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17. Juni 2010. Analysen: Geschichte & Religion - Pakistan Populärislamismus in Pakistan

Politisierung des Religiösen, innerislamische Konflikte und Postislamismus

Pakistan ist ein islamischer Staat mit gegenwärtig geschätzten 170 Millionen Einwohnern, der von religiösen, ethnischen und regionalen Spannungen zerrissen wirkt. Bisweilen erstarken religiöse Extremismen, die häufig eine direkte Folge staatlicher Islamisierungspolitik sind, in Pakistan zu einem Maße, dass sie die Fundamente von Staat und Gesellschaft auszuhöhlen drohen. Radikale sunnitische Gruppen kämpfen gleichzeitig interne sektiererische ǧihāds, regionale ǧihāds in Afghanistan und Indien, neben einem globalen ǧihād gegen als westlich wahrgenommene Wirkmächte. Der folgende Artikel stellt die wichtigsten Strömungen des politisierten Islam in Pakistan vor, diskutiert Verbindungen zu ǧihādī-Gruppen und zeichnet nach, wie frühere Überpolitisierungen gegenwärtig den Etablierungserfolg postislamistischer Deutungen fördern, die mittlerweile im Trend des "Populärislamismus" beachtliche Teile der neuen islamischen Mittelschicht begeistern.

Bei einer Betrachtung dieser sektiererischen Bewegungen können institutionelle Strukturen und politische Dynamiken unterschieden werden. Bevor man solch strukturelle und dynamische Aspekte diskutiert, lohnt jedoch ein kurzer Blick auf die Mehrheitsverhältnisse in der pakistanischen Gesellschaft. Obgleich Pakistan die Heimat einer außerordentlich hohen Vielfalt an islamischen Identitäten, Gruppierungen und Bewegungen ist, stellt es sich aus politischer Motivation heraus als religiös homogenes Land dar und so gibt es keine offiziellen Datensätze zur sektiererischen Zugehörigkeit der Muslime Pakistans. Beim letzten Zensus 1998 zählten über 96 Prozent der Pakistanis als Muslime. Anhänger der 1889 in Qādīyān begründeten islamischen Reformbewegung der Aḥmadiyya gelten seit dem 21. September 1974 per Verfassungszusatz nicht mehr als Muslime, da sie die Endgültigkeit des Prophetentums Muḥammads nicht anerkennen. Die Aḥmadiyya bilden eine der am stärksten verfolgten religiösen Minderheiten in Pakistan.

Grob geschätzt sind von den Muslimen Pakistans etwa 75-80 Prozent der Bevölkerung Sunniten und etwa 15-20 Prozent Schiiten.  Die Sunniten unterteilen sich u. a. in Barelwīs (ca. 70 %), Deobandīs (ca. 20 %), Ahl-e Ḥadīṯ (ca. 5 %) und Wiedererweckte oder Modernisten, wie beispielsweise die Ǧamāʿat-e Islāmī des islamistischen Vordenkers Abū-l Aʿlā Maudūdī (1903-1979). Die Minorität der Schiiten untergliedert sich in Iṯnā ʿAšarī (Zwölfer-Schiiten), die die größte Fraktion bilden, und die Ismailiten (Siebener-Schiiten), die dem Āġā Ḫān folgen. Von den Ismailiten folgen die Dawūdī Bohras Burhān ad-Dīn und die Suleymānī Bohras Masʿud Salehbahī.

Nach diesem kurzen Blick auf die gesellschaftlichen Mobilisierungspotenziale sind ein paar Anmerkungen zu Strukturen der sektiererischen Kräfte zu entwickeln. Für einige islamische Bewegungen, wie der 1866 im nordindischen Deoband begründeten puristischen Reformbewegung des gleichen Namens, ist die Institutionalisierung durch Ausbildungseinrichtungen zentraler als für andere. Die sich ab 1880 um die Person des Aḥmad Riḍā Ḫān (1856-1921) in Bareilly formierende Gegenreformbewegung der Barelwīs stützte sich mehr auf pīrs, (Volksheilige) und deren Schreine (dargāhs), als auf Madrasas (arab. Madāris). Die Verteilung der Anhängerschaft in der Bevölkerung entspricht folglich nicht dem Anteil dieser Bewegungen an islamischen Ausbildungseinrichtungen, sodass die Bewegungen auch in unterschiedlichem Maße ʿulamāʾ, Gelehrte, hervorbringen. Mit Blick auf sektiererische Gewalt werden immer wieder Madāris als Mobilisierungsinstrumente militanter Bewegungen ausgemacht. Jamal Malik zeigt die Komplexität dieser verzerrenden Aufmerksamkeitsökonomien auf.

Beobachter schätzen, dass es gegenwärtig etwa 20.000 Madāris in Pakistan gibt. Andere Einschätzungen gehen von bis zu 50.000 Madāris aus. Die registrierten Madāris werden durch folgende Dachorganisation verwaltet:

Tabelle Dachorganisationen
Tabelle: Dachorganisationen Foto: Thomas K. Gugler

Der Etablierungserfolg der Madāris ist deutlich an staatliche Islamisierungspolitiken gekoppelt. In Pakistan gab es 1947 lediglich 137 Madāris, 1960 401 und 1971 893 Madāris.  Unter der Militärdiktatur von Ḍiyāʾ al-Ḥaq (1977-1988) hat sich die Anzahl der Madāris auf 1.745 mehr als verdoppelt und mit dem durch die USA und Saudi-Arabien finanzierten Ǧihād gegen die Sowjets in Afghanistan begann der Siegeszug der Koranstudenten- und Muǧāhidīn-"Fabriken" in Pakistan. Da zahlreiche Koranschulen nach 1979 gezielt als Kaderschmiede entweder für den Ǧihād erst in Afghanistan und dann in Kaschmir oder als Sunnī-Abschirmgürtel gegen den Iran nach der Islamischen Revolution 1979 gegründet wurden, sieht ein nach dem 11. September 2001 erlassenes Anti-Terror-Gesetz vor, dass alle Madāris staatlich registriert werden und unter einer der Dachorganisationen operieren. Dieses Gesetz wurde nie wirkungsvoll umgesetzt.

Tabelle Madaris
Tabelle: Madāris Foto: Thomas K. Gugler

Die Verzerrung durch die unterschiedlichen Foki der Reformbewegungen auf Madrasa-Institutionalisierung führt dazu, dass Deobandīs mehr ʿulamāʾ, d.h. auch mehr Literatur erzeugen und somit auch mehr polemische Schriften produzieren, von denen einige mittlerweile offiziell als "Hassschriften" gelten und illegal sind. Dies allein rechtfertigt nicht die häufig formulierte Schlussfolgerung, dass Deobandīs "radikaler" oder "militanter" seien als beispielsweise Barelwīs, die in zahlreichen Einführungen zur Muǧāhidīn-Mobilisierung in Pakistan als per se friedvoll vernachlässigt werden. Richtig ist, dass Barelwīs und Schiiten eine ideelle Nähe in zahlreichen rituellen Tätigkeiten verbindet, sodass der aus anderen Ländern bekannte Sunnī-Schia-Konflikt in Pakistan in der Regel ein Deobandī-Schia-Konflikt ist, wobei Ahl-e Ḥadīṯ Gruppen den Anti-Schia-Ǧihād bisweilen unterstützen. Der Deobandī-Schia-Konflikt wird häufig auch als Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien analysiert. Aber auch die Regierungen von Kuwait, Libyen und des Irak unter Saddam finanzierten militante Anti-Schia-Akteure in Pakistan. Der Großteil der Todesopfer sektiererischer Gewalt in Pakistan seit 1985 sind Zwölfer-Schiiten (Rana 2003 schätzt 70 Prozent).

1979 – Islamische Revolution im Iran und Ǧihād in  Afghanistan: Sunnaisierungspolitiken von Ḍiyāʾ al-Ḥaq, Reagan und Saud

Die dynamischen Aspekte der Entwicklungen militanter Bewegungen sind in der Regel in Zusammenhang mit staatlichen Islam- und Machtpolitiken zu verstehen. 1979 übernahm Ṣaddām Ḥusain die Macht im Irak und Āyatollāh Ḫomeinī im Iran. Am 22. September 1980 griff die irakische Armee Iran in einem als "Blitzkrieg" geplanten Angriff an, der als "erster Golfkrieg" (1980-1988) zu einem langem und verlustreichen Stellungskrieg ausartete. Dies internationalisierte den Sunnī-Schia-Konflikt. Die zunehmende Militanz der sektiererischen Elemente in Religion und Politik Pakistans explodierte geradezu mit dem Beginn des Ǧihāds in Afghanistan im Dezember 1979, der von den USA und dem Königreich Saudi Arabien zu gleichen Teilen massiv finanziert wurde.  Jimmy Carter (1977-1981) ordnete die CIA-Unterstützung an, Ronald Reagan (1981-1989) maximierte die Mobilisierungsbemühungen für die Muǧāhidīn gegen die Sowjets.  Allein die CIA zahlte etwa sechs Milliarden US-Dollar für den Ǧihād an den militärischen Geheimdienst Pakistans ISI (Inter-Services Intelligences) und organisierte zahlreiche Waffenlieferungsmissionen. Wie geschickt der ISI den Ǧihād koordinierte und die Bewaffnung abwickelte, ist eindrucksvoll festgehalten von Brigadegeneral Muḥammad Yūsuf, damaliger Leiter der Afghanistanabteilung im ISI. Etwa 30.000 ausländische Ǧihād-Begeisterte reisten nun nach Pakistan.

1979 begann einerseits der Ǧihād in Afghanistan, für den die Madāris mit staatlicher Unterstützung Kämpfer produzieren sollten. Andererseits verängstigte die "Islamische Revolution" im Iran die sunnitischen politischen Eliten Pakistans, so dass insbesondere an der Grenze zum Iran ein Abschirmgürtel radikal-sunnitischer Koranschulen aufgebaut wurde, um ein Übergreifen bzw. einen befürchteten Siegeszug des schiitischen Pan-Islamismus in Pakistan zu verhindern.

Mit der staatlichen Sunnaisierungspolitik in den frühen 1980ern entstanden zahlreiche neue sunnitische Koranschulen, vor allem in den Grenzgebieten Belutschistans - die Dynamik zeichnete eine Art Konkurrenzkampf zwischen Islamischer Revolution nach iranischem und pakistanischem Modell. Gleichzeitig gerieten verstärkt Schiiten in den Fokus radikal-sunnitischer Bemühungen, die bis heute in gewisser Weise in einer Kontinuität zu den Anti-Aḥmadiyya-Agitationen stehen, die 1974 staatlich anerkannt worden sind. Der Militärdiktator Ḍiyāʾ al-Ḥaq (1977-1988) sunnaisierte Verfassung und Rechtssprechung mit Deobandī und Ahl-e Ḥadīṯ ʿulamāʾ in einer Weise, die nicht nur Schiiten, sondern auch Barelwīs massiv diskriminierte. Ḍiyāʾ al-Ḥaqʾs Förderung der Deobandī-Orthodoxien vermischte sich effektiv mit den radikalen Ideen der Ǧihādī-Literatur aus Afghanistan, die nur leicht entschärft Einzug in das formale Bildungssystem fanden. Insbesondere diese Islamisierung der Bildungsinstitutionen erzeugte ein sektiererisches Massenbewusstsein, das die Einzugsbereiche der Koranschulen klar überschritt. Das staatliche Auqaf-Department, das als "fromme Stiftung" (arab. waqf, pl. awqāf) Umverteilungsprozesse aus Stiftungsgütern wie z.B. Grundbesitz zugunsten von Moscheen u.a. religiösen Wohlfahrtsinstitutionen abwickelt, bevorzugte Absolventen von den Schulen der Deobandi-Dachorganisation Wafaq al-Madāris. Dies führte dazu, dass Hunderte von Barelwī-Moscheen auf dem Verwaltungsweg "deobandisiert" wurden. Auch die staatlich regulierte Verteilung des zakāt förderte Deobandī und Ahl-e Ḥadīṯ Moscheen.

Sunnī-Schia-Beziehungen waren mit Ausnahme gelegentlicher Konflikte bei Muḥarram-Märschen (schiitischen Prozessionen zur Erinnerung des Martyriums des Ḥusain ibn ʿAlī) bis in die 1970er friedlich. Der pakistanische Staat war neutral, hatte bis in die späten 1970er keine sektiererische Agenda und erst der Versuch Ḍiyāʾ al-Ḥaqs ab 1979 den Vorrang der hanafitischen Rechtsschule (Ḥanafī fiqh) in der Verfassung vorzuschreiben, organisierte den Schia-Widerstand. Die sektiererische Landschaft Pakistans gebar nun den spendenfinanzierten Mullah, der fortan regelmäßig nach Saudi Arabien, Kuwait oder Irak reisen konnte und im dörflichen Pakistan mit bewaffneten Bodyguards zunehmend Einfluss auf Distriktverwaltungen aufbaute.

Mithilfe der Legitimität des afghanischen Ǧihād verwandelte Ḍiyāʾ al-Ḥaq Pakistan zum Zentrum eines US-finanzierten Sunnī-Islamismus, der der religiöse Nationalismus Pakistans werden sollte. Militante Sunnī-Bewegungen blühten auf und der Ǧihād in Afghanistan gab diesen leichten Zugang zu Waffen und quasimilitärischer Ausbildung. Iran eröffnete seinerseits Kulturzentren in allen größeren Städten Pakistans und pflanzt eine Art Pan-Islamismus in die Schia-Moscheen. Mit der Gründung der TNJF (Taḥrīk-e Nifāz-e Fiqh-e Ǧaʿfarīya, "Organisation zur Implementierung der Rechtsschule des Ǧaʿfar") durch Muftī Ǧaʿfar Ḥusain (1916-1983) 1979 in Bhakkar unterstrichen die Schiiten ihre Kritik an der staatlichen Sunniisierungspolitik Ḍiyāʾs. Die TNJF radikalisiert sich nach 1985.

Die erste militante Anti-Schia-Bewegung und zugleich die größte militante Deobandī-Bewegung ist die 1985 von Mawlānā Ḥaq Nawāz Ǧhangvī, dem stellvertretenden Vorsitzenden der JUI in Punjab, der aktiv bei den Anti-Aḥmadī Gesetzen 1974 mitwirkte, und anderen begründete SSP (Sipah-e Ṣaḥāba Pakistān, "Armee der Prophetengenossen in Pakistan"), die bis 1989 mit der JUI zusammenarbeitete. Der Name soll verdeutlichen, dass die Prophetengenossen vor Schia-Vereinnahmung und -Schmähung geschützt werden sollen. Sie war in etwa 1.200 Anschläge verwickelt und verfügt gegenwärtig über etwa 5.000 – 6.000 ausgebildete Aktivisten. Präsident und Armeechef Militärdiktator Ḍiyāʾ al-Ḥaq unterstützte die SSP in Punjab sowie die MQM in Sindh auch mit dem Interesse, gegen die populäre PPP (Pakistan People’s Party) der schiitischen Bhuttofamilie zu mobilisieren. Finanzielle Unterstützung bekam die SSP auch von den Saudis und anderen irankritischen Regierungen. Anschlagsziele waren zunächst Schia-Aktivisten, dann Symbolträger staatlicher Autorität, Lokalpolitiker, Diplomaten und Richter. Die Spirale der Vergeltungsmorde drehte sich rasch nach oben.

Die Ermordung Nawāz Ǧhangvīs 1990 führte zu schweren Auseinandersetzungen, u.a. wurde der iranische Diplomat Ṣidāq Ganǧī im selben Jahr in Lahore ermordet. 1992 bildete sich die TJP (Taḥrīk-e Ǧaʿfarīya-ye Pakistān, "Organisation der Anhänger der Rechtsschule des Ǧaʿfar in Pakistan") und 1994 die Sipah-e Muḥammad Pakistān ("Armee Muḥammads in Pakistan") unter Ġulām Riḍā Naqvī als schiitische Version der SSP um Schiiten zu schützen. TJP und SSP beteiligten sich als Parteien auch am Wahlkampf und bildeten Koalitionen mit der PPP bzw. PML (Pakistan Muslim League). In Jhang City erhielt die SSP 1993 über 46 Prozent der Wählerstimmen. Ramzī Yūsuf, Drahtzieher des Anschlags auf das World Trade Center 1993, soll sich ebenfalls innerhalb der SSP engagiert haben. 1997 wurde der damalige SSP-Anführer Ḍiyāʾ ar-Raḥman Farūqī zusammen mit 29 anderen im gleichen Monat wie der Ganǧī Nachfolger Muḥammad ʿAlī Raḥīmī bei einem Bombenanschlag getötet.  1996 spaltete sich der SSP-Ableger LJ (Laškar-e Ǧhangvī, "Armee Jhangs"), in der Namensgebung auf den ermordeten SSP-Anführer beziehend unter Leitung des ehemaligen Pressesprechers der SSP, Rīyāḍ Baṣra (1967-2002), ab, einerseits um wieder mit einer rein militanten Organisation unabhängig des politischen Referenzrahmens operieren zu können und andererseits eröffnete die Abspaltung der SSP die Möglichkeit Verwicklungen in Anti-Schia-Terroranschläge offiziell zu leugnen und deren Ideologie dennoch glaubwürdig zu vertreten.

Am 14. August 2001 und 12. Januar 2002 wurden die LJ, SSP, TJP und SMP vom damaligen Präsidenten Musharraf verboten. Rīyāḍ Baṣra wurde 2002 während eines Anschlags auf einen schiitischen Geistlichen in Multan im Kugelhagel getötet. Der Iran stoppte bereits 1996 die nunmehr als kontraproduktiv eingeschätzte Finanzierung schiitischer Milizen in Pakistan. Im selben Jahr wurde SMP-Anführer Ġulām Riḍā Naqvī inhaftiert. Seit 2005 gibt es verstärkt Anschläge von Barelwī-Bewegungen auf Schiiten in den nördlichen Provinzen Pakistans.

Nach dem Ende des Ǧihāds in Afghanistan 1989, der auch zu einer "Privatisierung" des Ǧihād geführt hatte, kamen neben den Muǧāhidīn etwa zwei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan nach Pakistan und förderten dort die Ausbreitung dessen, was man in der Literatur Kalaschnikow-Kultur oder Talibanisierung nennt.  Man schätzt, dass in Pakistan gegenwärtig etwa 20 Millionen Waffen in Umlauf sind: achtzehn Millionen illegal und zwei Millionen legal.  Der Sieg der Muǧāhidīn gegen die Sowjets war ein Wendepunkt der modernen Geschichte – für den Westen, der nun den Sieg beanspruchte, und für Pakistan, dem nun zwölf Jahre Integrationsbemühungen der Muǧāhidīn und interne Kämpfe bevorstehen.

1989 – Postsowjetischer Ersatz-Ǧihād in Kaschmir und Indien

Mit dem Ende des Ǧihāds gegen die sowjetischen Truppen 1989/1990 entstand eine völlig neue Dynamik der nun professionell trainierten und hochbewaffneten sektiererischen Elemente in Pakistan, deren Interesse sich nun auf den Subkontinent richtete und deren Akteure erst langsam die USA als Gegenspieler wahrzunehmen begannen. Die großen politischen Projekte Pakistans der 1990er waren die Talibanisierung Afghanistans und ab 1993 der Ersatzǧihād gegen Indien in Kaschmir. Die Muǧāhidīn kehrten 1989 von Afghanistan nach Pakistan zurück und insbesondere die internationale Elite der Muǧāhidīn ließ sich vor allem in Karachi und Peshawar nieder.

Auch die vom CIA mit aufgebauten Strukturen und Netzwerke zur globalen Anwerbung freiwilliger Kämpfer aus anderen Ländern wie das berüchtigte Dienstleistungsbüro Maktab al-Ḫidmāt von ʿAbdullāh ʿAzzām und Osāma bin Lādin in Peshawar operierten weiterhin und luden kampfbereite Muslime zum Ǧihādī-Training nach Pakistan/Afghanistan. In Afghanistan begann der ISI den Deobandī-nahen Ṭālibān (Urdu: Studenten) zum politischen Durchbruch zu verhelfen. Das Ṭālibān-Regime muss ironischerweise als erfolgreichstes außenpolitisches Projekt Pakistans bezeichnet werden. Die militanten Gruppen, deren tausende Kämpfer nun eine neue Beschäftigungsfront suchten, reorientierten sich neu gegen den politischen Erzfeind Indien. In den alten Ausbildungslagern in Afghanistan trainierten 1990-1994 geschätzte weitere zehntausend Kämpfer, insbesondere für die JI (Ǧamāʿat-e Islāmī) und LT (Laškar-e Ṭaiba), gezielt für Kaschmir, wo im pakistanisch verwalteten Teil auch neue Ausbildungs- und Trainingslager entstanden. 1993 übergaben die Ṭālibān die afghanischen Ausbildungslager der JI und Ḥizb-e Islāmī an die HAM (Ḥarakāt al-Muǧāhidīn), eine Deobandī-Bewegung, die sich primär in Kaschmir engagiert und sich selbst in einer Nähe zur Deobandī-Missionsbewegung Tablīġī Ǧamāʿat sieht, obgleich auch eine Nähe zur SSP/LJ und LT auf der Hand liegt.

Die Strukturen der militanten Bewegungen wurden weiterhin vom ISI stabilisiert, der die Angriffe verschiedener Gruppen in Kaschmir koordinierte. Allein in den letzten zehn Jahren kostete der Konflikt, der im Kern seit 1947 besteht und meist als informeller Krieg ausgetragen wird,  mehr als 40 000 Menschen das Leben. Formelle Kriege wurden 1947-48, 1965 und 1999 geführt.  Kaschmir wird für viele Akteure zum Ersatzǧihād nach Afghanistan, der seit 1990 jährlich mehr als tausend Opfer fordert, ab 1993 zunehmend Mihmān Muǧāhidīn (Gast-Muǧāhidīn mit ausländischem Pass).  Dass dieser verborgene Krieg, der von einer Seite als heilig propagiert wird, ein Konflikt zwischen Nuklearmächten ist, prägt deutlich die taktische Grundsignatur. Diese zwingt eine Partei militärische Ressourcen zunehmend an in Grauzonen operierende Ǧihādi-Gruppen outzusourcen um möglichst immer die Möglichkeit der Verleugnung von Verstrickungen offen zu halten beziehungsweise formal parallel den politischen Weg diplomatischer Friedensbemühungen zu beschreiten.

Die erste genuin pakistanische Ǧihād-Bewegung war die 1980 in der Deobandī-Schule in Binorī Town, Karachi, gegründete Ǧamʿīyāt al-Anṣār ("Vereinigung der Unterstützer"), die 1988 in HJI (Ḥarakāt al-Ǧihād-e Islāmī, "Verein für islamischen Ǧihād") umbenannt wurde und für den Ǧihād in Afghanistan rekrutierte. Ihr Fokus internationalisierte sich nach dem Sieg über die sowjetischen Truppen, so dass Kämpfer ab 1992 auch in Bosnien engagiert waren. 1991 ging aus ihr die HUA (Ḥarakāt al-Anṣār, "Verein der Unterstützer") vor, die als HAM (Ḥarakāt al-Muǧāhidīn, "Verein der Muǧāhidīn") unter Faḍl ar-Raḥman Ḫalīl und Masʿūd Aẓhar große Bekanntheit erlangte. Die HAM fokussierte ihre Bemühungen auf Kaschmir, wo Masʿūd Aẓhar von indischen Sicherheitskräften 1994 inhaftiert wurde. Nach der Flugzeugentführung des Indian Airlines Fluges IC-814 von Kathmandu nach Delhi durch fünf Pakistanis am Weihnachtsabend 1999 wurde Masʿūd Aẓhar mit zwei Gesinnungsgenossen vom Flughafen Kandahar aus freigepresst. Nach seiner Freilassung gründete Masʿūd Aẓhar im Februar 2000 ebenfalls in Karachi die JM (Ǧaiš-e Muḥammad, "Armee des Propheten").

1987 gründeten ʿAbdullāh ʿAzzām und die beiden Professoren Ẓafar Iqbāl und Ḥāfiẓ Saʿīd den Daʿwat al-Iršād Markaz ("Zentrum zur Verkündung") beziehungsweise 1990 die Laškar-e Ṭaiba ("Armee der Reinen/Armee von Medina") um eine Ideologie zu verbreiten, die Mission und Ǧihād als einzigen Weg zur Weltverbesserung integriert, d.h. moderne islamische Ausbildung und militärisches Training als beide gleichwertig zentral betrachtet. Die Bewegung ist auch sozial engagiert und unterhält einen Krankendienst mit mobilen Kliniken und eigenen Blutbanken. Zentrale Publikationen sind die Urdu-Wochenzeitschrift "Ǧihād Times", "Al-Daʿwa" (Urdu-Monatszeitschrift) und "Voice of Islam" (englischsprachige Monatszeitschrift). Von dem Hauptsitz in Murīdke bei Lahore agiert die Bewegung global, unter anderem schienen sie 2006 in die Heathrow-Anschlagspläne involviert gewesen zu sein, die zum europäisch-amerikanischen Verbot von Flüssigkeiten im Handgepäck führten. Nach den Anschlägen in Mumbai wurde die JD (Ǧamāʿat ad-Daʿwa) am 10. Dezember 2008 vom UN-Sicherheitsrat als terroristisch eingestuft.

Die Laškar-e Ṭaiba (seit 2002 JD) ist seit 1993 in Kaschmir aktiv. Nach dem Kargil-Krieg 1999 führt die LT in Kaschmir fidayīn-Missionen (Selbstmordanschläge, wörtlich: Selbstopferer) ein. In dieser Zeit wurde die LT offen vom pakistanischen Militär unterstützt. Die LT war nach Medienberichten auch verantwortlich für die Selbstmordanschläge auf dem Campus des Indian Institute of Science in Bangalore am 28.Dezember 2005, die Serienbombenanschläge in Neu Delhi am 29. Oktober 2005, bei denen 62 Personen getötet wurden und die Anschläge in Varanasi am 7. März 2006, bei denen wiederum 21 Zivilisten starben. Die beiden massivsten Terroranschläge in Indien, die Bombenserie auf die Pendlerzüge in Mumbai am 11. Juli 2006, die 209 Menschen tötete und über 700 verletzte, sowie die medial eindrucksvoll inszenierten Anschläge in Mumbai mit dem brennenden Taj Mahal Hotel am 26. November 2008 wurden überzeugend mit Aktivisten der LT in Verbindung gebracht.

Ab 1989 nahmen die Anschläge in Kaschmir massiv zu. Die Teilnahme internationaler Muǧāhidīn explodiert geradezu ab 1993, als die 1977 in Birmingham begründete JKFL (Jammu Kashmir Liberation Front)  öffentlicher auftrat: 1991 wurden 30 Kämpfer mit ausländischem Pass getötet, 1993 fast einhundert und 2001 bereits 541. Der Kargil-Krieg 1999 brachte den Ǧihādīs auf pakistanischem Boden nationale wie internationale Anerkennung. Musharraf (2006) pries sie als Freiheitskämpfer. Washington trug die Unterscheidung zwischen Terrorismus an der Grenze zu Afghanistan und Freiheitskampf an der Grenze zu Indien meist mit.

Der Höhepunkt der Terroranschläge, die sich ab 2001 zunehmend von Kaschmir in die Metropolen verlagerten, ist der Anschlag auf das Parlament in Neu-Delhi am 13. Dezember 2001. Man beschuldigte Ḥāfiẓ Saʿīds LT und Masʿūd Aẓhars JM (Ǧaiš-e Muḥammad). Indien formierte Truppen entlang der Grenze zu Pakistan und bestätigte, dass man in Neu-Delhi auf einen nuklearen Angriff Pakistans vorbereitet sei und angemessen zu reagieren wisse. Schon damals mobilisierte Pakistan amerikanische Diplomaten mit der Drohung pakistanische Truppen von der westlichen Grenze zu Afghanistan zur östlichen Grenze mit Indien zu verlegen und den Ṭālibān damit quasi einen Freibrief auszustellen. Ein vergleichbares Szenenbild zeichnete sich noch mal nach den schweren Anschlägen pakistanischer Kämpfer im Mumbai am 26. November 2008. Pakistanische Verleugnungen einer Verstrickung von Regierungsstellen sind begrenzt glaubwürdig, da weder Training noch Vorbereitung in Pakistan ohne Kenntnis, d.h. zumindest Duldung und meist auch Unterstützung, des einflussreichen und wohlinformierten ISI möglich ist.

In der Phase nach 1989 beobachtete man als neue Profilgruppe die zunehmende Präsenz von Muslimen der zweiten Generation aus Diasporaländern, deren Radikalisierungsprozesse nicht mehr zwingend die Phase der langsamen Politisierung und Militarisierung kennt. Später sollte die neue Profilgruppe der Konvertiten hinzukommen. Erwähnt wurde schon die Ǧihādbeschreibung des Konvertiten Esa al-Hindi aus London, einem kenianischen Hindu, der mit bürgerlichem Namen Dhiran Barot heißt. Der Medienberater und Pressesprecher von al-Qāʿida in Pakistan, der im Februar 2008 vermutlich von einer US-MQ 1 Predator Drohne getötet wurde, war der amerikanische Konvertit Adam Yahiye Gadahn (1978-2008?) alias ʿAzzām al-Amrīkī (ʿAzzām der Amerikaner), mit bürgerlichem Namen Adam Pearlman.  Nach 2001 gab es teilweise massive Anpassungen in den Strategien der Akteure, so ist der Terminus Ṭālib in der zweiten Talibanisierungswelle 2005/2006 de-ethnisiert und die Anschläge auf Indien verschoben sich dramatisch von den Grenzregionen in die Metropolen. Die neuen Feindbilder waren erst Barelwī-Musime, dann zunehmend Hindus sowie die "kreuzzüglerische Allianz der Juden und Christen".

Ǧihād-Hochkonjunktur 2001 - Power, Profit, Pakistan: Amerika, Allāh und die Armee

Nach dem Sieg über die sowjetische Supermacht endete im Sommer 1990 die Zweckfreundschaft zwischen Pakistan und Amerika abrupt. Die USA verhängten wegen der Nuklearprogramme Sanktionen gegen Pakistan und die versprochene Lieferung von F-16 Kampfjets, für die Islamabad bereits gezahlt hatte, wurde ausgesetzt.  Erst nach dem 11. September 2001 wurde die Freundschaft zwischen beiden Ländern erneuert.  Diplomatisch eindeutig formulierte der stellvertretende amerikanische Außenminister Richard Armitage das ambivalente Freundschaftsangebot nach dem 11. September an den ISI-Chef: "Ihr müsst Euch entscheiden ob ihr mit Amerika oder den Terroristen seid. Wenn Ihr Euch für die Terroristen entscheidet, bomben wir Euch zurück in die Steinzeit."

Von allen Ländern in Südasien ausgerechnet Pakistan als engsten Verbündeten auszuwählen, was den Verlust des wertvollen Partners Indiens bedeutete, war als kühn und auch von amerikanischen Analysten als extrem verzweifelt kritisiert worden.  Für den pakistanischen Staatshaushalt kam die Freundschaftsandrohung genau zum rechten Zeitpunkt.  Zwischen 2002 und 2007 überweisen die USA fast elf Milliarden US-Dollar an den wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Terror. Diese Summe entspricht in etwa den gesamten Finanzhilfen Amerikas an Pakistan zwischen 1948 und 2001. Mehr als die Hälfte dieser Summe ging direkt der Armee zu.  Die personelle Unterstützung der USA im Kampf gegen Terror wurde 2002 dem Irak-Krieg geopfert. Robert Grenier bedauert: "Die fähigsten und am besten ausgebildeten Analysten, die wir in Afghanistan einsetzten, wurden [Ende 2002/Anfang 2003] für den Irak abgezogen. Ich denke, wir hätten deutlich mehr an der afghanischen Front erreichen können, wenn wir über mehr ausgebildete Fachkräfte hätten verfügen können."

Als Reaktion auf 9/11 einen globalen Krieg gegen den Terror - mit der Intervention im Irak als tragende Säule - zu führen, hat sich als Fehler herausgestellt. Verbunden mit dem kruden Konzept eines "Islamofaschismus", hat diese ideologisierte Sicht auf die Heterogenität des politischen Islams realitätsgerechtes politisches Agieren verhindert und den USA die Grenzen ihrer Interventionsfähigkeit aufgezeigt.  Erst jüngst hat die Obama-Regierung mit der Kairoer Rede versucht, einen Neuanfang mit der islamischen Welt einzuleiten.

In kaum einer anderen Gesellschaft ist Antiamerikanismus so stark in allen sozialen Schichten verbreitet wie in Pakistan. Insbesondere die amerikanische Zustimmung zur Absetzung der Richter unter Militärdiktator Musharraf hat auch eingefleischte Liberale gegen die USA aufgebracht. Dieses Misstrauen ist unter den politischen Entscheidungsträgern auch wegen der Annäherungen zwischen Washington und Neu-Delhi, den beiden gegenwärtig größten Demokratien weltweit, in den letzten Jahren massiv gestiegen. Der ISI nimmt Geldgeschenke gerne an, aber in ihm ist spätestens seit der Enttäuschung 1990 über den "F-16-Betrug", ein tiefes Misstrauen gegen die USA fest verwurzelt. Das diplomatische Freundschaftsangebot ist innerhalb des pakistanischen Geheimdienstes ISI auch weniger als vertrauensbildende Maßnahme denn als unverschämte Drohung verstanden worden. Deutsche Leser müssen sich bewusst machen, dass der ISI mehr als nur ein extrem effizienter militärischer Geheimdienst ist. Er ist eine Art eigener Staat im Staat mit autonomen Strukturen, eigenen börsennotierten Firmenverbänden und unabhängiger (Außen-)Politik.

Beobachter kritisieren diese Überfinanzierung des ISI auch, weil diese hochdisziplinierte Kraft in der Geschichte Pakistans einer Demokratisierung zu keinem Zeitpunkt förderlich war und offenbar militante Bewegungen unterstützt um die Geldgeber vom Gefahrenpotenzial Pakistans zu überzeugen.  Das vom ISI gebetsmühlenartig wiederholte Argument für eine finanzielle Fremdförderung ist seine Aufgabe, die pakistanischen Atomsprengköpfe vor islamistischen Akteuren schützen zu müssen. Dass das Eigenleben des ISI politisch nicht kontrollierbar ist zeigte u.a. die Reaktion nach den Anschlägen vom 26. November 2008 in Mumbai. Während der Witwer von Benaẓīr Bhuṯṯo und demokratisch gewählte Präsident Āṣif ʿAlī Zardārī Indien verspricht, den Direktor des ISI, General Aḥmad Šuǧāʿ Pāšā, zur Aufklärungsunterstützung nach Neu-Delhi zu senden, ignorierte das der ISI. Er führte Zardārī in Pakistan vor, indem er einen Abteilungsleiter als möglichen Gesprächspartner für einen ersten einseitigen Dialog designierte, nachdem indische Ermittler Beweise für die Verstrickung von Akteuren innerhalb Pakistans vorlegten und diese auch verifiziert werden konnten.

Deobandī Ǧihādī-Gruppen fielen in Pakistan erst 2004 wirklich in Ungnade, nachdem eine der Bewegungen verdächtigt wurde, in die Anschläge auf Militärdiktator Musharraf vom 14. und 25. Dezember 2003 verwickelt gewesen zu sein. Musharraf versuchte nun engagierter, auch sektiererische Gewalt als terroristisch einzustufen, hatte aber wenig Erfolg. Am 15.Oktober 2004, nach einer Reihe schwerer sektiererisch motivierter Selbstmordanschläge u.a. in Sialkot und Lahore traf Präsident Musharraf und Premier Minister Šaukat ʿAzīz eine Delegation von ʿulamāʾ der großen Denkschulen. Der Präsident bat die Religionsgelehrten eine fatwā zu erlassen, die erklärt, dass solche Selbstmordanschläge nicht mit islamischem Ǧihād gleichzusetzen seien. Obwohl eine Übereinkunft getroffen wurde, dass sich die Religionsgelehrten über eine solche fatwā einigen könnten, versagten die Religionsexperten letztlich ihre Unterstützung.

Wurzeln des Deobandī-Barelwī-Konflikts

Neben dem Sunnī-Schia-Konflikt, der auch aus anderen islamischen Ländern bekannt ist, gibt es den südasienspezifischen innersunnitischen Konflikt zwischen Deobandīs und Barelwīs.  Theologische Differenzen kreisen um die Frage inwieweit dem Propheten Muḥammad besondere Fähigkeiten zugesprochen werden können. Barelwīs glauben, dass der Prophet als göttliches Licht eigener Natur (nūr-e muḥammadī) vor der Schöpfung erschaffen wurde, omnipräsenter Zeuge der Tätigkeiten der Menschen sei (ḥāḍir-o nāẓir) und folglich unfehlbarer und allwissender (ʿilm-e ġaib) einziger Mittler (wasīla) zu Allāh. Da die Rückbindung zu Allāh nur über den Propheten Muḥammad möglich ist, feiern sie auch dessen Geburtstag (Mīlād an-Nabī). Deobandīs sehen in der Zuschreibung übermenschlicher Eigenschaften zum Propheten Muhammad širk, Vielgötterei, und lehnen die Möglichkeit von Vermittlung ab – Allāh allein sei anbetungswürdig und Bittgebete (duʿāʾ) dürften an niemanden anderen gerichtet werden. Deobandīs nennen Barelwīs Anhänger von Neuerungen und Barelwīs nennen Deobandīs mit dem Verweis auf ʿAbd al-Wahhāb (1703-1792) aus dem saudischen Naǧd "Wahhābīs". Barelwīs gilt das Leugnen der besonderen Stellung Muḥammads als Blasphemie.

Als Konfliktparteien stehen sich also die rational argumentierenden Neo-Orthodoxien der Puristen aus Deoband und die emotional gebundenen Prophetenliebhaber der Barelwīs gegenüber. Seit den 1880ern entstand eine Tradition gegenseitigen Misstrauens und Hasses zwischen den Akteuren beider Reformbewegungen: "Unser Hass und unsere Abscheu gegen die Deobandī-Gelehrten ist wegen der Unendlichkeiten ihrer Blasphemien Pflicht unseres Glaubens und er wird lebendig bleiben, solange wir lebendig sind."

Die Positionen der Gegenreformbewegung der Barelwīs werden von den Werken der zentralen Person Aḥmad Riḍā Ḫān Barelwī (1856-1921) entscheidend geprägt. Er begann die Deobandī-Barelwī-Fatāwā-Kriege, die seit über einhundert Jahren erbittert ausgeschrieben werden. Die berühmte fatwā Ḥusām al-Ḥaramain (Urdu: Schwert von Mekka und Medina) von 1906 nennt die Deobandī-Älteren Muḥammad Qāsim Nānautawī (1833-1877), Rašīd Aḥmad Gangohī (1829-1905) und Ašraf ʿAlī Thānwī (1863-1943) unzweideutig Ungläubige (kuffār) und Satanisten (Wahhābīya Šaitanīya).

Für diese fatwā führt Riḍā Ḫān vierunddreißig Bestätigungen aus Mekka und Medina an, die das von ihm angedeutete Bedrohungsszenario weiter ausmalen: "Es ist ebenso wahr, dass diese Sekten erfolgreich sind unter Ungläubigen, die die Basis ihrer Unterstützer bilden, und Allianzen der Feinde des Islams. Diese Leute verbreiten Blasphemie und erschaffen Glaubensgrundsätze um Zwietracht (fitna) unter den Muslimen zu stiften und um den Islam und die Muslime von der Erdoberfläche auszulöschen."  "Wir beten zu Gott, dass er ihnen ihren rebellischen Charakter austreiben möge und wenn sie morgens aufwachen, sollen sie nichts verschont finden in ihren zerstörten Häusern." "Es ist die Pflicht der Muslime sich von diesen Leuten fernzuhalten und keine Freundschaft mit ihnen zu pflegen. Freundliche Beziehungen mit jenen sind riskanter als Beziehungen zu Leprakranken." Der Begriff Sufi-Fundamentalismus gewinnt am Beispiel der Barelwīs an Prägnanz.

Die dominante Form der Auseinandersetzungen zwischen Deobandīs und Barelwīs sind traditionell Debatte und Verwerfung durch Widerlegung. 1919 gründeten Deobandīs als erste ʿulamāʾ-geführte Partei die JUH (Ǧamʿīyāt al-ʿulamāʾ-ye Hind). Die Barelwīs reagierten mit der Einberufung der All India Sunnī Conference 1925. Nach der Gründung Pakistans agierten beide Sekten auch über die politischen Parteien der Deobandīnahen JUI (Ǧamʿīyāt-e ʿulamāʾ-ye Islām) und der Barelwī-nahen JUP (Ǧamʿīyāt-e ʿulamāʾ-ye Pakistān). Die Umgang beider Gruppen wurden im Prinzip erst im Laufe der 1970er handgreiflich und nach der staatlich sanktionierten Deobandisierung von Barelwī-Moscheen zunehmend gewalttätiger. Ab den späten 1970ern standen im Wesentlichen Straßenschlachten um das Management einzelner Moscheen, teilweise mit Entführungen ganzer Koranklassen, im Mittelpunkt der quasimilitanten Aktivitäten zwischen Deobandīs und Barelwīs. Insbesondere die "Deobandī-Partei" JUI akkumuliert in den Jahren des Ǧihāds in Afghanistan immense finanzielle Ressourcen, Waffen und gut ausgebildete Truppen von Kämpfern.

Die Finanzierung militant-sektiererischer Bewegungen erfolgte im Zuge der Globalisierung zunehmend auch durch Privatleute aus Saudi Arabien, Ägypten, den Golf-Ländern sowie Kaschmiris und pakistanische Muslime in der europäischen Diaspora. Pakistan ist und bleibt ein ideologischer Staat, der es versteht, seine Bürger für transnationale Themen zu mobilisieren. Nach dem Zusammenbruch des Ṭālibān-Regimes entwickelte sich durch die neuen nachlässigen Strukturen der westlichen Besatzungsmächte zudem ein extrem lukrativer Heroinschmuggelmarkt.  2006 wurden etwas mehr als sechs Tonnen Opium in Afghanistan abgeerntet, was etwa 92 Prozent der Opiumproduktion weltweit entsprach. 2007 wurden bereits über acht Tonnen und 2008 etwa 7,7 Tonnen geerntet. Die Drogen aus Afghanistan wurden vor allem über den Hafen in Karachi dem Weltmarkt zugeführt. Die explosionsartige Entwicklung des Drogenmarktes festigte Verbindungen zwischen Afghanistan und vielfach über Muǧāhidīn verbundenen kriminellen Netzwerken innerhalb Pakistans und führte so zur weiteren sektiererischen Islamisierung sonst säkularer Verbrechernetzwerke Pakistans.

Kriminelle Organisationen profitieren zusätzlich vom staatlichen Schutz sektiererischer Bewegungen, die sie gezielt als Tarnorganisationen für ihre Operationen unterwandern. Die Beteiligung traditioneller Krimineller an sektiererischer Gewalt fördert die nun erneut zunehmende Grausamkeit derselben: Kriminelle sind schneller bereit, Moscheen anzugreifen und selbst Betende zu töten.  Diese Entwicklung zunehmender Partizipation Krimineller vergrößert den dramatisch zunehmenden Kontrollverlust des ISI über militante sektiererische Elemente.

Ein idealtypisches Beispiel für diesen Kontrollverlust ist die MQM (ehemals Muhāǧir Qaumī Movement, nun: Muttaḥida Qaumī Movement) unter Führung von Alṯāf Ḥussain.  1984 regte der ISI die Gründung der Partei aus der Studentenorganisation APMSO (All Pakistan Muhāǧir Student Organisation) für die Muhāǧir genannten Immigranten aus Indien im Sindh an, um eine Gegenkraft zur erfolgreichen PPP (Pakistan People’s Party) zu schaffen. Die ethnisch-religiöse Partei baute auf die Exodus-Narrative aus Hindustan auf und schafft einen religiösen Referenzrahmen, der in Teilen an Israel erinnert. Die MQM wurde schnell zur mächtigsten Partei in Karachi und brach nach der Machtetablierung mit den ISI-Interessen Islamabads. MQM-Aktivisten wählten selbst das Terroristenstigma als Label. Angeblich rangiert die MQM nach der CIA und dem Mossad an dritter Stelle der Organisationen, die zahlenmäßig die meisten gezielten Ermordungen von Kritikern durchführt.

1992 versuchte die PPP-Regierung in Islamabad durchzugreifen und schickte die Armee nach Karachi um in der Militäroperation "Clean Up" augenscheinliche MQM-Folterkammern zu schließen. Seitdem führt Alṯāf Ḥussain die Partei von London aus. Ende September 2008 rief Alṯāf Muhāǧir-Jugendliche auf, ihre Fernseh- und unnötige Elektrogeräte zu verkaufen und dafür Waffen auch für die Frauen des Haushalts zu erwerben, um der Talibanisierung und dem zunehmenden Einfluss gewaltbereiter Gruppen entgegenzuwirken, vor der die Regierung offenbar nicht schützen könne.

Nach der Militäroperation "Clean Up" schließen sich einige MQM-Aktivisten der als apolitisch geltenden Barelwī-Missionsbewegung Daʿwat-e Islāmī (DI)  an, um Verfolgung durch Sicherheitsorgane zu entgehen. 1992 gründete Salīm Qādirī, ein regionaler DI-Funktionär, die Sunnī Taḥrīk (ST, "Sunnitische Organisation"),  um im Kampf gegen die Deobandisierung zurückzugewinnen. Die bedeutendsten Anschläge auf Deobandī-Berühmtheiten der späten 1990er, wie die Ermordung des Binorī Town Direktors Yūsuf Ludhīanvī (1932-2000), gehen auf das Konto der Sunnī Taḥrīk. Bis zur Gründung der ST galten die Barelwī-Gruppen als vergleichsweise gewaltlos. Als Aktivisten der Bewegung 2001 Dr. Ehtasham, den Bruder des Innenministers Muin ad-Dīn Haider, töteten, wurde die ST zeitweise verboten.

Einige Journalisten betrachteten die DI, die 1981 nach dem Vorbild der Tablīġī Ǧamāʿat (Gemeinschaft zur Verkündung) als Barelwī-Missionsbewegung gegründet wurde, zu dieser Zeit nur noch als religiösen Flügel der ST. Dies änderte sich am 16. April 2006 als während des Gebets die gesamte Führungsriege der ST, inklusive Salīm Qādirī, einem Bombenanschlag zum Opfer fiel. Der Selbstmordanschlag in Karachis Nishtar Park im April 2006 forderte etwa 70 Todesopfer und bleibt der größte sektiererisch motivierte Selbstmordanschlag in der Geschichte Pakistans. Die ST ist seitdem eine eher marginalisierte Kraft in Karachi und wirbt seit 2008 mit dem Motto: "Leben und leben lassen."

Immunisierung vor Politisierung durch Inwendung? – Die neue Friedensfähigkeit der Neofundamentalisten

Im südasiatischen Islam unterscheidet man vor allem die beiden großen Traditionen der Deobandīs und Barelwīs, die mit ihren eigenen auf Mission spezialisierten Mobilisierungsbewegungen Tablīġī Ǧamāʿat (gegründet 1926) und Daʿwat-e Islāmī (gegründet 1981) um Anerkennung konkurrieren.  Diese Bewegungen kann man postislamistische Neofundamentalismen nennen, da sie durch ihr islamisches Projekt in gewisser Weise eine Privatisierung und Individualisierung klassischer Islamisierungsbemühungen vornehmen.  Trotz ihres unterschiedlichen Hintergrunds haben beide Bewegungen Reformcharakter, da ihre Rituale individuelle Verantwortung in Erlösungsfragen unterstreichen. Beide Missionsgruppen betonen die Notwendigkeit, die Gewohnheiten des Propheten und der Altvorderen in allen Aspekten der Alltagsroutine streng nachzuahmen - ein islamisches Projekt, für das mir der Begriff "Sunnaisierung" dienlich scheint.

Sunnaisierung ist ein Prozess individualisierter Islamisierung, dessen rationale Logik mehr auf Hadithe denn auf den Koran zurückgreift. Fokus der Islamisierungsbemühungen ist die Privatsphäre und nicht die politische Führungswelt. Obgleich sie gegenwärtige Gesellschaften und Individuen radikal kritisieren, agieren sie überwiegend friedvoll und betont apolitisch. Über Laienprediger setzen sie einen streng islamischen Kleidungsstil unter ihren Anhängern durch und organisieren extrem mobile Kleingruppen hochengagierter Frommer (ǧamāʿat, madanī qāfila), die umherreisen, um in der Nachbarschaft für wöchentliche und jährliche Treffen (iǧtimāʿ) zu werben. Der zentrale neue Aspekt dieser neureligiösen neofundamentalischen Bewegungen ist ihre zunehmend erfolgreiche Visibilitätspolitik.

Beide Bewegungen haben sichtbaren Einfluss darauf, wie Islam in ihrem Wirkkreis praktiziert wird. Dies stärkt beim unbedarften Betrachter den Eindruck, diese Bewegungen seien mit radikalen Organisationen verbunden, widerspricht aber der inneren Logik des modernen Laienpredigertums, die Rekrutierungsprozessen militanter Ǧihādi Bewegung nicht förderlich ist. Der auf die Individualsphäre gerichtete Fokus der Sunnaisierung scheint bei der großen Mehrheit der Laienanhänger in der Tat islamische Wirkkräfte im außerpolitischen Feld zu bündeln und so vor politischer Inanspruchnahme zu immunisieren.

Noch vor wenigen Jahren waren insbesondere Tablīġī-Netzwerke immer wieder von unterschiedlichen militanten Elementen unterwandert worden, was insbesondere für Kaschmir eindrucksvoll dokumentiert wurde. Einige "klassische” Ǧihāderzählungen sind sehr beliebte Bestseller in Tablīġī Buchläden und Kreisen.  Einige der potenziellen und tatsächlichen islamistischen Terroristen Europas haben sich in dieser quasi-evangelikalen islamischen Bewegung engagiert. Einige der Attentäter der Anschläge am 11. März 2004 in Madrid und am 7. Juli 2005 in London oder prominente Terroristen wie der "Amerikanische Taliban" John Walker Lindh, waren nach Medienberichten in Tablīġī Aktivitäten involviert. In Indien ist der Tablīġī Ältere Sufyān Patangia angeklagt Leiter der Terrorzelle zu sein, die den ehemaligen Innenminister von Gujarat, Haren Pandya, ermordet hat.  Auch zwei der Hauptverdächtigen für den Anschlag auf den Sabarmati Express im Februar 2002, den Zug, in dem Hindu-Pilger aus Ayodhyā saßen, bei dem 58 Menschen getötet wurden, hatten Verbindungen zu Tablīġī Institutionen.

Einige Beobachter schließen deshalb, dass diese angeblich apolitischen Missionsbewegungen junge Muslime radikalisieren, die dann für Predigerreisen nach Pakistan geschickt werden, wo sie mit anderen militanteren Gruppen in Berührung kämen, insbesondere der HAM.  Ob die Missionsbewegungen allerdings eine aktive Rolle spielen oder als Mobilisierungsinstrument von militanten Akteuren unterwandert werden, bleibt zu diskutieren. Traditionelle Islamisten wie die Ǧamāʿat-e Islāmī, greifen die Missionare für ihre apolitische Haltung an und werfen ihnen eine einschläfernde Wirkung vor, die Muslime von Islamisierung wegführt.

Als Ergebnis wurden diese Bewegungen von einigen Regierungen in Südasien und anderen islamischen Ländern gefördert, um dem wachsenden Erfolg islamistischer und militanter Akteure entgegenzuwirken. Mittlerweile scheint es, dass diese postislamistischen, konservativen Neofundamentalismen die Gesellschaft von unten nach oben durch dawa (innere Mission) stärker islamisieren als die politischen Machtergreifungsversuche der militanten Salafī Ǧihādis.

Islamisierungspolitiken haben daʿwa-Gruppen auch benutzt, um unterschiedliche islamische Identitäten zu integrieren und in gemeinsame politische Aktion zu übersetzen. Insbesondere in Pakistan ist der zunehmende Einfluss einer islamisierungspolitischen Lobby in Regierungsinstitutionen evident. Grundsätzlich aber fördern die neofundamentalistischen Missionare erfolgreich die Verbreitung eines eher apolitischen friedlichen Islams, der militanten Predigern der politischen Revolution in sehr effizienter Weise eine in gleicher dichotomer Weltsicht gemalte friedliche Alternative der persönlichen Transformation entgegensetzt.

Diese Kraft der Neofundamentalisten wird in der Zukunft zentral sein, um Terrornetzwerke zu neutralisieren, denn die Laienprediger fischen in den gleichen Wässern wie militante Akteure und entfalten ihre Attraktionskraft unter jungen, unerfahrenen, oft desillusionierten aber idealistischen Muslimen, deren Mangel an gesellschaftlichen Verpflichtungen mit männlich-jugendlicher Abenteuerlust und einem ansteckend-brennenden Verlangen nach Weltverbesserung ideal in heroische Projektvorhaben integriert werden können.

Dass sie dabei auch Opportunisten anziehen, die sich den Friedensmissionaren der Individualreform anschließen, um Verfolgung durch Sicherheitsorgane zu entgehen, führte in den letzten Jahren zu zunehmenden Prüfprozessen neuer Anhänger durch die Laienpredigerorganisationen. Wenn sie offiziell der Politik folgen, jeden ohne Vorverurteilung aufgrund von Vergangenheiten aufzunehmen, da ausnahmslos jedem die Option zur aufrichtigen Reue und Reversion eröffnet wird, haben die sehr effektiven bürokratischen Strukturen der Daʿwat-e Islāmī und Tablīġī Ǧamāʿat eigene Instrumente entwickelt, um Infiltrierung durch radikale Elemente wirkungsvoll zu begrenzen.

Beispielhaft sei kurz das biografische Reversionserlebnis des in der Abbildung fotografierten "Rošan ḫayāl Mawlānā", des aufgeklärten moderaten Mullahs, beschrieben. Er leitet gegenwärtig die Madrasa der Ghulzār-e Ḥabīb Masǧid am Soldier Bazar in Karachi, an der die neofundamentalistische Barelwī-Bewegung Daʿwat-e Islāmī 1990 die ersten Versammlungen begann. Der Paschtune berichtet, dass er vor dreißig Jahren als Fahrer gearbeitet habe und Folgendes bereue: "Als Fahrer habe ich die Kinder der Nachbarschaft zur Schule gefahren und wieder abgeholt. Ich habe insgesamt sechs Leute in Unfällen getötet. Ich war kein guter Mensch als Fahrer: ich bin sehr aggressiv gefahren. Dieser Beruf war nicht meine Bestimmung. […] 1980 bin ich nach Afghanistan gegangen und habe mich dem Ǧihād angeschlossen und nur Gott allein weiß, wie viele Leute ich dort in den zehn Jahren in Kämpfen getötet habe. […] Seit 1990 bin ich hier und diese Koranschüler sind jetzt meine Bodyguards. Diese Kinder haben meine Seele gerettet! Sie beschützen mich jeden Tag. […] Und wenn hier irgendso ein green horn ankommt und Ǧihād verkündet, sage ich ihm: Verpiss Dich! Ich war da! Ich hab´s gemacht! Wir haben gesiegt, aber es war ein großer Fehler: Wir haben mit den Kriegen der Amerikaner nichts zu schaffen!"

Das Pakistan Institute for Peace Studies verzeichnete für 2008 in Pakistan 2.148 terroristische und sektiererische Anschläge, das ist ein Zunahme um knapp 750 Prozent im Vergleich zu 2005 mit 2.267 Getöteten und etwa 4.500 Verletzten. Militante sunnitische Bewegungen - wie al-Qāʿida - bleiben hochlebendig in Pakistan, insbesondere in Karachi, dem Zentrum des modernen Ǧihāds. Afghanistan ist mit seinen Besatzern ein weniger attraktives Ziel für ausländische Mihmān Muǧāhidīn, als es Pakistan heute ist.

Die historischen Verbindungen zwischen ISI und den regionalen Ǧihādī-Gruppen machen die Vorrangstellung der Anti-Terror-Politik bestenfalls fragwürdig. Die pakistanische Armee und der ISI scheinen weiterhin auf die Unterstützung der Ǧihādī-Gruppen in ihrer Indien-Politik angewiesen, da auf rein diplomatischer Ebene Pakistan kein Mittel hat um einen politischen Durchbruch zu erzwingen. Geheimdienste und Bundespolizeien wie der FIA (Federal Investigation Agency), die CIDs (Criminal Investigation Departments) und der IB (Intelligence Bureau) haben weder die Ressourcen noch die Autorität in diesem Konflikt ihre Ziele zu erreichen. Ohne Genehmigung des ISI dürfen diesen Behörden keine Telefonverbindungen recherchieren und der ISI lässt sich bisweilen wochenlang Zeit, solch eine Freigabe zu erteilen. Damit bleibt das Land wichtigstes Rekrutierungsfeld und zentraler Akteur der globalen Mobilisierung radikaler Sunniten. Ihr Mobilisierungspotenzial wird jedoch von gewaltlos agierenden neofundamentalistischen Akteuren begrenzt, die ihre Position im öffentlichen Raum zunehmend ausbauen.

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