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20. Dezember 2004. Analysen: Politik & Recht - Indien Ceasefire, Cricket und CBMs

Verhaltener Optimismus im Friedensprozess um Kashmir

In Gedanken ist das freie Spiel erlaubt. Was wohl wäre, wenn es 1947 nicht zur Teilung des indischen Subkontinents durch die Bildung der Staaten Indien und Pakistan gekommen wäre, fragte sich der Indologe Ainslie Embree in der Jubiläumsausgabe des Outlook im August dieses Jahres. Obwohl man nicht unbedingt Embrees positiver Darstellung folgen muss, die sezessionistische Bestrebungen ethnischer Minoritäten ausklammert, so ist doch unzweifelhaft, dass der Kashmirkonflikt, der die Beziehung der beiden Nachbarstaaten seit ihrer Entstehung prägt, eine völlig andere Gestalt hätte – sofern es ihn überhaupt gäbe.

Der gegenwärtige Friedensprozess zwischen Indien und Pakistan fußt auf den diplomatischen Erfolgen, die seit Frühjahr 2003 mit überraschender Schnelligkeit zur Stabilisierung der bilateralen Beziehungen führten. Der unerwartet im November 2003 beschlossene Waffenstillstand sowie der positive Verlauf des Treffens der Südasiatischen Gemeinschaft für Regionale Kooperation (SAARC) im Januar 2004 sind für den konstruktiven Verlauf nachfolgender Gespräche von zentraler Bedeutung gewesen. In Anbetracht der von Misstrauen und Rückschlägen geprägten indo-pakistanischen Beziehungen ist jedoch eine gewisse Skepsis gegenüber der Nachhaltigkeit der gegenwärtigen Erfolge geboten. Beobachter sprechen bereits von einer "kritischen Phase" der Verhandlungen, die neben einer Vielzahl vertrauensbildender Maßnahmen explizit die Lösung der offenen Kashmirfrage vorsehen.

Der unsichere Boden, auf dem sich die Gespräche dabei bewegen, spiegelt sich in der angespannten Situation innerhalb Kashmirs wider. Das seit Juni im indischen Teil Kashmirs verstärkt beobachtete Eindringen von Mujahideen könnte dem Friedensprozess in den Folgemonaten ein frühzeitiges Ende aufzwingen. Schon die Wahlen zum indischen Unterhaus (Lok Sabha) im April fanden in Kashmir unter massivem Druck extremistischer Gewalt statt. Während der letzten Monate sind moderate Politiker wiederholt Opfer gezielter Anschläge geworden. Auch die Verhandlungsbereitschaft des moderaten Flügels der Hurriyat konnte dem Druck militanter Kräfte im Tal nicht standhalten.

Trotzdem scheint bei genauer Betrachtung verhaltener Optimismus angebracht.

Von der Front an den Verhandlungstisch

Nach dem Anschlag auf das indische Parlament im Dezember 2001 setzte eine diplomatische Eiszeit zwischen Indien und Pakistan ein. Eine erste Annäherung beider Länder erfolgte durch die Initiative des damaligen indischen Premiers Atal Behari Vajpayee im März 2003 während eines Besuchs in Srinagar, der Sommerhauptstadt des umkämpften Bundesstaates Jammu & Kashmir. Obwohl Vajpayees Rede Bereitschaft zu einer erneuten Annäherung mit Islamabad signalisierte, kam es zu keinen nennenswerten Initiativen, bis Delhi im Oktober letzten Jahres anhand eines "12-Punkte-Plans" konkrete Vorschläge an die pakistanische Seite richtete. Die vielschichtige Agenda vertrauensbildender Maßnahmen (sog. CBMs – Confidence Building Measures) hat die Normalisierung der indo-pakistanischen Beziehungen zum Ziel und hat sich inzwischen zur Basis der gegenwärtigen Friedensgespräche entwickelt. Bereits 1998 hatte man sich auf wesentliche Punkte der Agenda geeinigt, die unter dem Schlagwort des composite dialogue von beiden Seiten als neue Friedensinitiative begrüßt wurde. Der 14-Wochen-Krieg um Kargil, der durch die Invasion pakistanischer Truppen und pro-pakistanischer Milizen in den indischen Teil Kashmirs ausgelöst worden war, hatte jedoch wenig später ein abruptes Ende der Initiative zur Folge und führte 1999 zum völligen Erliegen der bilateralen Beziehungen.

Im November 2003 mündete das diplomatische Tauwetter zwischen Islamabad und Delhi dann unerwartet in einer Waffenstillstandserklärung. Das Friedensangebot wurde von pakistanischer Seite zum Anlaß des Eid-Festes angeboten und stellte einen Waffenstillstand an der 760 Kilometer langen Line of Control (LoC) im geteilten Kashmir in Aussicht. Wenig später wurde der Vorschlag von Delhi angenommen und eine Ausdehnung des Geltungsbereichs auf den Siachen-Gletscher vereinbart. Die Dauerhaftigkeit der Übereinkunft wurde allerdings von der Bereitschaft Islamabads abhängig gemacht, das Eindringen von Milizen ins Tal zu verhindern. Seitdem schweigen die Waffen der verfeindeten Armeen entlang der LoC, doch indische Sicherheitskräfte sind nach wie vor mit dem Problem eindringender Mujahideen konfrontiert. Der im Sommer fertiggestellte Zaun entlang der LoC hat sich als durchlässiger erwiesen, als den allzu optimistischen Befürwortern des Großprojekts lieb gewesen wäre.

Mit der gemeinsamen Presse-Erklärung von Premierminister Vajpayee und Staatschef Musharraf am Rande des Gipfeltreffens der SAARC-Mitgliedsstaaten (South Asian Association for Regional Cooperation) im Januar 2004 wurde deren "Verpflichtung zum Frieden" in ein gemeinsames Statement gegossen. Die Umsetzung der angestrebten vertrauensbildenden Maßnahmen macht bislang jedoch nur langsam Fortschritte. Beide Seiten lassen Zurückhaltung bei der Umsetzung anvisierter Maßnahmen walten.

Neue Perspektiven nach SAARC

Skeptiker hatten Islamabad unterstellt, die Eid-Initiative lediglich im Hinblick auf das SAARC-Gipfeltreffen eingeleitet zu haben. In der Tat wurde die Hoffnung Islamabads auf eine erfolgreiche Ausrichtung der Konferenz nicht enttäuscht. Das in der ersten Januarwoche abgehaltene zwölfte Treffen der südasiatischen Regionalgemeinschaft war das erfolgreichste in ihrer 20jährigen Geschichte. Die Staats- und Regierungschefs der sieben Mitgliedstaaten unterzeichneten in Islamabad ein Freihandelsabkommen (South Asian Free Trade Association - SAFTA) sowie ein umfassendes Protokoll zur Bekämpfung des Terrorismus in der Region. Das Abkommen, welches mit den Prinzipien der UN-Resolution 1373 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus übereinstimmt, wird als entscheidende Abkehr Islamabads von der bislang verfolgten Strategie der "1.000 Nadelstiche" in Form von grenzüberschreitendem Terrorismus interpretiert.

Bemerkenswert an der gemeinsamen bilateralen Erklärung, auf die sich Vajpayee und Musharraf am Rande des SAARC-Treffens einigten ist vor allem die Tatsache, dass erstmalig in der Geschichte des Kashmirkonflikts die divergierenden Hauptinteressen beider Staaten in einer Textur integriert worden sind. Vajpayee willigte ein, über die dauerhafte Beilegung der ‚Kashmirfrage’ zu verhandeln, während Musharraf seinerseits versprach, terroristische Aktivitäten auf pakistanischem Hoheitsgebiet zu unterbinden. Zudem wurde erneut die beiderseitige Bereitschaft zur ernsthaften Weiterführung des composite dialogue betont und die Planung eines konkreten Zeitrahmens für weitere Gespräche vereinbart.

Die Verhandlungen, die seither zwischen Delhi und Islamabad geführt wurden, stellen einen signifikanten Durchbruch dar. Seit Jahrzehnten enthalten sie erstmals substantielle Gespräche über Kashmir mit dem expliziten Ziel einer "langfristigen und dauerhaften Lösung der Kashmirfrage zur Zufriedenheit beider Seiten". Auch nach dem Machtwechsel in Indien wurde der positive Trend mit dem Treffen der Sekretäre des Außenministeriums Ende Juni durch die neue Congress-geführte Regierung fortgesetzt. Äußerungen der neuen Amtsträger, die in Islamabad kurzzeitig Verstimmungen hervorgerufen hatten wurden eilig korrigiert, um geplante Gespräche in unbelasteter Atmosphäre führen zu können.

Positiv ist ebenfalls der Verlauf der Cricket-Spiele zu bewerten, die im Frühjahr dieses Jahres in Pakistan abgehalten wurden. Die Spiele fanden in außerordentlich guter Atmosphäre statt. Aufwogende nationale Gefühle der Anhänger beider Mannschaften führten nicht zu feindlichen Auseinandersetzungen. Im Gegenteil herrschte eine freundschaftliche Stimmung vor, und selbst die zuständigen Konsulate leisteten bei dem enormen Andrang unbürokratische Abhilfe, um begeisterten Cricket-Fans die Anreise zu ermöglichen.

Große Worte und moderate Fortschritte

In den Sommermonaten fanden zahlreiche bilaterale Gespräche statt, die einen gelungenen Auftakt für die Stabilisierung des Friedensprozesses bildeten. Erste Treffen zwischen Indiens Außenminister Natwar Singh und seinem pakistanischen Amtskollegen Khurshid Mahmood Kasuri wurden in Indonesien und China am Rande regionaler Gipfeltreffen abgehalten. Das SAARC-Treffen der Außenminister im Juli wurde ebenfalls für eine Zusammenkunft genutzt. Substantielle Ergebnisse blieben zwar aus, die Treffen fanden aber ausnahmslos in guter Atmosphäre statt.

Mit den Verhandlungen am 19. Juni vereinbarten Indien und Pakistan die Stärkung des Friedensprozesses. Die Verhandlungen führten zur Einigung über Maßnahmen zur Minimierung nuklearer Risiken und sollten ein positives Signal an die internationale Staatengemeinschaft geben. Die Schritte nuklearen Krisenmanagements stellen die ersten Anstrengungen dieser Art dar, seit beide Staaten 1998 dem Club der Atommächte beigetreten sind. Während des Zusammentreffens wurde die Einrichtung eines "Heißen Drahts" zwischen den Außenministerien und Sicherheitskräften vereinbart, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, die im Krisenfall in einer nuklearen Katastrophe enden könnten.

Auch das wenige Tage später abgehaltene Treffen der Sekretäre des Außenministeriums wurde von indischer und pakistanischer Seite als Erfolg gewertet. Zu den Ergebnissen der Verhandlungen zählt die Übereinkunft über die Wiedereröffnung der Konsulate in Mumbai und Karachi. Außerdem erfolgte eine Einigung über konventionelle vertrauensbildende Maßnahmen, die verstärkte Kommunikation und gemeinsame Aktionsräume in wirtschaftlichen Feldern umfassen. Ebenfalls wurde eine Einigung über die frühzeitige Entlassung ziviler Gefangener erzielt. Weitere Gesprächsrunden über noch ausstehende Themen der "12-Punkte-Agenda", wie z.B. der Streit um den Grenzverlauf am Sir Creek im Runn of Kutch und Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenhandels wurden in den August verlegt.

Während des Treffens wurden allerdings auch Grenzen der Kooperationsbereitschaft deutlich, die vereinzelt als erste Anzeichen mangelnden politischen Willens gedeutet wurden. So wurde das Angebot Indiens über eine mögliche Busverbindung zwischen Jammu im indisch verwalteten Teil Kashmirs und Sialkot im pakistanischen Punjab abgelehnt. Selbst die Realisierung der bereits für letzten Herbst geplanten Busverbindung zwischen Srinagar und Muzaffarabad steht noch immer aus, da noch keine Einigung über die offene Frage gültiger Reisedokumente gefallen ist.

Kritiker bewerteten die gemeinsame Presseerklärung, die am Ende des Treffens bekannt gegeben wurde, als Rückschlag. Verweise auf die UN-Charta und das Shimla-Abkommen wurden als Rückfall in alte Verhandlungspositionen interpretiert. Diese Einschätzung hat sich indes nicht bewahrheitet. Beide Länder haben in den Folgemonaten ihr Interesse an einer Weiterentwicklung des Friedensprozesses bewiesen.

Die Macht der Geschichte

Dass die Umsetzung anvisierter politischer Ziele von der Bereitschaft Delhis für einen substantiellen Dialog über Kashmir abhängen würde, zeichnete sich bereits im Juni ab. Dazu trug auch die Äußerung von Präsident Musharraf gegenüber einer amerikanischen Delegation bei, der Friedensprozess könne einen baldigen Rückschlag erleiden, wenn keine Fortschritte in der zentralen Kashmirfrage zu verzeichnen seien. Die Gespräche zwischen dem pakistanischen Außenminister Khurshid Mahmood Kasuri und seinem indischen Amtskollegen Natwar Singh Anfang September hatten daher ambivalenten Charakter. Es wurde deutlich, dass klassische Reizthemen nach wie vor für Zündstoff sorgen. Während sich die indische Seite besorgt über den Anstieg des grenzüberschreitenden Terrorismus zeigte, verwies Kasuri auf die problematische Menschenrechtssituation im indischen Teil Kashmirs sowie die Notwendigkeit eines Plebiszits. Dennoch betonten beide Seiten, dass die "tiefe Kluft", die zwischen beiden Ländern bestehe, das weitere Voranschreiten des Friedensprozesses nicht behindern solle.

Während des Treffens konnten nur in begrenztem Umfang Fortschritte erzielt werden. Die Wiederaufnahme der Munabao-Khokrapar Zugverbindung (die Rajasthan und Sindh verbinden soll) sowie die Verbesserung von Handelsbeziehungen stellen zwar wichtige infrastrukturelle Komponenten dar. Außerdem sollen künftig Raketentests nur mit Vorankündigung durchgeführt werden. Seit langem ausstehende territoriale Fragen, die sich im wesentlichen auf strittige Grenzverläufe am Sir Creek, Tul Bul und dem Siachen-Gletscher beziehen, konnten hingegen nicht geklärt werden. Obwohl im August eine gemeinsame Erklärung zur Demilitarisierung Siachens abgegeben wurde, kam es auch im September zu keiner wirklichen Einigung. Da der Verlauf der Grenze in der Gletscherregion nicht definiert ist, beharrt Delhi auf der Position, dass ein eindeutiges Abkommen bezüglich der Grenzfrage vor einem Truppenabzug unerlässlich sei. Ebenso problematisch gestaltet sich die Wiedereröffnung der Konsulate in Mumbai und Karachi. Kasuri bedauerte, dass von indischer Seite keine geeigneten Vorschläge für die Unterbringung des pakistanischen Konsulats eingegangen seien, nachdem Pakistan der erneute Einzug in das "Jinnah-House" in Mumbai verweigert wurde.

Das Treffen zwischen Premierminister Manmohan Singh und Präsident Musharraf am Rande der UN-Generalversammlung Ende September verlief positiv. Während das internationale Forum im letzten Jahr zum Austausch bissiger Töne genutzt worden war, bemühte man sich diesmal, Einigkeit zu demonstrieren. Manmohan Singh scherzte gar, es sei eine Ironie der Geschichte, dass beide ihre derzeitigen Positionen innehätten, da sie beide Flüchtlinge seien. Musharraf ist in Delhi geboren und Singh kommt aus einer Gegend Punjabs, die heute zu Pakistan gehört.

Erneut wurde die feste Absicht betont, eine dauerhafte Lösung des Kashmirproblems durch Verhandlungen zu erreichen und den begonnenen Friedensprozess weiter zu führen.

Keine Entspannung in Kashmir

Während sich der offizielle Waffenstillstand entlang der LoC wohltuend auf die bilateralen Beziehungen ausgewirkt hat, bleibt der Level der Gewalt innerhalb Kashmirs weiterhin hoch. In den ersten Monate nach der Eid-Initiative Ende 2003 wurde zwar eine drastische Reduktion grenzüberschreitender Infiltration verzeichnet, doch seit Juni gehören regelmäßige Anschläge wieder zur Normalität. Obwohl die absoluten Zahlen aktiver Untergrund-kämpfer im Vergleich zum Vorjahr gesunken sein sollen, beziffern Schätzungen deren Stärke auf über 2.000. Besonders die beiden Hauptorganisationen Hizbul Mujahideen und Lashkar-e-Taiba verübten seit dem Frühjahr einige spektakuläre Attacken auf indische Sicherheitskräfte, was bereits zu dem Vorwurf geführt hat, Islamabad käme seinem SAARC-Versprechen nicht nach.

Kopfzerbrechen bereitet den indischen Truppen dabei vor allem der steigende Einfluss militanter Organisationen im Süden Kashmirs. Das gilt für Rajouri und Poonch bereits seit Mitte 2001. Die regionale Ausdehnung militanter Präsenz wird in den letzten Monaten erneut von extremen Formen von Gewalt begleitet. Menschenrechtsorganisationen äußern sich besorgt über die Zunahme von Gräueltaten in den südlichen Gebieten Kashmirs. Angaben über zwischen Januar und Oktober dieses Jahres getöteten Zivilisten schwanken zwischen 600 und 1.000 Personen. Obwohl das Ausmaß der Gewalt seit 2001 beständig abgenommen hat, fielen dem Anti-Terror-Kampf 2004 bereits mehr Zivilisten als im Vorjahr zum Opfer. Seit Anfang des Jahres verloren zudem 48 moderate Politiker ihr Leben und 260 Sicherheitskräfte sowie 856 Militante starben in bewaffneten Auseinandersetzungen.

Fast scheint es so, als sei der Zaun entlang der LoC, der von indischer Seite noch immer als Wundermittel gegen Infiltration gepriesen wird, eine mit einfachen Hilfsmitteln zu umgehende Hürde. Bereits Mitte der 1990er Jahre hatte Indien mit dem Bau begonnen, um militanten Gruppen das Eindringen ins Tal zu erschweren, musste die Aktivitäten aber aufgrund der ungünstigen Sicherheitslage im Grenzgebiet unterbrechen. Vor drei Jahren wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Bislang hat das Mammutprojekt bereits über 500 Millionen US-Dollar verschlungen. Und das bei einer eher mäßigen Erfolgsquote.

Dass selbst während der letzten Monate unter Hochdruck weitergebaut wurde, stimmte Islamabad missmutig ob der offensichtlichen Vorteilsnahme während des Waffenstillstandes durch Dehli. Ein kleiner Lichtblick stellt derweil die Tatsache dar, dass der Bau noch nicht zum Eklat zwischen Indien und Pakistan geführt hat. Denn die Vorwürfe wiegen schwer: Indien verletze die UN-Charter und treibe die Transformation der LoC zur internationalen Grenze zwischen beiden Staaten voran.

Unter Beschuss: Die Wahlen zur Lok Sabha

Im April 2004 zeigte sich der Einfluss militanter Gruppen mit altbekannten Symptomen. Während die Wähler offiziell dazu aufgerufen wurden, neue Vertreter für die Lok Sabha zu bestimmen, propagierten militante Organisationen per Flugblatt den inzwischen üblichen Wahlboykott. Besonders Anantnag, Baramulla und Srinagar standen unter dem Bann massiver Gewalt. Bereits Ende März hatte die Lashkar-e-Taiba zur Unterstützung von Syed Ali Shah Geelani, dem prominenten Hardliner der Hurriyat-Conference aufgerufen, der sich auf seinen traditionellen Feldzug gegen die nahenden Wahlen vorbereitete. Seit die Hurriyat-Conference, die als Dachverband verschiedener sezessionistischer Gruppierungen des mehrheitlich muslimischen Kashmirtals agiert, durch interne Machtkämpfe polarisiert Ende 2002 in zwei Fraktionen zerfiel, führt Geelani den pro-Pakistanischen Flügel der Organisation an.

Dass die Drohungen militanter Gruppen das Wahlverhalten der Einwohner jedoch nur teilweise beeinflussten, spiegelt sich in der leicht gestiegenen Wahlbeteiligung wider, die bei immerhin 39,5% lag. In Baramulla wurde trotz schlechter Sicherheitslage ein Zuwachs von 6% erzielt und in Jammu lag die Wahlbeteiligung bei ganzen 45%.

Die Wahlergebnisse sprechen ihre eigene Sprache. Es wurde deutlich, dass Alltagssorgen schwerer wiegen als weit entfernte Ziele. Die People’s Democratic Party (PDP), die in Jammu & Kashmir seit 2002 in einer Koalitionsregierung mit dem Congress regiert, setzte im Wahlkampf auf das Thema der Busverbindung Srinagar-Muzaffarabad. Das Ergebnis war mager, lediglich einer von insgesamt sechs Sitzen ging an die PDP. Dennoch konnte die Partei im Tal einen Zuwachs von 20,2% auf über 39% der Wählerstimmen erzielen. Die Wahlkampfstrategie der National Conference, Gewalttaten und Repression durch indische Sicherheitskräfte zu thematisieren, erwies sich als erfolgreich. Congress und NC konnten sich jeweils zwei Sitze sichern.

Die Wochen vor den Wahlen wurden wie in den Jahren zuvor von politischen Attentaten überschattet. Dementsprechend verliefen die Wahlkampagnen in äußerst angespannter Atmosphäre. Nach dem tödlichen Anschlag auf Mukhtar Ahmad Bhat der Janata Dal (United) im März brach über eine Reihe prominenter Politiker eine Welle extremistischer Gewalt ein, unter ihnen Omar Abdullah, Präsident der National Conference. Auch Mehbooba Mufti wurde während einer Wahlveranstaltung in Uri zur Zielscheibe eines Attentats. Die Parteivorsitzende der People’s Democratic Party (PDP) blieb zwar unverletzt, der Anschlag kostete jedoch elf Zivilisten das Leben. Weitere 53 Personen wurden verwundet.

Wenig später bekannte sich das Save Kashmir Movement (SKM) zu dem Anschlag. Das SKM bildete sich Ende 2003 als ein sporadisch kooperierender Verbund der Lashkar-e-Taiba, Jaish-e-Mohammad und al-Umar. Seit der Tötung von Abdul Majid Dar, einem hochrangigen Führer der Hizbul Mujahideen im Herbst letzten Jahres geht ein halbes Dutzend schwerer Anschläge auf das Konto des Verbundes, unter anderem der tödliche Anschlag auf Abdul Aziz Mir, einem prominenten Mitglied des Landtages. Weitere PDP-Aktivisten fielen der Gruppe im Februar zum Opfer.

Als Reaktion auf die Attentate wurden auf lokaler Ebene bestehende Verbindungen zwischen politischer und militanter Sphäre - zumindest zeitweise - gekappt. Persönliche Netzwerke zwischen politischen und militanten Akteuren gehören zur politischen Praxis fast aller Parteien in Kashmir. Mit der Zunahme politischer Attentate häufen sich die Besuche lokaler Politiker an Begräbnissen einheimischer "Märtyrer" ebenso, wie öffentliche Forderungen nach einem Dialog zwischen Delhi und Vertretern militanter Gruppen.

Den zweifelhaften Rückhalt lokaler Kommandeure der Hizbul Mujahideen im Süden Kashmirs verdankt die PDP beispielsweise Mehbooba Muftis Herkunft aus Bejbehara, die sie mit einem hochrangigen Kommandeur der Süddivision teilt. Doch stellt die gemeinsame Herkunft in anderen Regionen (unter anderen Kommandeuren) keinen Garant für wohlgesonnene Beziehungen dar. Denn der lange Arm des bewaffneten Widerstands zeigt bei "unpopulären" politischen Entscheidungen sofortige Wirkung. So soll der Anschlag in Uri auf die fehlende Bereitschaft der PDP zurückgehen, Aktionen gegen militante Kader durch indische Sicherheitskräfte zu verhindern.

Die Häufigkeit, mit der moderate Politiker tödlichen Angriffen ausgesetzt sind, verdeutlicht nicht nur, wie gefährlich das politische Terrain Kashmirs noch immer ist. Vielmehr zeigt sich, dass neben der Einhaltung des SAARC-Versprechens durch Islamabad die Wiedervereinigung der Hurriyat-Fraktionen das "Zünglein an der Waage" sein wird, wenn es um die Schaffung eines Klimas geht, in dem eine substantielle Weiterführung des Friedensprozesses möglich wird.

Falken im Aufwind

Zwischen den verfeindeten Flügeln der Hurriyat hat noch immer keine Annäherung stattgefunden. Am 6. Juni 2004 gab Maulvi Abbas Ansari seinen Vorsitz über den moderaten Flügel der Hurriyat auf, um eine Wiedervereinigung mit der Geelani-Fraktion zu ermöglichen. Mirwaiz Farooq erklärte kurze Zeit später, neue Verhandlungen mit Indien und Pakistan könnten nur mit einer wiedervereinigten Hurriyat erfolgen. Zu diesem Zweck wurde das Ittihad Movement gegründet, dem neben politischen Vertretern der Ansari-Fraktion unterschiedliche Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik angehörten. Die Initiative ist inzwischen jedoch gescheitert. Syed Ali Shah Geelani, der den pro-pakistanischen Flügel der Hurriyat anführt, hat bisher alle Ersuche über das Beitreten seiner Fraktion abgelehnt. Er spekuliert wohl darauf, dass den moderaten Kräften bei einer Verschlechterung der politischen Großwetterlage nichts anderes übrig bleiben wird, als sich ihm anzuschließen.

Mit dem Versuch einer Wiedervereinigung haben die moderaten Kräfte auf ein zentrales Problem der im Frühjahr begonnen Gespräche mit Delhi reagiert. Denn dass der Dialog dem Druck der Milizen nicht würde standhalten können, war von Skeptikern frühzeitig mit Hinweis darauf prophezeit worden, dass die Gespräche einer breiten Basis entbehrten. Inzwischen hat sich mit brutaler Deutlichkeit bewahrheitet, dass Initiativen, die ohne Geelani agieren, zum Scheitern verurteilt sind. Die faktische Beendigung des Dialogs wird – neben dem Regierungswechsel in Delhi – als Ergebnis massiven Drucks pro-pakistanischer Milizen gelesen.

Ende Mai wurde Mirwaiz’ Onkel Maulvi Mushtaq Ahmad von Attentätern tödlich getroffen und erlag wenige Tage später seinen Verletzungen. Farooqs Haus wurde immer wieder zum Ziel militanter Anschläge. Ein weiterer Akt von symbolischem Ausmaß ereignete sich Anfang Juni, als die von Mirwaiz’ Familie seit Jahrhunderten betriebene Schule in Srinagar niedergebrannt wurde. Ende September wurde Rafique Shah, ebenfalls ein moderater Führer der Hurriyat, zum Opfer eines Attentats durch "unbekannte Täter".

Den Tauben wurden aber auch von Delhi die Flügel gestutzt. Dazu kann im weitesten Sinne das Versagen der Regierung beim Schutz moderater Vertreter der Hurriyat Conference gezählt werden. Außerdem schien sich nach dem Regierungswechsel in Delhi abzuzeichnen, dass die neue Congress-geführte Koalitionsregierung United Progressive Alliance (UPA) zu keinen unmittelbaren Gesten bereit sei, die der moderaten Fraktion um Ansari die erhofften Legitimationsgewinne bescheren würde. So brachte der Waffenstillstand zwischen Indien und Pakistan zunächst weder Truppenreduktionen mit sich, noch wurde der Hurriyat eine Fortsetzung der Gespräche mit Premier Manmohan Singh in Aussicht gestellt. Weitere Zerwürfnisse brachte die Ankündigung durch Innenminister Patil mit sich, die Gespräche könnten nur im Rahmen der indischen Verfassung geführt werden. Damit wurde der Verhandlungsbereitschaft moderater Vertreter der Boden entzogen, denn die Gespräche waren im Frühjahr unter der Voraussetzung aufgenommen worden, dass Delhi keine Vorbedingungen aufstellen würde, die den Verhandlungsausgang im Vorfeld einschränken.

Unterdessen nutzen die Falken den Aufwind. Hardliner Sayed Ali Shah Geelani gründete im Juli 2004 die Tehreek e Hurriyat, eine politische Organisation, die die Unterstützung der Jamaat-e-Islami Pakistans genießt. Durch die erneute Präsidentschaft über die Jamaat-e-Islami in Kashmir konnte Geelani im August seine Machtposition weiter ausbauen, obwohl zahlreiche moderate Politiker aus den eigenen Reihen gegen ihn mobil gemacht hatten. Geelani, der jegliche Kooperation mit Delhi zum Verrat erklärt, weiß in seiner ablehnenden Haltung die Unterstützung militanter Gruppen hinter sich, da diese durch Verhandlungen wenig zu gewinnen hätten. Eine weitere Stärkung der pro-pakistanischen Hurriyat-Fraktion durch den Beitritt der Peoples League hat dazu beigetragen, dass die Regierung unter Mufti Mohammed Sayed zunehmend unter Druck gerät. Die Regierungskoalition befindet sich seit Monaten in einer Krise. Das Scheitern von Muftis Konzept der Verhandlungen zwischen der Hurriyat und Delhi wiegt daher schwer.

Zwischen allen Stühlen

Währendessen bemüht sich Islamabad um Gespräche mit beiden Flügeln der Hurriyat-Konferenz, um die Möglichkeiten einer Wiedervereinigung auszuloten. In dem Versuch, die beiden Fraktionen an einen Tisch zu bringen, hielt der pakistanische Außenminister Khurshid Mahmood Kasuri Gespräche mit Syed Ali Shah Geelani, Yasin Malik (JKLF) und Shabir Shah (DPP). Außerdem kam es im September zu einem Gespräch zwischen Kasuri und Mirwaiz Farooq. Mirwaiz betonte während der Zusammenkunft die Notwendigkeit, die Bevölkerung Kashmirs in den Friedensprozess einzubinden. Politischen Vertretern beider Seiten Kashmirs solle der Dialog erlaubt werden, um mögliche Schritte im Friedensprozess zu besprechen. Ende Oktober traf Mirwaiz Farooq in Amsterdam mit Präsident Pervez Musharraf zusammen. Da Pakistan der Ansari-Fraktion letztes Jahr noch jegliches Recht auf Vertretung kashmirischer Interessen abgesprochen hatte, kommt den Gesprächen zwischen hochrangigen pakistanischen Politikern mit moderaten Vertretern der Hurriyat eine große symbolische Bedeutung zu.

Derweil lastet auf Präsident Musharraf der innenpolitische Druck, substantielle Verhandlungsergebnisse in Bezug auf Kashmir zu präsentieren. Besonders die konservativen religiösen Parteien beäugen mit Argusaugen die Verhandlungen. Die Kooperation mit den USA im "Krieg gegen den Terror" hat Islamabad neben finanziellen Vorteilen zunehmende innenpolitische Polarisierung eingebracht. Musharrafs Handlungsspielraum ist daher äußerst begrenzt. Er hat die schwierige Aufgabe zu bewältigen, militärisch gegen Splittergruppen der Taliban in Waziristan und Baluchistan nahe der afghanischen Grenze vorzugehen, um die Gunst Washingtons zu halten, und gleichzeitig dem Friedensprozess feindlich gesinnte Kräfte im eigenen Land in Zaum zu halten. Wie risikoreich dieses Vorgehen ist, zeigen nicht zuletzt die gescheiterten Attentate auf den neuen Premier Shaukat Aziz sowie hochrangige Armeechefs.

Die Verhaftungen der radikalen Führer Fazlur Rahman Khalil und Qari Saifullah haben die bestehenden Spannungen in Pakistan weiter erhöht. Der Bekanntgabe Musharrafs, das Amt des Armeechefs nicht aufzugeben, folgte Ende Oktober die Ankündigung einer neuen "Formel für Kashmir", die eine Demilitarisierung einzelner Regionen Kashmirs auf beiden Seiten der LoC vorsieht. Beide Entscheidungen haben dem Präsidenten massive Kritik eingebracht. Als er während einer Pressekonferenz am 26. Oktober den Plan vorlegte, wurde dies als ein Abweichen der zentralen Position Islamabads für ein Plebiszit interpretiert. Musharraf betonte, dass Indien und Pakistan für das gemeinsame Ziel, Frieden in Südasien zu erreichen, von alten Verhandlungspositionen abweichen müssten. Ob er New Delhi mit seiner unilateralen Erklärung zu Konzessionen in Bezug auf Kashmir drängen wollte, oder ob die Erfahrungsberichte der Delegation pakistanischer Journalisten, die Anfang Oktober Srinagar besucht hatte, ihn an einem positiven Ausgang eines Plebiszit zweifeln lassen, ist unklar.

Von einigen Seiten erntete Musharraf positive Kritik. Der frühere Ministerpräsident Azad Kashmris nannte die Entscheidung "mutig und staatsmännisch". Dieser Einschätzung folgten, wenngleich in leisen Tönen, weitere Politiker auf regionaler und nationaler Ebene. Auch Vertreter der Peoples-to-Peoples–Bewegung, die durch den Aufbau zivilgesellschaftlicher Netzwerke für eine friedliche Zukunft zwischen Indien und Pakistan werben, begrüßten den Vorschlag als richtungsweisend. Harsche Kritik hagelte jedoch von den größten Oppositionsparteien in Pakistan, wie der Alliance for the Restoration of Democracy (ARD) und der Muttahida Majlis-e-Amal (MMA), die Musharrafs Statements als Verrat verurteilten. Auch als moderat geltende englischsprachige Medien wie "The Nation" lehnten sein Konzept umgehend ab.

Mehr als diplomatische Schönheitskuren

Der gegenwärtige indo-pakistanische Friedensprozess ist seit Jahrzehnten eine der aussichtsreichsten Initiativen für dauerhaften Frieden in Südasien. Doch die schwerste Hürde steht noch aus. Mit den bisherigen Erfolgen haben Delhi und Islamabad zwar die Bereitschaft gezeigt, sich "die Hand des Friedens" zu reichen, entscheidend wird in den kommenden Monaten jedoch sein, welche Fortschritte bei der Lösung der ausstehenden Kashmirfrage erzielt werden. Um dem begonnen Friedensprozess die nötige Dynamik einzuhauchen, wird Delhi kaum umhin kommen, Islamabad hinsichtlich Kashmir Zugeständnisse zu machen. Der Faktor Zeit spielt dabei ohne Zweifel eine kritische Rolle. Präsident Musharraf steht unter dem innenpolitischen Druck, der pakistanischen Öffentlichkeit Ergebnisse in Bezug auf Kashmir zu präsentieren. Da der Friedensprozess noch auf unsicheren Beinen steht, könnte das Ausbleiben eines wesentlichen Fortschritts bei der Lösung des Kashmirproblems die Bereitschaft Islamabads für eine Weiterentwicklung des Dialogs aushöhlen. Mit einer schnellen Lösung zentraler Fragen kann jedoch selbst bei weiteren harmonisch verlaufenden Zusammenkünften kaum gerechnet werden. Sowohl Indien als auch Pakistan werden daher Geduld beweisen müssen, wenn sie den eingeschlagenen Weg zum Frieden weiter gehen wollen.

Ein weiteres Risiko geht von der Entwicklung des "grenzüberschreitenden Terrorismus" aus. Steigt im indischen Teil Kashmirs die Häufigkeit militanter Übergriffe weiter an, besteht die Gefahr, dass Delhi seine Zusagen für weitere Verhandlungen einfriert. Schon oft hat die indische Seite betont, dass Gespräche unter dem Druck von Gewalt nicht in Frage kommen. Ohne eine Normalisierung der Situation in Kashmir droht den bilateralen Verhandlungen ein frühzeitiges Ende. Der Umsetzung des SAARC-Versprechens durch Islamabad kommt somit eine tragende Bedeutung zu. Die Reduktion militanter Kämpfer in Kashmir würde auch den moderaten Kräften im Kashmirtal zugute kommen. Ob ein radikaler Wandel seiner bisherigen Strategie Musharrafs Machtpotential übersteigt, bleibt vorerst abzuwarten.

Optimisten sprechen bereits jetzt von einem Kreislauf positiver Signale, der eine fortschreitende Normalisierung der bilateralen Beziehungen irreversibel gemacht habe. Wenn die Staatschefs beider Länder ihrer "Verpflichtung zum Frieden" treu bleiben, können positive unilaterale Schritte zur Stabilisierung des Friedensprozesses genutzt und eine langfristige Lösung der Kashmirfrage eingeleitet werden. Darauf pochen geschäftstüchtige Lobbyisten aus Industrie und Handel schon länger. Denn die Kosten des Nichtkooperierens der beiden Länder lassen sich nicht nur an den enormen Staatsausgaben für das Militär ablesen. Ebenso bedeutsam sind entgangene Wirtschaftsgewinne, die sich aus erschwerten transnationalen Handelsbeziehungen ergeben. Letztere sichern lediglich Schmugglern ein gutes Geschäft.

Unklar bleibt, wie die mit der SAARC-Erklärung angestrebten "Fortschritte zur Zufriedenheit beider Seiten" im Hinblick auf den Kashmirkonflikt erreicht werden können. Besagte Formel hatte unter den Vertretern verschiedener Organisationen und Parteien innerhalb Kashmirs die Befürchtung genährt, dass eine Entscheidung über den Status Kashmirs über ihre Köpfe hinweg getroffen werden würde.

Bemerkungen indischer Regierungsvertreter lassen beinahe auf eine neue Politik Delhis in Bezug auf Kashmir hoffen. Inoffiziell ließ man verlauten, die Lösung der Kashmirfrage solle auch durch "die Bevölkerung des Bundesstaates Jammu & Kashmirs akzeptiert werden". Dass Delhi die von Pakistan geforderte Einbindung von Vertretern Kashmirs in etwaige Verhandlungen akzeptieren wird, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Doch es liegt auf der Hand, dass Indien die politischen Zielvorstellungen der Kashmiris nicht gänzlich ignorieren kann, wenn ein Frieden mit Aussicht auf Dauerhaftigkeit erreicht werden soll.

Ähnliches gilt für den pakistanischen Teil Kashmirs. Der Mangel an demokratischen Rechten und eine unzureichende Infrastruktur sorgen in der Bevölkerung für wachsende Unzufriedenheit. Unruhen in den Northern Areas sorgen schon seit Jahren immer wieder für Schlagzeilen. Der bewaffnete Widerstand der vornehmlich schiitischen Bevölkerung in dem strategisch wichtigen Gebiet richtet sich gegen die Dominanz Islamabads mit dem politischen Ziel einer unabhängigen Republik.

In Anbetracht der Komplexität des Konflikts um Kashmir wird die Notwendigkeit einer breiten Basis des politischen Dialogs deutlich. Dazu müssen Indien und Pakistan Wege finden, die vielen Stimmen innerhalb Kashmirs auf angemessene Weise einzubeziehen. Doch selbst ein solches Vorgehen birgt enormes Konfliktpotential. Denn neben der Uneinigkeit in den Zielsetzungen der Parteien innerhalb Kashmirs, die sich aus der ethno-religiösen Heterogenität der Region ableiten, stellt die Legitimität potentieller regionaler Vertreter und deren Akzeptanz durch die Protagonisten Indien und Pakistan ein weiteres Problem dar.

Vielleicht verschafft sich dennoch das Verlangen weiter Teile der Bevölkerung nach Frieden allen Hindernissen zum Trotz Gehör. Dessen Ruf findet durch die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Kontakte über die Landesgrenzen hinweg in Indien, Pakistan und Kashmir zunehmend sein Echo.

Und manchmal wird die "große Politik" eben doch von "kleinen" Leuten gemacht...

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Zwischen Krieg und Frieden .

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