

Aufgrund der Verbandsklage der PUCL hat das Gericht über die Frage zu entscheiden, ob das in Artikel 21 der indischen Verfassung verankerte "Recht auf Leben" auch das Recht auf angemessene Nahrung insoweit einschließt, dass der indische Staat seine Nahrungsmittelreserven für die Bedürftigen zugänglich machen muß. Ist dies der Fall, so würde die indische Regierung gegen die Verfassung verstoßen, weil sie ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern trotz struktureller Unterversorgung und teilweise großer und anhaltender Hungersnot nicht hinreichend zur Seite steht.[18] Übertragen auf das Völkerrecht befindet das Gericht letzten Endes über die Reichweite der Gewährungspflichten des Rechts auf Nahrung.[19]

Eine endgültige Entscheidung des Gerichts steht immer noch aus. Die Bedeutung des Falls zeigt sich jedoch schon an der einstweiligen Verfügung des Gerichts vom 28.11.2001. Damit erklärte das Gericht, dass die acht bereits bestehenden zentralstaatlichen Ernährungssicherungsprogramme, die speziell auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zugeschnitten sind, nunmehr individuelle Rechtsansprüche beinhalten.

Die Right to Food Campaign

Vor dem Hintergrund der Klage der PUCL vor dem Supreme Court entstand 2001 die Right to Food Campaign, um den rechtlichen Prozess durch Öffentlichkeit und Druck seitens der Bevölkerung zu begleiten. Getragen wird die Bewegung von verschiedenen Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen, die sich ehrenamtlich für die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung in Indien einsetzen. Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten ist die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung, so dass tatsächlich alle Menschen in Indien frei von Hunger und Unterernährung leben können. Die konkreten Forderungen der Kampagne, welche die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung garantieren sollen, gehen über die im Gerichtsverfahren vor dem Supreme Court behandelten Fragestellungen hinaus. Neben der Forderung nach funktionierenden öffentlichen Verteilungssystemen oder der Umsetzung der bestehenden acht Ernährungssicherungsprogrammen bezieht die Right to Food Campaign weitreichende Forderungen nach sozialen Rechten mit ein. In der Pflicht, grundlegende soziale Rechte umzusetzen und zu gewährleisten, steht aus der Sicht der Right to Food Campaign der indische Staat.[20] Um eine allgemeine Lebenssicherung zu gewährleisten sind zentrale Forderungen an den Staat ein Recht auf Arbeit, Landreformen, soziale Sicherung und die Umsetzung des Midday Meal Schemes (MDMS), eines der acht Ernährungssicherungsprogramme. Nur ein derart umfassender Ansatz könne die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung tatsächlich gewährleisten.

Die Right to Food Campaign ist aufgrund ihrer vielfältigen Aktivitäten, besonders aber aufgrund ihres umfassenden Ansatzes zum Recht auf Nahrung ein bedeutender Teil der indischen und internationalen Bewegung für globale soziale Rechte. Sie zeichnet sich durch eine starke Mobilisierung und einen Reihe von spektakulären Aktionen und Aktivitäten aus, welche den Druck auf die maßgeblichen Entscheidungsträger erhöhen konnte. So fand zum Beispiel am 9. April 2002 ein "Day of Action on mid-day-meals" an unterschiedlichsten Orten im Land statt. Bei den dezentral abgehaltenen Aktionen wurde für die sofortige Implementierung und Umsetzung des MDMS demonstriert. Dies war die erste größere Aktion der Right to Food Campaign, der viele weitere Aktivitäten und Aktionen folgten.[21]

Ernährungssicherung von Kindern durch das Midday Meal Scheme (MDMS)

Das MDMS ist ein Schulspeisungsprogramm, das die Anweisung an die 28 Unionsstaaten und 7 Unionsterritorien Indiens beinhaltet, jedem Kind einer staatlichen (bzw. staatlich unterstützten) Grundschule eine gekochte Mahlzeit von 100 Gramm Reis oder Getreide an mindestens 200 Tagen im Jahr zu gewähren. Bis heute werden mehr als 50 Millionen Kinder mit dem MDMS versorgt. Es handelt sich damit um das größte Ernährungsprogramm der Welt.[22]

Erfahrungen aus Bundesstaaten wie Tamil Nadu und Kerala, die das Ernährungsprogramm engagiert umgesetzt haben, zeigen, dass Millionen Kinder dadurch sehr effektiv vor Hunger und Unterernährung geschützt werden können. Dass diese Aufgabe von Schulen übernommen wird, verändert deren Rolle und Funktion entscheidend. So ist mit Einführung des MDMS laut einer Studie des "Centre for Equity Studies" die Anzahl der Kinder, welche die erste Klasse besuchen, um 15% gestiegen.[23] Bedeutend dabei ist, dass auch deutlich mehr Mädchen die Schule besuchten. Die soziale Bedeutung dieses Ernährungsprogramms kann also nicht genug betont werden. Kombiniert mit gesundheitlichen Maßnahmen und der Ausdehnung des MDMS in dürregeplagten Regionen auf die Ferienzeit ist dieses Ernährungsprogramm ein wirksames Mittel, dem Hunger und der Unterernährung von Millionen Kindern zu begegnen.[24]

Doch bislang erreicht dieses Programm bei weitem nicht alle Kinder. Die Kinder, die nicht zur Schule gehen, sind von vornherein vom Programm ausgeschlossen. Und obwohl mit der Einführung des MDMS die Anzahl der Kinder, welche zur Schule gehen, angestiegen ist, besuchen viele von ihnen die Schule nicht regelmäßig. Selbst die Kinder, die regelmäßig zur Schule gehen, erreicht das Programm nicht immer, da das MDMS auf die Grundschulen beschränkt ist und es auch in vielen Bundesstaaten noch nicht umgesetzt wurde. Als Begründung werden von den Verantwortlichen meistens finanzielle Engpässe angegeben. Letztendlich profitieren daher bislang "lediglich" 50 Millionen Kinder von dem MDMS, während etwa 150 Millionen der Kinder im Alter zwischen 5 und 14 nicht von diesem Programm erreicht werden.[25]

Bereits 2003 ernannte der Supreme Court zwei Kommissare, um die Ursachen für die

fehlende oder nur unzureichende Implementierung des MDMS zu überprüfen. Aus den Ergebnissen ihrer Untersuchungen geht hervor, dass die ausbleibende Einführung des MDMS nicht finanziell begründet ist, zumal der Staat das Getreide für die Zubereitung der Midday-Meals mittlerweile kostenfrei zur Verfügung stellt. Vielmehr wurden "administrative und politische Trägheit"[26] als Ursache genannt. Eben diese Trägheit führt auch dazu, dass in vielen Bundesstaaten die Qualität der Midday-Meals sehr zu wünschen übrig lässt. Zudem mangelt es oft an sauberem Trinkwasser, Kochstellen und –geschirr. Im Jahre 2002 prüften zwei Aktivisten die Durchführung des MDMS im Betul District, Uttar Pradesh. Vor den laufenden Kameras entdecken sie Rattenkot und Würmer in den Getreidebeständen der Schule. In Rajasthan wurde Tag für Tag Ghoogri[27] serviert, dessen Nährwert allein nicht ausreicht und zu einer Mangelernährung führen kann. Dabei wird nicht nur Artikel 11 des Sozialpaktes verletzt, sondern auch Artikel 24 und Artikel 27 der Kinderrechtskonvention[28]:

  • Artikel 24: "Die Vertragsstaaten [...] treffen insbesondere geeignete Maßnahmen, um [...] c) Krankheiten sowie Unter- und Fehlernährung auch im Rahmen der gesundheitlich Grundversorgung zu bekämpfen, unter anderem [...] durch die Bereitstellung ausreichender vollwertiger Nahrungsmittel und sauberen Trinkwassers[...]."
  • Artikel 27: "Die Vertragsstaaten erkennen das Recht jedes Kindes auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandards an."

Angesichts der Tatsache, dass mehr als 50% der Kinder unter drei Jahren in Indien unterernährt sind[29], ist eine fehlende bzw. qualitativ unzureichende Umsetzung nicht entschuldbar und FIAN hat sich daher zusammen mit anderen Nichtregierungsorganisationen in Uttar Pradesh für die Implementierung des MDMS eingesetzt. Auf den massiven Druck seitens der Nichtregierungsorganisationen (NROs) und der Zivilgesellschaft hin, hat die Regierung von Uttar Pradesh im September 2004 schließlich mit der Durchführung des MDMS begonnen - zunächst aber beschränkt auf lediglich 16 Distrikte. Doch die fortbestehende Druckausübung auf die Regierung Uttar Pradeshs führte dann im Oktober 2004 zu der Ausweitung dieses Ernäherungsprogramms auf den gesamten Unionsstaat. Dies ist ein großer Erfolg im Kampf um das Recht auf Nahrung in Indien, welches als ein positives Beispiel für die Umsetzung der restlichen Ernährungssicherungsprogramme gelten kann.

Fazit und Ausblick

Im Laufe der letzten Jahre haben die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in der Öffentlichkeit eine längst überfällige Beachtung erhalten. Dazu gehört auch das Recht auf Nahrung, um welches es auch bei dem aufsehenerregenden Verfahren vor dem indischen Supreme Court geht.

Mit dem Verfahren vor dem Supreme Court wird erstmalig darüber entschieden, ob das Recht auf Nahrung dem Staat die Pflicht auferlegt, den Zugang zu Nahrungsmittelbeständen ausreichend zu gewährleisten – was einen Präzedenzfall für das Recht auf Nahrung und die wsk-Rechte darstellen könnte. Ein solcher rechtlicher Rahmen kann dann in Indien auch dazu beitragen, weitere Schwierigkeiten für die Implementierung des Rechts auf Nahrung und die Umsetzung der Ernährungssicherungsprogramme zu beseitigen und ein gerechtes Verteilungssystem zu schaffen.

Ein positives Urteil des Supreme Courts wäre daher nicht nur ein besonderer Erfolg für die "Volksvereinigung für die Freiheiten der Bürger" (PUCL), sondern auch ein Meilenstein für zahlreiche Menschenrechtsorganistionen und dem Netzwerk der Right to Food Campaign.

Ein Schritt zur Stärkung des Rechts auf Nahrung wäre getan, ein Schritt der viele Menschen vor dem Hungertod bewahren kann und sie ermutigen kann, sich weiterhin für das Recht auf Nahrung einzusetzen.

Anmerkungen

[1] Da es menschenwürdiger ist, selbst in der Verantwortung für das eigene Leben zu stehen, wird auch von dem Recht darauf, sich zu ernähren, gesprochen. Die im Folgenden verwendete kürzere Bezeichnung "das Recht auf Nahrung" meint diese Bedeutung.

[2] Siehe hierzu: Jean Ziegler, Special Rapporteur of the United Nations Commission of Human Rights on the right to food: Report, U.N. Doc. A/56/210 vom 23. Juli 2001

[3] Artikel 25: "Jeder Mensch hat einen Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung und die notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet…", http://www.unhchr.ch/udhr/index.htm.

[4] Artikel 11: "1. Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Besserung der Lebensbedingungen…" sowie "2. In Anerkennung des grundlegenden Rechts eines jeden, vor Hunger geschützt zu sein, werden die Vertragsstaaten einzeln und im Wege internationaler Zusammenarbeit die erforderlichen Maßnahmen, einschließlich besonderer Programme, durchführen." http://www.ohchr.org/english/law/pdf/cescr.pdf.

[5] International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (1996), Adopted and opened for Signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, http://www.ohchr.org/english/law/pdf/cescr.pdf.

[6] http://www.ohchr.org/english/bodies/cescr/comments.htm.

[7] Siehe Fakultativprotokoll zum Zivilpakt: http://www.ohchr.org/english/law/ccpr-one.htm.

[8] Krennrich/Stamminger (2004): "Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte: Die Interpretation ist nicht beliebig!" Nürnberger Menschenrechtszentrum, http://www.menschenrechte.org/, S. 11

[9] Eine theoretische Erläuterung hierzu von Henry Shue (1982): "The Interdependence of Duties", in: Alston/ Tomasevski (eds.): The Right to Food, pp. 83-95.

[10] Krennrich/Stamminger (2004), S. 4.

[11] Siehe http://www.ohchr.org/english/issues/escr/group.htm

[12] CESCR (1999): The right to adequate food (Art.11):.12/05/99. E/C.12/1999/5.(General Comments). United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Genf.

[13] Der CESCR schreibt: "The right to adequate food is realized when every man, woman and child, alone or in community with others, has physical and economic access at all times to adequate food or means for its procurement."

[14] Zur Unterstützung der Ausarbeitung dieser freiwilligen Leitlinien wurde u.a. eine Fallstudie über Indien erarbeitet: Kundu, Amitabh/ Jain, Stish (2004): "Right to Food Case Study: India. Study conducted for FAO in support of the Intergovernmental Working Group in the Elaboration of a set of Voluntary Guidelines fort the Realization of the Right to Adequate Food in de context of national Food Security". FAO, Rom.

[15] Siehe dazu GTZ (2005): http://www.gtz.de/de/themen/laendliche-entwicklung/armut-hunger/2298.htm

[16] http://www.ohchr.org/english/countries/ratification/3.htm

[17] http://www.righttofoodindia.org/case/case.html

[18] Etwa ein Drittel der staatlichen Lebensmittelvorräte verschwinden in den Händen von Privatleuten, die das System korrumpieren. Teile der Lagerbestände werden zudem von Ratten und anderen Nagern aufgefressen. Die Nahrungsmittel, die die Bevölkerung erreichen, sind zum Großteil verdorben und stark verunreinigt.

[19] Siehe: Jean Ziegler, Special Rapporteur of the United Nations Commission of Human Rights on the right to food: Report, U.N. Doc. A/56/210 vom 23. Juli 2001.

[20] Right to Food Campaign (2004): http://www.righttofoodindia.org/campaign/campaign.html

[21]siehe: http://www.righttofoodindia.org/campaign/campaign.html.

[22] Fourth Report of the Comissioners to the Supreme Court (August2003), http://www.righttofoodindia.org/mdm/mdm_comrs.html - report4.

[23] Sinha, Shanta (2004), http://www.righttofoodindia.org/data/shanta_sinha_mdm.doc.

[24] Siehe auch Drèze, Jean / Goyal, Aparajita (2003): „ Future of Mid-Day Meals“, Economic and Political Weekly, November 1.

[25] http://www.righttofoodindia.org/.

[26] Fourth Report of the Comissioners to the Supreme Court (August 2003), http://www.righttofoodindia.org/mdm/mdm_comrs.html - report4.

[27] Eine Art Haferschleim.

[28] http://www.ohchr.org/english/law/crc.htm.

Indien hat die Kinderrechtskonvention im Dezember 1992 ratifiziert.

[29] Sinha, Shanta (2004), siehe: http://www.righttofoodindia.org/data/shanta_sinha_mdm.doc

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Menschenrechte in Indien .

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