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02. August 2005. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Kinder im Kashmirkonflikt

Immer mehr Kinder und Jugendliche zwischen den Fronten in Kashmir

Amnesty International (ai) hat die jüngsten Tötungen an drei Jugendlichen und die schwere Verletzung eines weiteren Halbwüchsigen in der letzten Juliwoche im indischen Unionsstaat Jammu & Kashmir zum Anlass genommen, auf die erschwerten Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche in der umkämpften Gebirgsregion aufmerksam zu machen. Demnach sind insbesondere Minderjährige in Gefahr, im Konflikt zwischen den indischen Sicherheitskräften und bewaffneten separatistischen Gruppen zwischen die Fronten zu geraten. Amnesty ruft in ihrer jüngsten Stellungnahme beide Seiten zu mehr Umsicht und Rücksicht gegenüber Kindern auf und fordert sie zur Einhaltung der Menschen- und Kinderrechte auf.

ai richtet sich mit Verweis auf die von Indien ratifizierten Kinderrechte der Vereinten Nationen an die Regierung in New Delhi und die Landesregierung in Srinagar. Auch von den bewaffneten Separatistengruppen fordert Amnesty die Einhaltung der Menschenrechte, die nicht mit Folter, Mord und der Geiselnahme von Zivilisten zu vereinbaren seien.

Einem Sprecher der indischen Armee zufolge wurde auf die vier Jugendlichen im Alter zwischen elf und 15 Jahren am 24. Juli 2005 im Dorf Bangargund (im Kupwara-Distrikt) von Einheiten des sechsten Bataillon der Rashtriya Rifles das Feuer eröffnet, weil sie fälschlicherweise für bewaffneten Separatisten gehalten wurden. Die Jungen seien fortgelaufen, nachdem eine Patrouille der paramilitärischen Einheit sie nahe der Waffenstillstandslinie, der so genannten Line of Control (LoC), zum Stehen bleiben aufgefordert hatte. Dorfbewohner hingegen erklärten, dass die Jugendlichen einer Hochzeitsgesellschaft angehörten und in den Morgenstunden zu einem Spaziergang in das Dorf gegangen seien, als die Sicherheitskräfte unvermittelt das Feuer auf sie eröffnet hatten - die Jungen konnten nicht mehr auf die Befehle der Soldaten reagieren. Gemäß den Augenzeugenberichten bestand keine Ausgangssperre in dem Gebiet. Nach Aussagen der Dorfbewohner hatte der Dorfälteste die Soldaten sogar vorab darüber informiert, dass bedingt durch die Hochzeit, einige Gäste umhergehen könnten.

Ein Armeesprecher bedauerte den "Zwischenfall" und erklärte die volle Kooperationsbereitschaft in den von Mufti Mohammad Sayeed, dem Chefminister Jammu & Kashmirs, angeordneten Untersuchungen durch die Justizbehörden. Zusätzlich wurde eine armeeinterne Untersuchung angeordnet.

ai machte zudem auf zahlreiche Angriffe bewaffneter Separatisten aufmerksam, durch die Kinder in Mitleidenschaft gezogen wurden. Demnach seien immer wieder Bomben in der Nähe von Schulen zur Explosion gebracht worden, durch die zahlreiche Kinder getötet wurden. Eltern seien stark um ihre Sicherheit und die ihrer Nachkömmlinge besorgt.

Chronologie der Übergriffe

Exemplarisch ist ein Zwischenfall vom 12. Mai 2005, bei dem bewaffnete Kämpfer in Srinagar eine Granate abfeuerten während Schulkinder eine christliche Missionsschule verließen. Zwei Frauen, die ihre Kinder vom Unterricht abholen wollten, starben, und mindestens 50 weitere Menschen wurden verletzt, darunter auch 20 Schüler. Keine Gruppe hat sich zu dem Anschlag bekannt.

Am 13. Juni tötete eine Autobombe in Pulwama 15 Menschen und verletzte mindestens 100 weitere. Am 22. Juni 2005 wurden 17 Menschen verletzt als eine Granate in eine Menschenmenge in Gorivan Bijbehara geworfen wurde - zwei davon waren Kinder. Am 20. Juli fuhr ein Selbstmordattentäter vor einer Schule in Srinagar mit einem Sprengsatz in seinem Auto in einen Armeejeep. Dabei wurden vier Soldaten getötet und 17 Zivilisten verwundet. Die separatistische Gruppe Hizbul Mujahideen übernahm die Verantwortung für den Anschlag.

Auch oftmals herumliegende Sprengsätze stellen eine Gefahr für Kinder dar. So wurden am 24. Juli in Ajir im Distrikt Bandipore drei sechs bis neunjährige Kinder verletzt, die mit Sprengsätzen spielten, die bei einer Armeeoperation zurückgelassen worden waren.

Die Gewalt gegenüber eigenen Familienmitgliedern, Angehörigen oder Nachbarn stellt für Kinder in der Konfliktregion psychisch eine hohe Belastung dar. Psychologen verweisen daher auf tiefe Verhaltensstörungen vieler Kinder, die sich u.a. in Form von Schlafstörungen und Angstzuständen zeigt. Viele Minderjährige werden durch den Verlust ihrer Ernährer dazu gezwungen, bereits in sehr jungen Jahren für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

Seit Ausbruch des bewaffneten Konflikts Anfang der 1990er Jahre "verschwinden" zwischen die Konfliktparteien geratene Zivilisten in großer Zahl. Erstmals haben dies die indischen Behörden durch die Landesregierung von Jammu & Kashmir im Juni 2003 eingeräumt. Es handle sich demnach offiziell um 3.184 Menschen. Menschenrechtsgruppen hingegen gehen von 8.000 bis 10.000 Verschollenen aus.

Quellen

  • Amnesty International: India. Children unprotected in Jammu and Kashmir, Public Statement, ASA 20/027/2005 (Public) News Service No: 201; 26. Juli 2005.

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