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Mit wachsender Aufmerksamkeit wurde auch der Einfluss indischer Migranten auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung in ihrem Herkunftsland beobachtet, insbesondere im Kontext der hindunationalistischen Hegemonialbestrebungen, die maßgeblich durch die finanzielle und logistische Unterstützung von Hindu-Verbänden in den USA und Großbritannien befördert wurden (vgl. V. Lal 2003). Das bis in die 1990er Jahre vorrangig auf die ökonomische Situation der indischen Migranten gerichtete Interesse hat sich inzwischen verstärkt Fragen der Kultur und Religion zugewandt, worin sich zugleich die generell gestiegene Bedeutung von Prozessen der Identitätsbildung in der indischen Diaspora widerspiegelt.
Demgegenüber befindet sich die Erforschung der indischen Arbeitsmigration unter sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten nach wie vor in ihren Anfängen, wie der Südasienhistoriker Michael Mann kürzlich feststellte (vgl. Mann 2003). Er kritisiert auch, dass die ehemaligen Kolonialgebiete Südostasiens als Objekte der Geschichte außerhalb des britischen Indenture- oder Kontraktarbeiter-Systems (1834-1914) bislang noch keine große Beachtung fanden. Eine ähnliche Situation lässt sich im Hinblick auf die jüngste Phase der indischen Arbeitsmigration in die Golfstaaten feststellen, über die bisher ebenfalls vergleichsweise wenig geforscht wurde (ebd.).
Dieser Artikel konzentriert sich in erster Linie auf die Region des westlichen indischen Ozeans und greift drei Aspekte auf, die für die Diskussion über eine Geschichtsschreibung der indischen Arbeitsmigration und Diasporabildung relevant sind. Nachdem zunächst eine Synthese der bisherigen Versuche einer chronologischen Periodisierung der indischen Arbeitsmigration im 19. und 20. Jahrhundert umrissen wird, konzentriert sich der zweite Abschnitt auf die Diskussion über das Indenture- oder Kontraktarbeitersystem in den britischen Kolonien (1834-1914). Dieses System wurde nach Abschaffung der Sklaverei zur Rekrutierung von Arbeitskräften für die Zuckerrohrplantagen im indischen und pazifischen Ozean wie auch in der Karibik eingeführt. Im dritten Abschnitt wird dagegen die Problematik der Frage, wie die kulturellen und religiösen Folgen der Arbeitsmigration zu interpretieren sind, in den Vordergrund gestellt. Abschließend wird mit der Coolitude ein äußerst spannender Ansatz zur (Re-)Konstruktion eines poetisch-literarischen und historischen Gedächtnisses der indischen Arbeitsmigration und Diasporabildung vorgestellt, der seit kurzem auch hierzulande auf ein gestiegenes Interesse trifft.
Zu den ersten dauerhaften Niederlassungen indischer Händler und Kaufleute in den Küstenstädten der Anrainerländer des westlichen indischen Ozeans kam es im Zuge der Konsolidierung transozeanischer Handelsbeziehungen seit dem 12. Jahrhundert. Sie nahmen rapide zu, als sich die Handelsaktivitäten insbesondere im 16. Jahrhundert deutlich intensivierten. Ein großer Teil dieser Migranten stammte aus dem Gebiet des heutigen Bundesstaates Gujarat.[1] Im östlichen indischen Ozean belieferten vor allem südindische Händlergemeinschaften die Hafenstädte der Region, doch im 17. Jahrhundert wurden sie vorübergehend durch die holländische und englische Ostindiengesellschaft aus dem Wettbewerb gedrängt. Längerfristig gelang es ihnen dennoch, an den europäischen Handelsaktivitäten teilzuhaben, indem sie sich auf den Kurzstreckenhandel entlang der Küsten spezialisierten. Indische Händler beteiligten sich auch an der Organisation afrikanischer Sklaventransporte, die über die Küsten des indischen Subkontinents, die arabische Halbinsel und Persien verliefen. Es wurden aber auch indische Sklaven in den indischen Ozean verschifft, etwa seit Beginn des 18. Jahrhunderts nach Mauritius und Bourbon (Reunion), wo sie in Privathaushalten oder wie die übrigen Sklaven auf den Zuckerrohrfeldern arbeiten mussten. Von 1815 bis zur Abschaffung der Sklaverei 1834 wurden auch indische Strafgefangene nach Mauritius transportiert, wo sie maßgeblich zum Aufbau der Infrastruktur beitrugen (vgl. Anderson 2000).
Die indische Arbeitsmigration im eigentlichen Sinne setzte jedoch erst durch die massenhafte Emigration indischer Arbeitskräfte im Rahmen des so genannten Indenture-Systems ein. Dieses System der "Kontraktarbeit" wurde 1834 mit dem Ziel eingeführt, den durch die Abschaffung der Sklaverei entstandenen Mangel an Arbeitskräften zu beheben. Hier beginnt also die lange Geschichte der indischen Arbeitsmigration und Diasporabildung, auf die sich dieser Artikel bezieht.
Am Anfang jeder Geschichtsschreibung steht die Frage, in welche Phasen eine historische Entwicklung zu unterteilen ist. In der sozialgeschichtlichen Migrationsforschung verhält es sich nicht anders, doch scheint es im Fall der indischen Arbeitsmigration und Diasporabildung noch keinen Konsens darüber zu geben, in welche Phasen diese unterteilt werden sollte. Bislang lassen sich mindestens drei unterschiedliche Modelle der Periodisierung ausmachen, die entweder zwei oder drei distinkte Phasen unterscheiden. In einer Art Synthese der bislang erfolgten Versuche möchte ich im Folgenden drei chronologische Perioden skizzieren.[2]
Auf der Grundlage von zumeist fünfjährigen, in Einzelfällen aber auch drei- bis zehnjährigen Arbeitsverträgen wurden insgesamt rund 1,4 Millionen Inder zunächst in britische, später aber auch in französische und holländische Kolonien im indischen und pazifischen Ozean, in der Karibik und in Südafrika gebracht. Die Mehrzahl der Migranten kehrte nicht (dauerhaft) nach Indien zurück, wodurch die Grundlage für die bedeutende indische Diaspora in diesen Ländern gelegt wurde. Auf Fiji, Guyana und Trinidad stellen die Nachfahren dieser Kontraktarbeiter beispielsweise nahezu die Hälfte der Gesamtbevölkerung (bzw. inzwischen sogar mehr), und auf Mauritius bilden die Indo-Mauritier eine deutliche Bevölkerungsmehrheit. Die Migranten des Indenture-Systems stammten überwiegend aus Bihar im Nordosten Indiens und dem heutigen östlichen Uttar Pradesh in Nordindien, aber auch Tamilen und Telugus aus dem Süden des Landes gehörten zu den großen Gruppen unter ihnen. In den französischen Kolonien befanden sich dagegen generell die Südinder in der Mehrzahl. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass zirka 75 Prozent der Kontraktarbeiter Hindus waren.
Bis vor wenigen Jahren ging die Forschung davon aus, dass die Indenture-Migranten fast ausnahmslos aus den niedrigen Kasten bzw. "unberührbaren" und tribalen Gemeinschaften stammten. Auch wenn dies auf die Mehrheit der Migranten zutrifft, haben vor allem Brij Lal und Marina Carter inzwischen nachgewiesen, dass ein deutlich höherer Anteil als bisher angenommen durchaus auch aus höheren Kasten stammte (vgl. dazu auch Brennan et al. 1998). Carter weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass viele Männer bei der Registrierung durch die britischen Behörden bewusst falsche Angaben über ihre Kastenzugehörigkeit gemacht zu haben scheinen, da man von indischer Seite insbesondere die Auswanderung von Brahmanen zu verhindern versuchte (Carter 1996). Einer der berühmtesten Nachfahren von Brahmanen, die als Kontraktarbeiter nach Trinidad ausgewandert waren, ist sicherlich der Schriftsteller und Nobelpreisträger V.S. Naipaul.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass zeitgleich zum System der Kontraktarbeit auch weiterhin das vorkoloniale Kangani-System fortbestand, innerhalb dessen Arbeitskräfte in die Anrainerländer des östlichen indischen Ozeans migrierten. Die Bedeutung des Kangani-Systems stieg insbesondere für Malaya (Malaysia) an, nachdem das Indenture-System dort 1910 aufgrund der überdurchschnittlich hohen Mortalitätsraten verboten worden war. Als Hauptunterschiede zwischen den beiden Systemen wurde bislang in der Literatur hervorgehoben, dass sich das Kangani-System generell durch einen rascheren Austausch von Arbeitskräften, einen allgemein zyklischeren Charakter der Migration und eine wesentlich größere Bedeutung von Verwandtschaftsnetzwerken auszeichnete. Demgegenüber hatte sich für die Anwerbung von Indenture-Migranten im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein professionell organisiertes Rekrutierungssystem etabliert. In den Rekrutierungsgebieten im südlichen Bihar, im Bergland Südindiens und zunehmend auch in anderen Distrikten in Nordindien und im Punjab im Nordwesten rekrutierten Inder als Sub-Agenten oder Anwerber, während die Agenturen in den Ausschiffungshäfen Madras und Kalkutta von Briten besetzt waren. Der aktuelle Forschungsstand deutet jedoch darauf hin, dass sich die Funktionsweisen der Rekrutierung für das Indenture-System über das 19. Jahrhundert hinweg in manchen Regionen durchaus analog zum Kangani-System entwickelten. Auch hier kann demnach vereinzelt von einer zyklischen Migration gesprochen werden, da viele Kontraktarbeiter zwar nach Ablauf ihrer vertraglichen Arbeitsfrist vorübergehend nach Indien zurückkehrten, sich aber häufig erneut anwerben ließen (vgl. Carter 1996, Ahuja 2003 und Mann 2003 u. 2004). Häufig wurden diese so genannten Returnees auch gezielt von den Plantagenbesitzern in ihre Heimatdörfer geschickt, um dort neue Arbeiter anzuwerben. Dadurch spielten Verwandtschaftsnetzwerke teilweise auch im Indenture-System eine weitaus bedeutendere Rolle als bislang angenommen, was Carter in Bezug auf Mauritius detailliert nachgewiesen hat.
Im günstigsten Fall konnte ein Returnee bei seiner Rückkehr eine Prämie vom jeweiligen Plantagenbesitzer für die erfolgreiche Anwerbung von Arbeitern beziehen und von der britischen Behörde gleichzeitig eine weitere Prämie für die mitgebrachten Frauen und Kinder. Nach einem anfänglich starken Ungleichgewicht der Einwanderungsgraten von Männern und Frauen waren in den so genannten Zuckerkolonien zum Teil "Frauen-Quoten" eingeführt worden, die für ein ausgeglicheneres Verhältnis sorgen sollten.[3]
Ein Rückkehrer konnte auch in der Hierarchie der Kontraktarbeiter aufsteigen, einen höheren Lohn erhalten und so zu einem Mittler zwischen Plantagenbesitzern und Arbeitern werden. Nachdem viele der großen Plantagen auf Mauritius infolge der sinkenden Zuckerpreise seit den 1860er Jahren parzelliert wurden, gingen aus dieser Gruppe wiederum die ersten indischen Landbesitzer und Grundstückshändler hervor, denen der soziale und materielle Aufstieg glückte (vgl. Carter 2002b). Schließlich sollte auch für diese erste Phase erwähnt werden, dass parallel zu den indischen Kontraktarbeitern immer wieder Händler und Kaufleute, insbesondere aus Gujarat, in den Indenture-Kolonien eintrafen.
Die zweite Phase der indischen Arbeitsmigration ist insbesondere durch die Auswanderung von freien Händlern und so genannten Hilfskräften für die Kolonialverwaltung und für den Bau wie auch die Verwaltung der Eisenbahn in den britischen Kolonien Ostafrikas, vor allem Kenia, Uganda, Tansania und Zambia, gekennzeichnet. Dieser Kern einer weiteren indischen Diaspora in Ostafrika stammte mehrheitlich aus Gujarat und dem Punjab. Durchschnittlich besaßen die Händlerfamilien im Vergleich zur Welle der Indenture-Migranten einen deutlich gehobeneren sozialen Hintergrund, sie verfügten über mehr Eigenkapital und häufig auch über einen höheren Bildungsstand. Entsprechend übernahmen viele Inder in Ostafrika bald eine wichtige Mittler-Rolle in der Privatwirtschaft und der Kolonialverwaltung, was gleichzeitig den Grund für das zum Teil bis heute schwer belastete Verhältnis zur afrikanischen Bevölkerung bildete. Ein Großteil der Nachfahren dieser diasporischen middlemen minorities wanderte infolge der "Afrikanisierungspolitik" in den postkolonialen Staaten Ostafrikas, die im Fall Ugandas Anfang der 1970er Jahre bis zur Vertreibung und Enteignung der indischen Bevölkerung führte, nach Großbritannien aus und ließ sich dort dauerhaft nieder. Diese so genannten twice migrants gingen jedoch nicht nur aus den genannten Gruppen hervor, sondern auch aus so genannten Post-Indenture-Gesellschaften, wie beispielsweise aus der ehemaligen holländischen Kolonie Surinam. Als der Staat 1975 seine Unabhängigkeit erlangte, geriet Surinam in eine wirtschaftliche Krise, in deren Folge es zu Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen kam. Ein großer Teil der Indo-Surinamesen verließ daraufhin das Land und ließ sich in den Niederlanden nieder, wo sie heute die zweitgrößte Gruppe von Migranten mit indischen Hintergrund in Europa bilden (vgl. Eisenlohr 2002b).
In den 1950er und 1960er Jahren migrierten viele junge Männer aus dem indischen Punjab und Gujarat nach Großbritannien und ließen sich dort nieder. Ende der 1960er verschärfte die britische Regierung zwar die Einwanderungsbestimmungen, doch in Gestalt der Familienzusammenführungen wuchs die indische Bevölkerung in Großbritannien dennoch bis in die 1970er Jahre weiter an. Seit den 1960er Jahren kamen zugleich viele Migranten und Flüchtlinge aus Pakistan und Bangladesch nach Großbritannien, später auch aus Sri Lanka, so dass dort eine dauerhafte, selbstverständlich aber sehr heterogene südasiatische Diaspora entstanden ist. In den USA hatten sich zwar bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts Sikhs aus dem Punjab in Kalifornien angesiedelt, größere Zahlen indischer Einwanderer gelangten jedoch ebenfalls erst in den 1960er Jahren dorthin (vgl. Gottschlich 2005). Da Fachkräfte und Akademiker bevorzugt wurden, entwickelten sich die USA zu einem Anziehungspunkt für hoch qualifizierte indische Arbeitnehmer. Das Bildungsniveau und Durchschnittseinkommen dieser neueren diasporischen Gemeinschaft liegt mit an der Spitze aller Einwanderergruppen und deutlich über dem amerikanischen Durchschnitt. Ähnlich wie in Großbritannien bestimmt auch in den USA gegenwärtig die Familienzusammenführung den Hauptmodus der Einwanderung aus Indien. Und ebenfalls ähnlich wie in Großbritannien stammt ein Großteil dieser Diaspora in den USA aus Gujarat (ca. 40 Prozent) und dem indischen Punjab (ca. 20 Prozent) (vgl. Eisenlohr 2002b).
Die dritte große Arbeitsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg und damit gleichzeitig die jüngste Entstehung einer indischen Diaspora im Mittleren Osten begann mit dem Ölpreisboom in den frühen 1970er Jahren, erreichte Mitte der 1980er Jahre einen vorläufigen Höhepunkt und erlebte erst Anfang der 1990er durch die Golfkriege einen deutlichen Einbruch. Über diese Gruppe ist, wie eingangs gesagt, bislang vergleichsweise wenig geforscht worden. Da die Rechtsordnungen der Golfstaaten zunächst in der Regel keine dauerhafte Ansiedlung von Migranten zugelassen haben, wurden jedoch aufgrund des im Vergleich zu den USA und Großbritannien wesentlich temporäreren und zyklischeren Charakters dieser Migrationsbewegungen Parallelen zum Indenture- und zum Kangani-System gezogen. Mittlerweile sind diese Aufenthaltsbestimmungen teilweise gelockert worden, so dass sich eine größere Zahl von Indern bzw. Südasiaten sicherlich dauerhaft in den Golfstaaten niederlassen wird bzw. dies nun rechtmäßig tun kann.
Die Diskussion über die massenhafte Migration von indischen Kontraktarbeitern in die britischen "Zuckerkolonien" wurde lange Zeit durch die Frage beherrscht, ob und inwieweit sich das Indenture-System überhaupt vom System der Sklaverei unterscheidet. Zum einen ist das Indenture-System aufgrund der miserablen hygienischen Situation an Bord, der mangelhaften Nahrungsversorgung und chronischen Überbelegung wie auch der hohen Sterblichkeitsraten während der strapaziösen Überfahrt in die "Zuckerkolonien" mit der Mittelpassage des atlantischen Dreieckshandels verglichen worden, auf der die afrikanischen Sklaven nach Amerika verschifft wurden. Zum anderen erinnerten die harten Arbeitsbedingungen und die Willkür, der die indischen Kontraktarbeiter insbesondere in der Anfangsphase des Indenture-Systems ausgesetzt waren, sehr stark an die Sklaverei.
Obwohl es sich um ein vertragliches Arbeitsverhältnis handelte, dessen Regelungen also theoretisch von beiden Seiten eingeklagt werden konnten, waren darin gravierende Ungleichheiten verankert. So wurden etwa die indischen Kontraktarbeiter bei Vertragsbruch strafrechtlich verfolgt, während die Plantagenbesitzer lediglich zivilrechtlich belangt werden konnten. Vor diesem Hintergrund hat der Historiker Hugh Tinker das Indenture-System Anfang der 1970er Jahre als "erfolgreiche Verlängerung der Sklaverei" bezeichnet und damit lange Zeit die Interpretation der Kontraktarbeit geprägt.
Diese Sichtweise gilt jedoch inzwischen als zu undifferenziert, und seit einigen Jahren tendiert die sozialgeschichtliche Migrationsforschung eher dahin, dass Indenture-System als eine Art Brückenglied zwischen der Sklaverei und den "freien" Arbeitsmärkten der Industrieländer zu betrachten (vgl. B. Lal 1998). Dafür spricht unter anderem, dass die Beziehungen zwischen Plantagenbesitzern, Kontraktarbeitern und britischen Beamten entgegen früheren Darstellungen keinesfalls statisch waren, sondern sich über den Existenzzeitraum der Indenture von immerhin 80 Jahren gewandelt haben. Am Beispiel der Mascarene-Insel Mauritius konnte die Historikerin Marina Carter auch nachweisen, dass die indischen Kontraktarbeiter Strategien der Einrichtung, aber auch des Widerstands gegen die Ausbeutung auf den Zuckerrohrplantagen entwickelt haben. Auf der anderen Seite zeigten die Plantagenbesitzer und Kolonialbeamten angesichts des hohen Bedarfs an Arbeitskräften auch ein wachsendes Interesse daran, eine dauerhafte indische Arbeiterschaft bei stabilen familiären Verhältnissen zu etablieren (Carter 1996).
Darüber hinaus ist eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen der Sklaverei und dem Indenture-System schon allein deswegen bedeutend, da die bloße Tatsache, dass "Sklaven" durch "Kulis" ersetzt wurden, einen historischen Antagonismus zwischen diesen beiden Gruppen begründet hat (vgl. Carter/Torabully 2002). Die indischen "Neuankömmlinge" wurden von den befreiten Sklaven in den so genannten Zuckerkolonien zum einen als Konkurrenz oder sogar als Bedrohung wahrgenommen. Zum anderen wurden sie auch dafür verachtet, dass sie sich "freiwillig" zu Handlangern eines ausbeuterischen Kolonialkapitalismus machen ließen. Als latenter oder offenkundiger Konflikt ist dieser Antagonismus zwischen den Post-Abolitions-Gemeinschaften und den Post-Indenture-Gemeinschaften noch heute virulent und hat bislang eine echte Annäherung zwischen beiden verhindert.
In Indien selbst hat die bis in die 1980er Jahre hinein übliche Gleichsetzung des Indenture-Systems mit der Sklaverei wiederum zu der problematischen Konstruktion einer "Opferrolle der Kulis" geführt - zunächst im Kontext des antikolonialen Nationalismus in Indien und schließlich auch in der neueren indischen Geschichtsschreibung. Beide genannten Stereotype - das negative Bild des "Konkurrenten" wie das Opferbild des "gefügigen Kulis" - lasten bis heute schwer auf den Post-Indenture-Gemeinschaften indischer Herkunft. Trotz aller feststellbaren Parallelen und Analogien zum System der Sklaverei sollte das Indenture-System daher als ein distinktes historisches Phänomen betrachtet werden.
Bislang wurde in der Literatur grundsätzlich zwischen den indisch-diasporischen Gemeinschaften unterschieden, die in der kolonialen Situation entstanden sind und jenen, die sich nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 gebildet haben. Als essenzielles Unterscheidungsmerkmal werden dabei die Kommunikationsmöglichkeiten und Verbindungen zum Herkunftsland Indien betrachtet. So wird für die Plantagenarbeiter des 19. Jahrhunderts eine Situation der weitgehenden Isolation und des Abgeschnittenseins von Indien angenommen. Nach Ansicht von Eisenlohr, Vertovec und van der Veer hat diese Situation die Entstehung pan-indischer Identitäten in den Indenture- bzw. Post-Indenture-Gemeinschaften begünstigt, also über deren sprachliche, soziale, religiöse und regionale Unterschiede hinweg. Demgegenüber seien spätere Migranten in westlichen Ländern von Anfang an durch die verfügbaren Kommunikationsmittel in der Lage gewesen, sehr vielfältige Beziehungen zu Indien bzw. zu ihren Herkunftsregionen aufrecht zu erhalten. Da sie darüber hinaus auch die Verbindung zu Angehörigen in anderen "Gastländern" pflegen konnten, hätte dies gleichermaßen die Herausbildung transnationaler Netzwerke in der globalen indischen Diaspora befördert.
Ohne die Existenz historisch bedingter Unterschiede zu bestreiten, kann dennoch eingewendet werden, dass die Indenture-Gemeinschaften keinesfalls dem relativ statischen Bild entsprechen, das aus dieser binären Kontrastierung beinahe zwangsläufig entsteht. Durch ihre Erforschung der Biografien indischer Kontraktarbeiter auf den Mascarene-Inseln im indischen Ozean konnte Carter etwa nachweisen, dass schon im Hinblick auf die ersten Generationen von Migranten im 19. Jahrhundert nicht von einer Isolation, geschweige denn von vollständig gekappten Verbindungen zum Herkunftsland gesprochen werden kann. Insbesondere über persönliche Netzwerke wurden beispielsweise Briefe und Nachrichten ausgetauscht und Geld für die Familien nach Indien gesandt. Auch wurde bereits erwähnt, dass indische Kontraktarbeiter oftmals von den Plantagenbesitzern in ihre Herkunftsdörfer geschickt wurden, um dort neue Arbeitskräfte zu rekrutieren, was ohne fortbestehende Verbindungen kaum möglich gewesen wäre. Wenn lange Zeit keine Nachricht mehr eintraf, konnte es wiederum gut passieren, dass sich Verwandte in Indien selbständig auf die Suche nach ihren Angehörigen in den "Zuckerkolonien" machten, wie Carter an verschiedenen Beispielen nachweist (Carter 1996).
Vereinzelt wurde bereits ein Vergleich zwischen den großen europäischen Migrationsbewegungen und der indischen Arbeitsmigration des 19. Jahrhunderts angeregt. Vielleicht würden gerade die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Kommunikation bzw. die Verbindungen zur "Heimat" einen Untersuchungsgegenstand darstellen, der in dieser vergleichenden Perspektive wesentlich präzisere Aussagen über die Situation der indisch-diasporischen Gemeinschaften des 19. Jahrhundert erlaubt als die Kontrastierung mit jenen diasporischen Gruppen, die im 20. Jahrhundert entstanden sind.
Für die gegenwärtige Situation und nahe Zukunft der Post-Indenture-Gemeinschaften ist aber auch zu berücksichtigen, dass sie durch die globale Ausweitung der Kommunikationsmöglichkeiten und transnationale Netzwerke gleichermaßen beeinflusst werden wie die indisch-diasporischen Gemeinschaften in westlichen Ländern oder in den Golfstaaten. Folglich können die Beziehungen zum vorgestellten Ursprungs- oder "Heimatland" Indien auch bei Gemeinschaften, die aus den Migrationsbewegungen des 19. Jh. hervorgegangen sind, nicht als abgeschlossene oder unumkehrbare Prozesse verstanden werden. Entsprechend stellt auch der "standardisierte", "homogenisierte" oder kreolische Hinduismus, von dem in Bezug auf den indischen und pazifischen Ozean sowie die Karibik gelegentlich gesprochen wird, keine abgeschlossene Entwicklung dar. Deutlich wird dies einerseits etwa an aktuellen Beispielen einer Renaissance orthodox-hinduistischer Bewegungen auf Trinidad und Reunion. Reunion ist besonders interessant, da hier der Assimilierungsdruck an die Kultur und Religion der "Francophonie" besonders stark war. Ungeachtet der Tatsache, dass die Indo-Réunionnais mehrheitlich zum Christentum konvertierten, wurden hinduistische Glaubensformen und -praktiken jedoch weiterhin im Privaten praktiziert. Seit den 1960er und insbesondere seit den 1970er Jahren hat sich jedoch unter den verschiedenen Gruppen indischer Herkunft auf Reunion, vor allem unter den Tamilen, das Interesse an der bzw. ihrer jeweils als "authentisch" verstandenen indischen Kultur und Religion deutlich verstärkt, so dass etwa Sugimoto von einer wahren "Hindu-Renaissance" auf Reunion spricht. Zunächst wurden Brahmanen aus dem benachbarten Mauritius eingeladen, seit Anfang der 1970er Jahre häuften sich aber auch die Aufforderungen an die Regierung von Reunion, Brahmanen zur religiösen Unterweisung der Indo-Réunionnais aus Indien einzuladen.
Weitere Forderungen umfassten die Einführung des orthodoxen hinduistischen Kalenders, einen Ersatz für Rindfleisch in den Mahlzeiten in Schulen, Krankenhäusern und Gefängnissen, die Einführung einer religiösen Unterweisung an staatlichen Schulen, die Einrichtung von Krematorien sowie das Recht für Eltern, ihren Kindern tamilische Namen zu geben. Peu à peu wurden diese Forderungen in den 1970er und 1980 tatsächlich umgesetzt, so dass beispielsweise auch die Tempelarchitektur im dravidischen Stil einen ersten Aufschwung auf der Insel erlebte. Anfang der 1980er Jahre wurde eine Tamil-Schule gegründet und 1988 schließlich erstmalig auf Reunion das Lichterfest Diwali gefeiert. Rund ein Drittel der gesamten Arbeitskraft wird auf Reunion durch den Tourismus finanziert, weswegen die dortige Regierung die indische bzw. "Hindu-Renaissance" auf der Insel auch ganz pragmatisch als kulturelles Kapital versteht, durch das der Tourismus aus dem "Mutterland" Indien deutlich zunehmen kann, was tatsächlich in den Folgejahren der Fall war. Die Visualisierung der "indischen Kultur" hat seither auf Reunion deutlich an Bedeutung gewonnen (vgl. Sugimoto 2002).
Auf der anderen Seite lassen sich innerhalb der Post-Indenture-Gemeinschaften gegenwärtig ebenfalls Fragmentierungsprozesse feststellen, die deutliche Analogien zu den Entwicklungen innerhalb der indisch-diasporischen Gemeinschaften in Ländern wie den USA oder Großbritannien aufweisen. Insbesondere auf Mauritius ist zu beobachten, dass jede politische, kulturelle und religiöse Entwicklung in Indien einen mehr oder weniger starken Widerhall in der indo-mauritischen Bevölkerungsmehrheit findet und die Selbstwahrnehmung der jeweiligen Gemeinschaften indischer Herkunft ("Bhojpuri speakers", Tamilen, Telugus, Gujaratis, Muslime etc.) teilweise sehr stark beeinflussen kann.[4]
Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Situation der Diaspora weniger durch den bloßen Zustand von Migration oder Flucht als vielmehr durch die Einstellung von Individuen und Gruppen bestimmt und bestimmbar wird. In ihr werden Formen von politischer und identitätsbezogener Zugehörigkeit zu einem tatsächlichen oder vorgestellten Ursprungsland kultiviert und diese Verbindung wird wiederum für Prozesse der kollektiven Identitätsbildung relevant gemacht, die nicht statisch sind, sondern vielfältigen Wandlungsprozessen unterliegen können.
In diesem Zusammenhang ist die Frage bedeutend, welche identitäts- und geschichtspolitische Strategie das "offizielle" Indien in jüngster Vergangenheit gegenüber der indischen Diaspora verfolgt hat. Zunächst ging die BJP-geführte Koalitionsregierung bis zum Regierungswechsel 2004 davon aus, dass der territoriale Bezug aller indischen Migranten zu ihrem Herkunftsland ungeachtet der räumlichen und zeitlichen Distanz unverändert stark ausgeprägt bleibe. Beispielhaft kommt diese Einstellung in einer Rede zum Ausdruck, mit der der ehemalige Premierminister A.B. Vajpayee Anfang 2001 die Inaugurationsfeier der International Convention of the Global Organisation of People of Indian Origin in Neu-Delhi eröffnet hat:
Today, there are nearly 20 million people of Indian origin living in almost every corner of the world. Rare is the country where you will not come across people of Indian origin. They have adopted foreign shores as their own. But neither the passage of time nor the distance between their ancestral land and their new homes has been able to sever the umbilical cord between Mother India and her children abroad (Online-Publikation der GOPIO).
Das heißt, der territoriale Bezug zum Herkunftsland bleibt nach Ansicht Vajpayees unverändert stark, ganz gleich, wie groß die raumzeitliche Distanz ist, wofür er die denkbar stärkste Metapher einer unzertrennbaren Nabelschnur zwischen "Mutter Indien" und ihren "Kindern" in Übersee verwendet. In derselben Rede spricht Vajpayee auch von der einen indischen Odyssee, in der sämtliche Migrationswellen des 19. und 20. Jh. lediglich Teilbewegungen darstellen und die für ihn demnach ein nahezu überzeitliches und a-historisches Phänomen bildet.
Was erwartete die indische Wirtschaft und Politik zu Zeiten der National Democratic Alliance von diesen "Kindern, die in die Welt gezogen" sind? Dazu sagt Vajpayee weiter unten in der zitierten Rede an die Global Organisation of People of Indian Origin:
Many of you owe your current success to the quality education which you have received in Government run institutions, be they Indian Institutes of Technology or medical colleges. You now owe it to your motherland to associate yourself with India's search for rapid and enduring social change and economic progress.
I would like to emphasise that we do not merely seek investment and asset transfer. What we seek is a broader relationship - in fact, a partnership among all children of Mother India so that our country can emerge as a major global player. We value the role of people of Indian origin as unofficial ambassadors providing a link between India, and the rest of the world.
In dieser Perspektive erscheinen die Migranten indischer Herkunft als eine essenzielle menschliche "Ressource", die die indische Wirtschaft und Politik für sich nutzbar machen wollen. Entsprechend wurde mit der Einführung der so genannten Persons of Indian Origin (kurz: PIO) Card zugleich die neue Kategorie der "Overseas Citizen" proklamiert, durch die bislang bestehende Rechts- und Statusunterschiede eingeebnet werden sollten. Zur Antragstellung berechtigt sind PIOs, die entweder schon einmal die indische Staatsangehörigkeit hatten oder nachweislich höchstens in vierter Generation Nachkommen eines/einer gebürtigen Inders/Inderin sind.[5]
Eine PIO Card ist 20 Jahre lang gültig, wofür jedoch eine relativ hohe Bearbeitungsgebühr von 1000 US-Dollar zu entrichten ist. Die indischen Behörden vermitteln dies als "lohnende Investition", da die Inhaber einer PIO Card dafür schließlich 20 Jahre lang beliebig oft ohne Visum in Indien einreisen könnten. Halten sich PIOs aber länger als 180 Tage lang in Indien auf, so müssen sie sich dennoch rechtzeitig beim Foreigner Registration Office des jeweiligen Bezirks melden.
Die Inhaber von PIO Cards werden vor allem in der Hinsicht mit den Non-Resident Indians (NRIs) gleichgestellt, dass sie bei finanziellen Transaktionen, generell im Wirtschaftsleben und in den modernen Bildungseinrichtungen die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie etwa indische Besitzer einer US-amerikanischen Green Card erhalten. So wie es zuvor bereits für die Kinder von NRIs üblich war, können jetzt also auch die Kinder von PIOs besondere Quotenregelungen für Studienplätze in Anspruch nehmen und müssen sich nicht im Rahmen der gesamtindischen Auswahlverfahren um die knappen Plätze bewerben und qualifizieren (vgl. Kantowsky 2002).
Diese "überseeische Staatsbürgerschaft" schließt jedoch keine politischen Rechte mit ein, die einen im Sinne der öffentlichen Belange handelnden "Bürger" eigentlich auszeichnen.
Doch lässt sich das Selbstverständnis der Non-Resident Indians (NRIs) und PIOs überhaupt auf die Rolle eines "verlängerten Arms" der indischen Politik und Wirtschaft reduzieren? Sicher nicht, denn insbesondere den hindunationalistisch ausgerichteten Verbänden in den USA ging und geht es keinesfalls nur darum, für Indiens Interessen in der Welt einzutreten, sondern sich dadurch, dass sie auf eine "starke Herkunftsnation und -kultur" verweisen können, gleichermaßen eine größere Anerkennung und politische Einflussmöglichkeiten in der US-Gesellschaft zu sichern. Die in den USA lebende Ethnologin Prema Kurien hat hierfür die pointierte Formel "becoming American by remaining Hindu" geprägt.
Die forcierte Identitätspolitik der indischen Politik und Wirtschaft traf und trifft durchaus auch auf heftigen Widerstand, da sich längst nicht alle Menschen indischer Herkunft selbst als "Overseas Citizen" oder "Overseas Indians" bezeichnen würden. Eine besonders interessante Gegenbewegung stellt in diesem Zusammenhang das Projekt der Coolitude[6] dar, das 1992 von dem indo-mauritischen Schriftsteller Khal Torabully ins Leben gerufen wurde und mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum eine größere Beachtung erfährt.
Der Entstehungskontext der Coolitude ist vor allem durch das Bewusstsein eines "Geschichtsdefizits" gekennzeichnet, das Anfang der 1990er Jahre erstmals innerhalb der Post-Indenture-Gemeinschaften artikuliert wurde. Weder die äußerst qualvolle Überquerung des indischen Ozeans, der als kala pani ("schwarzes Wasser") bezeichnet wird, noch die spezifische Sicht der Kontraktarbeiter auf ihre Situation spiegelten sich in den bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Geschichtsnarrativen wider. Aus dieser Realisierung eines Verlusts ihrer Geschichte ist wiederum das literarische und historiografische Projekt der Coolitude hervorgegangen.
The coolie was never the passive instrument of the colonialist imagination or the historian's pen. The coolie was not forever condemned to be famine victim, dully toiling with the hoe, helpless to eradicate the burden of a momentary hunger. The indenture experience was not static and the coolie's adjustments and aspirations carried a first-generation of migrants forward, beyond the indenture contract, towards the hopes of prosperity, ownership and return. For many years, ‘coolie' was a symbol of economic degradation and social submissiveness, and the descendants of coolies felt themselves to be equally stigmatized, exoticized and ostracized. The reclamation of the ‘coolie' and the transformation of the indenture heritage is an ongoing process (Carter/Torabully 2002:117).
Das erklärte Ziel der Coolitude-Bewegung ist die Erfassung der distinkten Merkmale der Arbeitsmigration, die moderne Nationen wie Mauritius, Trinidad und viele andere entscheidend geprägt oder zumindest stark beeinflusst hat. Auf diese Weise soll ein eigenständiges Gedächtnis der Post-Indenture-Gemeinschaften begründet werden, das jenseits partikularer oder kollektiver Identitätsbildungen vielmehr jenen historischen Gemeinsamkeiten Geltung verschafft, die primär auf den Erfahrungen der Migration und des kulturellen Kontakts basieren. Darin wird zugleich das Bemühen erkennbar, endlich den historischen Antagonismus zwischen den beiden Gemeinschaften zu überwinden, die aus dem System der Sklaverei und dem nachfolgenden System der Indenture hervorgegangen sind.
Es scheint also längst nicht mehr zu genügen, die indische Diaspora in den Plural zu setzen, um ihrer Vielfältigkeit gerecht zu werden. Selbst die Unterstellung einer "diasporischen Identität" an sich, wie generell jegliche von außen erfolgende Zuordnung zu Kategorien wie "Global Indians" oder "Overseas Citizen", müsste streng genommen mit einem Fragezeichen versehen werden, wie folgendes Zitat von Patricia Mohammed exemplarisch verdeutlicht:
I start from the viewpoint of a "diasporic Indian", the term constituted by the sending country and a term with which I have some difficulty. [M]ost Indians born in Trinidad or the West Indies, like myself, would not accept the label "overseas Indian" or "Indians abroad" even while they would affirm an ethnic and filial relationship to India (Mohammed 2002:231).
Was beide Gruppen dennoch verbindet - jene, die sich nicht unter der diasporischen Identität einer "basic Indianness" subsumieren lassen wollen und auf der anderen Seite all jene, die sich bewusst als Teile der indischen Diaspora verstehen - ist die Tatsache, dass sie gleichermaßen relevant für die Diskussion der kommunikativen und kulturellen Folgen von Globalisierungsprozessen wie der Arbeitsmigration sind.
[1] Gegen Anfang des 19. Jahrhunderts lebten beispielsweise rund 1.500 Inder in Maskat (Oman) und mehr als 4.000 in Sansibar.
[2] Dabei beziehe ich mich vor allem auf die Publikationen von Vertovec (1991), van der Veer (1995), Eisenlohr (2002b), Jacobsen/Kumar (2004), Lal (1998), Northrup (1995), Hase (2002), Peach (1994) und Mann (2003, 2004).
[3] Betrug der Frauenanteil unter den indischen Kontraktarbeitern auf Mauritius 1843 nur 13 Prozent, so waren es in den 1860er Jahren bereits 40 Prozent, in manchen "Zuckerkolonien" lag ihr Anteil sogar darüber. Die Situation weiblicher Kontraktarbeiterinnen war besonders schwierig, da sie häufig als "Witwen" oder "Prostituierte" betrachtet wurden. Sie wurden einem sehr rigiden Arbeitsregiment unterworfen und waren oftmals der sexuellen Ausbeutung durch Pflanzer, Aufseher, "Kollegen" und "Partner" ausgeliefert. Eine eigene Gesetzgebung zur Erhöhung des Anteils von Immigrantinnen nach Mauritius hatte für die Frauen äußerst negative Folgen, da sie den Männern weitgehende Rechte zur Kontrolle über ihre Ehefrauen einräumte. Vgl. Carter (1994).
[4] Vgl. etwa zum Zusammenhang von Sprache und Identitätsbildung auf Mauritius Eisenlohr (2002a), zu gegenwärtigen Islamisierungsprozessen Jahangeer-Chojoo (2002) und zur Frage der tamilischen Identität auf Mauritius Link (2002).
[5] Ausgenommen hiervon sind BürgerInnen aus dem heutigen Pakistan und Bangladesch.
[6] Ähnlich wie im Diskurs der Négritude erfährt der diskriminierende Begriff des "Kuli" hier in seiner historischen Bedingtheit eine Anerkennung und wird in einem selbstbewussten Sinne verwendet. Das Konzept der Coolitude ist zwar an das der Négritude angelehnt, lehnt jedoch jeglichen Ethnozentrismus ab. Vgl. Carter/Torabully (2002).
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