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Noch ein Datum wird der katholische Priester nicht vergessen, den 20. Mai 1939. "Da kam die Gestapo, um uns 26 Theologie-Studenten aus Poznan abzuholen, auf Lastautos in das KZ Dachau, später nach Gusen bei Mauthausen, wo wir im Steinbruch arbeiten mussten, und nach anderthalb Jahren wieder zurück nach Dachau. Da war die Hälfte meiner Kommilitonen bereits an Hunger, Ruhr, Erschöpfung und den Brutalitäten der SS-Kapos gestorben. Die handelten nach dem Motto: Krankheit gibt's nicht. Wir kennen nur Lebende und Tote."
Für die polnischen Studenten gab es kein Pardon, nur harte Arbeit, Spott und Hohn, Schläge und miserable Lebensverhältnisse. Hingegen genossen die im Jahre 1941 insgesamt über 1800 polnischen Priester in Dachau auf Intervention des Vatikans zunächst gewisse Privilegien. Sie mussten nicht arbeiten und konnten die Heilige Messe lesen. Doch als sie ein Dokument unterzeichnen sollten, das sie zu "Volksdeutschen" erklärt hätte, gab nicht einer seine Unterschrift. Das war das Ende der Vorrechte. Es folgten Folter, Drangsalierung und erniedrigende Behandlung. Hunderte starben beim Transport zur Arbeit oder während der Arbeit. Ironisch erwähnt Pater Marianus den Standard-Brief, der jeden Monat an die Angehörigen geschrieben werden durfte. Er weiß die paar Wörter noch in Deutsch: "Es geht mir gut. Ich bin gesund. Viele Grüße und Küsse."
Aus Dachau befreit, ging Marian Zelazek nach Rom, um sein Theologie-Studium zu beenden und Priester zu werden. 1949 besuchte er seine Mutter in Poznan, die ein Jahr später starb. Für Marian kam die Stunde der Entscheidung. Fest stand für ihn, dass er aus Dankbarkeit für seine "Auferstehung" und aus Gottesliebe jenen helfen würde, die in Not geraten waren, ihre Menschenwürde eingebüßt hatten. Der Pater spricht noch einmal über das Todeslager Gusen. Auf dem roten Dach der dortigen Küche war zu lesen: "Es gibt einen Weg zur Freiheit. Seine Meilensteine heißen Gehorsam, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Nüchternheit, Sauberkeit, Ordnung und Liebe zum Vaterland." Dem Geistlichen fehlte ein Meilenstein, für ihn sogar der wichtigste: die Liebe zu Gott. "Ohne die Liebe zu Gott gibt es keinen Respekt für die Würde des Menschen. Je größer die Liebe zu Gott, desto größer auch die Liebe zum Menschen, vor allem zu dem, der seine Würde verliert oder bereits verloren hat", glaubt Pater Marianus.
Solche Überlegungen gingen ihm damals durch den Kopf, ehe er sich entschied, nach Indien zu reisen. Indien fand er auch anziehend wegen Mahatma Gandhi, der mit gewaltlosen Methoden für Freiheit und Unabhängigkeit seiner Landsleute gekämpft und sich für Brüderlichkeit und Gleichheit der Menschen engagiert hatte. "Eine mystische Persönlichkeit, die in der katholischen Kirche ein Heiliger geworden wäre", sagt Pater Marianus und verweist noch darauf, dass er selbst am 30. Januar 1918 geboren wurde, auf den Tag genau 30 Jahre später wurde Gandhi ermordet.
Am 3. März 1950 ging der junge Priester in Genua an Bord des Schiffs "Laurenz Kerk" und traf drei Wochen später in Bombay ein. Von da zog es ihn in den Osten Indiens, der seine neue Heimat wurde. Für die "Missionare des Göttlichen Wortes" arbeitete er 25 Jahre in Sambalpur, in der Nähe der Stahlstadt Rourkela, unter den Adivasi, Indiens Ureinwohnern, die in der Regel nicht Hindus, sondern Animisten sind, Geister und verschiedene Elemente der Natur anbeten. In dem Gebiet bauten die Missionare ein Netzwerk von 171 Grundschulen auf. "Ein herrlicher Anblick jeden Morgen, wenn die Kinder aus allen Richtungen zur Schule strömten, als ob der Wald in Bewegung geriet", schwärmt der Pater noch heute. Er selbst lernte dort die Landessprache Oriya, die er perfekt beherrscht. Mancher Adivasi durchbrach dank der Missionarsschule den Teufelskreis von Armut und Rückständigkeit, darunter Orissas Chefwahlkommissar und der Landesbischof.
1975 beauftragte die Kirche den Pater mit einer neuen, mindestens ebenso herausfordernden Aufgabe: Er sollte als Priester in Puri in der Erzdiözese von Cuttack-Bhubaneshwar arbeiten. Puri an Indiens Ostküste ist eine der vier wichtigsten hinduistischen Wallfahrtsstätten, die "heilige Stadt des Lord Jaganath", des Herrn des Universums. Anders als in Sambalpur leben in Puri überwiegend Angehörige hoher Hindu-Kasten, sehr gebildet, sehr selbstbewusst und stolz darauf, Anhänger der "ewigen Religion" (Sanatana Dharma) zu sein. Hier eine christliche "Konkurrenz" zu etablieren, nach des Paters Worten "Christi Präsenz spürbar zu machen", bedurfte in der Tat kluger Gedanken und Taten. Er begann mit Treffen von Mitgliedern verschiedener Religionen, richtete eine katholische Bücherei für Gebildete ein, ließ eine Kirche bauen, eröffnete eine Schule für sozial Schwache und landete schließlich einen ganz großen Treffer mit der Bildung des Karunalaya-Lepra-Zentrums.
Jeder Wallfahrtsort Indiens lockt auch Scharen von Bettlern an, die von den Almosen der Pilger leben. In Puri handelte es sich in den 70er Jahren überwiegend um Leprakranke. In ihren so genannten Kolonien lebten etwa 800 Menschen, viele äußerlich gezeichnet vom "Fluch Gottes und der Menschen". Ihnen widmete der Pater in Zusammenarbeit mit den Schwestern der Barmherzigkeit seine Aufmerksamkeit und erregte prompt den Verdacht der Behörden und des Hindu-Klerus, der polnische Priester wolle im Gewande des Samariters Konversion betreiben. Wie sich bisher zeigt, eine irrige Annahme. Sonst wäre Pater Marianus im Hindu-Wallfahrtsort Puri nicht eine so respektierte, verehrte Persönlichkeit.
Das Lepra-Zentrum ist inzwischen staatlich anerkannt und existiert dank Spenden aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, Italien und Polen. Es basiert auf zwei Grundsätzen: medizinische Behandlung und seelische Betreuung sowie Rehabilitation. Zum Zentrum gehören ein kleines Hospital mit 22 Betten, ein Labor, ein Verbandsraum, eine Zahnklinik, eine Medikamentenausgabe und eine orthopädische Schuhwerkstatt. Das Rehabilitationszentrum besteht aus Bäckerei, Geflügelfarm, Gemüsegarten, Schneiderstube und Seilerei. 48 ehemalige Leprapatienten finden hier eine Beschäftigung. Einen besonderen Stellenwert hat die "Gnaden-Küche", in der 80 Leprakranke, die nicht arbeiten und auch nicht betteln gehen können, kostenlos dreimal täglich eine Mahlzeit sowie Bekleidung, Seife und anderes Alltagszubehör erhalten. Außerdem bekommen über 50 Kleinkinder und die Patienten im Hospital täglich ein Glas Milch.
Als wichtigste seiner Rehabilitationsbemühungen betrachtet der rüstige Alte seine "Beatrix-Schule", die für Kinder von Leprakranken gegründet wurde, inzwischen wegen ihres guten Rufs aber auch von anderen Kindern besucht wird. 572 Schüler belegen hier die Klassen 1 bis 7. Und wie schon damals in Sambalpur ergötzt sich der Pater "an dem großartigen Schauspiel, wenn die Kinder aus der Kolonie, in ihre Schuluniformen gekleidet, sauber und gesund, zur Schule kommen". Und ihn betrübt, wenn ihre Eltern um die gleiche Zeit in abgetragenen Stofffetzen und oft von der Lepra verstümmelt in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Betteltour aufbrechen.
Unermüdlich und bescheiden arbeitet Marian Zelazek, der in Dachau durch die Hölle ging und in Puri den Leprakranken ein kleines Paradies schuf, an seiner Mission: "Fünf Jahre lang war ich im Nazi-Lager und weiß, wie ein Leprakranker fühlt. Wir schworen uns damals, im Falle unseres Überlebens alles zu tun, damit niemand mehr hungern und als Mensch ohne Würde leben muss."
Quelle: Dieser Text erschien am 23. Dezember 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".
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