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Kolkata. Für Bihars Wähler wird der Wahlkampf immer unübersichtlicher: Die Regierungspartei Rashtriya Janata Dal (RJD) hat kaum Erfolge aufzuweisen. Die anderen regionalen Kräfte finden keine eigene Linie. Die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) büßt selbst Teile ihrer Stammwählerschaft ein und die Kongresspartei (Indian National Congress, INC) überlässt anderen Akteuren das Feld. Wahlkämpfe der vergangenen Jahre hatten in dem von Armut und Korruption gekennzeichneten Unionsstaat zumeist den umstrittenen RJD-Führer Laloo Prasad Yadav zum Gegenstand. Daran hat sich auch in den drei Monaten vor der Wahl nur wenig geändert.
Die politische Landschaft Bihars ist stark von Kasten-, Religionszugehörigkeiten und Gewalt geprägt. Dominiert wird sie von der seit über 15 Jahren regierenden RJD des ehemaligen Chefministers und gegenwärtigen Eisenbahnministers Laloo, dessen Ehefrau Rabri Devi als derzeitige Chefministerin formal die Regierungsgeschäfte führt. Bei den vergangenen Wahlen zum indischen Unterhaus (Lok Sabha) gelang es der Partei und dem mit ihr innerhalb der United Progressive Alliance (UPA) verbündeten INC im Mai 2004, in Bihar die Mehrheit der Mandate auf sich zu vereinen.
Diesem Lager gegenüber steht das Oppositionsbündnis der National-Demokratischen Allianz (NDA) von BJP und Janata Dal-United (JD-U). Letztere konnte mit Nitesh Kumar als Parteichef und Eisenbahnminister der im vergangenen Jahr abgewählten NDA-Regierung 2004 sogar mehr Lok-Sabha-Mandate in Bihar gewinnen als ihr hindu-nationalistischer Bündnispartner.
Die Wahlergebnisse vom Mai letzen Jahres geben allerdings kaum Anhaltspunkte für eine Prognose. Bisher beschränken sich Wahlstrategien weitgehend auf die üblichen Sitzabsprachen. Nur Ram Vilas Paswan, Parteiführer der Lok Janshakthi Party (LJD) und ebenfalls Minister innerhalb der UPA, sorgt mit seiner ausgesprochenen Feindschaft gegenüber Laloo für Gesprächsstoff in den Medien. Die beiden Regionalpartei-Führer hatten 2004 durch ihre Wahlerfolge entscheidend dazu beigetragen die UPA in New Delhi an die Macht zu bringen. An der Besetzung des Eisenbahnministeriums entzündete sich bald darauf der Streit zwischen den beiden Exzentrikern, der sich vor wenigen Monaten in erbitterten Wortgefechten in der Lok Sabha entlud.
Seit einigen Monaten attackiert Paswan nun die RJD und brachte sogar ein so genanntes säkulares Bündnis bestehend aus INC und JD-U als Alternative zur RJD ins Spiel. Paswans verbale Angriffe gegenüber Laloo wurden auch in den Reihen der BJP begrüßt. Deutlich machen Paswans Gedankenspiele allerdings, dass er mit der RJD um die Stimmen der als wahlentscheidend eingestuften Bevölkerungsgruppen konkurriert.
Die RJD verdankt ihre 15-jährige Regierungszeit insbesondere ihren Stammwählern unter Muslimen und der Kaste der Yadav. Diese beiden Bevölkerungsgruppen machen zusammen mehr als 30 Prozent der Bevölkerung aus.
Während Paswan mit seiner Rhetorik vor allen auf die muslimischen Wählerstimmen abzielt, scheint nach Angaben des Magazins Frontline die Mehrheit der Oberkasten zu Gunsten der Abwahl von Laloos RJD einen Wechsel von der bisher bevorzugten BJP zum INC zu befürworten. Nitesh Kumar von der JD-U bezeichnete die verwirrenden Verhältnisse innerhalb des "säkularen Lagers" als reines Schattenboxen.
Da der BJP das Szenario der sich abwendenden Oberkasten offensichtlich Sorge bereitet, fährt sie schwere Geschütze auf. So wurden dem lokalen BJP-Führer Sushil Kumar Modi u.a. mit Ex-Premierminister Atal Behari Vajpayee und Parteipräsident Lal Krishna Advani gleich eine ganze Reihe namenhafter Parteigrößen zur Seite gestellt. Sogar die vorübergehend aus der BJP ausgeschlossene und mittlerweile rehabilitierte Uma Bharati soll um die Wählerstimmen der Frauen und Dalits kämpfen.
Unterdessen wurde Ende Januar der Untersuchungsbericht zum Eisenbahn-Brand auf dem Bahnhof der westindischen Stadt Godhra im Jahr 2002, in dessen Folge es zu den bisher schlimmsten Angriffen auf indische Muslime gekommen war, durch eine vom ehemaligen Supreme-Court-Richter U.C. Banerjee geleitete Kommission, veröffentlicht. Das umstrittene Ergebnis der von Eisenbahnminister Laloo in Auftrag gegebenen Untersuchung war, dass der Brand, bei dem 59 Hindus ums Leben gekommen waren, nicht durch Brandstiftung von Muslimen verursacht worden sei, sondern durch einen Unfall. Trotz heftiger Kritik aus Reihen der JD-U und der Hindu-Nationalisten und dem Verbot der Election Commission, das Ergebnis im Wahlkampf zu instrumentalisieren, ließ Laloo es sich nicht nehmen, sich als Bewahrer der Harmonie zwischen den Religionsgemeinschaften zu präsentieren.
Mitte Januar - wenige Wochen vor dem ersten Wahltermin - setzte eine massive Berichterstattung über die Entführung zweier Schüler ein. In dem für seine hohe Kriminalitätsrate berüchtigten Bihar genießt Kidnapping bezeichnenderweise den Ruf einer eigenen Industrie. Für die Opposition war das Ereignis ein willkommener Anlass, der RJD-Regierung Verbindungen zur Unterwelt anzulasten und ihre Rufe nach "Law and Order" zu verstärken. Allerdings ist die RJD mit der Nominierung von Kandidaten mit erheblichem Vorstrafenregister keine Ausnahme. Fast alle Parteien schicken lokale Dons für sich ins Rennen.
Ungeachtet der wirtschaftlichen Versäumnisse der Ära Laloo und den katastrophalen Bedingungen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur, konnte sich die RJD mit ihrem kontinuierlichen Widerstand gegen Hindutva vor allem unter den über 15 Prozent Muslimen in Bihar eine Wählerbasis erhalten. Viele andere Wähler mögen zu Gunsten dieses so genannten sozialen Friedens in der Vergangenheit ebenfalls ein Auge zugedrückt haben. Bei den drei Urnengängen am 3., 15. und 23. Februar wird sich zeigen, ob sie das angesichts fehlender Arbeitsplätze, Strom- und Wasserversorgung auch weiterhin tun.
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