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Am 23. Mai löste Präsident A.P.J. Abdul Kalam auf Empfehlung des Gouverneurs und der UPA-Zentralregierung während seiner zweiwöchigen Auslandsreise die Vidhan Sabha von Moskau aus auf. Damit werden innerhalb der nächsten sechs Monate die über 50 Millionen Wähler erneut dazu aufgefordert, ihre Stimme abzugeben.
Die Entscheidung für Neuwahlen ist vor allem in den Reihen der NDA äußerst umstritten. Bereits in den Tagen vor der Parlamentsauflösung häuften sich Medien-Meldungen, denen zufolge Bewegung in den parteipolitischen Stillstand gekommen war. Dabei war es offensichtlich gelungen, Abgeordnete der Lok Janshakti Party (LJP) zu korrumpieren. Damit drohte sich eine regierungsfähige Mehrheit unter Führung der zweitstärksten Fraktion des Janata Dal-United (JD-U) von Nitesh Kumar herauszubilden. Der JD-U und seiner hindu-nationalistische Bündnispartnerin BJP mit ihren 92 Sitzen fehlten nur wenige Stimmen, um eine Regierung in Patna zu stellen. Entsprechend wütend wurden die Anschuldigungen führender NDA-Politiker formuliert, denzufolge die Entscheidung für Neuwahlen einem "Mord der [indischen] Demokratie" gleichkämen. BJP-Präsident L.K. Advani und der frühere Premierminister A.B. Vajpayee nannten die Neuausrufung der Wahlen einen "diktatorischen Schritt", der zu einem heißen „Kampf um die Demokratie" in Bihar aber auch anderen Unionsstaaten herausfordere.
Ein erster Schritt in diesem "Kampf" folgte am Tag nach der überraschenden Auflösung des Landtags, als die NDA einen Generalstreik in dem Unionsstaat ausrief. Die dabei üblichen Straßenschlachten mit politischen Gegnern, Streikbrechern und Sicherheitskräften waren allerdings aufgrund der Hitze von über 40 Grad Celsius etwas geringer als befürchtet. So kam es "nur" zu ca. 1.200 Verhaftungen, etwa einem Viertel davon in Patna.
Nitesh Kumar sprach von fehlendem Vertrauen gegenüber dem Gouverneur, der nach Auffassung vieler NDA-Politiker als offener Fürsprecher der UPA-Regierung gilt und daher unverzüglich durch einen neutralen Gouverneur ausgetauscht werden müsse. Dieser Meinung schlossen sich auch die LJP-Politiker an, die durch ihre Bereitschaft, zur NDA überzutreten, Bewegung in das durch die Vor-Monsunhitze fast schon lethargisch anmutende Bihar brachten. Einige NDA-Politiker verglichen Buta Singh bereits mit seinen Amtskollegen in Jharkhand und Goa. Die dortigen Gouverneure hatten innerhalb der letzten Monate äußerst kontroverse Entscheidungen gefällt, die in der Öffentlichkeit die Frage aufkommen ließ, ob die Institution des Gouverneurs überhaupt im Einklang mit der Demokratie sei.
BJP-Generalsekretär Arun Jaitley kündigte unterdessen an, dass seine Partei die "verfassungswidrige" Entscheidung vor dem Obersten Gericht prüfen lassen werde. Jaitley erklärte, dass die BJP juristisch und an den Wahlurnen den Kampf gegen die UPA aufnehmen werde.
Die Parteien der UPA in der Zentralregierung, darunter die bis zu den letzten Wahlen in Bihar regierende Rashtriya Janata Dal (RJD), aber auch die kommunistischen Parteien begrüßten hingegen die Entscheidung Buta Singhs. Während Innenminister Shivraj Patil die Entscheidung des Gouverneurs von Bihar, der in seinem Bericht an Präsident Kalam von "verfassungswidrigen und illegalen Schritten" zur Bildung einer parlamentarischen Mehrheit sprach, rechtfertigte, bewertete Sitaram Yechury, Politbüromitglied der Communist Party of India (Marxist), die Anordnung als Prävention eines sich abzeichnenden "Kuh-Handels um Stimmen" für die NDA - Worte, die auch Premierminister Manmohan Singh benutzte. In einem Coup in Jharkhand vor wenigen Monaten hatte sich die BJP die fehlenden Stimmen zur parlamentarischen Mehrheit durch skandalöse Maßnahmen gesichert und stellt seitdem die Regierung in dem südlichen Nachbarstaat.
Einzig die mit ihren sieben Parlamentssitzen stärkste kommunistische Partei, die Communist Party of India (Marxist-Leninist) nannte die gegenseitigen Anschuldigungen der NDA und der UPA einen "Witz", der mit den Einwohnern Bihars getrieben werde. Medien-Meldungen zufolge kam der Stein in Bihar wohl letztendlich erst ins Rollen, als RJD- Chef und Eisenbahnminister Laloo Prasad Yadav während eines Kabinettstreffens Druck auf den INC zur Abhaltung von Neuwahlen in seinem Heimatstaat ausübte.
LJP-Chef und Chemieminister Ram Vilas Paswan warf seinem Ministerkollegen Laloo vor, all die vergangenen Monate eine "säkulare Regierung" verhindert zu haben. Allerdings hat erst die Weigerung des LJP-Supremos, weder mit der RJD - was an der persönlichen Abneigung zwischen ihm und Laloo liegt - noch mit der JD-U zu koalieren, die Patt-Situation herbeigeführt.
Nach eigenem Bekunden hat Paswan zuletzt aber sogar seine persönliche Abneigung zum Wohle einer Regierungsbildung überwunden. Beobachter sehen sein Einlenken gegenüber Laloo allerdings mit einer Spaltung in seiner eigenen Partei in Zusammenhang. Laloo sei Paswan zufolge letztendlich aber nicht bereit gewesen, seinem Vorschlag für einen muslimischen Ministerpräsidenten aus Reihen der RJD zuzustimmen.
Ob diese Anmerkung des LJP-Chefs bereits ein Teil des sicherlich bald beginnenden Wahlkampfes ist - ein bedeutender Teil der RJD-Stimmen stammt von muslimischen Wählern - oder nur eine Reaktion auf die Zusicherung Laloos, dem INC bei den nächsten Wahlen mehr Wahlkreise zuzugestehen - was sich zum Nachteil der LJP auswirken könnte - wird sich zeigen.
Nach Ansicht eines Beobachters in der Tageszeitung Times of India ist Ram Vilas Paswan der klare Verlierer der Verkündung von Neuwahlen. Während Nitesh Kumars Allianz mit den Hindu-Nationalisten hielt und dadurch seine Position als unumstrittener Führer der NDA in Bihar gefestigt wurde, ist der zwischenzeitlich zum "Königsmacher" stilisierte Paswan mittlerweile in seinen eigenen Reihen umstritten. 21 LJP-Landtagsabgeordnete haben sich Berichten zufolge der NDA angeschlossen.
Während es für Paswans LJP eng werden könnte, zeichnet sich in Bihar erneut eine Polarisierung zwischen NDA und Laloo ab. Es wird befürchtet, dass Laloo diejenigen Muslim-Stimmen zurückerobern könnte, die die LJP noch im Februar ihr bisher bestes Ergebnis bescherten. Die NDA wird versuchen, sowohl auf ihre neue Wählerschaft aus den so genannten "rückständigsten oder benachteiligsten Kasten" (most backward castes) als auch ihre "traditionellen" Stammwähler aus den Oberkasten zu mobilisieren.
Die letzte Wahl in Bihar hat aber auch gezeigt, dass Analysen über Konstellationen und mögliche Ergebnisse Spekulationen blieben. Das einzige, das sich sicherlich kaum ändern wird, ist, dass weder BJP noch INC kaum eine ausreichende Anzahl von Stimmen gewinnen dürften und daher auch künftig von ihren jeweiligen Koalitionspartnern abhängig bleiben werden.
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