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Gegen 4 Uhr morgens beginnt die Maschine ihren Landeanflug auf Mumbai ― das Lichtermeer der Metropole erstrahlt auf allen Seiten, einer Stadt, die seit Jahrhunderten so viele Religionsgemeinschaften beherbergt wie kaum eine andere auf der Welt. Rund 14 Millionen Einwohner soll Indiens größte Stadt und Regierungssitz des Bundesstaates Maharashtra mittlerweile zählen, die gesamte Agglomeration gar über 21 Millionen. Mumbai heißt die Metropole an der Küste des Arabischen Meeres heute. 1995 erfolgte offiziell die Umbenennung von Bombay in Mumbai. Der alte Name Bombay ― der jedoch auf den Straßen immer noch zu hören ist ― ist die anglisierte Form des portugiesischen Bom Baía (gute Bucht) und bezeichnete ursprünglich eine der sieben Inseln, die vom 17. bis zum 19. Jahrhundert durch umfangreiche Landgewinnungsmaßnahmen zu einer großen Insel (im 20. Jahrhundert kamen zwei weitere hinzu) verbunden wurden. Mumbai entstammt der Landessprache Marathi und leitet sich von Mumba Ai oder Maha Amba (große Mutter – Schutzgöttin der autochthonen Koli-Fischer) ab. Zur Umbenennung kam es auf Betreiben der Shiv Sena, einer rechtsgerichteten Partei, die seit ihrer Gründung 1966 für Vorrechte der Marathen gegenüber Zuwanderern aus anderen Landesteilen eintritt und sich seit den 1970er Jahren verstärkt dem Hindunationalismus (Hindutva) zuwandte. Zwischen 1985 und 1992 und wieder seit 1995 stellt sie den Bürgermeister Mumbais. Auch eine Reihe von Einrichtungen wurden nach dem bedeutenden Marathenführer Shivaji aus dem 17. Jahrhundert benannt, darunter der Flughafen (Chhatrapati Shivaji International Airport), der frühere Victoria Terminus (Chhatrapati Shivaji Terminus), einer der größten Bahnhöfe der Welt, und das ehemalige Prince of Wales Museum (Chhatrapati Shivaji Maharaj Museum), des Weiteren zahllose Straßen und Plätze.
Mumbai ist Indiens Finanzhauptstadt und ein Schmelztiegel verschiedenster Religionen und Lebensweisen. Die Stadt beherbergt sie alle, doch demonstrierten die Mumbai Attacks vom 26. November 2008 wieder einmal die Verletzlichkeit der Symbiose – ja, eine Symbiose ist es trotz allem immer noch. Bereits im Winter 1992/93 hatten die so genannten Bombay Riots offenbart, dass die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus kolonialzeitlichen Vermächtnissen resultierende Fragmentierung der indischen Gesellschaft entlang religiösen Zugehörigkeiten selbst in Indiens kosmopolitischster Stadt eine Rolle spielen kann. In den Jahren 1998, 2002, 2003 und 2006 kam es immer wieder zu Bombenanschlägen in Mumbai. Zuletzt meldete die Times of India im März 2010 eine Terrorwarnung. Wenige Tage später wurden zwei junge ortsansässige Muslime mit angeblichen Verbindungen nach Pakistan festgenommen, die Attentate in der Stadt geplant haben sollen.
Gut 67 Prozent der Einwohner von Greater Mumbai sind Hindus. Die Muslime bilden die größte religiöse Minderheit mit über 18 Prozent, stellen in einigen Vierteln wie Dongri, Mahim oder den Basarvierteln Kalbadevi und Bhuleshwar jedoch die Mehrheit. Ein von Muslimen und auch Nichtmuslimen besuchtes Heiligtum ist der Haji Ali Dargah, ein Schrein im Stadtteil Worli, der als kleine Insel im Meer liegt und nur durch eine Dammbrücke mit dem Land verbunden ist. Der Legende nach war Haji Ali Shah Bukhari ein wohlhabender Kaufmann, der all seinen weltlichen Reichtum aufgegeben hatte, bevor er zur Pilgerfahrt nach Mekka aufbrach. Auf der Reise fand er den Tod, der Sarg mit seiner Leiche trieb jedoch auf wundersame Weise an den Ort, wo der Schrein dann 1431 erbaut wurde. Sein Grab im Inneren ist von einem reich bestickten Überwurf bedeckt, den die Gläubigen mit ihrer Stirn berühren, um den Segen des Heiligen zu erbitten.
Die Muslime in Mumbai teilen sich in diverse Gruppierungen auf. Die meisten von ihnen sind Sunniten, wobei anders als in den nördlichen Teilen Indiens der Anteil der shafiitischen Rechtsschule aufgrund der Konkani-Muslime größer ist. Die Konkani-Muslime führen ihren Ursprung auf arabische Händler zurück, die bereits ab dem 8. Jahrhundert an der indischen Westküste ankamen (Konkan bezeichnet das Gebiet südlich von Mumbai bis Mangalore). Eine sich als ethnische Gruppe verstehende Minderheit unter den Sunniten sind die überwiegend der hanafitischen Rechtsschule angehörenden Memon (von arab. mu’min = Gläubiger). Ihre Ursprünge liegen im Dunkeln. Nach verschiedenen, jedoch sich ähnelnden Überlieferungsversionen sind sie die Nachkommen der aus Iran und Afghanistan stammenden ethnischen Gruppe und Hindu-Kaufmannskaste der Lohanas, die zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert vom Hinduismus zum Islam übertraten und von Sindh nach Kutch und Gujarat emigrierten. Eine weitere Version besagt, dass die Memon arabische Vorfahren haben, die sich im 8. Jahrhundert in Sindh niederließen. Die Memon waren traditionell Händler und sind auch heute noch oft Geschäftsleute oder haben sich im humanitären Bereich Verdienste erworben. Mittlerweile haben sie sich auch mit anderen muslimischen Gruppen vermischt, wobei manche aber immer noch an der alten Praxis, nur innerhalb der eigenen Gemeinschaft zu heiraten, festhalten.
Unter den schiitischen Muslimen fallen schon allein äußerlich die Dawudi-Bohras auf. Die Frauen tragen ein burqa-ähnliches zweiteiliges Gewand, rida genannt, wobei der Gesichtsschleier in der Regel auf den Kopf zurückgeschlagen ist und das Gesicht frei lässt. Die Kleider sind in Pastellfarben gehalten, mintgrün, rosa, cremefarben, hellblau, und mit reichen Stickereien versehen. Die Männer tragen weiß, ein knielanges Hemd (kurta) über einer lockeren Hose und darüber mitunter einen leichten Übermantel (sherwani) sowie eine Kappe. Dieser Dress Code ist allerdings eine Neuerung aus den 1980er Jahren, die vom gegenwärtigen Führer der Bohras, Muhammad Burhanuddin, als Identitätsmerkmal verfügt wurde. Die Dawudi-Bohras sind eine siebenerschiitische (ismailitische) Splittergruppe, deren Ursprünge im fatimidischen Ägypten des 11. und 12. Jahrhunderts liegen. Traditionell lebten die indischen Ismailiten in Gujarat und waren vor allem Händler. Daher rührt auch der Name Bohras, von Gujarati vohorvu (= dt. handeln). Sie selbst nennen sich jedoch Fatimiden. Ihre Zahl wird in Indien auf gut eine halbe Million geschätzt, die größte Gemeinde gibt es heute in Mumbai. Viele von ihnen leben in den Quartieren um den Bhindi-Basar, wo auch das Raudat Tahera-Mausoleum steht, ein im fatimidischen Stil errichteter weißer Grabbau für den 1965 verstorbenen Vorgänger Burhanuddins. Allerdings geht ein Riss durch die Bohra-Gemeinden: Schon in den 1920er Jahren bildete sich eine Opposition gegen die quasi absolute Macht ihres Führers, der unliebsame Gemeindemitglieder mit der Exkommunikation belegen darf, was diese auch sozial und ökonomisch isolieren kann. Doch Mumbai ist groß und multikulturell, so dass auch die Dissidenten der Bohras wie der bekannte Reformgelehrte und Aktivist Asghar Ali Engineer nicht mundtot zu kriegen sind.
Eine weitere ismailitische Splittergruppe sind die Khojas, die teils durch von Iran aus betriebene Missionierung im Gebiet des heutigen Pakistan sowie in Gujarat entstanden zu sein scheinen. Unter den Bekehrten befanden sich ebenfalls Lohanas, die den Titel Khoja erhielten, der dann zur Allgemeinbezeichnung wurde. Der bedeutendste Missionar, Pir Sadruddin (15. Jh.), machte weitreichende Zugeständnisse an hinduistische Vorstellungen, so dass die religiösen Lehren stark synkretistisch geprägt sind. Seit dem 19. Jahrhundert erkennen die Khojas den Agha Khan als ihr Oberhaupt an, haben aber in ihren Glaubensinhalten sowie in kultischer und organisatorischer Hinsicht viele ihrer Eigenheiten bewahrt. Auch sie gehen vor allem kaufmännischen Berufen nach.
Fast vier Prozent der Bevölkerung Mumbais sind Christen. Die meisten leben in den Stadtteilen Bandra, Byculla, Mazagaon und Colaba. Nach indischen christlichen Überlieferungen soll das Christentum durch den Apostel Thomas bereits im 1. Jahrhundert im südindischen Kerala eingeführt worden sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Christentum im 4. Jahrhundert mit dem mesopotamischen Kaufmann und Missionar Thomas Cana nach Südindien gelangte. Unter den diversen christlichen Konfessionen, die heute in Indien vertreten sind, stellt die römisch-katholische Kirche einschließlich unierter Ostkirchen die Mehrheit. Der Katholizismus verbreitete sich insbesondere in Südindien seit dem frühen 16. Jahrhundert durch portugiesische Missionare. Vor allem in Bandra stößt man immer wieder auf portugiesische Friedhöfe und Kirchen; die ehemalige Insel Salsette, auf der Bandra liegt, blieb nämlich noch bis ins späte 18. Jahrhundert portugiesisch. Die dortige Basilica of Mount Mary wird nicht nur von Christen aufgesucht, sondern auch Anhängern anderer Religionen und ist bekannt für eine spezielle Praxis des Volksglaubens: Stände vor der Kirche bieten allerlei aus Wachs geformte Gegenstände an, Häuser, Autos, Babys und alle möglichen Körperteile wie Beine, Wirbelsäulen, Mägen, Zähne usw. Diese stehen symbolisch für Wünsche oder einen erkrankten Körperteil und werden von den Gläubigen unter den Altar gelegt. Maria, so der Glaube, werde die Gebete erhören und den Wunsch erfüllen oder Heilung verschaffen.
Die zweitgrößte christliche Gruppe stellt die Church of South India, die eine Union anglikanischer und protestantischer Kirchen Südindiens ist. Diese Kirchen entstanden durch britische Missionierung seit dem 17. Jahrhundert. Als ältestes britisches Bauwerk in Mumbai gilt die anglikanische, im neoklassischen und neogotischen Stil gehaltene St Thomas’ Cathedral im Stadtteil Fort ganz in der Nähe des Horniman Circles, in der auch heute noch Gottesdienste stattfinden. Ihr Bau wurde 1676 vom damaligen britischen Gouverneur Gerald Aungier begonnen, vollendet wurde er jedoch erst 1718.
Erst Mitte des 20. Jahrhunderts entstand in Mumbai auch eine nennenswerte Gemeinde syrisch-orthodoxer Christen. Obwohl sie die älteste Kirche in Indien ist, blieb sie bis in die jüngere Neuzeit auf ihr traditionelles Gebiet in Kerala beschränkt. Erst durch Arbeitsmigration ließen sich syrisch-orthodoxe Christen auch in anderen Landesteilen nieder. Seit den 1930er Jahren ist die Kirche aufgrund von Streitigkeiten um die Anerkennung von Autoritäten gespalten in die dem syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochia unterstehende Malankara Jakobitisch-Syrisch-Orthodoxe Kirche und die autokephale Malankara Orthodox-Syrische Kirche.
Die Anschläge im November 2008 trafen auch eine jüdisch-orthodoxe Einrichtung, das Chabad House (ehemals Nariman House) in Colaba, wo sechs Menschen getötet wurden. Die jüdische Gemeinde zählt zu den kleinsten religiösen Minderheiten in Mumbai. Heute gebe es in ganz Indien nur noch etwa 5.000 Juden, da die meisten nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 nach Israel und in westliche Staaten ausgewandert seien, erzählt mir der freundliche alte Herr in der Keneseth Eliyahoo-Synagoge im Viertel Kala Ghoda, gut 1.500 Juden lebten heute in Mumbai. Zum Gottesdienst am Freitagabend bekäme man aber immer noch die zehn obligatorischen Männer zusammen, hier und auch in der Magen David-Synagoge in Byculla, die gerade mit Geldern aus Israel restauriert wird.
Ein Teil der Mumbaier Juden gehört zu den Marathi sprechenden Bene Israel, die schon im 2. vorchristlichen Jahrhundert vor der Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels an die indische Westküste gekommen sein sollen und über Jahrhunderte keinen Kontakt zu anderen jüdischen Gemeinden hatten, weshalb ihnen manche jüdische Riten wie das Chanukka-Fest nicht bekannt waren. Eine religiöse Neubelebung erfuhr ihre Gemeinde mit der Ankunft der sogenannten Bagdader Juden (Baghdadi Jews) seit dem 18. Jahrhundert. Anders als ihr Name vermuten lässt, stammten sie nicht nur aus dem Irak, sondern auch aus dem Jemen, Syrien, Iran und Afghanistan und waren aus politischen oder ökonomischen Gründen nach Indien gekommen. Zu beträchtlichem Reichtum brachte es der 1793 in Bagdad geborene David Sassoon, der 1833 in Bombay ankam und bald zu einem äußerst erfolgreichen Geschäftsmann aufstieg. Unweit der Keneseth Eliyahoo-Synagoge in der Mahatma Gandhi Road liegt die im gotischen Stil erbaute David Sassoon Library, ehemals das Bombay Mechanics Institute, die vor allem historische Bücher beherbergt.
Doch Mumbai hat noch eine weitere, neue jüdische Gemeinde: die Bnei Menashe, die aus den nordöstlichen indischen Bundesstaaten Manipur und Mizoram stammen und ihre Abkunft vom Stamm Manasseh, einem der zehn verlorenen Stämme Israels behaupten. Die tibetoburmanische Sprachen sprechenden Bnei Menashe wurden im 19. und 20. Jahrhundert von animistischen Vorstellungen zum Christentum bekehrt. 1951 träumte ein Mann, dass die ursprüngliche Religion seines Volkes das Judentum sei, und fand mehr und mehr Anhänger. Eine Reihe religiöser Rituale und Liedtexte soll auffallende Parallelen zu jüdischen Bräuchen und Gesängen aufweisen, was aus rein wissenschaftlicher Sicht umstritten bleibt. 2005 wurden die Bnei Menashe vom sephardischen Oberrabbiner in Israel, Shlomo Amar, als Teil des verlorenen Stammes Manasseh anerkannt, so dass sie nach einer vollständigen Konversion zum Judentum nach Israel immigrieren dürfen. Im Stadtteil Worli werden junge Bnei Menashe derzeit von der jüdischen Organisation for Educational Resources and Technological Training betreut und auf ihre Auswanderung nach Israel durch religiöse Unterweisung, aber auch Berufsausbildungen vorbereitet.
Ebenfalls eine zahlenmäßig kleine, doch im Stadtbild in Form von Straßennamen und Denkmälern außerordentlich präsente Minorität bilden die Parsen, die auch deutliche Spuren in der indischen Wirtschaftsgeschichte hinterlassen haben. So wurde die heute größte Unternehmensgruppe Indiens, die Tata-Gruppe, die u.a. im Bereich von Fahrzeugbau, Energieversorgung, Kommunikationstechnik und Dienstleistungen tätig ist, 1870 von Jamshedji Nasarwanji Tata (1839-1904) gegründet. Er ist auch der Erbauer des 1903 fertig gestellten, im indisch-gotischen Stil gehaltenen Taj Mahal-Hotels, das gegenüber des Gateway of India steht. Der Bau war motiviert durch eine Erfahrung Tatas mit damaligem britischem Rassismus: Ihm war als Inder der Zutritt zu einem britischen Hotel verweigert worden. Als Parsen werden die seit Jahrhunderten auf dem indischen Subkontinent ansässigen Zoroastrier bezeichnet. Der monotheistische Zoroastrismus entstand im 2. Jahrtausend v. Chr. im zentralasiatisch-iranischen Raum. Die ersten Zoroastrier, die nach Indien, v.a. nach Gujarat, kamen, scheinen zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert aus Iran aufgrund ihrer sich unter muslimischer Herrschaft verschlechternden Lage emigriert zu sein. Zu einer weiteren Auswanderungswelle von Iran nach Indien kam es im 19. Jahrhundert. Diese Zoroastrier, die sich sprachlich und kulturell von den früheren Ankömmlingen, die Gujarati (sofern nicht Englisch) sprechen, unterscheiden, werden Iranis genannt.
Als im 17. Jahrhundert fünf der Inseln der Guten Bucht britisch wurden, kamen auch Parsen an, um Handel zu treiben. Bereits in den 1670er Jahren wurde in Malabar Hill der erste Turm des Schweigens (dakhma) erbaut. Als Türme des Schweigens werden die zoroastrischen Bestattungsorte bezeichnet, wo die Körper der Toten ausgelegt werden, damit Raubvögel das Fleisch auffressen. Erde und Feuer gelten wie Luft und Wasser als heilige Elemente, die nicht verunreinigt werden dürfen. Doch heute haben die Parsen ein Problem mit der Bestattung: Wahrscheinlich aufgrund eines Medikaments, mit dem Rinder behandelt werden, kam es zu einem Geiersterben in Indien. Nun sollen Sonnenreflektoren die Verwesung der Leichen beschleunigen; ebenso wird die Zucht von Geiern diskutiert.
Im 18. und 19. Jahrhundert machten etliche parsische Familien ein Vermögen in Bombay, gründeten karitative Einrichtungen, Schulen, Krankenhäuser und profilierten sich in künstlerischen Berufen und indischer Politik. 48 Feuertempel existieren bis heute in Mumbai und näherer Umgebung. Und immer noch gibt es rein parsische Wohnsiedlungen wie den 1934 errichteten exklusiven Cusrow Baug inmitten von Colaba. Aber nicht nur mit den Bestattungen haben die Parsen heute Schwierigkeiten, sondern auch mit dem Weiterbestand ihrer Gemeinde überhaupt: Nur noch höchstens 70.000 Parsen soll es in ganz Indien geben, die meisten davon in Mumbai. Dies liegt neben einer niedrigen Geburtenrate hauptsächlich daran, dass man nach vorherrschender Meinung nur Parse ist, wenn dies auch beide Elternteile sind, wodurch auch nicht parsischstämmige Zoroastrier eben nicht als vollwertige Parsen anerkannt werden. Selbstverständlich sorgt dies schon seit längerem für Diskussionen innerhalb der Gemeinde. Solange es jedoch keine allgemein anerkannte Öffnung gibt, bleibt zu befürchten, dass die Parsen bald gänzlich verschwinden werden.
Geht man in eines der zahllosen vegetarischen Restaurants der Stadt, entdeckt man bei manchen Gerichten die Bemerkung "also for Jains". Die Jains stellen in Mumbai einen Bevölkerungsanteil von rund vier Prozent. Der Jainismus wurzelt im Brahmanismus, dem Vorläufer des Hinduismus, und wurde wahrscheinlich im 5. Jahrhundert v. Chr. von Mahavira begründet. Mahavira soll der letzte von 24 verehrten Asketen, sogenannten tirthankars, gewesen sein. Im Jainismus stehen sich Geistiges und Ungeistiges gegenüber. Zu Letzterem zählt Stoffliches, worunter neben Menschen und Tieren auch Pflanzen und Wasser fallen. Neben Wahrhaftigkeit und Unabhängigkeit von unnötigem Besitz nimmt Gewaltlosigkeit einen wichtigen Raum ein. Da auch Pflanzen Gewalt angetan werden kann, praktizieren die Jains einen speziellen Vegetarismus: Sie essen keine Wurzelgemüse wie Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln, Knoblauch u.ä., da die Knolle keimen kann und zudem beim Herausziehen Kleinstlebewesen sterben.
Auch die Mumbaier Jain-Gemeinde stammt hauptsächlich aus Gujarat und widmet sich seit ihrer Etablierung Ende des 18. Jahrhunderts vor allem dem Handel und Bankgewerbe, dies traditionell, da Landwirtschaft oder militärische Dienste das Tötungsverbot missachten. Ähnlich wie die Parsen und Juden gelangten viele von ihnen zu einem beträchtlichen Vermögen und riefen soziale Einrichtungen ins Leben. Im ansonsten überwiegend muslimisch geprägten Basarviertel Bhuleshwar sind viele Juweliergeschäfte in der Hand von Jains. Drei besonders beeindruckende Jain-Tempel befinden sich in Walkeshwar (südlich von Malabar Hill), die wohlhabende Jains errichten ließen. Der älteste ist der 1904 erbaute Babu Amichand Panalal Adishwarji Jain Temple, ein besonders eindrucksvoller Tempel, dessen Eingang von zwei marmornen Elefanten gesäumt wird. Das Innere zieren Fresken und Ziselierarbeiten mit Szenen aus dem Leben der 24 tirthankars.
Obwohl der Buddhismus im 6. Jahrhundert v. Chr. in Indien entstanden ist, ist er dort schon seit Langem in eine Minderheitenposition geraten. Abgesehen von einigen kleinen Himalaya-Regionen begann der Buddhismus in Indien ab dem 12. Jahrhundert durch ein Erstarken des Hinduismus und durch die Verbreitung des Islams langsam zu verschwinden, so dass es Ende des 19. Jahrhunderts so gut wie keine Buddhisten mehr gab. Heute liegt der Anteil der Buddhisten in ganz Indien bei nur 0,8 Prozent, in Mumbai sind es allerdings über fünf Prozent. Eine Wiederbelebung erfuhr der Buddhismus im 20. Jahrhundert hauptsächlich durch die Buddhistische Dalit-Bewegung (Navayana). Dalits (Marathi wörtl. für "unterdrückt") ist die Selbstbezeichnung der sogenannten "Unberührbaren", worunter Angehörige der niedrigsten Kasten verstanden werden ("echt" Kastenlose gibt es eigentlich nicht). Eine wesentliche Rolle spielte dabei Dr. Bhimrao Ramji Ambedkar (1891-1956), nach dem in Mumbai auch eine große Straße benannt ist. Selbst in eine Dalit-Familie geboren, kämpfte er für die Gleichberechtigung der Dalits. Wenige Wochen vor seinem Tod trat er in Nagpur im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie gemeinsam mit ca. 388.000 anderen Dalits zum Buddhismus über. Seitdem folgten ihm Millionen von Dalits nach, vor allem in den Bundesstaaten Maharashtra und Uttar Pradesh. Doch auch Menschen aus Indiens neuer Mittelklasse haben sich dem Buddhismus zugewandt. Ähnlich wie in westlichen Industrienationen steigt die Zahl von Leuten, die vom Buddhismus vor allem durch die Meditationsformen angezogen werden, als Ausgleich zu einer mehr und mehr materialistisch bestimmten Umgebung. Der älteste buddhistische Tempel Mumbais ist der Nipponzan Myohoji-Tempel in Worli. Im 13. Jahrhundert hatte ein japanischer Mönch prophezeit, dass das Heil der Menschheit in Westindien liege. 1931 kam der japanische Mönch Nichidatsu Fuji nach Bombay, um die Weissagung zu erfüllen. Er ließ einen kleinen Tempel errichten, der 1956 neu erbaut wurde und an den sich eine karitative Einrichtung mit einer Schule für bedürftige Kinder anschließt. Ganz im Norden von Mumbai auf dem Terrain des Sanjay Gandhi-Nationalparks liegen die Kanheri-Höhlen. Die 109 Höhlen wurden zwischen dem 1. vorchristlichen und 9. nachchristlichen Jahrhundert von buddhistischen Mönchen in den Fels gehauen, die ersten dienten als Übernachtungsplätze für reisende Mönche, später entstand ein ständig bewohntes Kloster.
Das europäische Indienbild nachhaltig geprägt haben die aus dem Punjab stammenden Sikhs, was im Grunde paradox ist, da gerade das typische Äußere der Männer – Turban, Bart und Armreif – ursprünglich dazu diente, sich von den anderen Religionsgemeinschaften in Indien zu unterscheiden. Bhangra, an sich ein Volkstanz zum Erntedankfest im Punjab, wurde in ganz Indien populär und schaffte es in verpoppter Form bis in westliche Diskotheken. Bollywood (ein Kofferwort aus "Bombay" und "Hollywood"), Indiens größte, in Mumbai beheimatete Filmindustrie, hat die Sikhs auch jüngst als neues Milieu für ihre Filme entdeckt. Und Indiens derzeitiger Premierminister, Manmohan Singh, ist Sikh. Doch der Anteil der Sikhs an der indischen Bevölkerung beträgt lediglich knapp zwei Prozent, wovon die überwiegende Mehrheit in ihrem Ursprungsgebiet, dem Punjab, lebt. Die monotheistische Sikh-Religion wurde dort im 15./16. Jahrhundert von Guru Nanak (1469-1539) begründet und entstand aus der Ablehnung traditioneller gesellschaftlicher Hierarchisierungen nach religiöser, sozialer und geschlechtlicher Zugehörigkeit sowie der Zurückweisung religiöser Rituale. In Mumbai stellen die Sikhs nur knapp 0,6 Prozent der Einwohner. Sie kamen nach der Teilung Indiens auf der Suche nach neuen ökonomischen Möglichkeiten und sind in diversen Berufen vertreten. Gurdwaras, wie die Sikh-Tempel, zu denen auch Speise- und Schlafsäle sowie Bibliotheken gehören, heißen, befinden sich in verschiedenen Stadtteilen Mumbais und sind für alle zugänglich.
Mumbai war seit den Anfängen seiner Gründung eine multireligiöse Stadt. Anders als die Portugiesen hatten die Briten eher wenig Interesse an religiöser Missionierung, dafür umso mehr an der Prosperität des Handels. Die Anlegung städtischer Infrastruktur war das Verdienst des Gouverneurs Gerald Aungier (reg. 1672-77). Er ermunterte Kaufleute ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, nach Bombay zu kommen. 1687 kam es dann auch tatsächlich zur Verlegung des Hauptsitzes der East India Company von Surat (in Gujarat) nach Bombay. Bis heute darf Mumbai sicherlich als Indiens multikulturellste Stadt gelten. Läuft man die Shahid Bhagat Singh Marg (ehemals Colaba Causeway), eine belebte Geschäftsstraße im Süden der Stadt, entlang, so liegen von Muslimen geführte Läden neben denen von Hindus, Jains oder Christen, wie die Namen auf den Schildern oder mitunter auch die Bekleidung der Inhaber verraten. Doch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Problem des Kommunalismus nach wie vor virulent ist. Die Anschläge der vergangenen Jahre scheinen auf das Konto islamistischer Gruppierungen zu gehen. Nicht zuletzt deshalb haben die Muslime einen besonders schweren Stand. Die Shiv Sena hat sich schon seit den 1970er Jahren an antimuslimischen Agitationen beteiligt und Hindus dazu aufgerufen, Moscheen zu zerstören, auf deren Boden zuvor angeblich Tempel gestanden haben. Die Loyalität der Muslime, so propagiert die Shiv Sena, gelte nicht Indien, sondern Pakistan, die hohen Geburtenraten der Muslime würden zu einer Verdrängung der Hindus führen.
Der nette ältere Herr in der Keneseth Eliyahoo-Synagoge, von mir auf die Problematik angesprochen, wiegelt ab: In Mumbai lebten alle Religionsgemeinschaften friedlich zusammen. Wahrscheinlich ist dies nur die halbe Wahrheit. Doch da bleibt noch die andere Hälfte: Mumbai ist auch immer noch Bombay. Für die Taxifahrer bleibt der Chhatrapati Shivaji Terminus einfach der Victoria Terminus und die Netaji Subhash Chandra Bose Marg schlicht der Marine Drive. Und bis heute hat Mumbai nichts von seiner Anziehungskraft für Menschen aus allen Regionen Indiens eingebüßt.
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