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22. August 2010. Analysen: Südasien - Geschichte & Religion Kolonialisierung als Lernprozess (I)

Portugiesen und Holländer im Asienhandel des 16. und 17. Jahrhunderts

Solange frühe Herrschaftsgebilde überregional auf andere Herrschaftsgebilde übergegriffen haben, solange hat es auch Kolonialisierungsprozesse gegeben. Alle großen Imperien der Antike und des Mittelalters waren auch Kolonialimperien. Wenn wir deshalb als Kolonialsystem jenen Zustand charakterisieren, bei dem ein Land viele Länder beherrscht, so ist jener ab 1420 und aus der iberischen Halbinsel sich entwickelnde Kolonialprozess die Wiederholung eines immer gleichen. Lediglich wenn wir fragen, wie viele Länder, über welche Entfernungen, wie lange, wie umfassend beherrscht werden konnten kommt uns das qualitativ Neue dieses bisher letzten Kolonialisierungsprozesses zu Bewusstsein.

Dieser Prozess war in seiner Ausdehnung so groß und in seiner Entwicklung so relativ rasch, dass er sich im Rahmen der Endlichkeit unserer Erde allen anderen bestehenden archaischen Kolonialsystemen gewissermaßen überstülpen musste 1 . Noch nie zuvor haben deshalb so wenige Länder in so hoher regionaler Konzentration so viele andere über so weite Entfernungen so intensiv beherrscht. Die frühen Kolonialimperien waren über weite Räume verteilt, sie kontrollierten in einem prekären Ausmaß und zumeist über einen geringen Radius ihre Kolonien. Kolonien, die zumeist nach weniger als 200 Jahren sich zu neuer politischer, kultureller und wirtschaftlicher Autonomie emanzipierten. Die frühen Imperien konstituierten sich vielleicht als Kolonialsysteme, segmentierten sich aber relativ rasch und überlebten und expandierten als Ökumene: als politisch uneinheitliche, aber kulturell und manchmal wirtschaftlich verbundene Einflusszonen.

Damit unterscheiden sich diese Imperien radikal von dem auf Europa zentrierten letzten Kolonialprozess: einem Kolonialprozess, in dem eine Region, Süd- und Nordwesteuropa, weite Teile der Welt dauerhaft politisch beherrschte, nicht nur kulturell oder wirtschaftlich beeinflusste. Dieser quantitativen Steigerung entsprach eine qualitative. Noch nie zuvor war Kolonialherrschaft nicht nur so kontinuierlich, sondern auch so intensiv gewesen. Im Verlauf seines Entstehungsprozesses ging der Kolonialprozess von Formen merkantiler Kontrolle zu Formen der produktiven und investiven Kontrolle der beherrschten Wirtschaften über; auf Dauer schuf er militärische, politische, administrative und kulturelle Abhängigkeiten. Dieser qualitative Aspekt lässt sich anhand der von ihm geschaffenen, sinnlich erfahrbaren "Artefakte" illustrieren: Erst im Rahmen dieses letzten Kolonialprozesses entstanden zum ersten Mal überall auf der Welt architektonisch einheitliche Weltstädte, Welthandelssprachen, international gültige und verpflichtende Standards im Rahmen der Geldformen, der Maßeinheiten, der Diplomatie, der Rechtsformen, schließlich der Staatlichkeit. Alle diese Auswirkungen haben bis heute Bestand.

Wenn nun so wenige so viele, so große und dabei so verschiedenartige Länder unterwerfen konnten und wenn diese wenigen dabei immerhin noch vier Jahrhunderte benötigten, so scheint mir die Vermutung plausibel, dass wir in dieser Entwicklung nicht nur die zwangsläufige Konsequenz einer von Anfang an bestehenden ungleichen Ausgangsposition sehen können, sondern sie auch als das Produkt eines sich selbst verstärkenden Lern- und Entwicklungsprozesses sehen müssen. Dieser Prozess kam den beteiligten Europäern direkt, den anderen allenfalls indirekt zugute. Selbst wenn wir annähmen, die Kolonialnationen hätten von Anfang an über einen erdrückenden Entwicklungsvorsprung verfügt, so muss uns dennoch die Frage interessieren, inwiefern der Vorgang der Kolonialisierung selbst einen solchen Vorsprung eventuell ständig steigerte. Angesichts der Schwierigkeit verschiedene Entwicklungsniveaus einander kompatibel zu machen, erscheint es mir nun für das Interesse dieser Betrachtung geschickter zu sein, eine prinzipiell ähnliche Ausgangslage zwischen kolonisierenden und kolonialisierten Nationen zu unterstellen und das Augenmerk auf die Vorteile auszurichten, die sich dann durch den Prozess der Kolonisation selbst für die Kolonialreiche ergaben.

Beides, die Annahme einer prinzipiell ähnlichen Ausgangslage für alle und die daraus ableitbare Annahme eines auf die Kolonisatoren exklusiv beschränkten Lernzwanges, zwingt uns damit, den Kolonialismus als historischen Prozess zu betrachten. Dieser Prozess lässt neue Problemsituationen entstehen, zwingt zu neuen Lösungsansätzen und stellt zugleich wiederum neue Problemsituationen bereit. Wir können Kolonialismus also als einen Prozess sich dauernd akkumulierender und innovierender Problemlagen, Lernerfolge, und damit Kontrollchancen schildern. Wir können den Begriff des Kolonialismus aber nicht nur als Bewegungsablauf, als Prozess sehen, sondern wir müssen diesen Prozess zugleich inhaltlich strukturieren: als Abfolge von Problemstrukturen. Damit ergeben sich aber aus diesen Annahmen bereits von Anfang an gewisse Zwänge in Bezug auf die Auswahl der Epoche und der Region, anhand derer wir Kolonialisierung als Lernprozess sinnvoll untersuchen können. Wir müssen einen Bereich und einen Zeitraum der kolonialen Welt suchen, in der die künftigen "Herren" und die künftigen "Untertanen" sich relativ gleich gegenüberstehen; zugleich müssen wir einen Zeitraum wählen, innerhalb dessen wir eine Abfolge von Problem- und Lösungsstrukturen plausibel aufzeichnen können; dies kann anschaulich gemacht werden, indem wir verschiedene Kolonialgruppen im Rahmen einer Konkurrenz von "besseren" oder "schlechteren" Lösungsstrategien betrachten können. Schließlich müssen wir uns auf einen Zeitabschnitt konzentrieren, der dem 19. Jahrhundert vorangeht. Der territoriale Kolonialisierungsprozess, der seinen Höhepunkt im 19. Jahrhundert fand, war in seiner Form ableitbar von der neuen industriellen Revolution. Die industrielle Revolution stellte aber ein Bündel von Vorteilen bereit, was einerseits unsere Annahme gleicher Ausgangschancen aufhebt, andererseits aber zugleich die Frage zulässt, inwiefern dieses Vorteilsbündel auch aus dem vorangegangen Lernprozess resultiert.

Mit anderen Worten, wenn wir unsere Annahme Kolonialisierung als Lernprozess überprüfen wollen, so sind wir gezwungen, den Kolonialprozess vor der industriellen Revolution zu betrachten, einen Abschnitt zu wählen, der so lange dauert, dass wir eine Abfolge von Problemstrukturen betrachten können und für diesen Abschnitt einen Ausgangspunkt und eine Region wählen, in der die Kontrahenten einander noch gleichen. Allen diesen drei Bedingungen, so scheint mir, kommt der gewählte Zeitraum, die gewählte geographische Region und die beiden gewählten Kolonialgruppen einigermaßen überzeugend entgegen. Ich betrachte deshalb im Folgenden die Rolle der Portugiesen und Holländer im 16. und 17. Jahrhundert in Asien. Das heißt aber zugleich, ich betrachte eine bestimmte frühe Form des Kolonialismus, den Handelskolonialismus, und eine neue geographische Verkehrszone, die Weltmeere. Ich betrachte mit anderen Worten einen Zeitabschnitt, in dem eine spezifische frühe Form kolonialer Aktivität, der Handel, auf eine neue geographische Sphäre, die Weltmeere, beschränkt blieb. Ich betrachte damit die Entstehung einer exklusiv von Europäern dominierten Handelszone. Es ist evident, dass diese neue Form und Sphäre des Asienhandels zu alten Formen und zur alten Sphäre des Asienhandels in Bezug treten muss. Es erscheint ebenfalls als eindeutig, dass die Erforschung, Nutzung und Kontrolle dieses neuen Bereiches und sein Beziehungsgefüge zu dem alten vielerlei Probleme aufwerfen musste. Alle diese Probleme können aber in dieser Betrachtung nicht dargestellt werden. Stattdessen werden zwei sachgesetzlich aufeinander folgende Problemstrukturen untersucht.

Die erste Problemstruktur umfasst die technischen Probleme, die entstehen, wenn im Rahmen einer neuen Verkehrszone, den Weltmeeren, über riesige Entfernungen Handel betrieben wird. Die zweite Problemstruktur umfasst die wirtschaftlichen Probleme, die sich bei einem massenhaften Gütertransfer über diese neue Verkehrszone hinweg ergeben. Die wirtschaftlichen Probleme haben damit die Lösung der prinzipiellen technischen Probleme zur Voraussetzung.

Damit gliedert sich der Aufsatz in drei Teile. Zunächst behandle ich eine dreifache neue Vorrangstellung im Asienhandel, den Vorrang der Europäer, der Weltmeere und einer neuen Handelsform, der Handelsexpedition. Danach schildere ich die erste und grundlegende Problemlage: das Problem der extremen Distanzen. Erst durch die Lösung dieses Problems konnte ein von Europäern dominierter neuer Asienhandel entstehen. Abschließend behandle ich die zweite, daraus resultierende Problemstruktur: das Problem der Unberechenbarkeit der Mächte. Erst durch die Lösung dieses Problems konnte der neue Asienhandel durchgesetzt, gesteigert und weiterentwickelt werden. Beide Problemlösungen werden jeweils auf der Grundlage eines Vergleiches zwischen den Versuchen und Lösungsansätzen der Portugiesen und der Holländer, des "Estado da India" und der Vereinigten Ostindischen Kompanie, VOC, dargestellt.

I Die Vorrangstellung der Europäer, der Weltmeere und der Handelsexpedition

Zunächst gilt es, eine neue, dreifache Vorrangstellung oder Ausschließlichkeit hervorzuheben: Nur Europäer überwinden ausschließlich Weltmeere, ausschließlich auf der Grundlage der Handelsexpedition - um nach Asien zu gelangen und in einen alten Asienhandel einzudringen. Erst nach der Feststellung dieser dreifachen Vorrangstellung ist es sinnvoll, bestimmte Europäer bei der Lösung zweier dabei anfallender grundlegender Probleme zu betrachten.

Der Vorrang der Europäer: Betrachtet man die staatlichen Ressourcen, die Schiffsbautechnik, die nautischen und geographischen Kenntnisse, und die seit Jahrhunderten bestehende Routine bei der Organisation eines internationalen Fernhandels, die im Bereich des islamischen, indischen aber auch chinesischen Wirtschafts- und Kulturraumes verfügbar waren, so muss man immer wieder von der Frage fasziniert sein, weshalb nicht Händler und Admiräle von Asien nach Westen, sondern von Westen nach Asien vorgedrungen sind. Islamische Karawanenhändler und Seefahrer hatten den afrikanischen Kontinent im Norden bis in den Nigerbogen und Ostafrika bis nach Sofala erkundschaftet und in ihr Handelsnetz eingegliedert.

Die sieben Tributexpeditionen des kaiserlichen Flottenadmirals Chen-Ho der Mingdynastie führten zum Zeitpunkt, da zwölf portugiesische Schiffsexpeditionen vor dem Kap nun umkehren mussten, eine 20.000 Mann starke Flotte nach Ceylon, Aden und Mogadischu. Keiner der Häfen wagte sich den kaiserlichen Tributforderungen zu widersetzen und neben Korallen und Bahreinperlen wurde der Pekingpalast sogar noch mit einer Giraffe versorgt 2 . Andeutungen in den Berichten über die Expedition lassen sogar vermuten, dass die kaiserliche Flotte über die Segelbedingungen in der Madagaskarstraße und über das dauerhafte Verschwinden des Polarsterns unter dem nördlichen Himmelshorizont informiert war. Obwohl die Chinesen in der Form der Dschunke, die eventuell mit einem Heckruder und einem Kompass ausgestattet war, über ein, den zeitgenössischen europäischen Schiffen zumindest an Größe überlegenes Transportmittel verfügten, blieben diese Expeditionen Episoden 3 . Die kurzfristige Versorgung des Hofes mit Exotica und eine nur mehrjährige Ostentation eines kaiserlichen Tributanspruches standen im Vordergrund. Es fehlte an einem über ein Jahrhundert hinaus wirksamen politischen Programm und es bestanden keine ebenso langwierig verpflichtenden religiösen und wirtschaftlichen Motive. In völligem Gegensatz dazu stand die portugiesische Ausgangsposition. Hier kontrastierte ein über acht Jahrzehnte immer wieder erneuertes politisches Programm einen Weg nach Asien zu finden, mit einem diesem Anspruch gegenüber anfänglich geringfügigem Maß an staatlichen Ressourcen, nautischen Techniken und geographischen Kenntnissen.

Es war aber schließlich dieses Programm, das die Portugiesen in einen 80-jährigen Lernprozess geographischer, wirtschaftlicher und politischer Art hineinzwang, in dessen Verlauf sich das Motiv, den Seeweg nach Asien zu finden, die Instrumente schaffte, die das Programm schließlich zur Realität werden ließen.

Die von den Portugiesen erworbenen Kenntnisse und die von ihnen errichtete Struktur aus Segelpassagen und Stützpunkten stand in der Folgezeit all denjenigen als materielle oder immaterielle Beute zur Verfügung, die ein gleiches Handels- und Eroberungsinteresse mit ähnlicher Organisationsfähigkeit über vergleichbare Zeiträume zu verfolgen bereit waren. Eine Bedingung, die, wie die Folgezeit zeigte, auf bestimmte europäische aber nicht auf die asiatischen Rivalen zutraf. Es waren keine arabischen Dhaue oder malaiischen Dschunken, die einen Lissaboner oder Antwerpener Zamorin zum Verkauf von Wollmänteln oder Kupferbarren zwingen wollten, sondern holländische Schiffe, die malaiischen Inselsultanen standardisierte Handelsverträge oktroyierten. Aber der sich bis 1800 stets stärker integrierende Welthandel privilegierte nicht nur die Europäer, er privilegierte zugleich eine bestimmte geographische Zone, die offenen Weltmeere.

Der Vorrang der Weltmeere: Der vorkoloniale, internationale Asienhandel war stets eine Mischung aus Karawanen- und Seehandel. Selbst in den Abschnitten, in denen der See-handel dominierte, handelte es sich um ein quasi mediterranes "costeggiare", eine Küstenschifffahrt, die wenn immer möglich die Passagen über das offene Meer vermied. Eine seeüberquerende Schifffahrt beschränkte sich auf die Chancen und damit die Termine der Monsunsysteme. Aber auch dabei waren Passagen, die länger als vier Wochen dauerten, eher die Ausnahme als die Regel. Nur sehr wenige Araber segelten etwa direkt nach Indonesien. Normalerweise dienten Gujarat, die Malabarküste und Ceylon als Entrepôt zwischen mittlerem und fernem Osten.

Um den Preis starker Vereinfachung lässt sich der vorkoloniale Handel zwischen dem Mittelmeerraum und Asien deshalb wie folgt beschreiben. Dieser Asienhandel bestand aus einem sich von Ost nach West erstreckenden linearen Austauschsystem. Im Rahmen dieses Austauschsystems durchquerten die Güter in einer Mischung aus see- und landgetragenem Transport die Mehrzahl der beteiligten Handelsnationen und Handelsplätze. Allenfalls zwei Drittel der Strecke und damit der beteiligten Handelsnationen wurden in der Form eines küstenfernen, seegetragenen Transports überwunden. Sowohl der Typus des Händlers, der Charakter der Waren und ihres Austausches, ebenso wie die dafür notwendige Zeit und die für sie zu bezahlenden Preise, wurden von diesem linearen Schema eines aufenthaltsamen "stop and go" - Prozesses tief geprägt. Das hervorstechende Merkmal dieses Austauschprozesses war, dass das Fernhandelsprodukt im Bauch vieler Schiffe und auf dem Rücken vieler Kamele, über lange Zeiträume sich erratisch über die legendären sieben Meere und die verschiedensten Karawanenstraßen bewegte.

Diesem ständigen Wechsel der Transportmittel entsprach ein ständiger Wechsel der beteiligten Händlergruppen und damit der Basare und Handelsplätze. Ehe ein Bahar indischer Nelken in Augsburg verkauft wurde, war es zumindest durch die Hände von vier regionalen Händlergruppen und über drei Entrepôt-Märkte gelaufen. Für die Passage selbst hatte das Produkt länger als ein Jahr gebraucht. Neben vielerlei anderen Merkmalen musste dieser Tatbestand die Endkosten des Produkts beeinflussen. Zum einen gingen in diese Kosten die relativ hohen Transportkosten eines landgetragenen Verkehrs ein und zusätzlich addierten sich die oft überhöhten Schutzkosten, die Dutzende von Territorialherrschern und Entrepôtmagnaten in der Form von Weg-, Konvoi-, Hafen- und Lagerzöllen auf das Produkt erhoben. Auf die zahllosen zusätzlichen Preisbelastungen, die sich prinzipiell aus der mangelnden Transparenz so verschiedenartiger und oft kleiner Zwischenmärkte ergaben und die zusätzlichen Gefahren, die sich aus illegalen Konfiskationen, Marktmanipulationen und dem "escheat" orientalischer Erbgesetze ergaben, sei hier nicht eingegangen 4 .

Nur Produkte, die bei kleinem Volumen extrem hohe Endpreise erzielten, konnten dieses lineare System in seiner gesamten Ost-Westausdehnung durchlaufen. Mit den Worten des Historikers Gibbon, war dieser Handel deshalb ein Luxushandel: "international, glänzend und geringfügig!" Die Produkte, die dieser Transport- und Schutzkostenfilter schließlich tolerierte, waren Produkte, die von den Eliten aus strategischen, medizinischen oder Status- und Genussmotiven als unverzichtbar angesehen wurden: Parfüms, Farbstoffe, Medizinalstoffe, Aphrodisiaka, Gewürze, Seidenstoffe, Edelsteine und Perlen, possierliche und dressierte Tiere aus dem Osten; Gold und Silber, manchmal Waffen, Reitpferde und exotische Tiere aus dem Westen. Gegenüber diesem Transportsystem, das von vielen Zwischenplätzen, ständigem Transport- und Besitzerwechsel und folglich von hohen Kosten und langen Zeiträumen geprägt war, musste ein ausschließlich seegetragener Handel, der nur einen Besitzer, ein Transportmittel, kürzere Zeiträume, größeren Frachtraum und den völligen Verzicht auf mehr oder minder illegal überhöhte Schutzkosten kannte, stets als eine lohnende, geradezu revolutionäre Alternative erscheinen.

Vor dem 16. Jahrhundert aber hatte diese Alternative nicht bestanden. Seit dem 16. Jahrhundert beginnt sie sich in ständig steigendem Umfang durchzusetzen, bis sie um 1600 dem Karawanenhandel seine traditionellen Handelsgüter entreißt. Ab 1700 wurden bislang regional begrenzte Produkte international als Luxusgüter verfügbar gemacht und gegen Ende des 18. Jahrhunderts diese regionalen Massengüter zu internationalen Massengütern verwandelt. Schlagwortartig könnte man von einer Baumwollstoff- und Teephase sprechen. Parallel zu diesem doppelten Prozess der Umverteilung von Gütern auf neue Handelswege und der laufenden Umwandlung regionaler Gebrauchsgüter zu internationalen Handelsgütern verändert sich das alte Transportmodell. Ab 1650 kollabiert der Karawanen-Gewürzhandel, ab 1700 muss sich der asiatische Seehandel in steigendem Maße regional reorganisieren und sich auf Bereiche beschränken, die außerhalb des Interesses und der Passagen des kolonialen Handels liegen. Bis 1800 gehen bereits erhebliche Bereiche dieses letzten Refugiums des regionalen Küstenhandels, des "Coastal Trade" an die Europäer verloren 5 .

Übersieht man für einen kurzen Augenblick, dass Territorien aus Erde und Meere aus Salzwasser bestehen, so erinnert die Durchsetzung des internationalen Seehandels an einen Eroberungsprozess: Ein neues, riesiges, bislang unbekanntes und unbewohntes Territorium muss zuerst entdeckt und schließlich besetzt werden. Wer immer als erster diese Fläche okkupiert, kann seine eigenen Transportkosten minimieren, indem er auf Schutzzölle verzichtet und sich zwangsläufig ausschließlich auf die kostengünstigeren, seegetragenen Transportmittel stützt. Anderen, im Wortsinne marginalen Rivalen, periodischen Grenzgängern kann er eventuell nach Gutdünken solche Kosten aufbürden. Diese seine Zölle braucht er mit niemandem zu teilen. Die Entdeckung und Durchsetzung eines neuen Handelsraumes spielen damit dem Eigentümer dieser Sphäre entscheidende Vorteile und Machtchancen in die Hand.

Parallel zur Durchsetzung der Kostenvorteile des neuen Transportsystems kann die anfänglich überlegene vorkoloniale Alternative zunehmend marginalisiert, untergeordnet oder zerstört werden. Bei diesem Konkurrenzprozess ist allerdings nicht unerheblich, ob die betreffenden oder betroffenen Territorial- und Seemächte diesen Prozess und seine säkularen Implikationen durchschauen. Von großer Bedeutung war deshalb, dass die seit über einem Jahrtausend im alten Asienhandel engagierten Mächte und Händlergruppen dem Potential des neuen Handelssystems keine Bedeutung zumaßen, während die erste merkantile und politische Struktur, die auf seiner Grundlage errichtet wurde (der "Estado da India"), rasch zum Gegenstand des Beuteinteresses von Außenseitern wurde - holländischen und englischen Kaufleuten und ihren Monopolhandelsgesellschaften.

An dieser Stelle soll nicht auf die zahllosen epochal plausiblen Gründe dieses Defizits an Interesse und Engagement eingegangen werden, ebenso wenig darauf inwiefern Portugiesen, später Holländer und Engländer, mit Willen und mit Bewusstsein die Vorteile dieses neuen Transportmodells realisierten und seine Entwicklungsmöglichkeiten durchschauten. Es genügt festzuhalten, dass zwei Tatbestände, die Entdeckung eines neuen internationalen Handelsraumes, der Weltmeere, unter der ausschließlichen Dominanz dreier bisher im asiatischen Bereich marginalen Handelsgruppen, Portugiesen, Holländern und Engländern, bereits im 16. und 17. Jahrhundert Rahmenbedingungen schaffte, die auf die gesamte Entwicklung der folgenden Jahrhunderte einwirkten. Aus dieser doppelten Vorrangstellung eines neuen Verkehrsraumes und seiner ausschließlichen europäischen Nutzung, resultiert aber zugleich eine weitere Vorrangstellung: Der Vorrang einer prinzipiellen neuen Form der Handelsreise, die der Handelsreise als Expedition. Um diese dritte Neuerung, Vorrangstellung und Ausschließlichkeit begründen zu können, dürfen wir nun nicht länger das alte und neue Transport-System schematisch nebeneinander stellen, sondern müssen kurz betrachten, unter welchen Bedingungen das neue Transportsystem aufgebaut werden musste und unter welchen Bedingungen es zu dem alten in Konkurrenz trat.

Der Vorrang der Handelsexpedition: Das neue Transportsystem unterscheidete sich von dem alten nicht nur dadurch, dass es von Außenseitern in einem neuen Verkehrsraum aufgebaut wurde, sondern dass es von ihnen über weit größere Entfernungen absichtlich und in kürzerer Zeit errichtet wurde. Der Aufbau des neuen Transportsystems steht also unter den folgenden schlagwortartigen Schwierigkeiten: Unvorstellbares muss vorstellbar werden, Unbezahlbares muss teuer werden und Teures schließlich billig. Im Rahmen von bewusster Planung und relativ kurzen Zeiträumen verwandelte sich bislang Unmögliches zu Selbstverständlichem. Große Distanzen, bewusste Planung und damit kürzere Realisierungsdauer kontrastierten aber nun scharf mit dem archaischen alten Transportmodell. Das alte Transportsystem war aus einer aufsteigenden Verknüpfung von Hunderten von lokalen, Dutzenden von regionalen und wenigen interkontinentalen Handelsstrukturen entstanden. Es war also ein Handelssystem, das sich auf der Basis seines kleinsten Elements, dem Lokalhandel, an vielen Stellen, polizentrisch zu Handelsstrukturen mit einem ständig steigenden Durchmesser über lange Zeiträume von unten nach oben vertikal aufgebaut hatte. Dieser gleichsam naturwüchsige vertikale Prozess des Aufbaus ständig größerer und komplexerer Handelsverknüpfungen war deshalb unter der Beibehaltung der jeweiligen lokalen, regionalen und überkontinentalen Händlergruppen von statten gegangen. Ganz im Einklang mit seiner naturwüchsigen Entwicklungsgeschichte wies das System deshalb drei Eigenschaften auf:

- Es hatte alle ursprünglichen Händlergruppen in seinem Gesamtmuster akkommodiert.

- Es war über den Zeitraum von mehr als einem Jahrtausend entstanden.

- Es war durch eine Serie gleichmäßig verteilter Zufallskontakte zwischen freien Einzelelementen zustande gekommen.

Gegenüber diesen drei Eigenschaften wies das neue Transportmodell von Anfang an kontrastierende Merkmale auf:

- Es wurde von jeweils einer Händlergruppe dominiert.

- Es entstand im Rahmen von weniger als zwei Jahrhunderten.

- Es verdankte seine Entstehung der absichtsvollen und geplanten Suche nach neuen Handels- und Rauminformationen.

Für die Portugiesen bedeutete dieser Kontrast, dass sie nicht bereit waren, jeweils solange zu warten, bis aufgrund von Zufallskontakten und zufälligen Informationen bisher unbekanntes Gebiet zu bekanntem verwandelt worden war, sondern dass sie sich von Anfang an für die Aufgabe, die Rolle des Entdeckers entschieden. Über den Ablauf eines langen Jahrhunderts hinweg segeln sie in prinzipiell unbekanntes Gebiet, um es eben dadurch in ein bekanntes zu verwandeln. Der Erfolg gab ihnen recht: das Sammeln von Informationen durch den aktiven Modus des Entdeckens erfolgt im Zeitmaß von Jahrzehnten, das Sammeln von Informationen durch den passiven Modus des Wartens erfolgt im Zeitmaß von Jahrhunderten.

Diese Situation des Entdeckens zwang von Anfang an die Schiffsreise in eine neue Struktur. Während der traditionelle Händler in Gebieten Handel trieb, die ihm vertraut waren, in denen er auf seine eigenen Landsleute treffen konnte und in denen er seine Religion und zuweilen sogar seine Rechtsformen praktizieren konnte, so segelte der Entdecker prinzipiell in ein Nichts. Als Expedition will ich deshalb diejenige Schiffsreise bezeichnen, die prinzipiell in ein unbekanntes Gebiet segelten, um es dadurch in ein bekanntes zu verwandeln. Das implizierte für die Form dieser Schiffsreise eine Strategie der Risikominderung. Das Schiff musste so ausgerüstet werden, dass es sich über lange Zeiträume selbst verpflegen und selbst verteidigen konnte. Diese doppelte Autarkie der Verpflegung und des Schutzes waren aber einander nicht einfach verrechenbar, denn die Fähigkeit zur Selbstverteidigung ermöglichte auch den Angriff. Und dieser Angriff ermöglichte in einem zweiten Schritt völlig neue Konsequenzen, die sich wiederum auf die Qualität der Proviantierung und des Schutzes auswirken konnten.

Die Aufgaben der Verpflegung und der Verteidigung, wurden im alten System "externalisiert", also in Dutzende kosmopolitischer Hafenstädte und über einen großen Handelsraum ausgelagert. Die Entdeckungsreise musste diese Aufgaben internalisieren. Diese Internalisierung der Verpflegung und des Schutzes verteuerten aber nicht nur diese Form der Handelsreise, sie führte zu einer völlig neuen Qualität. Die Schiffe wurden gleichsam zu mobilen Städten, die nicht nur befestigt, sondern auch angriffsfähig waren. Gegenüber dem festgefügten Netzwerk von unbefestigten Städten im alten Handelssystem stellten sie im Grunde eine frei disponible Masse von hölzernen, schwimmenden Stützpunkten dar. Sie bieten damit auf Dauer die Chance zur Verkehrung einer historischen Kausalität. Während im alten Transportsystem Schiffe auf Städte ausgerichtet waren, die alte Stadt dem Schiff das Anlaufsziel vorgab, konnten im neuen Handelssystem die Städte auf die Schiffe (und Flotten) ausgerichtet werden. Die Schiffe, die Flotten, die Disposition des neuen Handelssystems gaben den Städten ihr Ziel, ihre Funktion vor. Die Stadt im alten System war Handelsplatz und lokal, von "unten nach oben" in das Handelssystem hineingewachsen. Die Stadt im Kolonialen System war immer auch Stützpunkt, von "oben" disponiert, also von Anfang an Planungselement und Träger eines Systems. Kolonialstädte waren für ihren Schutz und sehr oft bei der Nahrungsversorgung von den kolonialen Flotten abhängig, umgekehrt blieben die Flotten auf diese Stützpunkte angewiesen. Während im alten System die Meeresräume und ihre Schiffe den Küstenregionen und ihren Städten untergeordnet waren, so ordnet der Kolonialhandel die Küsten und ihre Städte seinen Schiffen und dem Meer unter. Das alte System war gewachsen, dezentral, eine Summe; das neue hingegen disponiert, zentralisiert, eine Struktur.

Veränderte Handelsbedingungen, Handelsreisen ins Unbekannte, erzwangen die Strukturform der Expedition. Die Expedition machte einen neuen Schiffstyp notwendig, der nicht nur größer sondern auch gefährlicher als die Schiffe des traditionellen Asienhandels war. Unter welchen Bedingungen tratt das neue Transportsystem mit dem alten in Konkurrenz? Zwei Arten der Konkurrenz lassen sich unterscheiden: eine friedliche und eine aggressive. Unbeschadet der Frage, ab welchem Zeitpunkt sich im Rahmen friedlicher Konkurrenz die wirtschaftlichen Vorteile des neuen Transportsystems als schlagkräftig erwiesen, steht fest, dass auch bei aggressiver Konkurrenz die neuen Schiffe von Anfang an über schlagkräftige Vorteile nicht nur gegenüber den Schiffen, sondern auch den Städten des alten Transportsystems verfügten. Das neue Transportsystem verfügte von Anfang an über die Wahl zwischen friedlicher und aggressiver Konkurrenz; es verfügte über eine größere Entscheidungsfreiheit, über eine Gewaltchance 6 .

Wir können also die drei Vorrangstellungen, im Kern eine dreifache Exklusivität des neuen Verkehrssystems, folgendermaßen verknüpfen. Aufgrund von hier nicht zu klärenden Ursachen sind es Westeuropäer, Außenseiter, die zwischen Europa und Asien ein neues Verkehrs- und Handelssystem planvoll und rasch errichten wollten. Das neue Verkehrssystem war länger als das alte, ausschließlich auf Meereswege beschränkt und musste zuerst entdeckt werden. Dies erzwang die Entwicklung einer neuen Organisationsform der Handelsreise. Die dreifache Exklusivität der Europäer, der Weltmeere und der Expedition, stellte also eine Bedingungskette dar, aus der ein neues Transportmittel resultierte: das autarke und aggressive Handelsschiff. Dieser Schiffstyp wiederum ermöglichte bis dahin unbekannte Formen und Strukturen des Asienhandels, vor allem die ständige Entscheidungsfreiheit zwischen friedlicher Konkurrenz und aggressiver Aneignung. Im folgenden sollen nun die innerhalb des neuen Verkehrssystems operierenden technischen Problemzwänge und anschließend die wirtschaftlichen Problemzwänge ausführlich dargestellt werden.

II Das Problem der extremen Distanzen

A) Die Portugiesen

Die 80-jährige Erkundung des Seeweges nach Asien zwang die Portugiesen in einen kontinuierlichen Lern- und Entwicklungsprozess. Der Radius innerhalb dessen die Schiffe zu operieren gezwungen waren, wuchs exponentiell an. Die rasche Ausdehnung des Horizonts, innerhalb dessen die Schiffe segelten, zeigen die folgenden abgerundeten Distanzen zwischen Lissabon und den Wegstationen der Entdeckung des Seewegs nach Indien:

- 1420 - 1434: Kap Bojador 1.500 km 1435 - 1445: Gambia 3.000 km
- 1460 - 1475: Kamerun 5.500 km
- 1482 - 1488: Kap der guten Hoffnung 9.000 km
- 1497 - 1499: Kalikut/Indien 15.000 km

Der Verzehnfachung des räumlichen Radius entsprach eine ständige Zunahme der Reisedauer. Während man binnen eines Jahres noch nach Kamerun und zurück segeln konnte, bedurfte es bei einer Hin- und Rückreise nach Indien fast zweier Jahre. Die Schiffe operierten dabei in einer prinzipiell unbekannten, nach der Entdeckung in einer oft feindseligen Umwelt. Zusätzlich mussten sich die Schiffsreisen amortisieren, durch einen der westafrikanischen Küstenbevölkerung aufgezwungenen Gold- und Sklavenhandel, der rasch dazu führte, eine anfänglich friedfertige Umwelt in eine feindselige zu verwandeln. Sowohl nach, wie durch die Entdeckung selbst, blieb die ursprünglich lediglich angenommene Feindseligkeit des Raumfeldes erhalten. Beides, die extremen Distanzen und die oft feindselige Küstenumwelt, zwingen die Schiffsreisen stets weiter in die neue Strukturform der Expedition hinein. In der Sprachregelung eines Ibn Khaldun sind die Schiffe gleichsam maritime Nomaden: fähig, sich mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen und sich selbst zu verteidigen. Nach den Berechnungen des französischen Wissenschaftlers Denoix war mit einer durchschnittlichen Belastung der Schiffe mit etwa 100 kg Nahrungsmenge pro Mann und Monat zu rechnen.

Das waren die Zahlen, die für die reguläre europäische Schifffahrt im 15. und die spätere reguläre portugiesische Schifffahrt nach Asien im 16. Jahrhundert galten. Die Entdeckungsreisen standen aber vor einem doppelten Problem: sie waren nicht nur lang, sie waren auch unvorhersehbar lang. Im Maßstabe der Risikominimierung musste deshalb Proviant für die oberste Grenze der Reisedauer geladen werden. Vasco da Gama hatte 2.600 kg, Columbus 1.300 kg Proviant pro Mann an Bord 7 . Damit waren die Entdeckungsfahrten nach 1420 mit dem ständig wachsenden Problem einer überproportionalen Zunahme des Eigengewichts des Schiffes konfrontiert, einem Eigengewicht, das sehr rasch dazu tendierte, die Größe der traditionell verfügbaren Schiffskörper zu übersteigen. Die durch ständig längere Entdeckungsreisen erzwungene Steigerung der Schiffsgröße lässt sich anhand der folgenden, von Jean Meyer zusammengestellten Zahlen leicht einsehen. Die Entdeckerschiffe, die zur Umrundung des Kap Bojador eingesetzt wurden, hatten noch eine Tonnage von 30 Tonnen, 30 Mann Besatzung und ein bis zwei Masten. Die Schiffe, die zur Umrundung des Kap der guten Hoffnung verwendet wurden, hatten bereits eine Tonnage von 40 bis 50 Tonnen, 35 Mann Besatzung und 3 bis 4 Masten 8 .

Die Schiffe, mit denen Vasco da Gama schließlich in Indien anlangte, hatten eine Tonnage von 80 bis 110 Tonnen, 50 Mann Besatzung und 3 bis 4 Masten. Man erkennt aus den genannten Zahlen leicht, dass bereits die Entdeckung Indiens eine Verdoppelung der Schiffsgröße voraussetzte. Man erkennt zugleich, dass eine Vergrößerung des Schiffes keine entsprechende Vergrößerung des Mannschaftsbestandes notwendig macht. Beides, die Vergrößerung der Schiffskörper und das dadurch ermöglichte, relative Einsparen von Besatzung, bilden für die Folgezeit zwei wichtige Charakteristika des portugiesischen Asienhandels. Da das kleine Land den Frachtraum steigern wollte, aber nur wenige Matrosen bereitstellen konnte, wurden im Verlauf des 16. Jahrhunderts immer riesigere Schiffe gebaut. Die Struktur der Expedition legt damit ein Entwicklungsschema nahe, innerhalb dessen bei ständig wachsenden Schiffsgrößen eine relative Verringerung des Eigengewichts der Schiffe erzielt wird.

Die Entdeckungsreisen, indem sie Nahrung und Schutz internalisieren, setzten deshalb wachsende Distanzen in ständig wachsende Schiffsgrößen um. Entfernungen materialisierten sich in neuen Objekten, Schiffstypen, und abstrahierten sich zu ständig höheren Transportkosten. Überseeische Kontinente wurden aber entdeckt, um sie über Eroberung und Handel nutzbar zu machen. Damit sich die Entdeckungsfahrten langfristig auszahlten, mussten deshalb die Schiffe über die Grenze ihres Eigengewichtes hinaus noch weiter vergrößert werden, um Raum für den Transport, der für die Eroberung oder den Handel notwendigen Zwangsmittel und Tauschprodukte zu schaffen. Sowohl das spanische wie das portugiesische Kolonialreich operierten während des gesamten Ablaufs ihres "siglo de oro" innerhalb dieses von dem Entfernungsdiktat gesetzten Zwanges. Es liegt deshalb nahe, auf der Basis der Entfernungen, der daraus unmittelbar ableitbaren und historisch nachprüfbaren Segelzeiten und der dadurch bedingten Schiffsgrößen ein chronometrisches Weltmodell zu erstellen, in dem die Kolonialterritorien nach dem Maßstabe ihrer zeitlichen Entfernung von dem Mutterland abgebildet werden können. Ein solches Modell wird aber sinnvollerweise nicht nach der Zeitdauer einer Segelpassage, sondern nach der Dauer einer Hin- und Rückreise konstruiert.

Nur eine solche Hin- und Rückfahrt drückt die echte Verbindung zwischen Kolonie und Mutterland aus und veranschaulicht die realen Zeitdistanzen zwischen Aktion und Reaktion, zwischen Investition und Gewinn einer Reise. Wir wollen aber nicht nur die Dauer einer Hin- und Rückreise zum Maßstab unseres Modells machen, sondern wir müssen noch einen zusätzlichen, unabhängig von der Distanz operierenden Zeitfaktor mit berücksichtigen. Innerhalb der riesigen Entfernungen und der von ihnen erzwungenen Segelzeiten bestand eine Vielzahl von Wind- und Wettersystemen, an die sich die rudimentäre Navigationskunst des 15. und 16. Jahrhunderts noch völlig anpassen musste. Diese Wind- und Wettersysteme determinierten damit die Termine, zu denen gesegelt werden konnte. Sie determinierten damit die Länge der toten Zeiten, in denen das Schiff sowohl im Hafen des Mutterlandes als auch der Kolonien tot, nutzlos vor Anker liegen musste. Maßstab für die reale Zeitdauer soll deshalb die Zeitdauer zwischen dem Beginn zweier aufeinanderfolgender Hin- und Rückfahrtspassagen sein. Es wird sich zeigen, dass die Segelzeit manchmal weniger als zwei Drittel der realen Zeitdauer dieser Passage ausmachte.

Pierre Chaunu hat für das 16. Jahrhundert ein solches, nach der Abfolge von Abfahrtsdaten strukturiertes Modell aufgestellt. Sein konzentrisches Modell unterscheidet drei Zeitzonen 9 . Eine zentrale Einjahreszone, in der die Schiffe binnen eines Jahres die Kolonien erreichten, zurückkehrten und anschließend wieder lossegeln konnten, anschließend eine mittlere Zweijahreszone und schließlich eine äußere Drei- bis Fünf-Jahreszone. Diese äußere Zone ist aber fiktiv, da sie nicht vom kolonialen Zentrum angelaufen wurde. Innerhalb des Einjahresradius liegen die Kapverdischen Inseln, die Westafrikanische Küste, Nordostbrasilien, die Karibik und die Nordamerikanische Atlantikküste. Innerhalb des Horizontes des Zweijahresradius liegt dagegen das gesamte mittelamerikanische und südamerikanische Festland mit seinen wichtigen atlantischen Zwischenhandelshäfen Vera Cruz und Nombre de Dios, später Puerto Bello, Cartagena in Venezuela, die wichtigen südlicheren Häfen Brasiliens und Buenos Aires, Entrepôt für den weitgehend illegalen Handel nach Peru. Im Osten liegen innerhalb dieser Zeitzone die portugiesischen Stützpunkte und Forts von Benguela, Mozambique, Mombasa, Muskat, Ormusz, Diu, Daman, Bassin, Chaul, Goa, die Malabar-Stützpunkte und Colombo.

Dieses lange Zweijahresintervall zwischen zwei Segelpassagen wird weniger von den extremen Entfernungen als von den in ihnen vorherrschenden Wind- und Wettersystemen bedingt. Die spanische Carrera da India konnte nur nach dem Abflauen der Winterstürme den Monopolhafen Sevilla verlassen, bewegt sich anschließend auf dem ganzjährigen System der Passatwinde südwestlich auf Südamerika zu, um ab Mai mühselig und langsam durch den Golf von Yukatan nach Mittelamerika zu navigieren. Da das Ent- und Beladen der Schiffe länger als zwei Monate in Anspruch nahm, konnte die Carrera nicht mehr vor dem September, das in der Höhe der Bermudas nach Osten wehende nordatlantische Windsystem erreichen. Um nicht in die im Herbst auftretende Hurrikanzone zu geraten, blieb die Flotte 8 Monate, bis zum nächsten Frühjahr, im geschützten Hafen von Havanna liegen. Um in angemessener Zeit ständig ihre Verbindung mit den Kolonien aufrecht zu erhalten, ließ die spanische Krone deshalb stets zwei Flotten wie auf einem gewaltigen Zifferblatt im Uhrzeigersinne über den mittleren Atlantik kreisen. Einem der "Volta" vergleichbaren Muster folgte auch die portugiesische Carreira da India. Die unveränderbaren Distanzen der Geographie und die in ihnen operierenden saisonalen Wind- und Wetterbedingungen determinierten also neben der Länge auch die Termine der Segelzeiten, d. h. sie entschieden über die Dauer der toten, ungenutzten Zeitabschnitte.

Die portugiesische Carreira hatte mit noch größeren Schwierigkeiten zu kämpfen: auch sie konnte erst nach dem Abflauen der Winterstürme den Monopolhafen Lissabon verlassen; segelte anschließend mit den Passatwinden bis kurz vor die nordostbrasilianische Küste und steuerte anschließend in südöstlicher Richtung auf das Kap der Guten Hoffnung zu, das sie in weitem Bogen und vor Juni, also vor dem Einbruch der Winterstürme, umsegeln musste. Danach segelte sie anfänglich durch die schwierige Madagaskarstraße, später östlich von Madagaskar, bis sie in der Höhe der Somaliküste die Ausläufer des Sommermonsuns nach Goa trugen. Goa durfte sie nicht vor und konnte sie nicht nach dem September erreichen. Erst im September hatten die Niederschläge an den westlichen Ghats die Flüsse soweit aufgestaut, dass diese die Sandbarriere durchbrechen konnten, die die frühen Sommermonsunstürme vor dem Ankerplatz angehäuft hatten. Bereits im Dezember musste die Flotte mit dem Wintermonsun zurücksegeln, wollte sie das Kap der Guten Hoffnung sicher umsegeln und nach Wochen mühseligen Navigierens vor der westafrikanischen Küste konnte sie gegen Sommermitte Lissabon wieder erreichen. Während die Atlantikpassage dem spanischen Navigator lediglich die Adaption an zwei "geschlossene Fenster", Winterstürme bei Abfahrt, Hurrikanzone bei Rückreise, abverlangte, musste der portugiesische Navigator sich an fünf dieser klimatisch vorgegebenen Termine anpassen: Winterstürme, Sommerstürme am Kap, Sommermonsun, Wintermonsun und Winterstürme am Kap der guten Hoffnung 10 .

Diese mittlere Zeitzone wurde umgeben von einer dritten äußersten Zeitzone, deren Radius so groß war, dass sie nicht mehr zentral von Lissabon oder Sevilla zu erreichen war. Im Osten beginnt diese Zone mit der Coromandelküste. San Thomé de Meliapur, in der Nähe des späteren Madras gelegen, Hughli am gleichermaßen genannten Fluss in Bengalen, Malacca gegenüber Sumatra, die portugiesischen Niederlassungen in der Javasee und schließlich Macao und Nagasaki gehören in diesen Bereich. Am äußersten östlichen Tellerrand traf diese portugiesische Einflusszone auf die westliche Peripherie des spanischen Kolonialreiches, auf die Philippinen mit ihrem Stützpunkt Manila. Diese Peripherie des Estado da India lag außerhalb der regulären technischen und navigatorischen Möglichkeiten des 16. Jahrhunderts. Schiffe des kolonialen Mutterlandes, die diese Stützpunkte direkt anlaufen wollten, brauchten für eine Hin- und Rückreise im Durchschnitt drei bis fünf Jahre. Die Reisenden, die Manila und Macao von Europa aus zu erreichen suchen, brauchten zumeist länger als drei Jahre. Und wollte man den von Pierre Chaunu angeführten Einzelfällen folgen, so musste man im Falle einer Hin- und Rückreise mit einer durchschnittlichen Sterblichkeit von Mannschaften und Passagieren rechnen, die 50 % überstieg. Das leuchtet unmittelbar ein, wenn man sieht, dass bereits ein Drittel der Schiffsbesatzungen die Pazifiküberquerung, die Passage Acapulco - Manila, nicht überlebte. Zeit, Sterblichkeit und damit auch Kosten bildeten in dieser Grenzzone eine soziale, physische und wirtschaftliche Mauer, gegen die die rudimentären Segelkenntnisse des 16. Jahrhunderts nichts zu unternehmen vermochten 11 .

Die Erde ließ sich zwar 1521 in ihrer ganzen Kugelgröße entdecken, aber um einen Preis - sie rächte sich durch ihre Entfernungen. Aus dem Unvorstellbaren wurde hier das Unmögliche. Mit der mittleren Zeitzone stieß das archaische Koloni-alsystem des 16. Jahrhunderts deshalb nicht an die geographische Grenze seiner Besitztümer, aber an die soziale und technische Grenze ihrer Kontrolle und Ausbeutung. Selten zuvor hatten sich der Zwang zu gesteigerter Organisation und technischer Innovation ebenso wie die Grenzen solcher Anstrengungen so eindeutig in einem von Menschen geschaffenen, disponierten und zugleich ertragenen neuen Raummodell niedergeschlagen. Weder der spanischen noch der portugiesischen Krone gelang es, im 16. Jahrhundert die Grenzen des eigenen Raummodells zu überwinden. Die Verbindung zu, die Kontrolle über und die Nutzung der äußersten Zeitzone wurde stattdessen der mittleren übertragen: die Peripherie wird zur Kolonie der Kolonien. Die Philippinen stellten ein, an den Jesuitenstaat Paraguay erinnerndes, autonomes, weitgehend klerikales Verwaltungsterritorium dar; allerdings keinen riesigen klerikalen Fronhof, um die Charakterisierung Paraguays durch Max Weber zu gebrauchen. Während die spanische Krone in ihrer imperial kontrollierten Zeitzone Mulo, Pferd, Esel, Schafe, Ziegen, Hühner, Weizen, Oliven und Wein diffundierte, brachten die in Mexico City ausgebildeten und ordinierten Padres neben all diesem auch Avocados, Mais, Tomaten, Kartoffeln, Ananas (für die Schiffsseile) und Erdnüsse auf die Philippinen 12 .

Während der portugiesische Vizekönig in Goa in seiner dreijährigen Amtszeit unter relativ strikter Kontrolle der königlichen Regimentos und unter paralleler Kontrolle durch die unabhängig von ihm nominierten Magistrate, Erzbischöfe und Inquisitoren stand, verwaltete und finanzierte sich Macao weitgehend selber, über einen von den Bürgern gewählten Senat und in Abhängigkeit vom lokalen Mandarin. Der einzige offizielle Zugriff, den der Vizekönig über Macao hatte, war über den jeweiligen Generalkapitän, der die jährlich von Goa nach Malacca, Macao und Nagasaki unternommene Monopolreise pachtetete . Solange jener sich in Macao aufhielt, sollte er die Angelegenheiten des Stützpunktes verwalten. Ein Recht, das die Bürger nicht anerkannten 13 .

Die Nao da India brauchte für die Passage von Goa bis Japan und zurück oft drei Jahre, die Manilagalleon für die Passage Acapulco - Manila zumeist zwei Jahre. Es verwundert deshalb nicht, dass im Durchschnitt fünfmal soviel Schiffe zwischen Manila und Macao verkehrten wie zwischen Sevilla bzw. Lissabon und diesen peripheren Außenstellen. Da also diese Kolonien der Kolonien außerhalb des direkten Zugriffs der imperialen, der mittleren Zeitzone lagen, so soll hier auf die Aufzählung der in diesem Bereich vorherrschenden schwierigen Windsysteme verzichtet werden. Stattdessen sei auf die Schiffs- und Handelsformen eingegangen, die sich in der nahen, der Kernzone und der mittleren, der Imperialen entwickelten.

Die Kernzone: Die Schiffe, die in dieser Zeitzone operierten, mussten im Durchschnitt mit einer zweimonatigen Seereise rechnen, einer Zeitdauer, die darüber hinaus relativ verlässlich war. Nahrung musste deshalb nur für zwei Monate geladen werden. Dieser Tatbestand machte es möglich, dass die in diesem Bereich operierenden Schiffe dem Zwang eines exponentiellen Wachstums der Schiffsgröße ausweichen konnten. Die Schiffe der Kernzone blieben im gesamten Verlauf des 16. Jahrhunderts klein. Oft waren es Fischereikutter, die die Inselbewohner der Azoren und Canarischen Inseln und die spanischen und portugiesischen Fischerdörfer schon seit einem Jahrhundert verwendeten. Die geringe Größe und traditionelle Bauform des Transportmittels machten es möglich, dass diese Schiffe von Privatleuten gebaut, besessen, angeheuert, viktualisiert und eingesetzt werden konnten. Geringe Herstellungs- und Betriebskosten ließen in der Kernzone den ersten privaten Überseehandel entstehen. Dieser Handel musste und konnte von der Krone nicht kontrolliert werden. Seeleute und Kaufleute in Dutzenden von spanischen und portugiesischen Seehäfen, vor allem jene der atlantischen Inselgruppen, partizipierten an diesem Handel, der zu einem solchen Grade sozial diversifiziert und regional dezentralisiert war, dass seine Kontrolle die Fähigkeiten der Krone überstieg 14 . Da die Schiffe nach traditionellen Verfahrensweisen gebaut und betrieben werden konnten und in seit langem bekannten einfachen Windsystemen operierten, so drohten hier keine spektakulären Schiffsverluste; hier zeigt sich keine "Historia Trágica del Mar". Die Krone musste diesen Handel deshalb nicht durch eine Konzentration auf Monopolhäfen, durch Vergabe von Navigationslizenzen und durch die Verbesserung von Seekarten regulieren und schützen. Zudem bestanden keine Inter-essenskonflikte: der relativ hohe Anteil an Frachtraum, der diesen Händlern für Transportzwecke zur Verfügung stand, machte es ihnen möglich, Produkte zu transferieren, an denen die Krone entweder kein Monopolinteresse hatte oder es politisch nicht durchsetzen konnte.

Die Kernzone wurde damit zur Domäne der Volumengüter, deren geringer Endpreis und geringere Gewinnspannen den geringeren Transportkosten entsprachen. Dieser erste, privat betriebene Überseehandel verlagerte zunächst den seit einem Jahrhundert zwischen Norditalien, Portugal, Spanien und den Atlantikinseln errichteten Zuckerrohrhandel und -anbau nach Nordostbrasilien und bald in die Karibik. Der Zuckerrohranbau auf den Kanarischen Inseln stützte sich aber seit langem auf Sklavenarbeit, norditalienisches Kapital und lokale Unternehmer. Spanische, italienische, portugiesische Schiffe, Seeleute und Händler transportierten und verkauften den Zucker. Damit war, vor der Entdeckung und Errichtung des neuen Zeitzonen- und kolonialen Weltmodells eine in der Folge breitenwirksame, fast universale Produktionsstruktur entstanden, die Plantage. Die transatlantische Verlängerung und Übertragung dieser ersten kolonialen Produktionsstruktur stützte sich nicht nur auf die traditionellen Transportmittel, sondern auch auf diese bereits traditionellen Organisationsformen, Finanziers und Märkte 15 .

In diese, sich in der Kernzone horizontal und quantitativ ausweitende, einerseits traditionelle, andererseits koloniale Plantagenökonomie, also Produktions- und Vermarktungsstruktur konnten nun sukzessive neue Volumengüter, maßgeblich Tabak, Baumwolle, selbst Reis, zwanglos eingeführt werden. Da die Plantage ein weiteres, zusätzliches "Volumenprodukt", billige Arbeit, zur Voraussetzung hatte, entwickelte und steigerte sich der seit Anfang des 15. Jahrhunderts einsetzende Sklavenhandel proportional zu dieser Nutzung der Kernzone 16 . In dem Maße, in dem die Kernzone ihre Verfügung über Arbeitskräfte, Volumengüter, Transportmittel und Massenabsatzmärkte steigert, entwickelte sie sich zugleich zu einem Bereich, den die Krone - die anfänglich meinte, diesen Bereich nicht kontrollieren zu müssen - nun schließlich nicht mehr kontrollieren konnte. Spätestens nach der Mitte des 17. Jahrunderts musste sie sich nicht nur gegen den eigenen Privathandel, sondern auch noch gegen nordwesteuropäische Händler und Kolonialgesellschaften durchsetzen, wollte sie die weitverzweigte Inselwelt der Karibik noch angemessen kontrollieren.

 

Fortsetzung: Kolonialisierung als Lernprozess (II)

 

Fussnoten

[ 1 ] Vorbemerkung: Der alte Asienhandel, das Eindringen der Kolonialmächte und die Umgestaltung des Asienhandels sind ein enorm ausgedehntes, seit Jahrzehnten untersuchtes, aber immer noch nicht erschöpftes Forschungsfeld. Die folgende Untersuchung, die sich auf Lern- und Innovationszwänge konzentriert, kann alle diese Forschungs- und Theorieansätze nicht berücksichtigen. Neben den, dem Aufsatz zugrunde gelegten, in den Fußnoten zitierten klassischen Untersuchungen, seien aber doch die Namen jener drei Historiker genannt, die in den vergangenen 20 Jahren die Erforschung des Asienhandels weit vorangebracht haben: K. N. Chaudhuri (vor allem: "The Trading World of Asia and the English East India Company, Cambridge 1978); Om Prakash (vor allem: "European Commercial Enterprise in Pre-Colonial India, Cambridge 1998); S. Subrahmanyam (vor allem: "The Political Economy of Commerce - Southern India, Cambridge 1990). Ganz besonders sei aber auf die Studie von Uwe Granzow verwiesen: "Quadrant, Kompass und Chronometer - technische Implikationen des euro-asiatischen Seehandels von 1500 bis 1800", Steiner Verlag, Stuttgart 1986). Es handelt sich hierbei um die bislang einzige Studie, die den aus dem neuen Asienhandel resultierenden Innovationszwang, insbesondere im Bereich des Schiffbaus, der Navigation und der Kartographie systematisch und aus dem Blickwinkel der großen neuen Seestrecken untersucht hat.

[ 2 ] Auf einem 1937 in der Provinz Fukien entdeckten Steinmemorandum, das Chen-Ho anlässlich seiner letzten Reise errichten ließ steht: "The Imperial Ming Dynasty in unifying seas and continents, surpassing the three dynasties, even goes beyond the Han and Tang dynasties. The countries beyond the horizon and from the ends of the earth have all become subjects and to the most western of the western or the most northern of the northern countries, however far they may be, the distances and the routes may be calculated. Thus the barbarians from beyond the seas, though their countries are truly distant, "with double translation", have come to audience bearing precious objects and presents. The Emperor, approving of their loyalty and sincerity, has ordered us (Cheng) Ho and others at the head of several tens of thousands of officers and flag-troops to ascend more than a hundred large ships to go and confer presents on them in order to make manifest the transforming power of the (imperial) virtue and to treat distant people with kindness. From the 3rd year of Yung-lo (1405) till now we have seven times received the commission of ambassadors to the countries of the western ocean. The barbarian countries which we have visited are: by way of Chan-ch'eng (Champa), Chao-wa (Java), San-fo-ch'i (Palembang) and Hsien-lo (Siam) crossing straight over to Hsi-lan-shan (Ceylon) in South-India, Ku-li (Calicut), and K'o-chih (Cochin). We have gone to the western regions Hu-lu-mo-ssu' (Ormuz) , A-tan (Aden), Mu-ku-tu-shu (Mogadisho in East Africa), all together more than thirty countries large and small. We have traversed more than one hundred thousand li (?!) of immense waterspaces and have beheld in the ocean huge waves like mountains rising skyhigh, and we have set eyes on barbarian regions far away hidden in a blue transparency of light vapours, while our sails loftily unfurled clouds day and night continued their course (rapid like that) of a star, traversing those savage waves as if we were treading a public thoroughfare." Die fünfte, der auf dem Stein vermerkten sieben Reisen ist besonders bemerkenswert: "V. In the fifteenth year of Yung-lo (1417) commanding the fleet we visited the western regions. The country of Hu-lu-mo-ssu (Ormuz) presented lions, leopards with gold spots and large western horses. The country of A-tan (Aden) presented ch'i-lin of which the native name is tsu-la-fa (giraffe), as well as the long-horned animal ma-ha (oryx). The country of Mu-ku-tu-shu (Mogadisho) presented hua-fu-lu ("striped" zebras) as well as lions. The country of Pu-la-wa (Brawa in East Africa) presented camels which run one thousand li as well as camelbirds (ostriches) The countries of Chao-wa (Java) and Ku-li (Calicut) presented the animal mi-li-kao. They all vied in presenting the marvellous objects preserved in the mountains or hidden in the seas and the beautiful treasures buried in the sand or deposited on the shores. Some sent a maternal uncle of the king, others a paternal uncle or a younger brother of the king in order to present a letter of homage written on goldlead as well as tribute." in: D. F. Lach (Ed.): Asia on the Eve of Europe's Expansion, Englewood Cliffs, N. J., 1965, S. 117-120.

[ 3 ] So schildert Ibn Batuta die Dschunke auf der er Südindien verlassen wollte: "Vor der Abreise unterrichtete ich mich über die Arten der chinesischen Schiffe. Die großen heißen Junk (Dschunke), die mittleren Zau und die kleinen werden Kakam genannt. Die Junken haben drei bis zwölf Segel, die aus Bambusrohren bestehen und wie Matten geflochten sind. Sie werden nie herabgelassen und nur in die Richtung gedreht, aus der der Wind kommt. Werden die Schiffe verankert, so läßt man die Segel im Wind stehen. Auf jedem dieser großen Schiffe dienen rund tausend Mann, von denen sechshundert Matrosen und vierhundert Soldaten sind. Unter ihnen gibt es Bogenschützen, Schildträger und Armbrustschützen, die vor allem Naphtageschosse schleudern. Zu einem großen Schiff gehören drei andere Schiffe, die sogenannten Halb-, Drittel- und Viertelschiffe. Man baut sie ausschließlich in der Stadt Zaitun in China oder in Sin-Kalan (Kanton). Der Schiffsbau geht folgendermaßen vor sich: Man errichtet zwei Holzwände, deren Zwischenraum durch äußerst starke Balken verbunden wird, die der Breite und Länge nach durch dicke Nägel zusammengehalten sind. Die Länge eines solchen Nagels beträgt drei Ellen. Sind nun die beiden Holzwände durch diese Balken aneinander ge-fügt, so stellt man über ihnen das untere Schiffsverdeck her, läßt dann den Bau vom Stapel laufen und vollendet die Arbeit." Ibn Batuta: Reisen ans Ende der Welt, 1325-1353, München 1932, S. 112-113.

[ 4 ] Eine gute Beschreibung einer solchen Handelsreise bietet Sindbad der Seefahrer während seiner 5. Reise: "Und dann segelten wir dahin von Insel zu Insel und von Meer zu Meer. Auf jeder Insel, bei der wir anlegten, verkaufte ich Kokosnüsse oder tauschte sie gegen Waren ein; und Allah gab mir mehr zurück, als ich früher besessen und verloren hatte. Wir kamen auch an einer Insel vorbei, auf der Zimt und Pfeffer wuchsen; und Leute dort erzählten uns, sie fänden bei jeder Pfefferdolde ein großes Blatt, das ihr Schatten spendet und die Nässe von ihr abwehrt, wenn es regnet; sobald aber die Regenzeit vorüber sei, wende das Blatt sich um und hänge dann neben der Dolde herunter. Von jener Insel nahm ich einen großen Vorrat an Pfeffer und Zimt mit mir, den ich für Kokosnüsse eingetauscht hatte. Dann kamen wir auch bei der Insel der Fährnisse vorbei, auf der das kamarische Aloeholz wächst, und weiter bei einer anderen Insel, die fünf Tagereisen lang ist; dort wächst das chinesische Aloeholz, und das ist besser als das kamarische. Aber die Bewohner dieser Insel stehen in Sitten und Glauben auf einer niedrigeren Stufe als das Volk der Insel des kamarischen Aloeholzes; denn sie sind der Unzucht und dem Weintrinken ergeben und kennen weder den Gebetsruf noch überhaupt etwas von der Gebetspflicht. Darauf kamen wir zu den Perlenfischereien, und ich gab den Tauchern ein paar Kokosnüsse und sagte ihnen, sie sollten auf mein Glück und Gelingen tauchen. Sie taten es und holten wirklich eine Menge von großen und kostbaren Perlen herauf. Da sprachen sie zu mir: "Hoher Herr, bei Allah, dir ist das Glück hold!" Ich aber nahm alles , was sie für mich gefunden hatten, zu mir ins Schiff. Und wir fuhren mit dem Segen Allahs des Erhabenen immer weiter dahin, bis wir endlich bei der Stadt Basra ankamen." in: M. Meissner: "Die Welt der 7 Meere", Weimar 1980, S. 107. Die klassische Studie über das System des „Peddling trade" ist: Jacob C. van Leur: Indonesian Trade and Society. Den Haag/Bandung, 1955.

[ 5 ] Die klassische Studie über den Niedergang des alten Systems des Gewürzhandels, dargestellt am Beispiel des Entrepôt Ormusz, ist: Niels Steensgard: Carracks, Caravans and Companies, neu erschienen als: The Asian Trade Revolution of the 17th Century, the East India Companies and the Decline of the Caravan Trade, Chicago 1974. Die klassische Studie über den Einbruch der Monopolkompanien in die verbleibenden asiatischen Seehandelslinien und in den "Coastal Trade", dargestellt am Beispiel des Textilexporthafens Surat, ist: Ashin Das Gupta: Indian Merchants and the decline of Surat, c. 1700-1750, Wiesbaden 1979.

[ 6 ] Ein gutes Beispiel für die Entscheidungsfreiheit zwischen friedlicher Konkurrenz und aggressiver Aneignung berichtet der italienische Faktor Mateo di Begnino von der 2. Reise Vasco da Gamas vor Quiloa, Ostafrika: "Der Admiral schickte von Quiloa aus zum König des Landes und ließ ihn wissen, er wünsche ihn zu sehen, weil er mit ihm einen Vertrag machen und Frieden schließen wolle; doch dieser wollte offenbar nicht darauf eingehen. Als der Admiral feststellte, daß der König keinerlei Interesse zeigte, gab er allen Schiffen Befehl, auf die Küste zuzufahren. Wir brachten auf den Schiffen und der Caravelle die Artilleriegeschütze in Stellung und fuhren auf die Küste zu, so daß der König entsetzliche Angst bekam und sich zitternd auf das Schiff begab und dort gemeinsam mit dem Admiral übereinkam, sich hinfort als Untertan des Königs von Portugal zu betrachten, und daß er dessen Banner aufstellen und ihm jährlich als Tribut 1500 Mytigalli in Gold zahlen werde; und er zahlte dem Admiral die Summe für ein Jahr, und zwar die genannten 1500 Mytigalli in Gold." Vasco da Gama: Die Entdeckung des Seewegs nach Indien, 1497-1499, München 1982, S. 133.

[ 7 ] L. Denoix: Caractéristique des Navires de l'Epoque des grandes découvertes; Cinqiéme Colloque d'Histoire Maritime, Paris 1966, S. 142-143.

[ 8 ] Jean Meyer: Les Européens et les autres; Paris 1975, S. 47.

[ 9 ] Pierre Chaunu: Conquête et Exploration des Nouveaux Mondes; Paris 1977, S. 277-290.

[ 10 ] Detaillierte Schilderung der Carrera: P. Chaunu: Seville et l'Amerique, XVe. et XVI.e Siècles, Paris 1977 Der Carreira: U. Granzow: Quadrant, Kompass und Chronometer - Technische Implikationen des euro-asiatischen Seehandel von 1500 bis 1800, Stuttgart 1986, darin: "Lissabon-Goa-Lissabon", S. 44-82.

[ 11 ] P. Chaunu: op.cit., S. 289; U. Granzow: Acapulco-Manila-Acapulco, Manuskript, 1982.

[ 12 ] Eine vollständige Liste der transatlantischen und transpazifischen Diffusion von Pflanzen gibt: E. D. Merill: Sie umfaßt mehr als 50 Arten. E. D. Merill: Notes on the Flora of Manila, in: The Phillipine Journal of Science, Vol. VII, No.3, S. 198-199, zitiert bei C. Benitez: Phillipine Progress prior to 1898, Manila 1969, S. 202.

[ 13 ] C. R. Boxer; Fidalgos in the Far East, 1550 - 1770, The Hague 1948, Kapitel I und II.

[ 14 ] J. H. Parry: The Spanish Seaborne Empire, London 1977, Kapitel XV.

[ 15 ] F. Braudel: The Mediterranean and the mediterranean World in the Age of Phillip II, London 1981, S, 154-155.

[ 16 ] Zum Zusammenspiel der beiden Kolonien Angola und Brasilien beim Transfer der Sklaven und zum Aufbau einer fast ausschließlich zuckerrohrproduzierenden und sklavenhaltenden Gesellschaft: C. R. Boxer: Portuguese Society in the Tropics, the municipal councils of Goa, Macao, Bahia, and Luanda, 1510-1800, Madison 1965: Kapitel über Luanda, S. 110-140; Gilberto Freyre: Herrenhaus und Sklavenhütte; ders.: Das Land in der Stadt, beides Stuttgart 1982.

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Südasien-Experten Spezial: Jakob Rösel .

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