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Nachdem die BSP die Wahlen in Indiens bevölkerungsreichstem Unionsstaat Uttar Pradesh 2007 mit absoluter Mehrheit gewonnen hatte und angesichts der politischen Fragmentierung auf nationaler Ebene kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass zukünftig erstmals eine Dalit-Politikerin das wichtigste politische Amt in Indien bekleiden könnte. Mayawati proklamiert mittlerweile unverhohlen ihren Machtanspruch. Ihr Erfolg stützt sich bislang auf einen völlig eigenen politischen Stil ohne jegliche Massenkampagnen, aber unter Nutzung des Wahlrechts. Wird es Mayawati gelingen durch ein neues social engineering mit einer Regenbogenkoalition aus Brahmanen und Banias, "unteren" Zwischen-Kasten (Most Backward Castes), Muslims und Dalits die Machtverhältnisse in Indien grundlegend zu verändern? Bose meint, die Emanzipation der Dalits setze die Aufklärung der ganzen Gesellschaft voraus.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile. In den ersten neun Kapiteln wird der Aufstieg der Bahujan Samaj Party von ihren schwierigen Anfängen bis zum Wahltriumph 2007 in Uttar Pradesh sehr detailliert und mit enormem Insider-Wissen nachgezeichnet. Bose liefert aber auch eine ausführliche Würdigung Kanshi Rams ohne dessen unermüdliches Wirken der Erfolg der Dalit-Partei BSP nicht möglich gewesen wäre. K.R. Narayanan, der erste und bisher einzige Dalit im indischen Präsidentenamt nannte ihn im Interview einen "großen Mann", und Ex-Premier Atal Bihari Vajpayee prophezeite bereits 1984: "Die Gründung der Bahujan Samaj Party wird die politische Landschaft in Nordindien grundlegend verändern.“
In Uttar Pradesh, dem "Nervenzentrum der nationalen Politik", so Bose (S. 40), zeichnete sich bereits 1977 ab, dass dem Congress die Dalit-Stammwählerschaft wegbricht. Der Autor beschreibt, wie es Kanshi Ram vermochte, "einen eigenen Entwurf für eine soziale Revolution" im "indischen politischen Dschungel" (S. 38/39) und insbesondere für Uttar Pradesh zu entwickeln. Während einer Diskussion seines Buches in New Delhi verwies Ajoy Bose auf das einzigartige Phänomen, dass es der BSP über die Nutzung des Wahlrechts und ohne nennenswerte Massen-Agitationen gelungen sei, die politische Macht in Uttar Pradesh zu erlangen. Er attestiert daher Kanshi Ram und Mayawati einen einzigartigen politischen Stil.
Im dritten Kapitel "Behenji and Saheb" beschreibt Bose, wie Kanshi Ram Mayawati, eine junge Aspirantin für den höheren Verwaltungsdienst (Indian Administrative Service/IAS), gegen den Widerstand ihrer Familie davon überzeugte, sich hauptamtlich der Politik und der BSP zu widmen. Gleichzeitig verweist er auf den späteren Einfluss, den Mayawati auf Ram hatte, was zur Trennung vieler Weggefährten aus den Anfängen der Bewegung führte. Die Loyalität Mayawatis gegenüber Kanshi Ram habe jedoch nie in Frage gestanden. Andererseits habe erst ihr "Massen-Charisma" (S. 50) maßgeblich zum politischen Erfolg der von ihm gegründeten Partei beigetragen. Ein Beobachter schreibt über sie: "Sie denkt in einer geraden Linie, um die kürzeste Distanz von einem Thema zum nächsten zu nehmen." (S. 51) Bose spricht von einer "Beziehung ohne jegliche Parallelen in der politischen Geschichte" (S. 52) zwischen dem "Dalit-Messias" und seiner auserwählten politischen Erbin, die den Kampf gegen die von ihm als Manuvadi-System (unter Verweis auf die Lehre von Manu – Manusmriti – als Grundlage des brahmanischen Systems) bezeichnete Oberkasten-Herrschaft erfolgreich führen sollte.
Das Kapitel "The Quest for Political Power" gibt einen guten Einblick in die neuere politische Geschichte der Dalits: Bose schildert die Kampagne "Ambedkar on Wheels", die an das Erbe Bhimrao Ramji Ambedkar appellierte, der allseits verehrten Dalit-Ikone und Vater der indischen Verfassung, und er erinnert an das Wirken der Dalit Panthers vor allem in Maharashtra, die BSP-Vorgängerorganisation unter den Regierungsangestellten mit ihren propagandistischen Angriffen auf den Congress und gegen die Oberkasten, insbesondere die Brahmanen. "We have the votes, but You have the power, this won’t do, this won’t do." Der BSP-Gründer war sich bewusst, dass sich seine Bewegung auch gegen die Interessen der Hindu-Fundamentalisten richten würde. Allerdings deutete Kanshi Ram schon damals in privaten Gesprächen an, so Bose, dass sich letztlich eine Allianz zwischen Brahmanen und Dalits gegen die auch wirtschaftlich begründete politische Macht der Land besitzenden Zwischenkasten richten müsse.
Beschrieben wird auch der schwierige Einstieg der BSP beim Erdrutschsieg des Congress nach der Ermordung Indira Gandhis 1984 sowie bei Nach- und Unterhaus-Wahlen bis in die 1990er Jahre. Ende der 1980er Jahre trat die BSP in dem extrem aufgeheizten innenpolitischen Klima der damaligen Zeit (Sturz der Regierung V. P. Singh, Ayodhya-Kampagne der Bharatiya Janata Party und widerrechtlicher Abriss der Babri-Moschee durch Hindu-Fundamentalisten) für die Empfehlungen der Mandal-Kommission. 1993 kam es dann zu einer geheimen Absprache zwischen Kanshi Ram und Mulayam Singh Yadav von der Samajwadi Party, die zum Regierungsbündnis zwischen beiden Parteien gegen den Machtanspruch der BJP in Uttar Pradesh führte. Dem Bruch der Koalition folgten kurze Regierungsbündnisse von BSP und BJP, vor allem aufgrund der Befürwortung durch Ex-Premier Vajpayee, mit Mayawati als Ministerpräsidentin.
Der zweite Abschnitt des Buches versucht die Persönlichkeit Mayawati, – "eine Kultfigur unter Dalits" (S. 127) – den Charakter der BSP, die Politikziele, in Uttar Pradesh, den neuen gesellschaftspolitischen Ansatz Mayawatis ("eine soziale Regenbogenkoalition", siehe Kapitel 12 "Mayawati: Social Engineer", S. 227 ff.) sowie Fragen der Dalit-Identität grundsätzlicher zu interpretieren, bevor Mayawatis erworbener Reichtum dargestellt und hinterfragt wird. Abschließend erörtert Ajoy Bose die Frage, ob in Zukunft mit einer Premierministerin Mayawati zu rechnen sei.
Es ist ein seltenes Phänomen, dass Mayawati bislang viermal als Ministerpräsidentin im "wahrscheinlich chaotischsten Staat" (S. 201) Indiens mit seinen "großen sozialen und wirtschaftlichen Disparitäten" (S. 211) amtieren konnte. War sie lange bekannt für ihre – allerdings von ihren Vorgängern ebenfalls extensiv praktizierten – Personalkarusselle, betont Bose, dass Mayawati die Praxis früherer Amtsperioden, sich ohne jegliche administrative Erfahrung auf vertraute Dalit-Bürokraten zu stützen, seit 2007 geändert habe und Bürokraten korrekt behandele, einen transparenten Stil pflege und keine "Sycophancy" (politische Speichelleckerei) ermutige (S. 206/07). Die "eiserne Lady", der Bose mittlerweile größere administrative Fähigkeiten sowie die Kunst zu delegieren attestiert, setze sich entschieden mit hindu-fundamentalistischen Organisationen, Gangstern und der Mafia in Uttar Pradesh auseinander. Letztere hätten dort unter der "Jungle Raj" von Mulayam Singh Yadav (S. 209) leichtes Spiel gehabt. Mayawati zeichne sich durch "ein völliges Fehlen von Skrupeln" aus, gleichzeitig weise sie jedoch eine größere "Sensibilität gegenüber den unterdrückten und ausgebeuteten Gemeinschaften" (S. 211) als ihre Amtsvorgänger auf, trotz ihrer Distanz zu den täglichen (Überlebens-)Kämpfen der Dalits.
Bose verweist auch auf die entschiedene Kritik von Medien und Mittelschichten, die Mayawati jahrelang mit Verachtung gestraft hätten. Zumindest die Medien hätten jedoch nach 2007 ihre Haltung grundlegend geändert.
Im Kapitel "A Party with a Difference" analysiert Bose "den phänomenalen Aufstieg der BSP unter der Führung von Mayawati" (S. 216), den politische Beobachter so nicht für möglich hielten. Mayawati habe alle Veteranen und Vertrauten von Kanshi Ram direkt oder indirekt aus der Partei befördert. Ihr "autoritärer Führungsstil" dulde keine "politische Autonomie", so ehemalige Mitstreiter, und habe zu dem Phänomen geführt, "dass es der BSP-Organisation an einer mehrgliedrigen Hierarchie wie in anderen politischen Parteien mangele." (S. 218) Zwar verfüge die BSP über "wohl durchdachte Mechanismen auf der Grassroot-Ebene", so Bose in der erwähnten Diskussion, es gebe aber keine wirklich mittlere Ebene: "In Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Wahlkommission finden regelmäßig interne Organisationswahlen in der BSP statt, aber diese sind sogar noch eine größere Farce als jene, die in dynastischen Parteien wie dem Congress durchgeführt werden." (S. 218)
Ohne parteiinterne Mobilität und Massenagitationen, bei denen es üblicherweise zu Verhaftungen und dem Einsatz staatlicher Gewalt kommt, sei Mayawati, so Bose, zu einem "Rollenmodel für politischen Erfolg im heutigen Indien" (S. 219) geworden. Eine "effiziente Wahlmaschine" (S. 223) – die BSP führte als einzige Partei seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig politische Großveranstaltungen in Delhi durch – stütze sich auf Mayawatis Charisma. Behenji (respektierte Schwester) brachte es mit ihrer Identitäts-Politik, die Dalits und anderen auch durch Parteieintritt in die BSP zu einem größeren sozialen Ansehen verhilft, laut sozialwissenschaftlichen Untersuchungen bei der Wahl 2007 auf eine 77-prozentige Unterstützung der Dalits für die BSP.
Im 14. Kapitel "A Rags-to-Riches Fairy Tale" betont der Autor den beträchtlichen Reichtum der Ministerpräsidentin. "Von einem sehr bescheidenen Beginn in dem zur unteren Mittelschicht zählenden Zuhause eines Regierungsangestellten mit vielen Familienangehörigen erwarb Mayawati in einer relativ kurzen Zeit eine phänomenale Anzahl von Grundbesitz zusammen mit sehr beträchtlichen Mengen von Schmuck, Geld und finanziellen Vermögenswerten. Ihre unmittelbare Familie, Eltern, Brüder und Schwestern, kamen ebenfalls jenseits aller Träume zu Wohlstand." (S. 248) Mayawati zählt zu den größten Steuerzahlern in Indien, noch vor den Industrie-Multimilliardären Mukesh und Anil Ambani, deren Firmen etwa fünf Prozent des indischen Bruttosozialprodukts erwirtschaften.
Die Regierung der United Progressive Alliance (Vereinigten Fortschrittlichen Allianz/UPA) strengte 2008 eine Klage wegen "unangemessenen Reichtums" durch den Inlandsgeheimdienst Central Bureau of Investigation (CBI) an. Politische Gegner des Congress, wie die gestern noch verbündeten Kommunisten, behaupten, diese sei politisch motiviert gewesen, um Mayawati daran zu hindern, mit der BSP indienweit zu agieren und dem Congress zu schaden. Bose rückt den Reichtum Mayawatis in den Kontext der indischen politischen Kultur, die keine transparente Parteienfinanzierung kennt: "Eine Verurteilung von Mayawatis großem Wohlstand und ihren üppigen Ausgaben muss gemildert werden durch die Anerkennung einer allgemeinen Abwesenheit jeglicher moralischer Regeln in der indischen Politik, wenn es sich um Geld handelt. Es gibt zahllose politische Führer, die nicht so transparent prunken wie Mayawati, aber sie haben auch außerordentlich tiefe Taschen. Die meisten von ihnen würden, wenn so rigoros untersucht wie die BSP-Führerin, aufgrund der Akkumulation von Grundbesitz, Geld und Schmuck jenseits ihrer offensichtlichen Möglichkeiten ebenfalls bloßgestellt. Es ist eindeutig eine Malaise, die das politische System des Landes als Ganzes betrifft und mehr als nur eine individuelle Führungspersönlichkeit, wie ihre Kritiker unterstellen. Solange die Regeln des politischen Spiels dieselben bleiben, wird Mayawati fortfahren, ihre Reise aus der Armut in den Überfluss als ein wundersames Märchen und nicht als eine schmutzige Geschichte zu betrachten." (S. 256)
Vor 2007 hätte wohl jeder diese Frage als ein Hirngespinst bezeichnet. Angesichts des fragmentierten Parteiensystems, der Bemühungen um eine Dritte Front durch Kommunisten und Regionalparteien sowie der zunehmend opportunistischen politischen Allianzen erscheint es jedoch erstmals im Bereich des Möglichen, dass bei einem sehr guten Abschneiden der BSP in und außerhalb – hier stellen sich große Fragezeichen – von Uttar Pradesh bei der bevorstehenden Unterhauswahl mit der Bharat ki Beti (Tochter Indiens) als einer ernst zu nehmenden Kandidatin für das höchste politische Amt in Indien gerechnet werden kann, falls das zu erwartende Koalitionskarussell einsetzen sollte.
Keineswegs nur deshalb ist es höchste Zeit, dass sich auch Europäer sowohl mit Mayawati als politischer Persönlichkeit als auch mit ihrer Partei, Basis und Wählerschaft verstärkt auseinander setzen. Der Kenntnisstand der Deutschen über die BSP und die Dalit-Problematik ist, um es diplomatisch zu formulieren, noch sehr begrenzt, teilweise fehlerhaft und mitunter von hochnäsiger Ignoranz geprägt. Trotz der Anwesenheit praktisch aller politischer Stiftungen und politischer Diplomatie vor Ort in Delhi, gelingt es noch nicht, alle Charakteristika des "zweiten demokratischen Aufbruchs", von dem der führende indische Politologe Yogendra Yadaw spricht, angemessen zu erfassen. Ajoy Bose ist es deshalb zu verdanken, dass er mit diesem vorzüglich recherchierten und sehr leserlichen Buch eine fundierte Grundlage zur rechten Zeit schafft, um diese Lücke zu schließen.
Bose, Ajoy (2008): Behenji. A Political Biography Of Mayawati. New Delhi u.a.: Penguin Viking, ISBN: 978-0-6700-820-1, 499 Rs.
Ajoy Bose, nach eigener Aussage "ursprünglich aus der naxalitischen Bewegung kommend", danach Mitarbeiter der ehemaligen kommunistischen Tageszeitung Patriot und später Hauptherausgeber der BJP-nahen Tageszeitung Pioneer, von 1973 bis 1996 Indien-Korrespondent des britischen Guardian und später der in Dubai erscheinenden Khaleej Times arbeitet mittlerweile als freier Journalist auch für den Indian Express, die Times of India, Outlook oder die Time.
Als Hörfunkjournalist arbeitete Bose für BBC, Voice of America und Radio Netherlands. Während der Unterhauswahl 1998 leitete er eine populäre Wahlsendung ("Chunauv Chunauti") des Fernsehsenders Sony TV und 2004 die wöchentliche außenpolitische Sendung "Global Challenges" des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders Doordarshan. Bose ist Verfasser der Bücher "For Reasons of State: Delhi under Emergency" und "The Shah Commission".
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