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31. Dezember 2004. Nachrichten: Natur & Umwelt - Indien Der Tag danach am Golf von Bengalen

Katastrophe sorgt für kollektiven Schock. Rettungsarbeiten unter schwierigen Bedingungen

In Südasien herrschen Trauer und Fassungslosigkeit nach dem verheerenden Seebeben in der Bengalischen Bucht. Die Behörden in Indien, Sri Lanka, Indonesien, Thailand, Malaysia und auf den Malediven versuchen verzweifelt, die Situation in den Griff zu bekommen.

Der Autorikschafahrer Karimullah im ostindischen Unionsstaat Andhra Pradesh hatte über Weihnachten Besuch. Seine Schwester war mit den Kindern gekommen, und sie wollten unbedingt am Sonntagmorgen an den Strand baden gehen. 13 Personen zogen los. Zehn Minuten später waren sieben von ihnen von einer gigantischen Woge überrollt und ins Meer gespült worden. Ähnlich erging es in Manginaputi Dutzenden Pilgern, die an "Margasira Maasam", einem angeblich Glück verheißenden Tag, in den Morgenstunden ihr Bad im Meer nahmen. Einen ganzen Lastkraftwagen mit mehr als 50 Passagieren und einen Kleinbus riss die Riesenwelle mit sich.

Insgesamt hat die verheerende Flutkatastrophe mindestens 24.000 Menschen getötet. Am schlimmsten betroffen sind arme Fischerdörfer an den Küsten Südindiens und Sri Lankas. Mindestens ein Drittel der Toten sind Kinder. Auf den Stränden im Südosten Indiens türmten sich Leichen und Tierkadaver. Anwohner bereiteten Massenbestattungen vor. "Wir haben Leichen aus dem Sand gezogen, die Zerstörung ist unvorstellbar", sagte Pater Arputham, der im Auftrag der Malteser in Indien Soforthilfe leistet. "Die Menschen stehen vor dem Nichts. Jetzt benötigen wir Medikamente wegen der drohenden Seuchengefahr."

Nicht nur in Indien waren die Menschen ahnungslos. Von Flutwellen, den so genannten Tsunami, hatten die wenigstens von ihnen etwas gehört. Diese Region wird eher von gewaltigen Wirbelstürmen heimgesucht. Ein Tsunami-Warnsystem, wie in Anrainerstaaten des Pazifiks, existiert hier nicht. Immerhin dauerte es fast drei Stunden, bis die erste beinahe zehn Meter hohe Wasserwand die Gestade Indiens und Sri Lankas erreicht hatte. Es wäre also Zeit gewesen, Warnungen über Radio und Fernsehen zu verbreiten. Selbst die sonst wetterkundigen indischen Fischer vermochten mit den Vorboten des Desasters nichts anzufangen. Bevor sich die Tsunami bilden, herrscht an den Küsten eine extreme "Ebbe". Im Pazifikraum verstehen die Menschen das als Alarmzeichen für bevorstehende "Killerwogen" und versuchen sich umgehend in Sicherheit zu bringen. An den Stränden weisen sogar Tafeln auf dieses Phänomen und seine Bedeutung hin.

Indien, so wurde noch am Sonntag (26.12.) angekündigt, wird so schnell wie möglich die ersten Schritte unternehmen, um dem 1960 gebildeten internationalen Tsunami-Netzwerk beizutreten. Dessen Zentrale befindet sich in Honolulu auf Hawaii. Sie zeichnet Seebeben, Unterwasservulkanausbrüche und tektonische Verschiebungen auf dem Meeresboden auf, die Tsunami verursachen können, und verbreitet entsprechende Warnungen.

Nachdem am Sonntag in Delhi die Krisengruppe des Kabinetts zusammengetreten war und Premierminister Manmohan Singh in einer Botschaft an die Nation an alle Bürger appelliert hatte, in der Stunde des Leids zusammenzustehen, liefen die Hilfsoperationen an. Drei Minister wurden in die Unglücksregion delegiert, Armee, Marine und Küstenwache mit den Rettungsaktionen beauftragt. Staatliche und private Organisationen schickten die ersten Hilfsgüter nach Tamil Nadu, Kerala, Andhra Pradesh und auf die Andaman- und Nikobar-Inseln.

Hilfe leistet Indien aber auch den Nachbarn Sri Lanka und Malediven. Nach den Malediven und nach Triconmalee und Galle in Sri Lanka sind Schiffe unterwegs. In Colombo traf noch am Sonntagabend eine Maschine mit Ärzten und Rettungsgütern an Bord ein. Rund eine Million Menschen sind auf Sri Lanka von der Naturkatastrophe betroffen, die Hälfte davon ist ohne Obdach. Ein Augenzeuge berichtete im Rundfunk: "Ich sehe Leichen in den Baumkronen hängen." Und, so warnen Seismologen und Geologen, mit weiteren Tsunami muss in den nächsten Tagen gerechnet werden.

Quelle: Der Text erschien am 28. Dezember 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Der Tsunami im Indischen Ozean .

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