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08. August 2002. Nachrichten: Politik & Recht - Indien POTA macht Politik

Tamilischer Pro-LTTE-Politiker verhaftet

Als Teil der Regierungskoalition in New Delhi hatte der Vorsitzende der Marumalarchi Dravida Munnetra Kazhagam V. Gopalsamy, bekannt als Vaiko, die neuen "Anti-Terrorismus-Gesetze" noch vehement unterstützt. Jetzt ist er deren bisher prominentestes Opfer: Am 11. Juli wurde Vaiko in Madras wegen seiner Unterstützung der tamilischen Separatisten in Sri Lanka verhaftet. Nun kann er sich aus erster Hand ein Bild von der Umsetzung der drakonischen Sicherheitsgesetze machen.

Die Verhaftung hatte Tamil Nadus Chiefministerin Jayalalitha von der All India Anna Dravida Munnetra Kazhagam (AIADMK) persönlich angeordnet. In einem Brief an Innenminister L.K. Advani hatte sie - in weiser Voraussicht auf die anti-islamischen Reflexe des Hindutva-Ideologen - Vaikos Partei mit dem Students Islamic Movement of India und der Al-Qaida verglichen. Die an der Regierung in New Delhi mit zwei Staatsministern beteiligte, in Tamil Nadu jedoch oppositionelle Marumalarchi Dravida Munnetra Kazhagam (MDMK) hatte aus ihrer Unterstützung für die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) nie ein Hehl gemacht. Zuletzt hatte Vaiko am 29. Juni auf einer Kundgebung erklärt, er habe die LTTE immer unterstützt und werde das auch weiter tun

Der MDMK-Vorsitzende bezichtigte Jayalalitha (die ihrerseits eine endgültige Inhaftierung wegen Korruption nur durch den Gewinn der letzten Landtagswahlen verhindern konnte) politischer Gründe für seine Verhaftung. Ihr fehle die Toleranz, seine Kritik zu ertragen. Außerdem habe seine Unterstützung für die LTTE und den Befreiungskampf der Tamilen in Sri Lanka nie die Unterstützung von Gewalt - zu der der LTTE keine Alternative bleibe - gegolten. Mit der Verhaftung habe Jayalalitha Position für Sri Lankas Präsidentin Kumaratunga bezogen, die die Friedensbemühungen des Premiers Ranil Wickremesinghe torpediere.

Obwohl Tamil Nadus Chiefministerin sicher nicht den Friedensprozess an sich ablehnt, könnte die Verhaftung über eine persönliche Feindschaft zu Vaiko hinausgehen: Zuletzt waren immer mehr Stimmen - auch in der wichtigsten Oppositionspartei Dravida Munnetra Kazhagam (DMK) - laut geworden, die ein stärker pro-tamilisches Engagement der Landesregierung in Sri Lankas Friedensprozess gefordert hatten. Doch sollte nicht überbewertet werden, inwieweit die Landesregierung überhaupt in der Lage ist, die Verhandlungen auf der benachbarten Insel zu beeinflussen. Auch die Regierung in Delhi wünscht keine Einmischung.

Unterstützung terroristischer Organisationen

Für die Verhaftung des MDMK-Vorsitzenden und Lok Sabha-Abgeordneten wurde nun erstmals das neue Sicherheitsgesetz Prevention of Terrorism Act (POTA) auf einen prominenten nicht-muslimischen Politiker angewendet. Bisher hatten die Behörden POTA vor allem in Kashmir umgesetzt. Seit am 26. März 2002 beide Kammern des Parlaments dem Gesetz zustimmten, wurden in der umkämpften Region schon 500 Fälle unter POTA registriert. POTA schloss sich dort nahtlos an ein ähnlich drakonisches Gesetz (Terrorist and Disruptive Activities Act - TADA) an, das offiziell zwar schon 1995 abgeschafft worden war, in Kashmir aber bis zuletzt regelmäßig angewendet wurde - die Anschuldigungen wurden einfach zurückdatiert

Vaikos Haftbefehl berief sich neben anderen Gesetzen auf POTA, Paragraph 21, Abschnitt 2 und 3. § 21 legt das Strafmaß für die Unterstützung einer terroristischen Organisation auf zehn Jahre fest. Den Umfang des Begriffs "Unterstützung" erläutert das Gesetz nicht näher. Er ist jedoch nicht allein auf Fundraising beschränkt, denn dafür legt § 22 zusätzliche vier Jahre Haft fest. § 21 (2) stellt die Mithilfe an der Organisation eines Treffens zur Unterstützung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe. Abschnitt 3 fasst eine Ansprache auf einem solchen Treffen als eigenen Tatbestand.

Die LTTE ist in Indien seit 1992 verboten, ein Jahr nach dem eine ihrer Anhängerinnen Premierminister Rajiv Gandhi ermordet hatte. Seit Ende März ist die LTTE als "Terroristische Organisation" im Anhang von POTA gelistet.

Die MDMK ist - wie schon die AIADMK 1972 - eine Abspaltung von der tamilischen Mutterpartei DMK. 1993 warf DMK-Vorsitzender Karunanidhi seinen Konkurrenten aus der Partei - angeblich hatte die LTTE einen Anschlag auf ihn geplant, um Vaiko zu inthronisieren. Daraufhin gründete dieser die MDMK, in der sich in der Folge die Unterstützer des bewaffneten Kampfes der Sri-Lanka-Tamilen sammelten. Die Wählerschaft der Partei umfasst nur wenige Prozent der Stimmberechtigten. Obwohl in Regierung und Parlament in Delhi vertreten, errang sie bei den letzten Landtagswahlen im Mai 2001 keine Mandate. Der MDMK trat damals ohne Verbündete an, nachdem die DMK Wahlkreisabsprachen verweigert hatte - angeblich aus Angst, der charismatische Vaiko könnte den Sohn des DMK-Vorsitzenden Karunanidhi, den eher blassen Bürgermeister von Chennai und zukünftigen Nachfolger M.K. Stalin verdrängen.

Parteiverbot?

Einen Tag nach der Verhaftung Vaikos gab Jayalalitha bekannt, ihre Regierung werde das Verbot der MDMK beantragen. Dabei berief sie sich auf eine Resolution des Parteivorstandes der MDMK, in dem die Partei als Grund ihrer Existenz und der Beteiligung an der Regierung in New Delhi die Unterstützung der Tamilen in Sri Lanka bezeichnet. Die MDMK bestritt wenig später in einer Presseerklärung, dass das Dokument eine Resolution sei, außerdem sei es nicht vom Parteivorstand, sondern während eines Treffens lokaler Parteifunktionäre erlassen worden.

Verteidigungsminister George Fernandes, der als Vertrauter von Premier A.B. Vajpayee bei Koalitionskrisen vermittelt, bereitet die Verhaftung ebenfalls Bauchschmerzen. Eine Woche nach der Verhaftung reiste er gar nach Vellore, um Vaiko im Gefängnis zu besuchen. Die fragliche Pro-LTTE-Rede am 29. Juni erfülle keine Tatbestände des neuen Sicherheitsgesetzes, so Fernandes. POTA sei missbraucht worden, das sei auch die Position der Regierung. Dass das Gesetz mit seinen weitgefassten Eingriffsmöglichkeiten zur Kriminalisierung von Oppositionsbewegungen geradezu einlädt, verschwieg Fernandes. Er räumte aber ein, das Gesetz könne möglicherweise "irgendwann" von den Gerichten ergänzt werden.

Fernandes' lautstarke Unterstützung von Vaiko nahm Innenminister Advani bei einer Anfrage im Parlament am 30. Juli jedoch teilweise zurück: Er verteidigte zwar das Recht seines Kollegen, einen inhaftierten Abgeordneten jederzeit zu besuchen, vermied es aber, von einem Missbrauch des Sicherheitsgesetzes zu reden oder die Solidarität seiner Regierung mit Vaiko auszudrücken.

Lonesome Hero

Vaiko profiliert sich derweil als einsamer Kämpfer für die gerechte Sache. Den Befreiungskampf der srilankischen Tamilen werde er auch in Zukunft unterstützen. Jegliche politische Intervention der Regierung zu seinen Gunsten lehne er ab. Auch werde er ein Angebot, das Gefängnis auf Kaution zu verlassen, nicht annehmen. Mit einer kürzlich eingereichten Public interest litigation (eine Klage nicht subjektiv Betroffener im öffentlichen Interesse) hätten weder die Partei noch Vaiko selbst irgend etwas zu tun.

Den Besuch des Verteidigungsministers in seiner Zelle und die zumindest halbherzige Unterstützung der Regierung in Delhi kann Vaiko durchaus als Punktgewinn verbuchen. Auch könnte Jayalalitha zu der Einsicht kommen, dass ein Parteiverbot schon rein rechnerisch kontraproduktiv ist - die MDMK-Stimmen würden bei den nächsten Wahlen eher ihrem Konkurrenten von der DMK zugute kommen. Doch könnte sie versuchen, die MDMK durch Kriminalisierung ihres prominenten Führers bedeutungslos zu machen. Die schwammigen Formulierungen des neuen Sicherheitsgesetzes halten dafür allerhand bereit - von Telefonüberwachung über Geldstrafen bis zu jahrzehntelangen Freiheitsstrafen. Und zunächst eilt es auch nicht: POTO hat den maximalen Verbleib in Untersuchungshaft ohne Erhebung einer Anklage auf sechs Monate erhöht.

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