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27. September 2005. Nachrichten: Politik & Recht - Pakistan Islamabad - Tel Aviv

Erste offizielle Gespräche zwischen pakistanischen und israelischen Regierungsvertretern

Die Berichte über das Treffen zwischen dem pakistanischen Außenminister Khurshid Mahmood Kasuri und seinem israelischen Amtskollegen Silvan Shalom am 1. September 2005 in Istanbul sind weder in der islamischen Republik noch in anderen Ländern mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit positiv aufgenommen worden.

Wie kaum anders zu erwarten, riefen die Gespräche mit Vertretern Israels in Pakistan Proteste hervor. Während die Regierung um Premierminister Shaukat Aziz zu beschwichtigen versuchte, wiederholte die islamistische Opposition alt bekannte Slogans und sieht sich im Fadenkreuz einer "jüdisch-amerikanischen Weltverschwörung". Die Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung scheint der Initiative ihrer Regierung allerdings eher gleichgültig gegenüber zu stehen. 

Pakistan erkennt - wie die meisten Staaten mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit - Israel diplomatisch nicht an. Zwar hatte es zwischen den beiden Seiten bereits in der Vergangenheit öfters informelle Gespräche gegeben, und Präsident Pervez Musharraf forderte vor zwei Jahren sogar eine öffentliche Diskussion über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel. Das jetzige Treffen war der erste offizielle Kontakt seit dem Entstehen beider Staaten in den 1940er Jahren.

Premierminister Shaukat Aziz begründete in der Nationalversammlung (Majlis-e Shura) in Islamabad den Zeitpunkt der Konsultationen mit dem israelischen Rückzug aus dem Gaza-Streifen. Er erklärte zugleich, dass eine vollständige wechselseitige Annerkennung erst nach der Errichtung eines palästinensischen Staates möglich sei. Außenminister Kasuri erläuterte bereits unmittelbar nach dem Treffen am Bosporus, dass der Dialog mit Israel erst aufgenommen wurde, nachdem Pakistan die Zustimmung hierzu vom neuen saudiarabischen König Abdullah sowie der Palästinenser-Führung erhalten habe. Die islamistische Opposition verließ während der Debatte mit dem Premier unter lauten Protesten den Sitzungssaal. Sie forderte neben einem kompletten Rückzug israelischer Truppen aus Gaza auch die Räumung der seit 1967 besetzt gehaltenen Westbank und der übrigen Gebiete. Um dem Ärger vor allem religiös-konservativer Kräfte über die Initiative der Regierung zu begegnen, sah sich Premierminister Aziz einige Tage später in Lahore abermals veranlasst, darauf zu verweisen, dass "Pakistan Israel nicht anerkannt habe". Er versicherte, dass "zu einer solchen Entscheidung (von nationalem Interesse) selbstverständlich vorher das Parlament konsultiert" werde und warf den islamistischen Parteien vor, in populistischer Manier vorzugehen.

Demgegenüber beschuldigte Qazi Hussain Ahmad, Führer des islamistischen Parteienbündnisses Muttahida Majlis-i-Amal (MMA) General Musharraf, der Politik Washingtons blind zu folgen, und damit gegen die pakistanische Staatsideologie zu handeln: "Entscheidungen zu Kashmir und Palästina können nicht ohne das Vertrauen der Majlis-e Shura getroffen werden". Der stellvertretende Vorsitzende der Jamaat-e-Islami, Liaquat Baloch, vermutete hinter dem Treffen in Istanbul eine US-amerikanische Strategie, die sowohl gegen Pakistan als auch gegen den Islam gerichtet sei. Dem jetzigen Druck, Israel anzuerkennen, werde die spätere Anerkennung indischer Ansprüche auf Kashmir folgen. Baloch erklärte weiter, dass die pakistanische Regierungspolitik in einer raffiniert ausgelegten Falle der USA verstrickt sei. Deshalb rief die MMA landesweit zu Protesten auf, der jedoch relativ wenige Menschen folgten. In der Provinzhauptstadt Peshawar, die als islamistische Hochburg gilt, ließen sich gerade einmal 200 Aktivisten mobilisieren.

Entsprechend zurückhaltender fielen die Reaktionen der anderen Parteien aus. So äußerten sich Vertreter der Pakistanischen Volkspartei (Pakistan Peoples Party - PPP) der ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto als auch die Anhänger des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif und seiner Pakistan Muslim League-N weniger ablehnend. Zwar rügten sie im Parlament übergangen worden zu seien, aber Farhatullah Babar, Führer der PPP, begrüßte grundsätzlich eine Annährung an Israel.

Angesichts fehlender ideologischer Gemeinsamkeiten mit Israel bleibt es jedoch zunächst unklar, was die Regierung in Islamabad zu diesem Schritt bewegt hat.

Eindeutig machtpolitischer Hintergrund

Während in den vergangenen Jahren jene Kräfte des pakistanischen Establishments, die aus wirtschaftlichen Gründen für eine Annäherung an Israel plädierten, auf Indien verwiesen, das durch die Aufnahme voller diplomatischer Verbindung zu Tel Aviv seit 1992 keine Nachteile gegenüber arabischen Ländern erfuhr, dürfte sich ein solcher Schritt für Pakistan anders auswirken. In der Vergangenheit hatten pakistanische Staatschefs das Land mehrfach als einen zentralen Staat im Gefüge der muslimischen Gemeinschaft (ummah) beschrieben - ein Anspruch der durch eine diplomatische Annerkennung Israels wohl kaum aufrecht zu erhalten bleiben dürfte.

Analysten spekulieren daher auch über ganz andere Hintergründe. So scheinen der Annäherung Islamabads an Israel vor allem pragmatische Überlegungen zugrunde zu liegen. Der wachsende Einfluss New Delhis in Washington wird in Pakistan durchaus auch vor dem Hintergrund der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern wahrgenommen. Als die von den Hindu-Nationalisten geführte letzte Regierung der National Democratic Alliance die Idee der Achsenbildung Washington - Tel Aviv - New Delhi zu beschwören versuchte - was auch den Vorstellungen einflussreicher jüdischer US-Lobbyisten entsprach - läuteten im südasiatischen Nachbarland die Alarmglocken.

Die pakistanische Außenpolitik ist sicherlich auch von den persönlichen Interessen des Präsidenten geleitet. Mehrfach nannte Musharraf die politischen Strukturen Ägyptens aber insbesondere der Türkei als Vorbild. Beide verfügen über langjährige diplomatische Verbindungen zu Israel sowie über gute politische und militärische Verbindungen zu Washington. Daneben unterhält Tel Aviv Verbindungen zu Jordanien, Mauretanien und einigen zentralasiatischen Staaten. Zudem hat auch Pakistans traditioneller Verbündeter China gute Kontakte zu Tel Aviv. Neuerdings denkt auch der neue Herrscher im saudiarabischen Königshaus laut über die Aufnahme diplomatischer Kontakte mit dem einstigen Erzfeind nach.

Die Entscheidung für eine diplomatische Kontaktaufnahme zu Israel stellt nach Auskunft von General Musharraf den Versuch dar, Einfluss auf einen möglichen Friedensprozess im Nahen Osten zu erhalten. Palästinenser-Präsident Mahmood Abbas stellte dies in einer Stellungnahme ähnlich dar und begrüßte die Initiative Islamabads. Außenminister Kasuri formulierte es gegenüber Medienvertretern in Dubai so: "Pakistan kann nur dann eine bedeutende Rolle in möglichen Friedensgesprächen einnehmen, wenn es mit beiden Seiten verhandlungsfähig ist".

Während des Treffens der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September kam es zwischen General Musharraf und Ex-General Ariel Sharon zu einem weiteren so genannten historischen Händedruck. Am 18. September eröffnete Musharraf dann als erster Staatschef eines muslimischen Landes, das keine diplomatischen Beziehungen mit Israel hat, in New York ein Treffen des Council of World Jewry, das eine der einflussreichsten jüdischen Organisationen in den USA ist.

Jüngst durchgeführte israelischen Luftangriffe - im Sprachgebrauch der Israelis als so genannte Vergeltungsschläge bezeichnet - die Tötung eines hohen Funktionärs vom Islamic Jihad und die Verhaftung von mindestens 200 Palästinensern schaden nach Auffassung Islamabads zwar der Hoffnung auf baldigen Frieden, stellen kein Hindernis für einen Ausbau der Beziehungen dar. Dennoch muss ernsthaft bezweifelt werden, dass Pakistan geradewegs auf eine Annerkennung Israels zusteuert. Vielmehr scheint es sich als international verhandlungsoffen geben zu wollen.

Quellen

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