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15. März 2003. Analysen: Wirtschaft & Soziales - Indien Aruna Roy

Ein Porträt der indischen Bürgerrechtlerin

"Ich träume von einem wirklich demokratischen Indien, mit gleichen Chancen für alle, sozialer Gerechtigkeit und ohne Korruption." Bei diesem Satz huscht Aruna Roy ein Lächeln über das Gesicht. Fast so, als ob sie, die seit mehr als einem Viertel Jahrhundert für diesen Traum lebt und arbeitet, das eben Gesagte selbst nicht ganz glauben mag.

Aruna Roy wird 1946 im südindischen Chennai geboren. Nach ihrem Literaturstudium in Delhi, geht sie als 22-Jährige zum Indian Administrative Service (IAS). Sie war der Meinung, sagt sie, durch die Arbeit im elitären indischen Verwaltungsapparat etwas für die Menschen im Land bewegen zu können. Doch ihr Ideal sei bald zu einer Illusion geworden. Ernüchtert von den Realitäten kehrt sie 1975 dem IAS den Rücken. "Mir klar geworden", so resümiert Roy heute, "dass sich das System nicht von innen reformieren lasse."

Alternativen findet die junge Frau im rajasthanischen Tilonia. In dem kleinen Dorf 100 Kilometer südwestlich von Jaipur hatte ihr Mann Bunker Roy 1972 das Social Work and Research Center (SWRC) gegründet, eine Nichtregierungsorganisation, die bis heute im Bereich der ländlichen Entwicklung tätig ist. "In Tilonia habe ich wichtige Erfahrungen gesammelt und die Grundlagen der Grassroot-Arbeit gelernt", sagt Aruna Roy. Doch auch diese Arbeit stellt sie nicht zufrieden: "Ich hatte das Gefühl, ökonomische Entwicklung allein reiche nicht aus, um die Probleme der Menschen zu lösen." Die eigentlichen Ursachen der Armut seien bei der Entwicklungsarbeit unangetastet geblieben, denn im SWRC habe es nur wenig Raum für nachhaltigen sozialen und politischen Wandel gegeben. 1983 verlässt sie die Organisation.

Gemeinsam mit Freunden geht sie nach Devdungri, einem unscheinbaren Ort in den Ausläufern des Aravelli-Gebirges im Süden Rajasthan. Die Gruppe hat das Ziel, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in dieser wirtschaftlich rückständigen Region zu verbessern. Nach dem Vorbild Mahatma Gandhis passen sie ihre eigenen Bedürfnisse den Realitäten des ländlichen Rajasthan an. "Man kann nicht ernsthaft mit den Unterprivilegierte arbeiten, wenn man nicht mit ihnen gelebt hat", sagt Roy. 1990 ist sie Gründungsmitglied des Mazdoor Kisan Shakti Sangathan (MKSS), der Organisation zur Stärkung der Rechte von Arbeitern und Bauern.

In den 90er Jahren werden Devdungri und der MKSS zu Synonymen für den Kampf gegen die Korruption und die Durchsetzung von Right to Information in Rajasthan. Aruna Roy hat diese Bewegung durch ihre Persönlichkeit und ihr Engagement maßgeblich geprägt und ihr dadurch auch international hohes Ansehen verliehen. Im Jahr 2000 erhält sie in der philippinischen Hauptstadt Manila den Magsaysay Award für Community Leadership, den sie im Namen des MKSS entgegen nimmt.

Heute geht ihre Arbeit über die Right-to-Information-Bewegung hinaus. Im Sommer letzten Jahres war Aruna Roy Teil des Concerned Citizens Tribunal, einer unabhängige Kommission, die die anti-muslimischen Pogrome in Gujarat untersucht hat. Der im November veröffentlichte Kommissionsbericht legt unter dem Titel "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" Ursachen, Verlauf und Konsequenzen der Ausschreitungen offen, denen im Februar und März fast 2000 Muslime zum Opfer fielen. "Was uns die Menschen vor Ort erzählt haben, hat all meine Vorstellungen übertroffen", sagt Aruna Roy. Gujarat habe mit vorherigen Gewaltausbrüchen nichts gemein, so Roy weiter. Denn die Landesregierung unter Führung der hindunationalistischen Indischen Volkspartei und ihres Chiefministers Narendra Modi habe einen wesentlichen Anteil an der Eskalation der brutalen Gewalt gehabt. "Der Glauben an die indische Demokratie ist durch Gujarat bei vielen von uns tief erschüttert worden", fügt sie mit deutlicher Verbitterung hinzu.

Die Frage, ob sie schon einmal ernsthaft ans Aufhören gedacht habe, verneint Aruna Roy vehement. Ihr wohl größter persönlicher Triumph sei, sagt sie, trotz vieler Rückschläge niemals aufgegeben zu haben. "Wir sind erst ein kleines Stück vorwärts gekommen", ergänzt sie. Und in Hindi fügt sie mit einem Lächeln hinzu: "Manzil abhi bahut door hain." Das Ziel ist noch fern.

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