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13. August 2004. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Indische Zensur verbietet preisgekrönten Dokumentarfilm über die Pogrome in Gujarat

"Staatssicherheit und öffentliche Ordnung sind gefährdet, wenn dieser Film gezeigt wird", so begründete das indischen Central Board of Film Certification, besser bekannt als Censor Board, das Verbot aller öffentlichen Aufführungen der Dokumentation "Final Solution" über die Pogrome in Gujarat. Dies teilte der Regisseur des Films, Rakesh Sharma, am 7. August 2004 in Mumbai (Bombay) mit. "Hochprovokativ" sei die Darstellung, zitierte er die Zensurbehörde, sie könne "Aufruhr und kommunalistische Gewalt auslösen".

"Quatsch" nannte Sharma die Begründung in seiner Pressekonferenz. Er kündigte an, tausende von CDs mit seinem Film für den nicht von dem Verbot betroffenen Privatgebrauch in Umlauf zu bringen und in Aktionen zivilen Ungehorsams illegal öffentliche Aufführungen mit prominentem Publikum zu organisieren. Zudem werde er juristisch gegen die Entscheidung vorgehen: "Hassreden sollten verboten werden und nicht Filme, die diese dokumentieren."

Der fast vierstündige Film, eine Kollage aus Interviews und Archivmaterial, setzt sich mit den Pogromen im westindischen Unionsstaat Gujarat sowie dem daran anschließenden Wahlkampf auseinander. Als Begründung für die monatelangen Massaker, denen fast ausschließlich Muslime zum Opfer fielen, diente ein Brandanschlag auf einen Zug im Bahnhof von Godhra, bei dem im Ende Februar 2002 knapp 60 Hindus gestorben waren. Binnen weniger Wochen fielen etwa 2.000 Menschen dem kommunalistischen Blutrausch zum Opfer. Menschenrechtsorganisationen warfen der BJP-geführten Landesregierung des bis heute amtierenden Ministerpräsidenten Narendra Modi vor, an dem Massenmord beteiligt gewesen zu sein. Ungeachtet dessen heizten Modi und die BJP mit ihrem Wahlkampf die Stimmung weiter an und gewannen die Landtagswahl im Dezember des Jahres mit überwältigender Mehrheit.

"Final Solution" wurde 2004 bereits auf mehreren internationalen Filmfestivals ausgezeichnet. In Hong Kong erhielt er den Preis der Kritiker und gewann den Dokumentarfilm-Wettbewerb. Auf der Berlinale wurde er lobend von einer Sonderjury zur Förderung des asiatischen Films erwähnt und von der Gesellschaft zur Wahrnehmung von Film- und Fernsehrechten mit dem Wolfgang-Staudte-Preis ausgezeichnet.

In der Begründung hieß es: "Ein monumentaler Dokumentarfilm über die Kultur des Hasses und der Gleichgültigkeit im indischen Bundesstaat Gujarat. Die Einfachheit, Klarheit und Präzision des Films ermöglicht es dem Zuschauer zum einen, die universelle Dimension des Themas zu reflektieren und zum anderen, sein eigenes menschliches Verhalten dazu in Beziehung zu setzen. Der Filmemacher wählt eine dokumentarische Form, die gänzlich auf melodramatische Effekte verzichtet und somit ein Zeichen gegen die allgegenwärtige ‚Infotainment‘-Industrie setzt."

Im Mai wurde die Aufführung des Filmes auf einem Filmfestival in Singapore untersagt, nachdem die Zensur des multikulturellen Stadtstaates ihn für "potentiell brandstiftend" erklärt hatte.

Das Vorgehen der indischen Zensur gegen Filme, die Gujarat thematisieren oder sich anderweitig kritisch mit der Politik der BJP auseinander setzten, ist nicht neu. Bereits die Kurzdokumentation "Aakrosh" von Ramesh Pimple und der Spielfilm "Chand Bujh Gaya" – nach Aussage von Regisseur Sharique Minhaj eine "tragische Liebesgeschichte inmitten des Aufruhrs" – waren der Zensurbehörde ein Dorn im Auge. Auch Anand Pathwardans "War and Peace" über die Gefahren eines Nuklearkriegs zwischen Indien und Pakistan wurde erst nach einer Entscheidung des Obergerichts in Mumbai für die Öffentlichkeit freigegeben.

Rechtsgrundlage der Filmzensur ist der Cinematograph Act von 1952. Laut diesem Gesetz kann das Central Board of Film Certification eine Lizenz zur öffentlichen Aufführung verweigern, wenn ein Film im Widerspruch steht zur "Souveränität und Integrität Indiens, der Sicherheit der Unionsstaaten, freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Ländern, der öffentlichen Ordnung, Anstand und Moral, Verleumdung beinhaltet, Gerichte missachtet oder zu Straftaten anstiftet". Obwohl Indien keine Pressezensur kennt, bestätigte der Oberste Gerichtshof die Filmzensur mit Hinweis auf den besonderen Charakter einer Filmvorführung, die – so das Urteil – "mit keiner anderen Form der Kommunikation vergleichbar" sei. Ein Verbot ist allerdings nur das ultimative Mittel der Filmzensur: Altersbeschränkungen und die Vorgabe von Änderungen und dem Rausschneiden einzelner Szenen sind die eher üblichen Mittel, eine "gesunde Unterhaltung" – so die Website der Behörde – der Filmnation Indien zu garantieren.

Besetzt wird das 25-köpfige Censor Board von der Zentralregierung, die meist altgediente Kämpen aus dem Kulturbetrieb, der Wissenschaft oder dem Bildungssektor für drei Jahre in das Gremium beruft. So geht die jetzige Zusammensetzung noch auf die BJP-geführte Regierung zurück, die im Mai 2004 abgewählt wurde. Der gegenwärtige Vorsitzende, Schauspieler Anupam Kher – westlichen Zuschauern durch sein Mitwirken in "Kick It Like Beckham" bekannt – wurde noch im Oktober 2003 von der damaligen Ministerin für Information und Rundfunk, Sushma Swaraj, ins Amt gehievt. Ein Kommentar zu dem Vorgehen gegen "Final Solution" war von ihm bisher nicht zu hören.

Laut Cinematograph Act kann jede Entscheidung der Zensurbehörde von der indischen Regierung zurückgenommen werden. Hierfür setzen sich mittlerweile eine Reihe prominenter indischer Künstler ein. Ob sie damit Erfolg haben, wird ein aufschlussreicher Indikator für die Ernsthaftigkeit des Säkularismus-Versprechens der neuen Regierung und die Stimmung im Land nach sechs Jahren BJP-Dominanz sein. Unabhängig von dem Ausgang will Regisseur Sharma aber die Kontroverse um "Final Solution" nutzen, um eine Diskussion über die Filmzensur in Gang zu setzen.

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