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20. September 2004. Rezensionen: Kunst & Kultur - Pakistan Stille Wasser sind tief

"Khamosh Pani" von Sabiha Sumar

Mit dem Film "Khamosh Pani" (Silent Waters) lief Anfang September 2004 seit Jahren die erste internationale Spielfilmproduktion an, die komplett in Pakistan gefilmt worden ist. Darüber hinaus führte mit Sabiha Sumar zum ersten Mal in der Filmgeschichte des Landes eine Frau Regie.

Der Film verdeutlicht überzeugend die geschichtlichen Parallelen einer als religiös ausgegebenen Intoleranz und ermöglicht es dadurch, auch aktuelle politische Ereignisse in Pakistan in einem anderen Bedeutungszusammenhang zu sehen.

Es ist das Jahr 1979 in dem kleinen Dorf Charkhi in der Nähe von Rawalpindi, welches sich auf der pakistanischen Seite des Punjab befindet. Hier lebten vor der religiös begründeten Teilung von 1947 Muslime und Sikhs in weitgehend friedlicher Koexistenz zusammen. "Khamosh Pani" zeigt anhand mehrerer Schicksale in dieser Region die Auswirkungen, die die traumatische Teilung von 1947 bis heute auf Pakistan hat.

Im Zentrum der Geschichte, die auf tatsächlichen historischen Begebenheiten beruht, steht Ayesha, gespielt von der wunderbaren Kirron Kher, und ihr 17jähriger, verträumter Sohn Saleem (Aamir Malik). Der sensible Junge spielt Flöte und stellt der hübschen und selbstbewussten Zubeida (Shilpa Shukla) nach, mit der er heimlich romantische Treffen vereinbart. Verheimlicht werden muss die Verliebtheit der beiden aber eigentlich gar nicht, denn sowohl Ayesha als auch die Eltern von Zubeida wären über eine Verbindung der beiden überglücklich. Einer Hochzeit stünde also nichts im Wege. Wenn nicht die aktuellen politischen Ereignisse schlagartig in die friedliche Idylle des Dorfes einbrechen würden. Repräsentanten dieser Veränderungen sind zwei Männer aus dem fernen Lahore, die in der zentralen Moschee islamistische Parolen ausgeben und dadurch den "Wind religiöser Politisierung" nach Charkhi tragen. Bei der Rekrutierung von Mitstreitern für die "Islamisierung der Gesellschaft", fällt ihr Blick schnell auf den orientierungslosen und verträumten Saleem und seine Freunde.

Ayesha beobachtet die Veränderung ihres Sohnes in der Gruppe der islamischen Fanatiker mit großer Sorge, denn Saleem wandelt sich vor ihren Augen vom musischen Dorfsohn, über einen Sympathisanten hin zu einem Aktivisten der islamistischen Bewegung. Während dieser Wandlung opfert er nicht nur seine junge Liebe zu Zubeida den extremen Idealen seiner neuen Überzeugung, sondern auch gegenüber seiner Mutter verhält er sich zunehmend schroff und abweisend. Gemeinsam mit seinen neuen Freunden brüllt er Hasstiraden und schürt religiöse Intoleranz in der vormals offenen Gesellschaft des Dorfes.

Durch einzelne Rückblenden in Ayeshas Vergangenheit - die wie tiefe Blicke in ein stilles Wasser wirken - setzt sich allmählich ihr bedrückendes Schicksal zu einem Gesamtbild zusammen, das eng mit der traumatische Teilung von 1947 verknüpft ist. Der Film erzeugt damit eine beeindruckende Parallele zwischen der Teilung von 1947 und der als Islamisierung bezeichneten instrumentalistischen Fanatisierung weiter Teile der ärmeren pakistanischen Bevölkerung unter der Militärherrschaft Zia ul-Haqs.

Besonders tragisch ist die religiöse Politisierung Saleems für Ayesha, vor deren Augen sich die Geschichte zu wiederholen scheint. Denn es sind ebensolche unbedarften, orientierungslosen jungen Männer wie Saleem gewesen, die sich 1947 bei der Teilung des Punjab, angeheizt durch Parolen und Hasstiraden, auf den vermeintlichen religiösen Feind gestürzt haben. Durch massenhafte Verschleppungen und Vergewaltigungen brachten sie unendliches Leid über die weibliche Bevölkerung beider Teile. Als Folge dieser Misshandlungen, die sie ohnehin schon für das Leben gezeichnet haben, wurde es den meisten Frauen unmöglich gemacht, innerhalb der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Bis heute müssen über 2.000 verschleppte und geschändete Frauen in Flüchtlingslagern leben, da sie von ihren eigenen Familien als "schmutzig und unrein" abgelehnt werden.

Den Mechanismen von Gewalt und Gegengewalt, von Fanatisierung und Hass, sowie der Frage unter welchen Umständen radikale Ideologien in einer vormals offenen Gesellschaft um sich greifen können, geht der Film bis zum bitteren Ende nach.

Der Höhepunkt des Films wird erreicht als eine Gruppe von Sikh-Pilgern die heilige Stätte des Dorfes besucht. Der Hass der fanatisierten Gruppe auf die anwesenden Sikhs spitzt sich zu und Ayeshas alte Wunden brechen bei der Begegnung mit einem der Sikh-Pilger wieder auf.

Mit welcher Intensität es den Schauspielern, allen voran Kirron Kher, gelingt, den Einfluss der politischen Ereignisse auf ihr persönliches Schicksal spürbar zu machen, ist sowohl fesselnd als auch zutiefst verstörend. Denn die Folgen von religiösem Fanatismus und religiöser Intoleranz für das gesellschaftliche Zusammenleben werden in diesem Film in aller Konsequenz und in ihrer ganzen Aktualität verdeutlicht.

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