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Die Kisten waren schon gepackt. "Sie lässt sich nicht davon abbringen, also werden wir jetzt definitiv die Koalition verlassen", verkündete Somawansa Amarasinghe, Parteivorsitzender der singhalesisch-nationalistischen JVP, kurz vor Mitternacht. In der Nacht zum 16. Juni lief die der Präsidentin Chandrika Kumaratunga eingeräumte Frist ab. Die JVP hatte gefordert, dass die Präsidentin den Plan ablehnt, ein Koordinationsforum für die Verteilung der über zwei Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe einzurichten, die den von der Tsunami-Katastrophe betroffenen Regionen zugute kommen soll.
Zwei Drittel dieser Regionen liegen in den von den LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) de facto kontrollierten Gebieten im Norden und Osten der Insel. An der Verteilung der Wiederaufbauhilfe sollen auch Vertreter der tamilischen Guerillaorganisation beteiligt werden. Abgesehen von Nothilfemaßnahmen, ist wegen der fehlenden Kooperationsmechanismen bisher nur sehr wenig Wiederaufbau in den LTTE-Gebieten geleistet worden. Die einzige Möglichkeit, den Menschen dort zu helfen, ohne das Geld direkt an die Tigers auszuzahlen, ist die Bildung eines joint mechanism. Offenbar beabsichtigen internationale Geldgeber aber auch, den ins Stocken geratenen Friedensprozess wieder in Gang zu bringen.
Die singhalesische Rechte betrachtet diesen Plan als Angriff auf die Souveränität des Landes. Ihre Organisationen liefern sich seit Wochen einen Wettbewerb in chauvinistischen Aktionen. Als die kahl geschorenen Anhänger der rechtsextremen Mönchspartei JHU am 12. Juni ihren Hungerstreik "gegen die Anbiederung an die tamilischen Terroristen" beendeten, organisierten die JVP und ihr nahe stehende rechte Studentenverbände und Gewerkschafter umgehend eigene Proteste in der Hauptstadt Colombo. Buddhistische Mönche der National Bhikku Front (NBF) begannen an der Colombo Fort Railway Station ein "Todesfasten", das Polizei- und Armeekräfte vier Tage später auflösten.
Präsidentin Kumaratunga trägt mit ihrer Politik in einem gewissen Maße zur Zuspitzung bei, nicht zuletzt weil sie und die Regierung bisher nur wenige Details des geplanten joint mechanism veröffentlicht haben. Nun brodelt die Gerüchteküche: Die Präsidentin und ihr Ministerpräsident hätten als Handlanger einer internationalen Verschwörung die Einheit des Landes verkauft und im Gegenzug für die Auszahlung der Hilfsgelder im Wiederaufbauvertrag die LTTE als einzige Repräsentantin der Tamilen anerkannt. Den Tigers werde es sogar erlaubt, in Gebieten tätig zu werden, die außerhalb ihrer Kontrolle stünden, ereifern sich die singhalesischen Extremisten. "Nicht reden, jetzt zuschlagen!" skandieren einige von ihnen.
Für weiteren Zündstoff sorgten Zeitungsberichte über eine Aufrüstung der LTTE. Satellitenbilder zeigten eine Landepiste mit zwei Kleinflugzeugen. Seitdem geistert das Gespenst einer Tiger-Luftwaffe durch die Blätter, die nur darauf warte, die Maschinen vollgepackt mit Sprengstoff in Colombos Welthandelszentrum zu steuern. Wahrscheinlicher ist es, dass diese sandige Piste für selbst organisierte Hilfslieferungen benutzt wird. Dass auch Waffen transportiert werden, kann selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden.
Der Waffenstillstand zwischen der Regierung und den LTTE vom Februar 2002 hält zwar, der Stuhl der LTTE am Verhandlungstisch ist jedoch seit dem April 2003 unbesetzt. Die norwegischeSn Unterhändler haben in einer gemeinsamen Erklärung mit den Geberländern und der EU am Dienstag der vergangenen Woche in Washington die "andauernde Gewalt beider Seiten" unterhalb der vollständigen Eskalation kritisiert, "die in einem Klima von Straflosigkeit den Geist des Waffenstillstands bedroht".
Die Fixierung auf die zwei militärischen Hauptakteure wird von nicht an den Verhandlungen Beteiligten wie z.B. der tamilischen Opposition zu den LTTE und muslimischen Verbänden kritisiert. Die LTTE beanspruchen ein politisches Monopol in den von ihren Guerilleros kontrollierten Gebieten und gehen immer wieder mit Gewalt gegen Dissidenten vor.
Der zivilgesellschaftliche Friedensprozess dagegen kann durchaus kleine Fortschritte verbuchen. Die Wirksamkeit der unterstützten Konfliktbearbeitungsmechanismen und so genannter Friedensnetzwerke hängt freilich erheblich vom Waffenstillstand ab. Der umstrittene joint mechanism würde Regierung und LTTE zu einer dauerhaften Kooperation zwingen, dies könnte den blockierten Friedensprozess wieder in Gang bringen.
Doch die Zeichen für erneute Rüstung auf beiden Seiten mehren sich. Die srilankische Armee konnte unmittelbar nach dem Tsunami dank des Schuldenmoratoriums der G7-Staaten ihr Flug- und Fahrzeugarsenal modernisieren, man brauchte schließlich dringend Transportmittel. Die Tamil Tigers wiederum entsinnen sich nach Angaben der in London ansässigen International Coalition to Stop the Use of Child Soldiers vermehrt der Rekrutierung von Halbwüchsigen.
Armee und Tamil Tigers belauern einander argwöhnisch, gelegentlich kommt es zum Schusswechsel an der schmalen Demarkationslinie. Seit der Abspaltung des ehemaligen LTTE-Colonels Karuna im Osten der Insel sind die Fraktionskämpfe zu militärischen Gefechten eskaliert, und es gibt Indizien dafür, dass die Karuna-Fraktion indirekte Unterstützung von der Armee erhält.
Auch in den mehrheitlich singhalesischen Gebieten wachsen die Spannungen. In Colombo kam es in den vergangenen Wochen zu politischen Morden an unbequemen Journalisten und zu Hetzkampagnen gegen Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, die sich im Friedensprozess engagieren. Am 28. April wurde der tamilische Journalist Dharmeratnam Sivaram ermordet, der stets auf die anhaltende Gefährdung tamilischer Journalisten aufmerksam zu machen versucht und für die Fortsetzung der Friedensverhandlungen geworben hatte. Er war in unmittelbarer Nähe einer Polizeiwache in einen Kleintransporter gezerrt worden, seine mit Folterspuren gezeichnete Leiche wurde in der Hochsicherheitszone nahe des Parlaments gefunden. Anfänglich gab es keine Ermitlungserfolge, doch am 15. Juni wurde bekannt, dass es der Polizei gelungen ist, einen Tatverdächtigen festzunehmen. Der verhaftete Arumugam "Peter" Skandarajan hatte die Sim-Karte des Opfers aktiviert, um die gespeicherten Telefonnummern herauszufiltern. Er ist kein Unbekannter für die Sicherheitsbehörden, kämpfte in einer Miliz gegen die LTTE und saß nach einem Putschversuch auf den Malediven mehrere Jahre im Gefängnis.
Die Funktionäre der JVP haben nun angekündigt, sich auch aus den Provinzregierungen zurückzuziehen und weitere Kampagnen zu starten. Dies könnte den Inselstaat zeitweilig destabilisieren. Die erste Machtprobe mit den Nationalisten hat Präsidentin Kumaratunga jedoch erfolgreich bestanden. Die oppositionelle UNP des ehemaligen Premiers Ranil Wickremesinghe will ihre Minderheitsregierung zusammen mit tamilischen Abgeordneten zunächst stützen und auf ein Misstrauensvotum verzichten.
Quelle: Dieser Beitrag erschien am 22.06.2005 in der Wochenzeitung Jungle World.
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