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Die anfänglichen Ziele des Projekts waren Grundbedürfnisse wie Trinkwasser, Gesundheitswesen, Bildung, Arbeit und Energieversorgung für mehr als 100.000 Menschen in Tilonia und den anderen 110 Dörfern des etwa 800 qkm großen Silora Blocks zu sichern. Die Gründungsmitglieder um Bunker Roy hatten die Vorstellung, eine Voluntary Organisation zu etablieren, die mit den akademisch orientierten Vorstellungen von Sozialarbeit bricht und deren Arbeitskonzept vor allem auf Partizipation und Interaktion beruht. Es sollte keine aufgesetzte Entwicklungshilfe geben, im Gegenteil, die lokalen Bevölkerung wurde von Anbeginn in die Arbeit eingebunden. Sie vertraten die Ansicht, daß die Nutzung von Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen der Dorfbewohner die Gemeinden unabhängig machen und ihre Selbstversorgung sichern kann. Die in der Gemeinde kollektiv getroffenen Entscheidungen wurden zudem als dauerhafter und tragfähiger angesehen, da sie auf größere Akzeptanz stießen.
Im Laufe der Jahre wurden die Ziele des Social Work and Research Centres häufig modifiziert. Noch immer spielt die Sicherung von Grundbedürfnissen eine entscheidende Rolle, jedoch steht heute die Schaffung eines sozialen Umfeldes im Vordergrund, daß es den Menschen ermöglicht, sich emanzipatorisch und unabhängig von Religion und Kaste zu entfalten. Die angesprochene Nutzung traditioneller Kenntnisse und Fähigkeiten der Landbevölkerung ist dabei ein ebenso wichtiger Bestandteil wie die Verbreitung von Wissen und Information mit Hilfe traditioneller Medien. Learning-by-Doing, Interaktion und praktische Erfahrungen genießen in Tilonia einen höheren Stellenwert als formal-theoretischer Unterricht oder ein Hochschulabschluß. Im SWRC vertritt man die Ansicht, daß das herkömmliche Ausbildungssystem nicht in der Lage ist, die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Menschen richtig zu bewerten. Ein universitärer Abschluß ist keine Garantie dafür, sich in die Entwicklung ländlicher Regionen nutzbringend einzubinden. Das SWRC Tilonia ist ein innovativer Prozeß von Ausbildung und Entwicklung, in dem durch praktische Erfahrungen die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung nutzbar gemacht werden sollen.
Die Programme des Barefoot College sind vielfältig und werden innerhalb der Organisation durch einzelne Sektionen verwaltet und koordiniert. Jede dieser Sektionen betreut einen bestimmten Aufgabenbereich, wobei einzelne Sektionen miteinander kooperieren.
Rajasthan ist einer der trockensten Staaten der Indischen Union, wobei vor allem die arme Landbevölkerung von ständiger Wasserknappheit bedroht ist. Seit seiner Gründung konzentriert sich das SWRC auf die Umsetzung von kurz- und langfristigen Alternativen bei der Versorgung der Menschen mit sauberem Trinkwasser. Man begann mit umfassenden Grundwasseruntersuchungen, der Installation von Handpumpen, von denen insgesamt 1.300 Stück montiert wurden, und der Wiederherstellung alter Wasserreservoirs. Gleichzeitig bildete man 570 junge Menschen aus den Dörfern zu Barefoot-HandpumpenmechnikerInnen aus, die heute in verschiedenen Teilen Rajasthans die staatlichen Reparaturteams ersetzen. Da die jungen Männer und Frauen in den Dörfern leben und maximal 30 Handpumpen im Umkreis von 5 Kilometern zu einem Zuständigkeitsbereich gehören, können auftretende Probleme schneller und kostengünstiger als vorher behoben werden. Die Teams der Regierung betreuten bis zu 500 Pumpen. Darüber hinaus bietet die Arbeit den Menschen eine bescheidene berufliche Perspektive, da sie von den jeweiligen Gemeinden bezahlt werden.
Seit Mitte der 1980er Jahre konzentriert man sich zunehmend auf andere Technologien zur Trinkwassergewinnung. In Regionen in denen das Grundwasser versalzen oder verschmutzt ist, wurden Tanks zum Auffangen von Regenwasser errichtet, um die Gemeinden unabhängig von Wasserlieferungen zu machen. Darüber hinaus ist Rainwater Harvesting laut Bunker Roy die einzig langfristige Alternative zu den Handpumpen, da dadurch auch in Dürreperioden die Versorgung mit Trinkwasser gesichert werden kann. Heute findet man die mehrere tausend Liter fassenden Tanks in nahezu allen Gemeinden der Projektregion, mit denen jährlich mehr als 12 Millionen Liter Regenwasser aufgefangen werden. Durch diese Maßnahmen konnten beispielsweise die Folgen der verheerende Dürre, die im Frühjahr diesen Jahres weite Teile Rajasthans heimsuchte, im Silora Block gemindert werden.
Im vielen Regionen Indiens gibt es keine oder eine nur unzureichende Versorgung mit Elektrizität. Die 1985 ins Leben gerufene Abteilung für Solarenergie des SWRC begann sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen. In Tilonia wurden Photovoltaikanlagen installiert, die heute den 1989 fertiggestellten "New Campus" des SWRC elektrifizieren, eingeschlossen alle Büroräume mit Computern, die Wohnquartiere und die öffentlichen Einrichtungen. Weiterhin werden Solarlaternen produziert, die unter anderem die Abendschulen der Region beleuchten. Eine weitere Aufgabe der Solar Section und Teil der gezielten Ausweitung der Aktivitäten des SWRC ist die Elektrifizierung entlegener Dörfer im Himalaja. Die Solar Section konzentriert sich dabei unter anderem auf die Region Ladakh, im östlichen Teil des Unionsstaates Jammu und Kaschmir, die Region Uttarakhand im nördlichen Uttar Pradesh und auf den Unionsstaat Sikkim, im östlichen Himalaja, wo Photovoltaikanlagen in bis zu 5.000 m hoch gelegenen Dörfern installiert werden. Parallel dazu werden junge Menschen, die von ihren Dörfern ausgewählt wurden, während eines dreimonatigen Trainingskurses in Tilonia zu Barefoot-SolaringenieurInnen ausgebildet. Die Jugendlichen, von denen bis heute 175 die Ausbildung durchlaufen haben, sind danach in der Lage, die Anlagen selbständig zu montieren, zu warten und zu reparieren. Im Jahre 1999 waren bereits 1.382 Haushalte in der Region Ladakh und über 200 Abendschulen in verschiedenen Unionsstaaten Indiens mit Solaranlagen ausgestattet.
Die Hauptaufgabe dieser Sektion ist der Betrieb von Abendschulen. Da die Unterrichtszeiten in den staatlichen Schulen oft nicht der Lebenswirklichkeit der Kinder entsprechen, haben viele nicht die Chance auf eine Ausbildung. Das Angebot der Abendschulen wendet sich an Kinder zwischen 6 und 14 Jahren, die am Tage in der Landwirtschaft arbeiten oder ihren Familien im Haushalt helfen müssen. Die Lehrerinnen und Lehrer der Abendschulen stammen aus den Dörfern und werden in Abstimmung mit den Village Education Committees (VEC) ausgewählt und weitergebildet. Die Lehrpläne werden in Zusammenarbeit von SWRC und VEC erstellt. Im Rahmen der Abendschulen des Silora Block werden seit 1993 in regelmäßigen Abständen sogenannte Children`s Parliaments von den SchülerInnen gewählt. Mit Hilfe dieser Einrichtung lernen die Kinder unter anderem das politische System der Republik Indien kennen und werden gleichzeitig mit ihren Grundrechten vertraut gemacht. Im Silora Block gibt es heute 62 Abendschulen, die von mehr als 2000 Kindern besucht werden, von denen 65 Prozent Mädchen sind.
Aufgrund der hohen Analphabetenrate und des geringen Elektrifizierungsgrades haben viele Menschen im ländlichen Rajasthan keinen Zugang zu herkömmlichen Medien wie Radio oder Zeitungen. Das Communication Team des Barefoot College arbeitet seit 1982 mit traditionellen Kommunikationsmedien einschließlich Straßentheater und Puppenspiel, um die Menschen der Projektregion einerseits mit den Initiativen und Programmen des SWRC vertraut zu machen, und um sie anderseits mit für sie relevanten sozialen und ökologischen Problemfeldern zu konfrontieren. Das Team organisiert darüber hinaus Volksfeste sowie Trainingskurse für andere Barefoot-Communicators, in denen Techniken zur Herstellung und Handhabung von Puppen weitergegeben und Fähigkeiten zur Konzeption und Umsetzung von Theaterstücken vermittelt werden.
Seit 1974 gibt es eine intensive Zusammenarbeit des SWRC mit lokalen KunsthandwerkerInnen, die in Lederverarbeitung, Weberei und anderen Bereichen der Textilverarbeitung tätig sind. Im Laufe der Jahre wurden die handwerklichen Fähigkeiten dieser Menschen durch Training und Ausbildung gefördert und weiterentwickelt und somit die Qualität der Produkte verbessert. Das SWRC vermarktet und vertreibt diese Produkte unter anderem auf nationalen und internationalen Messen, womit ein jährlicher Umsatz von etwa 10 Millionen Rupien erzielt wird. In Tilonia selbst gibt es einen Craft Shop, der seit 1989 einen durchschnittlichen Jahresumsatz von etwa 2 Millionen Rupien aufweisen kann. Durch die Erschließung neuer Märkte wurden bis heute annähernd 500 Arbeitsplätze gesichert und geschaffen.
Wie am Beispiel der Solar Section schon verdeutlicht, beschränkt sich die Arbeit des Barefoot College nicht auf Tilonia und den Silora Block. Das SWRC hat 18 Tochter- und Partnerorganisationen in 14 indischen Unionsstaaten (Stand April 2000), deren Aktivitäten seit 1993 von SAMPDA koordiniert werden. SAMPDA ist eine Netzwerkorganisation mit Sitz in New Delhi, deren Gründung von Bunker Roy initiiert wurde. SAMPDA dient dem Erfahrungs- und Informationsaustausch, ist aber vor allem Teil der Expansion des SWRC. Darüber hinaus ist das Barefoot College Mitglied einer Reihe von Informationsnetzwerken ökologischer und nachhaltiger Entwicklung sowie Mitgliedsorganisation der Republik Indien im Eco-Volunteer-Programme der Vereinten Nationen, welches Projekte unterstützt, die auf lokaler Ebene im Bereich nachhaltiger Entwicklung tätig sind.
Das SWRC finanziert sich zu einem großen Teil mit Hilfe ausländischer Geldgeber, zu denen die Deutsche Welthungerhilfe, Plan International, UNESCO und UNDP gehören. Einen Teil der Ausgaben deckt der indische Staat, der vor allem die Ausbildungsprogramme des SWRC und die Solarenergie-Projekte mitfinanziert. Der kleinste Teil des Budgets stammt aus eigenen Ressourcen, die vorwiegend aus der Handicraft und Solar Section stammen, schließt aber auch Preisgelder ein, die dem SWRC zuerkannt wurden. Die Gelder fließen zum größten Teil direkt in die Projektarbeit, denn die administrativen Kosten des SWRC betragen nur 10,4 Prozent (Stand 1997-98), wovon nur etwa 4,5 Prozent auf Personalkosten entfallen.
Seit 1972 wurden im Social Work and Research Centre Tilonia die unterschiedlichsten Programme initiiert und verwirklicht. Die Trinkwasserversorgung im Silora Block ist heute gesichert. Durch die Ausbildung von Barefoot-HandpumpenmechanikerInnen wurde zudem erreicht, daß unabhängig von auswärtigen Fachleuten Probleme schnell und kostengünstig behoben werden können. Vielen Kindern wurde der Zugang zu einer Ausbildung ermöglicht. Durch die Gründung von SAMPDA entstand ein Netzwerk, durch das die Aktivitäten des SWRC und seiner 18 Partnerorganisation besser koordiniert werden können, und das gleichzeitig dem Erfahrungs- und Informationsaustausch dient.
Tilonia vermittelt dem Betrachter ein detailliertes Bild von den Problemen des ländlichen Indiens mit all seinen Widersprüchen und Widrigkeiten, Hoffnungen und Chancen. Man bekommt einen Eindruck vom Alltag der Menschen und von der Arbeit einer indischen Nicht-Regierungsorganisation, die es geschafft hat, seit nunmehr 29 Jahren erfolgreich für und mit den Menschen zu arbeiten. "Menschen lassen sich nicht von außen entwickeln. Menschen sind die Träger von Entwicklung, wenn man ihnen die Möglichkeit und Zeit gibt, es auf ihre Weise und in ihrer Zeit zu tun.", sagte Bunker Roy und in Tilonia wird deutlich, was durch kollektive Stärke, Kreativität, Enthusiasmus und Engagement möglich ist.
Quelle: Dieser Text erschien in gekürzter Fassung unter dem Titel: Das 'Social Work and Research Centre' im Porträt, in: SÜDASIEN, Ausgabe 6-7/2000, S.30/31.
Social Work and Research Centre
Tilonia 305816
Ajmer District, Rajasthan
India
Tel.: +91 - 1463 - 88205
Fax: +91 - 1463 - 88206
Internet: www.barefootcollege.org
Barefoot College (Hg. ): The Barefoot Photographers. Barfuss in die Zukunft. Tilonia - Wo Gandhis Vision lebendig ist, Frederking & Thaler, München 2000
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