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"Sicher wollte die internationale Gemeinschaft mit ihrem Engagement helfen", sagt Darini Rajasingham, ein in Colombo lehrender Anthropologe, "tatsächlich aber sind Unmengen von freiwilligen, unerfahrenen Helfern eingeflogen worden, die die Sprache nicht sprechen und weder die sozioökonomischen noch die kulturellen Hintergründe kennen." Der Tsunami traf am 26. Dezember 2004 ein Land, das bereits in dem fast 25 Jahre andauernden Krieg zwischen der tamilischen Guerillaorganisation Liberation Tiger of Tamil Eelam (LTTE) und dem singhalesischen Militär mehrere zehntausend Opfer zu beklagen hatte. Vor allem tamilische Zivilisten, die die Bevölkerungsmehrheit im Norden und Osten der Insel stellen, waren unter den Toten. Zwar wurde im Frühjahr 2002 ein wenn auch fragiler Waffenstillstand geschlossen, aber Morde sind gleichwohl an der Tagesordnung geblieben und von Frieden kann keine Rede sein. "Rund 60 Prozent des Staatshaushalts verbrauchen die Militärausgaben, seit fast zwanzig Jahren gibt es keine Elektrizität mehr in weiten Teilen des Nordens und Ostens, die dortige Landbevölkerung kennt nur noch Krieg und lebt in ständiger Angst", betonen lokale Menschenrechtsorganisationen und bemängeln, dass von den Hilfsgeldern viel zu wenig in den tamilischen Gebieten ankomme.
Die Kritik ist berechtigt, denn drei Viertel der Tsunami-Opfer sind Tamilen, die rund 19 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Vereinbarungen zwischen der tamilischen Guerilla und der singhalesischen Regierung zur unbürokratischen Hilfe auch in den Gebieten, die von den Tamil Tigers kontrolliert werden, wurden von der Regierung von Beginn an nicht eingehalten und vor Gericht durch eine rechte Splitterpartei, namentlich die post-kommunistisch nationalistische Janatha Vimukthi Peramuna (Volksbefreiungsfront, JVP), gestoppt. Seit dem 17. November dieses Jahres heißt der neue Präsident Sri Lankas Mahinda Rajapakse (Sri Lanka Freedom Party, SLFP). Der 60-Jährige Hardliner annullierte umgehend alle Vereinbarungen zwischen Regierung und Guerilla und machte so die Wahlversprechen wahr, die er seinen Koalitionären, eben jener rechts-nationalistischen JVP und dem konservativen buddhistischen Klerus und dessen Partei Jathika Hela Urumaya (JHU), gegeben hatte. Die tamilische Minderheit boykottierte fast vollständig die Wahlen und folgte damit Aufrufen, mit denen LTTE-freundliche Organisationen vor allem im Norden und Osten gegen eine Wahlbeteiligung mobilisiert hatten; aber auch in den westlichen und südlichen Landesteilen wie etwa in Colombo blieb die Wahlbeteiligung der Tamilen gering.
Mit seiner traditionellen Geburtstagsrede hat der Führer der LTTE, Velupillai Prabhakaran, am 27. November seinen Beitrag zur Lichtung des Wahlkampfrauchs geleistet und damit möglicherweise die nähere Zukunft Sri Lankas skizziert. Sollte der neue Präsident nicht umgehend politische Lösungen für den seit Jahrzehnten andauernden Konflikt vorschlagen, so Prabhakaran, sei er bereit, wieder die Waffen sprechen zu lassen: "Unsere Geduld ist zu Ende. Wir werden im nächsten Jahr den Kampf für Selbstbestimmung und nationale Befreiung intensivieren, um eine eigene Regierung in unseren Gebieten einzusetzen." Bisher hat die neue Regierung auf die Rede des 51-Jährigen Prabhkaran nicht reagiert.
Erstmals nach vier Jahren ist es im November und Dezember 2005 wieder zu Angriffen mit Landminen und Handgranaten gekommen, starben bei Auseinandersetzungen 15 Soldaten und mehrere Zivilisten. Nicht wenige Beobachter meinen daher, dass für das Jahr 2006 die Zeichen wieder auf Krieg stehen. Wer freilich, wie der Autor der Zeitschrift The Hindu, V.S. Sambandan, die Reaktion der LTTE als die "Wiederkehr des Terrorismus" brandmarkt, geht an den tatsächlichen Realitäten der vergangenen Jahre vorbei. Es war die LTTE, die zu Weihnachten 2001 einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, auf einen eigenen Tamilenstaat verzichtet, eine Teilautonomie und selbst eine nur föderale Lösung akzeptiert hatte. Stets reagierte die Regierung mit Untätigkeit. Einige Beobachter bezeichnen angesichts der bisherigen Verwüstungen den Bürgerkrieg und selbst die fragilen Friedensbemühungen, die auch unter Beteiligung skandinavischer Vermittler zustande kamen, als den ersten Tsunami: "Der eigentliche Tsunami vom 26. Dezember war verheerend - wie die jüngere politische Vergangenheit unseres Landes insgesamt", sagt etwa Rangini Ponnalasami, Mitarbeiterin einer lokalen Nichtregierungs-Organisation (NGO), die seit mehr als zehn Jahren im Norden Sri Lankas arbeitet. "So gesehen war die Dezemberflut letztes Jahr eigentlich der zweite Tsunami", meint die in Vavuniya tätige Sozialarbeiterin.
Vavuniya ist das im nördlichen Landesinnern gelegene Nadelöhr zwischen den von der LTTE und dem Militär kontrollierten Gebieten. Von hier aus waren sie und ihre Mitarbeiter noch am Abend des 26. Dezember nach Mullaithivu an der Nordostküste aufgebrochen, um zu helfen. Decken, Zeltplanen, Medikamente und Lebensmittel hatten sie im Gepäck - und brachten doch die ersten Tage damit zu, Leichen einzusammeln, zu stapeln, zu fotografieren und zu verbrennen. "800 bis 900 Leichen jeden Tag, es war furchtbar", sagt sie und ist insbesondere über die im Januar 2005 von UNICEF geschalteten Werbespots empört: "Mit David Beckham an der Spitze tat der Werbespot so, als würde die lokale Bevölkerung gar nichts tun. Von massenhaften Waisenkindern war die Rede, für die UNICEF die Verantwortung übernehmen müsse. Dabei ist bei uns, wie fast überall in Südasien, die Familienstruktur sehr weit gefächert und stark ausgeprägt." Tatsächlich berichtete bereits nach wenigen Wochen die Nationale Kinderschutzbehörde in Colombo, dass bis auf 37 Kinder alle Waisen bei Verwandten, Bekannten oder Freunden eine dauerhafte Bleibe gefunden hatten.
Spricht man mit den offiziellen politischen Vertretern der LTTE, die im Norden und Osten die Leitung der Hilfsmaßnahmen übernommen hatte und in der von ihr kontrollierten Stadt Kilinochchi ein Koordinationsbüro unterhält, dann wird deutlich, wie vielschichtig die Problemlage ist - und vor allem, mit welcher Haltung internationale Organisationen mit gut gefüllten Köchern aus den Arsenalen der Barmherzigkeit in das Land am südlichen Zipfel Indiens eingeritten sind. "Einige der internationalen NGO-Vertreter haben doch allen Ernstes zuallererst gefragt, wie viel militärische Kader und einfache Soldaten wir durch den Tsunami verloren haben", schüttelt der ungenannt bleiben wollende politische Vertreter der LTTE den Kopf. "Als wenn sie von dem bewaffneten Konflikt noch nie etwas gehört hätten - oder sich zum Handlanger des rassistischen singhalesischen Militärs machen wollten." Konsequent verweigerte die LTTE in den ersten Wochen allen internatonalen Organisationen den Zugang zu ihrem Gebiet und verwaltete die Geldspenden und Hilfslieferungen ausschließlich selbst.
In Vavuniya, wo das Internationale Rote Kreuz (ICRC) seit Jahrzehnten ein Büro unterhält, wechseln die internationalen Mitarbeiter häufig. Die Kooperation mit lokalen NGOs ist schwach ausgeprägt, obwohl diese bereits vor drei Jahren ein Koordinierungsgremium aller lokalen Hilfsorganisationen im Distrikt eingerichtet haben. Statt aber, wie man erwarten sollte, um eine Teilnahme an deren monatlichen Treffen zu bitten, auf denen detailliert über den aktuellen Stand der lokalen Aufbauarbeit, über die Tsunami-Hilfe im Norden und Osten berichtet wird, fordert der lokale ICRC-Vertreter von diesem Gremium eingeladen zu werden. Er könne nicht erkennen, warum er sich um eine Teilnahme an dem Kreis selbst bemühen müsse, ließ er dem Leiter des Konsortiums mitteilen, schließlich bringe er erhebliche Geldmittel von Übersee ein. Eine Haltung, die durchaus auch andere internationale Hilfsorganisationen in Städten wie Batticaloa, Trincomalee und Ampara an den Tag legen.
Allein Batticaloa, die schwer vom Tsunami verwüstete und vom Militär wie eine Festung bewachten Ostküstenstadt, arbeiten mittlerweile 24 internationale Hilfsorganisationen - nicht immer in Koordination untereinander und nicht immer im Kontakt mit den zuständigen Behörden. Im Ortsteil Manmunai etwa erscheint im Juli 2005 eine europäische NGO in einem Übergangslager muslimischer Familien, die durch den Tsunami alles verloren haben und von einer tamilischen NGO betreut und mit dem Nötigsten versorgt werden. Baumaterial für neue Brunnen, feste Steinhäuser und ein Gemeinschaftszentrum noch vor der Regenzeit liegt bereits bereit. Sieben Weiße steigen aus ihren zwei Pick-ups, entladen schweres Gerät und bohren zwei tiefe Löcher, an die zwei Handpumpen zur Trinkwasserversorgung angeschlossen werden. Die Bohrlöcher befinden sich in unmittelbarer Nähe zu den bereits fertig gestellten Toiletten, die dem Gesundheitsstandards der Weltgesundheitsorganisation WHO entsprechen und von der lokalen NGO gemeinsam mit den Bewohnern gebaut wurden. Mit dem Ansetzen der Bohrlöcher in unmittelbarer Nähe zu den fertig gestellten Toiletten haben die europäischen Experten nun nicht nur dafür gesorgt, dass von jetzt an Fäkalien durch die Röhren an die Oberfläche gepumpt werden, sondern auch dafür, dass die geplanten Brunnen hier nicht mehr gebaut werden können - eine Trinkwasserversorgung in unmittelbarer Nähe zu den Wohngebäuden ist nicht mehr möglich.
Batticaloa ist auch einer der Orte, an dem die großen UN-Organisationen - wie die UNDP oder UNICEF - nach zentral gelegenen Büroräumen und nach Wohnraum für ihr aus dem Ausland einreisendes Personal, die selbstmitleidig "Expatriates" genannten Freiwilligen, suchen. Wer gedacht hatte, dass Begriffe wie "Segregation" oder "Gentrification" nur etwas für Metropolenforscher sind, kann sich hier im Monatsrhythmus leicht einen anderen Eindruck verschaffen. Hier in Batticaloa, wegen seiner weit ausladenden Lagune mit Stränden mehr als gut versorgt, sind die Experten für die lokalen Hausbesitzer mehr als willkommen. Selbst anerkannte und verhältnismäßig gut bezahlte Fachleute können mit der Zahlungsbereitschaft der Europäer und US-Amerikaner nicht konkurrieren. Fast einhundert Bewohner haben allein in Batticaloa ihre Wohnung bereits verloren oder sind bis zum März 2006 zum Auszug aufgefordert worden. In Vavuniya haben sich die Wohnungsmieten seit dem Tsunami in manchen Stadtteilen verfünffacht. Im Süden Sri Lankas, wo mehrere US-Soldaten seit Januar 2005 Hilfsarbeit leisten, erfreut ein solcher Immobilienmarkt zunächst vor allem die singhalesischen Hotelbesitzer, denn die US-amerikanische Regierung habe jede Hotelrechnung sofort bezahlt.
Im Resthouse Vavuniya, einem mittlerweile etwas heruntergekommenen Hotel, das von tamilischen Geschäftsleuten betrieben wird, macht ein achtköpfiges italienisches Expertenteam Station. Auch hier haben sich die Hotelpreise an die Geldbörsen der Experten angepasst. Diese Experten haben sich gar selbst ihre Fahrer für die mit 4-Wheel-Drive und Aircondition ausgestatteten Fahrzeuge aus Italien mitgebracht, die entsprechend Mühe haben, sich mit dem Linksverkehr und den Örtlichkeiten zurechtzufinden. Ihre Besatzung besteht aus Psychologen, Sozialarbeitern und Ärzten, die Trauma-Arbeit vor allem an Kindern und Jugendlichen leisten wollen, aber weder tamilisch noch singhalesisch sprechen, keinen Kontakt zu örtlichen Ärzten und Psychologen aufgenommen haben - und auch nicht wissen, wie sie in die nördlichen Landesteile, die die LTTE kontrolliert, kommen sollen.
Drei weitere Teams aus Skandinavien sind etwas besser vorbereitet und suchen an der Ostküste nach einem Aufgabenfeld. Für sie ist klar, dass seit dem Tsunami vor allem Kinder unendliche Angst vor Wasser haben müssen, eine Angst, die sie ihnen nehmen wollen. Sie haben dafür hübsch bunte Planschbecken mitgebracht, die sie aufblasen und mit Wasser füllen. Irritiert beobachten die anwesenden Mütter das Treiben der skandinavischen Akademiker, die Kinder sind belustigt. Kaum jemand auf Sri Lanka kann schwimmen, das Baden oder gar Sonnenbaden sind keine kulturellen Gepflogenheiten der dortigen Bevölkerung. Es hilft alles nichts, die Kinder werden geplanscht, und es macht ihnen auch sichtlich Spaß. Die Mütter beklagen den von den tollenden Kindern in die Häuser getragenen Schmutz, denn an Reinigung und Abtrocknen haben die Experten nicht gedacht. Auch nicht an ein weiteres Phänomen: Am nächsten Morgen sind mehr als ein Drittel der Kinder erkältet, der Umgang mit Wasser folgt offensichtlich anderen Logiken.
Das erinnert an eine von der Weltbank und den Vereinten Nationen (UN) initiierte Kampagne, die bereits im Jahr 2001 begann und nach dem Tsunami in Sri Lanka intensiviert wurde: Den Kampf gegen AIDS. Das zwischen der indischen und srilankischen Regierung abgeschlossene Zwangsrepatriierungsabkommen führte Jahr für Jahr mehrere Tausend Bürgerkriegsflüchtlinge, vor allem tamilische Frauen, aus dem indischen Bundesstaat Tamil Nadu nach Sri Lanka zurück. In von der UN betreuten Auffanglagern, so genannten Transit Camps, wurden sie zunächst erfasst und dann im Norden und Osten des Landes verteilt. Die Befürchtung war, sie würden durch Prostitution schnell zu Opfern der Epidemie AIDS werden, wenn nicht mit einem massiven Präventionsprogramm gegengesteuert würde. Die srilankische - und mehr noch die tamilische Gesellschaft in den von der strikten LTTE regierten Gebieten - jedoch ist sehr konservativ strukturiert, wie allenthalben lokale Experten betonen, AIDS daher ein weitgehend unbekanntes Phänomen. Tatsächlich führte die maßgeblich von der Weltbank betriebene Öffentlichkeitskampagne, so der Anthropologe Rajasingham, zu einer erheblichen Stigmatisierung der aus Indien zurückkehrenden Frauen - und gleichsam zu einer self-fulfilling prophecy, denn nun galten die häufig allein erziehenden Mütter tatsächlich als Prostituierte und als Freiwild.
Nach dem Tsunami, so wurde weiter von den internationalen Experten gemutmaßt, würde die Verzweiflung sich in Gewalt gegen Frauen und mithin wieder in sexuellen Krankheiten niederschlagen. Vergewaltigungen sind und werden auch dokumentiert, sie werden aber von Organisationen vor Ort nicht als ein Massenphänomen bezeichnet. Weder AIDS noch Typhus oder Cholera sind vor oder nach dem Tsunami aufgetreten, vielmehr hat eine starke Hilfsbereitschaft aller Bevölkerungsgruppen über alle ethnischen und sozialen Grenzen hinweg die ersten Wochen geprägt - und so Schlimmeres verhindern können.
Nicht nur sind mehr als 30.000 Menschen dem Tsunami am 26. Dezember 2004 zum Opfer gefallen, sondern nahezu eine Millionen Menschen leben noch heute in Übergangsunterkünften oder sind obdachlos. Dafür sind nicht internationale Hilfsorganisationen verantwortlich zu machen. Auch nicht dafür, dass die Flut der vergangenen Wochen vor allem im Norden und Osten zahlreiche Notunterkünfte wieder zerstört hat. Dass noch immer vor allem Tamilen ohne nachhaltige Hilfe sind, liegt vielfach an Korruption in den Verwaltungen, dem ausgeprägten Unwillen der singhalesischen Regierung, der tamilischen Minderheit unbürokratisch zu helfen und dem großen Problem, dass häufig weder die Eigentumsverhältnisse der zerstörten Häuser noch der Grundstücke geklärt sind. Grundstücke, die in den Küstenregionen liegen, für die die srilankische Regierung nach dem Tsunami nun hochpreisigen Tourismus einplant - und dabei in der internationalen Reisebranche wohlmeinende und kapitalkräftige Investoren, mithin Brüder im Geiste (und auf dem Konto), findet. Schließlich hat auch das Militär begonnen, die Lage nach der Dezemberflut für eine strategische Neuausrichtung zu nutzen. Viele neue Militärlager stehen auf Flächen, die für Wiederansiedlungsprojekte der Tsunami-Opfer ausgewiesen oder zumindest vorgesehen waren. Diese Faktoren erklären also weit mehr, warum auch nach einem Jahr noch viele Überlebende in prekären Verhältnissen leben müssen.
Das Verhalten der internationalen Hilfsorganisationen, ihre häufig erschreckende Ignoranz und Unkenntnis der Verhältnisse vor Ort sowie ihre Weigerung, enger mit lokalen Organisationen zusammenzuarbeiten sowie schließlich die schlichte Macht des Geldes machen aber auch mehr als verständlich, warum einige vor allem tamilische Kritiker die internationalen NGOs als "dritten Tsunami" bezeichnen. "Aber", so fügen sie hinzu, "wir werden auch den überleben."
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