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04. März 2003. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Klarer Wahlsieg des Congress (I) in Himachal Pradesh

Am 26. Februar 2003 wurden in vier indischen Unionsstaaten die Landtage neu gewählt. Während in den nordostindischen Staaten Meghalaya, Nagaland und Tripura der Bürgerkrieg und das Verhältnis zur Zentralregierung den Wahlkampf bestimmten, galt die Wahl im Himalaya-Staat Himachal Pradesh als Testwahl zum Auftakt des Machtkampfes zwischen Bharatiya Janata Party (BJP) und der Kongresspartei. Mit Ausnahme Meghalayas konnte der Congress (I) die Wahlen im Nordosten nicht für sich entscheiden. In Nagaland wurde er von einer Koalition unter Beteiligung der BJP abgelöst, in Tripura hielten sich die Kommunisten an der Macht. In Himachal Pradesh löste der Congress (I) entgegen den Erwartungen die BJP ab.

New Delhi. Himachal Pradesh, der an die Krisenregion Jammu and Kashmir angrenzende Bergstaat mit der zweithöchsten Alphabetisierung in Indien, zeichnet sich durch ein ausgeprägtes politisches Bewußtsein seiner Wählerschaft aus. Zudem verfügt über keine nennenswerte moslemische Bevölkerung. Himachal Pradesh mit seiner Hauptstadt Shimla, während des „britischen Raj“ die Sommerresidenz seiner Vizekönige, ist ein beliebtes Touristenziel und bekannt für seinen Obstanbau. Allerdings gibt es dort auch ca. eine Million Arbeitslose, trotz eines in den letzten Jahren beachtlich gewachsenen Pro-Kopf Einkommens.

In diesem Staat, einer traditionellen Hochburg des Congress (I), regierte die BJP von 1990 - 1993 und von 1998 – 2003. Sie verfügt dort über eine solide Wählerbasis zwischen 30 - 40 % und erreichte 1990 auf dem Höhepunkt der Agitation für einen Tempel zu Ehren des Hindu-Gottes Ram im nordindischen Ayodhya sogar 46 %. Damals stand dort allerdings noch die am 6. Dezember 1992 von Hindu-Fanatikern widerrechtlich abgerissene Babri-Moschee.

Wirkte der Gujarat-Effekt?

Nach der für die Bharatiya Janata Party (BJP) so erfolgreichen Wahl in Gujarat sollte Himachal Pradesh Indikator für die Wirksamkeit der BJP-Strategie sein, durch einen verstärkten hindunationalistischen Appell eine reiche Dividende an den Wahlurnen einzufahren und den Congress (I) als den Advokaten der religiösen Minderheiten zu brandmarken. Die gesamte BJP-Spitze und vor allem auch Narendra Modi, der charismatische Ministerpräsident von Gujarat als Starattraktion, griffen in den von Schneefall und Regen stark behinderten Wahlkampf ein. Premierminister Atal Behari Vajpayee, der sich im Sommer gerne im kühlen Kullu-Tal von seinen Amtsgeschäften erholt und auf seine emotionale Bindung an Himachal Pradesh verweist, spielte in der Endphase des Wahlkampfes sogar ganz offen die Hindutva-Karte: ”Wir wollen den Ram-Tempel in Ayodhya bauen. Wir sind zuversichtlich, dass auf der Grundlage historischer Evidenz bewiesen wird, dass dort ein Tempel existierte. Wenn dies jedoch nicht der Fall sein sollte, dann lasst die Gerichte entscheiden und wir werden uns daran halten. Der Congress soll erklären, ob er den Richterspruch akzeptiert, wenn die Existenz eines Ram-Tempels bewiesen ist.”

Der Congress (I) verfügte in diesem Rennen unter maßgeblicher Führung des früheren Ministerpräsidenten Vibhadra Singh von Anfang an über eine echte Gewinnchance. Die Partei kopierte nicht ihre „weiche Hindutva-Linie” wie in Gujarat sondern griff die von der BJP geführte Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Dhumal wegen angeblicher Korruption und insgesamt unterstellter schlechter Politik scharf an.

Unzufriedenheit prägte wohl vor allem das Wahlverhalten der Jugend. Viele Industrien schlossen in den letzten Jahren ihre Tore und erhöhten damit die Arbeitslosigkeit. Durch die Stellenreservierungen zugunsten von Angehörigen der so genannten “unteren Kasten” fühlten sich die im indischen Durchschnitt disproportional stark vertretenen Oberkasten-Jugendlichen benachteiligt. Schlechte Straßen, eine unzureichende Elektrizitätsversorgung sowie mangelhaftes Trinkwasser standen ebenfalls auf ihren Beschwerdelisten.

Klares Mandat für eine Congress-Regierung.

Der eindeutige Wahlsieg des Congress (I) in dieser Höhe kam für viele Beobachter überraschend. Im Staatsparlament (Vidhan Sabha) von Himachal Pradesh mit insgesamt 68 Sitzen errang der Congress (I) 40 Mandate, die BJP reduzierte sich von 31 auf 16 Sitze, ihr Koalitionspartner, die Himachal Vikas Party (HVP) schrumpfte von 6 auf einen einzigen Sitz. Der Rest verteilt sich auf Mini-Parteien bzw. Unabhängige. In drei sehr hoch gelegenen Wahlkreisen kann erst nach der Schneeschmelze gewählt werden.

Der Congress (I) verdankt seinen überzeugenden Wahlsieg auch der Tatsache, dass es der Partei gelang, die BJP-Hochburg in der an die Kornkammer Punjab angrenzenden und niedriger gelegenen Region des "neuen Himachal Pradesh", d.h. u.a. dem Teeanbaugebiet des Kangra-Distrikts und den Gebieten des Obstanbaus, fast völlig zu schleifen.

Der Sieg des Congress (I) schockte die nach dem Erdrutschsieg in Gujarat auch im Hinblick auf die in 2004 anstehenden Unterhaus-Wahlen sehr selbstbewusst und zuversichtlich gewordene BJP-Führung in New Delhi sichtlich. Premierminister Atal Behari Vajpayee machte die innerparteilichen Richtungskämpfe und die sich als "Unabhängige" kostümierenden Parteirebellen für die schwere Schlappe verantwortlich. Außerdem wurde der so genannte "anti-incumbency factor", d. h. die Unzufriedenheit mit der in einem Staat jeweils regierenden Partei bemüht.

Der frühere Ministerpräsident von Himachal Pradesh und jetzige Unionsminister Shanta Kumar, der der BJP-Regierung und seinem Widersacher Dhumal schlicht eine schlechte Regierungsbilanz unterstellte und persönlich für das Auftreten vieler Parteirebellen verantwortlich gemacht wird, muss sich wohl einer mehr als unliebsamen Parteiinquisition unterziehen, die ihn möglicherweise sein Ministeramt kosten könnte. Der Congress (I) hat nach seiner deprimierenden Wahlniederlage in Gujarat im Dezember 2002 sichtlich an Aufwind gewonnen. Sonia Gandhi forderte den Premier wegen angeblich nicht erfüllter Wahlversprechen hinsichtlich des Schaffens neuer Arbeitsplätze im Unterhaus selbstbewusst heraus. Die Parteispitze feierte ihren Triumph als einen "Sieg des Säkularismus über das Hindutva-Konzept" der Hindunationalisten.

Als Vorspiel zur entscheidenden Schlacht um die Macht, den spätestens Ende 2004 stattfindenden Unterhauswahlen, folgen weitere Landtagswahlen: In der Hauptstadt New Delhi mit ihren 15 Millionen Einwohnern, im vom Vormarsch der Wüste bedrohten Rajasthan, in den von Hunger und Unterernährung geprägten zentralindischen Staaten Madhya Pradesh und dem von Maoisten bedrohten Chhattisgarh mit seinem hohen Anteil an Adivasis ("Ursprungsbewohner") sowie in Karnataka mit seiner Hauptstadt Bangalore, dem indischen Silicon Valley.

Ohne die Wahl in Himachal Pradesh überbewerten zu wollen, die nationalen Auswirkungen der schweren BJP-Niederlage könnten entweder eine Pandora-Büchse voller Ungewissheiten mit einer sich verschärfenden innenpolitischen Polarisierung aber auch das Ende der Herrschaft des Hindunationalismus einläuten.

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