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21. Mai 2008. Analysen: Nepal - Politik & Recht Auf dem Weg zur Republik

In Nepal kommt die maoistische Bewegung in freien Wahlen an die Macht.

Die CPN-Maoist hat bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung in Nepal überraschend die Hälfte der Direktmandate und ein Drittel der nach Verhältniswahlrecht vergebenen Sitze gewonnen. Am 28. Mai, wenn die Versammlung erstmals zusammentritt, werden die Abgeordneten nahezu im Konsens für die sofortige Abschaffung der Monarchie stimmen. Schwieriger wird die Regierungsbildung, denn die beiden größten bürgerlichen Parteien lehnen eine Koalitionsregierung ab.

Bis zur Abstimmung am 10. April, in der die maoistische Agenda die meisten Anhänger fand, waren neun Jahre seit der letzten Wahl verstrichen. Ein knappes Jahrzehnt, in dem die Auseinandersetzungen um den politischen Kurs Nepals mehrmals drohten, in einen offenen Bürgerkrieg umzuschlagen: Ende der 1990er Jahre hatte sich der maoistische Aufstand auf das ganze Land ausgebreitet, was König Gyanendra schließlich zum Anlass nahm, das Parlament aufzulösen und mit Unterstützung der Armeeführung und handverlesener Regierungen die Macht immer weiter in seine Hände zu legen. Im Februar 2005 übernahm er schließlich selbst die Regierungsgeschäfte, suspendierte die Grundrechte und dehnte die Repression auch auf die bürgerliche Opposition in den Städten aus. Diese akzeptierte nach einem einseitigen Waffenstillstand der Maoisten zähneknirschend ein loses Bündnis mit den aufständischen Erzfeinden. Gemeinsam zwangen sie im April 2006 den mittels Armee und Notstandsgesetzen herrschenden Monarchen zum Rücktritt von den Regierungsgeschäften.

Zweimal hatte die Übergangsregierung seither die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung verschoben, weil sich die drei größten Parteien – der Nepali Congress, die sozialdemokratische CPN-UML und die Maoisten – nicht auf einen Wahlmodus einigen konnten. Ähnlich wie in Deutschland wurden die Stimmen nun nach einem gemischten Wahlrecht abgegeben. 240 der 601 Sitze entfallen auf Direktmandate aus den Wahlkreisen, 335 Mandate werden nach dem Verhältniswahlrecht auf die Parteien aufgeteilt, die restlichen 26 Abgeordneten sollen von der Übergangsregierung ernannt werden. Jeweils ein Drittel der Listenkandidaten müssen Frauen sein, für soziale und ethnische Gruppen sind geringere Quoten vorgesehen.

Die Auszählung ist seit Ende April abgeschlossen. Das Carter Center um den ehemaligen US-Präsidenten und andere Wahlbeobachter haben einen fairen Ablauf bestätigt. Auch wenn die Wahlen weitgehend frei waren, der Wahlkampf war es nicht. Maoistische Kader nutzten ihre Dominanz in vielen ländlichen Gebieten zur Einschüchterung der Wähler und Gegenkandidaten. Das haben die anderen Parteien, dort wo sie ihre lokalen Netzwerke und ihre Jugendorganisationen mobilisieren konnten, jedoch ebenso getan. Einige Hochburgen der Autonomie-Bewegung im Terai (dem südlichen Tiefland) waren sogar für beide große Lager No-Go-Areas.

Auf nationaler Ebene kontrolliert die CPN-Maoist die staatlichen Medien, doch die mindestens ebenso weitverbreiteten privaten Pressehäuser und Radiostationen stehen ihr kritisch gegenüber. Und nicht zuletzt war und ist das Innenministerium und die Polizei in den Händen der Congress-Partei. Obwohl viele nepalische und der internationale Zeitungen den gegenteiligen Eindruck erweckten, waren von den knapp einem Dutzend im Wahlkampf getöteten Aktivisten fast alle Maoisten.

Nach dem Ende der Auszählung stehen drei weitreichende, unerwartete Ergebnisse fest: Erstens sind die Maoisten mit 220 der 575 gewählten Mandate deutlich stärker als erwartet, vor allem auf Kosten der sozialdemokratischen Vereinten Marxisten-Leninisten (CPN-UML), die nur 103 Sitze gewannen und noch hinter dem Congress mit 106 Abgeordneten liegen. Zweitens werden die royalistischen Parteien, selbst die gemäßigten, im „Neuen Nepal“ vorerst ohne parlamentarischen Einfluss sein. Ihr Traum, im Verfassungskonvent eine konstitutionelle oder wenigstens zeremonielle Monarchie zu retten, ist damit gestorben. Drittens werden die Autonomiebestrebungen der Tieflandregion in der verfassungsgebenden Versammlung Gehör finden, denn die insgesamt 72 Mandate der beiden Terai-Parteien sind angesichts der Polarisierung zwischen CPN-Maoist (220) und Congress/Sozialdemokraten (insgesamt 213) ein gewichtiges Pfund.

Neues Nepal – alte Kader

Vor allem die Vereinten Marxisten von der CPN-UML sind enttäuscht. Fast der gesamte Parteivorstand verlor seine Direktmandate. Dabei war die Parteiführung – wie die meisten Wahlprognosen – davon ausgegangen, dass die gemäßigte Linke die meisten Wahlkreise gewinnt und hatte Seat-sharing-Absprachen mit den Maoisten abgelehnt. Parteichef Madhav Kumar Nepal hat sich bereits dazu bekannt, "den Willen der Wähler zu respektieren" und trat noch am Wahlwochenende zurück. Wenig später kündigte der neue Generalsekretär auch den Rückzug aller UML-Minister aus der Übergangsregierung an, in den kommenden Tagen wird ein neuer Parteivorstand gewählt.

Auch in der Congress-Partei, die in den 1990er Jahren die parlamentarische Demokratie dominiert hatte und nur 34 Direktmandate errang, wird ein Generationswechsel stattfinden. Premier G. P. Koirala, der als über achtzigjähriger Patriarch die weitgesponnenen Fäden eines landesweiten Klientelnetzwerks in den zunehmend zittrigeren Händen hält, wird die Macht nach bester Congress-Tradition wohl innerhalb seiner Familie weitergeben.

Neben der Hoffnung vieler Wähler, die maoistischen Kader in eine institutionalisierte Verantwortung zu zwingen, um den Übergriffen ein Ende zu bereiten, hat eben diese Arroganz der bürgerlichen Parteien den Wahlausgang entschieden. Schließlich beschwören alle Parteien ein „Neues Nepal“, das den kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Ausschluss vieler Communities beenden soll.

Doch Congress und CPN-UML stellten wieder nur die alten Honoratioren und Funktionäre aus wenigen exklusiven Kasten zur Wahl, die das „Hindu-Königreich“ in Partei- und Zivilverwaltungen seit Jahrzehnten regieren. Das zeigt sich besonders bei den Direktmandaten, wo keine gesetzliche Quotenregelung gilt: Zwei Frauen und 33 Männer beim Congress, eine Frau und 32 Männer bei den Sozialdemokraten. Bei den Maoisten ist das Verhältnis zumindest eins zu vier. Bei den Vertretern sprachlicher und kultureller Minderheiten ist der Unterschied zwischen maoistischen und bürgerlichen Abgeordneten noch größer. „Inclusiveness“ wird ohne Verfassungsvorgaben und gesetzliche Konkretisierung ein vages Schlagwort bleiben.

Keine absolute Mehrheit

Die Maoisten hatten ursprünglich ein reines Verhältniswahlrecht gefordert. Als landesweit verankerte Kaderpartei hofften sie, so die Honoratiorenparteien mit ihren lokalen Hochburgen zu neutralisieren. Ironischerweise haben die nach Proporz vergebenen Sitze der CPN-Maoist nun die absolute Mehrheit in der Verfassungsgebenden Versammlung gekostet.

Wie vor den Wahlen hat die Partei den Sozialdemokraten erneut eine Allianz angeboten, dies hat die Parteiführung der UML ebenso wie der Congress vor wenigen Tagen abgelehnt. Man wolle sich auf die konstruktive Mitarbeit im Verfassungskonvent beschränken, eine Unterstützung der Regierung sei nur bei Rückgabe enteigneter Güter und der Auflösung der rabiaten Young Communist League denkbar. Ob die CPN-UML diese Position durchhalten kann, ist allerdings fraglich. Zu stark scheint der Missmut vieler Aktivisten gegenüber der gescheiterten Abgrenzungspolitik ihrer Parteiführung.

Die Verfassungsgebende Versammlung wird sowohl ein Parlament als auch ein Verfassungskonvent sein. Bei der Regierungsbildung müssen die Maoisten – sollte es bei der Absage der UML auch nach deren Parteitag bleiben – Unterstützung bei den kleineren Linksparteien und der Terai-Bewegung suchen. Im Verfassungskonvent werden die Entscheidungen vermutlich mit wechselnden Mehrheiten getroffen werden.

Die unverzügliche Ausrufung der Republik wird eine breite Mehrheit finden. Bei der Föderalisierung des bisher "weltweit einzigen Hindu-Staates" entlang ethnischer und sprachlicher Autonomiegebiete wird die CPN-Maoist mit den Terai-Aktivisten zusammenarbeiten können, die in wirtschaftspolitischen Fragen eher Teil des bürgerlichen Lagers sind.

In ihren Kernforderungen unterscheiden sich die Maoisten jedoch von allen bürgerlichen Parteien. Zwar haben sie sich in den letzten Jahren gegenüber pluralistischen Ideen geöffnet, doch streben sie eine staatlich gelenkte, binnenorientierte Entwicklung und ein Mehrparteiensystem innerhalb eines "progressiven", auf den Aufbau des Sozialismus begrenzten Verfassungsrahmens an. Dazu zählen Verstaatlichungen der Kernindustrien und eine Bodenreform, eine neue Bildungspolitik und Gleichstellungspolitiken für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, und nicht zuletzt eine Integration ihrer Kader in der "Volksbefreiungsarmee" in die regulären Streitkräfte.

Gute Mine zum bösen Spiel

Indien, der große Bruder im Süden, zeigt offiziell keinerlei Beunruhigung. Das dortige Außenministerium hatte die Gespräche über eine Allianz gegen den König unterstützt und wie alle anderen gehofft, die Maoisten als drittstärkste Kraft ins parlamentarische System integriert zu sehen. Pushpa Kamal alias Prachanda, Vorsitzender der CPN-Maoist und möglicher Staatschef, hat bereits den Willen zu guten Beziehungen mit allen Nachbarn betont. Er weiß, dass auch seine Regierung vorerst von Investitionen und Kraftstofflieferungen des großen Bruders abhängig sein wird. Von einer direkten Unterstützung der maoistischen Aufständischen, die in mehreren Bundesstaaten Zentralindiens aktiv sind, hat sich die Partei schon früher distanziert, aber motivierend wird der Sieg der Waffenbrüder in Nepal allemal wirken.

Auch die USA hat der Wahlsieg auf dem falschen Fuß erwischt. Dort ist die CPN-M auch zwei Jahre nach dem Waffenstillstand noch als Terrorgruppe gelistet. Ohne eine Neubewertung werden die Vereinigten Staaten in Nepal bald ohne Gesprächspartner dastehen.

Die EU hat direkte Gespräche mit der maoistischen Parteiführung bislang ebenfalls vermieden. Nun hat sie zumindest zugesichert, ihre Hilfsprogramme unabhängig vom Wahlausgang fortzuführen. Ansonsten hält man sich mit konkreten Aussagen zurück.

Fast beschwörend verweisen Diplomaten und politische Beobachter derzeit darauf, die CPN-Maoist sei erstaunlich "pragmatisch" und werde sich um einen breiten gesellschaftlichen Konsens bemühen. Das ändert aber nichts daran, dass Nepals Wähler die bisher vom Ausland hofierten Zirkel im Palastsekretariat und der Armeeführung und die Patronage-Netze der alten Herren aus Congress-Partei und CPN-UML entmachtet haben.

Quellen

Dieser Artikel basiert auf einem am 16. April 2008 in Telepolis veröffentlichten Beitrag.

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