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01. April 2004. Analysen: Politik & Recht - Indien Narendra Modi

Ein Porträt des Chief Minister von Gujarat

Der Ministerpräsident von Gujarat, in dessen Amtszeit 2002 die schlimmsten Massaker an indischen Muslimen seit der Teilung und Unabhängigkeit Indiens stattfanden, gilt als aussichtsreicher Kandidat, die Generation um Premierminister Vajpayee und Innenminister Advani zu beerben.

Nach Ansicht einer rennomierten unabhängigen Untersuchungskommission um den ehemaligen Verfassungsrichter Krishna Iyer hat Modi im Frühjahr 2002 die staatlichen Behörden seines Staates dazu angehalten, gegen die Massaker nicht einzuschreiten, und so die Pogrome, die 2000 Tote und zehntausende Flüchtlinge forderten, bewußt mit geschürt.

Damit nicht genug: Die Massaker gingen in einen Wahlkampf über, in dem die Hardliner der Bharatiya Janata Party (BJP) in bisher ungekanntem Ausmaß Hass schürten. Modis Wahlkampf konzentrierte sich darauf, die Muslime nun auch noch verbal zu erniedrigen: "Was sollen wir tun? Flüchtlingslager einrichten? Wollen wir wirklich Baby-Produktionsstätten (baby producing centres) eröffnen? [...] Wir müssen denen eine Lektion erteilen, die die Bevölkerung unverhältnismäßig anwachsen lassen", fasste der Ministerpräsident eine der Standardbehauptungen der Hindunationalisten, die Muslime würden die Hindus in die Minderheit drängen, in einer dem Fernsehen zugespielten Wahlkampfrede zusammen. Die Kampagne zahlte sich in einer Zwei-Drittel-Mehrheit der BJP-Fraktion im Landtag aus, und Modi wurde als "Master Manipulator" von der Wochenzeitschrift India Today zum "Newsmaker of the Year" gekürt.

Die Prognose, mit der Pose als "Retter der Hindus" habe sich der Vertraute von L.K.Advani, dem starken Mann in der Vajpayee-Regierung, als zukünftiger Premier empfohlen, wird dieser Tage kaum noch geäußert. Zu sehr versucht die BJP im laufenden Parlamentswahlkampf 2004, sich als Volkspartei für alle Schichten und Religionsgruppen zu empfehlen. In der "Good-Governance-Kampagne" müssen Hardliner wie Modi im Hintergrund bleiben. Vor dem Hintergrund der Geschichte der BJP und ihres Umfelds ist dies weniger auf einen ideologische Neuorientierung als darauf zurückzuführen, dass die "Votebank" der nordindischen Mittelschichts-Hindus weitgehend konsolidiert ist. Im Wahlkampf 2004 kann die Partei getrost auch andere Schichten umwerben, ohne Verluste in dieser wichtigsten Gruppe der BJP-Wähler zu befürchten. Ein Erfolg, den die Partei zu großen Teilen Narendra Modi verdankt.

Narendra Damodardas Modi ist einer der jüngsten BJP-Ministerpräsidenten, er wurde 1950 in der Kleinstadt Vadnagar im Norden Gujarats geboren. Während seines Studiums in Ahmedabad - er hat einen Abschluss als M.A. der Politikwissenschaften - schloss er sich dem hindunationalistischen Studentenverband Akhil Bharatiya Vidyarti Parishad an. Seine in Studienzeiten geschlossene Ehe hielt nicht lange. Um 1970 trat Modi in den RSS ein, die Mutterorganisation aller Verbände des "Sangh Parivar" und ein ausgesprochener Junggesellenverein.

Der ambitionierte Kader stieg schnell auf. Mit 22 Jahren zum Pracharak, einem Vollzeitagitator der Bewegung, ernannt, wechselte er wenig später in Gujarats RSS-Landeszentrale in Maninagar, seinen heutigen Wahlkreis. Seit dieser Zeit soll er in der von J.P. Narayan initierten Anti-Korruptionsbewegung aktiv gewesen sein. 1975 wurde er zum Leiter der Lok Sangharsh Samiti in Gujarat ernannt, der Sammlungsbewegung der Opposition gegen Indira Gandhis autokratische Herrschaft.

Anfang der 1980er Jahre entsandte ihn die RSS-Führung in die BJP, den neugegründeten parlamentarischen Arm der Hindunationalisten. In der Führung des Landesverbandes von Gujarat soll er sich schon bald als Taktiker und Stratege ausgezeichnet haben. Ein populärer Führer, der Wählergruppen an sich binden konnte, war er damals nicht. 1988 hatte es Modi bis zum Generalsekretär im Landesverband gebracht. Doch scheint ihm seine Kunst im Strippenziehen nicht nur Freunde gemacht zu haben, schon ein Jahr später verlor er das Amt wieder und arbeitete bis 1995 als Wahlkampfleiter der BJP in Gujarat.

Als Keshubhai Patel 1995 BJP-Ministerpräsident in Gujarat wurde, schickte er als erstes seinen Wahlkampfleiter und potentiellen Rivalen außer Reichweite. Modi wurde von der Bundesparteiführung in mehrere Landesverbände im Norden Indiens geschickt, um die Partei neu zu organisieren. Seine Erfolge hierbei sind umstrritten: Während Modis Homepage sein bewundernswertes Organisationstalent preist, meint ein parteiinterner Kritiker: "In jedem Landesverband, in dem er gearbeitet hat, hat er Auseinandersetzungen provoziert. Wo immer er war, haben die Landesverbände um seine Versetzung gebeten." 1998 wurde er schließlich ins zentrale Sekretariat der BJP nach Delhi versetzt.

Modis Stunde schlug im Oktober 2001, als Keshubai Patel nach schlechtem Katastrophenmanagment beim Erdbeben in Kutch und mehreren verlorenen Nachwahlen nicht mehr zu halten war. Zum ersten Mal wurde ein Führungskader des RSS zum Ministerpräsidenten eines indischen Unionsstaates. Mit dem Segen der Bundespartei und seiner Freunde in der RSS-Führung konnte Modi den Landesverband binnen kurzer Zeit auf sich einschwören.

Ein halbes Jahr später steckten vermutlich fanatisierte Muslime in Godhra einen Zug mit Hindu-Freiwilligen in Brand. Unmittelbar nach dem Anschlag, der 60 Todesopfer forderte, begannen die wochenlangen Massaker gegen Gujarats Muslime. Unter Modis Leitung sahen Polizei und andere Behörden den gezielten Morden und Vertreibungen nicht allein zu: Heute scheint klar, dass die Anführer der Mord- und Schlägerbanden Unterstützung erhielten, und dass ganz gezielt Polizeibeamte versetzt wurden, die dem Treiben in ihrem Einflussbereich Einhalt gebieten wollten.

Einst Organisationstalent im Hintergrund, präsentierte sich Ministerpräsident Modi nun als Volkstribun einer vermeintlich bedrängten Hindu-Bevölkerung, deren berechtigte Wut auf die übermächtige Minderheit sich in den "Post-Godhra-Riots" Ausdruck verschafft habe. In den folgenden Monaten beschwor Modi immer wieder einen existenziellen Freund-Feind-Konflikt, in dem den als "5. Kolonne Pakistans" verunglimpften Muslimen nichts Menschliches mehr anhafteten durfte. Die religiösen Minderheiten seien "Fremde", deren Loyalität außerhalb Indiens liege, und deren Einfluss im Land die Mehrheit in den Hintergrund dränge.

Die perfide Umkehrung der Opfer zu Tätern und die Verankerung dieser Ideologie in den Köpfen vieler Inder, insbesondere in der wachsenden Mittelschicht, ist dem smarten Demagogen in kurzer Zeit besser gelungen als den altmodischen RSS-Junggesellen in Khaki-hosen mit ihren kruden Pamphleten oder bärtigen Sadhus aus dem sogenannten Weltrat der Hindus (Vishwa Hindu Parishad). So schrieb beispielsweise die India Today Anfang 2003: "Im Rückblick erscheint der Sabarmathi Express [der in Godhra in Brand gesetzte Zug, d. A.] als historische Variation der Viehwaggons, die einst durch Europa fuhren. Für die Hindu-Freiwilligen, die aus Ayodhya zurückkehrten, stellte sich - anders als für die Juden - der Zug selbst als Krematorium heraus. Der Terror war eine islamische Show, und die Abscheu, die er im ‚säkularen‘ Indien erweckte, war seltsam gedämpft. Über Nacht wandelte sich Modi zum obersten Verteidiger des Glaubens, Berichten zufolge mit ‚words of mass destruction‘." Lies: Nach dem Angriff des Islam zögerte Modi nicht unsere Kultur zu verteidigen, auch wenn - soviel Objektivität braucht eine renommierte Zeitschrift - er dabei über die Stränge schlug.

Als Modi im Dezember 2002 der BJP bei den Landtagswahlen eine Zwei-Drittel-Mehrheit sicherte, gratulierte die gesamte BJP-Führung. Neben seinem Förderer L.K. Advani sparte auch Premier A.B. Vajpayee nicht mit Lob. Bei den nächsten Landtagswahlen im Früjahr 2003 scheiterte die BJP allerdings. Im aktuellen Wahlkampf auf Bundesebene verzichtet die BJP ebenfalls weitgehend auf Modi. Will sie zukünftig weniger auf Koalitionspartner angewiesen sein, muss die BJP unterschiedliche Schichten an sich binden. Und der Schulterschluss nach innen gegen einen nach außen imaginierten Feind, wie in Modi am bisher radikalsten praktizierte, verspricht nur kurzfristig Erfolge.

So ist es vorerst ruhiger geworden um den Mann aus Gujarat. Zuletzt schaffte er es allein wegen eines aufsässigen Bauern-Funktionärs noch in die nationale Presse, als in der Auseinandersetzung um eine deutliche Erhöhung der Strompreise für die Landwirte ein Mitglied der BJP-nahen Bauernvereinigung in den Hungerstreik getreten war. Bleibt zu hoffen, dass sich die BJP in wenigen Jahren, wenn das derzeitige Führungsduo der BJP in den Ruhestand tritt, für einen konsensfähigeren und vielleicht auch etwas weniger skrupellosen Kandidaten entscheidet.

Quellen

  • Power derails Narendra Modi's power, Times of India, 2.2.2004
  • Master Divider, India Today, 6.1.2003.
  • An ambitious pracharak, Frontline, 21.12.2002.
  • Profile: Narendra Modi, BBC South Asia, 30.12.2002
  • TV airs tape of Modi's controversial remarks, Indiainfo.com, 15.9.2002.

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