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12. August 2002. Analysen: Geschichte & Religion - Weltweit Hindu-Tempel in Hamm

Die Göttin mit den Augen der Liebe

Hier wird Sri Kamadchi Ampal gefüttert, bekleidet und gewaschen: In Hamm wurde im Juli der zweitgrößte Hindu-Tempel Europas geweiht/ Hunde sind verboten, menschlicher Besuch ist der Gemeinde willkommen.

Ein Industriegebiet von Hamm, zehn Uhr morgens: Im Tempel-Inneren hat bereits die Andacht, die Puja, begonnen. In Autos treffen die ersten Familien auf dem Gelände ein. Die Kinder sehen oft zum ersten Mal in ihrem Leben einen so großen Tempel, wie er hier im westfälischen Hamm-Uentrop steht.

Schon von weitem ist das heilige Gebäude zu sehen. Mit seinen weiß-roten Längsstreifen sieht es für den ungeübten Beobachter auf den ersten Blick aus wie ein Zirkuszelt. Doch ein 17 Meter hohes Portal in südindischem Stil zeigt, dass es sich hier um mehr handelt: Was da seit neuestem in Hamm steht, ist Europas zweitgrößter Hindu-Tempel. Der größte ist in London, allerdings in nordindischem Stil. Sri Kamadchi Ampal, so heißt das Hammer Heiligtum, wurde streng nach dem Sri-Kamaksi-Tempel im südindischen Kanchipuram gebaut. Am 7. Juli war die feierliche Einweihung des 27 mal 27 Meter großen Gebäudes, für dessen Bau extra Tempelbauer aus Indien eingeflogen wurden. 1,7 Millionen Euro soll das Projekt gekostet haben, finanziert ausschließlich durch Spenden.
Anfänge im Keller einer Mietwohnung

Verehrt wird die Göttin Sri Kamadchi Ampal, die Göttin mit den »Augen der Liebe«. Auch andere Götter wie der Elefantengott Ganesh oder Subramania, der Sohn Shivas, haben einen Schrein im Tempel. In der Mitte des Gebäudes thront Sri Kamadchi Ampal. Ihr dürfen sich nur die Priester nähern.

Das Gelände um das Gebäude herum ist zwar für die Gläubigen schon heiliger Boden, Ungläubige würden es aber wohl ausschließlich als »Baustelle« ansehen. Besucherhinweise am Eingang des Tempels fehlen noch völlig. Kein Wunder, dass eine Gruppe deutscher Frauen mit Auto und Hunden auf das Gelände fährt. Hunde gelten im Hinduismus als unrein, was die Besucherinnen wohl nicht wissen. Aber die Hindus nehmen es gelassen, als sich die Damen samt Hunden dem Tempel nähern. Hinein dürfen die Tiere natürlich nicht, aber sonst freuen sich die Gläubigen über den Besuch.

Die Geschichte des Hindu-Tempels von Hamm begann im Jahr 1989, als Siva Sri Paskarakurukkal, ein tamilischer Priester, im Keller seiner Mietwohnung den ersten »Tempel« einrichtete. Der Priester war 1985, wie viele tamilische Hindu, als Bürgerkriegsflüchtling von Sri Lanka in die Bundesrepublik gekommen. Mit dem Heiligtum ging es schnell aufwärts, so dass die Räumlichkeiten 1992 vergrößert werden mussten. Die steigenden Besucherzahlen brachten auch Konflikte mit sich. Anwohner fühlten sich gestört, nicht zuletzt durch das einmal im Jahr stattfindende Tempelfest. Dabei verlässt die Göttin bzw. ihre Statue den Tempel. Für die Gläubigen ist das eine Gelegenheit, der Göttin näher zu kommen als sonst. Im Jahr 1994 waren es dann schon mehrere tausend Teilnehmer aus der ganzen Bundesrepublik gewesen, die dabei sein wollten, als der Prozessionswagen - die Sänfte war inzwischen ausrangiert - mit der Göttin den Tempel umrundete. Dringend musste ein neuer Tempel-Standort gefunden werden.

Ein Industriegebiet bot sich an, weil dort genügend Platz war, bessere Parkmöglichkeiten bestanden und sich außerdem ein Kanal in der Nähe befindet, was für manche Zeremonien wichtig ist. Die Stadt Hamm würdigte den Tempel damals als »Ausdruck für die Offenheit und die Kraft, fremde Sitten und Gebräuche zu integrieren«. Ohne rassistische Anfeindungen im Vorfeld ging der Entscheidungsprozess freilich nicht vonstatten. Doch der Übergangstempel wurde gebaut: Ein kleines Haus, nur als Provisorium gedacht. Es steht noch heute gegenüber dem neuen großen Tempel und unterscheidet sich von durchschnittlichen Einfamilienhäusern im Westfälischen nur durch die indischen Säulenattrappen im Vorgarten. Mit dem neuen Tempel bekam auch die Göttin eine neue Statue aus südindischem Granit.

Dass Hamm zu einem Zentrum des Hinduismus in Deutschland geworden ist, wird oft damit erklärt, dass viele Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sri Lanka im nahegelegenen Flüchtlingsaufnahmelager in Unna-Massen untergebracht wurden und danach in der Gegend geblieben sind. Martin Baumann, Professor für Religionswissenschaften an der Universität Hannover, der sich im Rahmen eines Forschungsprojektes mit der Integration von tamilischen Hindus in Deutschland beschäftigt, hält diese Erklärung aber nicht für ausreichend. Die Hindus seien in Deutschland sehr regional verteilt, mittlerweile gebe es hierzulande 24 Tempel. Baumann führt den Bau von Europas größtem südindischen Tempel auf das Engagement von Priester Paskarakurukkal zurück. »Es braucht Leute, die den Tempelbau vorantreiben wollen.« Manche Gemeinden würden auch einen kleineren Tempel bevorzugen.

Hinduismus war in Deutschland lange Zeit nur durch die Krishna-Mönche bekannt. Der letztes Jahr verstorbene Beatles-Gitarrist George Harrison hatte die Krishna-Bewegung in den Sechzigern in Europa populär gemacht. Wie Harrison traten viele Europäer zum Hinduismus über. Für die christliche Mehrheitsgesellschaft war es ein leichtes, Hindu-Anhänger als »verführte, junge Leute« anzusehen, sagt Baumann. Das ist beim Tempel von Hamm nicht mehr möglich: Der sei »von Migranten getragen«. Insofern werde der Tempel das bisherige Bild vom Hinduismus ändern, gibt sich Baumann überzeugt: Die Glaubensgemeinschaft werde von ihrem Sektenimage ebenso befreit werden wie von der exotisierenden Faszination, die viele Nachkommen der »Hippies« noch immer für den Hinduismus empfinden. In Zukunft könnte sich der Hinduismus als ganz normale Religion etablieren.
Integration heißt nicht Assimilation

Für den Wissenschaftler ist der Tempel ein wichtiger Schritt für die Integration von Einwanderern. »Unterschiedliche Religionen können nebeneinander leben«, ist sich Baumann sicher, wenn die Unterschiedlichkeit anerkannt werde. Für die Hindus sei der Tempel ein Ort, der ihnen Sicherheit und Kraft gebe, um sich den Anforderungen des Alltags in der oftmals noch fremden deutschen Gesellschaft zu stellen. »Integration wird oft mit Assimilation gleichgesetzt«, beklagt er und nennt als Beispiel Innenminister Otto Schily. »Der hinkt der aktuellen Entwicklung um Jahre hinterher.«

Für Baumann zeichnet sich die Hindu-Religion durch ein Maß an Frömmigkeit, Gläubigkeit und Gottvertrauen aus, das »für Deutsche völlig unverständlich« sei. In Europa sei der Glaube sehr stark mit Denken verbunden. Für den Hindu gehe es mehr um das Ausüben des Glaubens, um das Dabeisein.

So sind auch im Tempel in Hamm die Götter selbst anwesend. Die Statuen der Götter werden in einer Zeremonie verehrt, die gut und gern den ganzen Vormittag dauern kann. Das schließt auch das Darbringen von Nahrung in Form von Bananen mit ein. Der Höhepunkt des Spektakels ist erreicht, wenn die Statue der Tempelgöttin gewaschen und angekleidet ist. Allerdings ist es nicht die Statue, die verehrt wird, erläutert Baumann, sondern die ihr innewohnende göttliche Kraft. Dann ziehen die Gläubigen - Männer, Frauen, Familien mit Kind und Kegel - im Kreis um den Hauptschrein, in dem die Statue der Göttin sitzt. Trommeln und Flötenmusik sorgen für die richtige Stimmung, über Lautsprecher wird die Live-Musik auch nach draußen übertragen. Auf dem Boden sitzen mehrere Priester, mit Tüchern spärlich bekleidet, der Oberkörper nackt, und singen ohne Unterbrechung in einer Art Sprechgesang ihre Gebete. Mitten in Nordrhein-Westfalen, im Industriegebiet von Hamm-Uentrop.

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