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"Bald wird es Gerechtigkeit und dauerhaften Frieden geben", versprach Maulana Sufi Mohammad, der geistliche Führer der islamistischen Bewegung Tehrik-i-Nifaz-e-Shariat-e-Mohammadi (TNSM), am 18. Februar 2009 bei einer Versammlung in der Stadt Mingora. Zwei Tage zuvor hatte er ein Abkommen mit der Regierung der North West Frontier Province (NWFP) unterzeichnet, das die Anwendung der Sharia in Teilen der Provinz vorsieht. Als Gegenleistung sollen die Jihadisten ihre Waffen niederlegen.
Von Mingora reiste Sufi Mohammad weiter nach Matta, dort veranstalteten seine Anhänger einen "Friedensumzug". Musa Khankhel, ein Reporter des pakistanischen Senders Geo TV, wurde während der Versammlung verschleppt. Der Leichnam des 28-jährigen Journalisten wurde am 19. Februar am Rande der Stadt gefunden, seine Entführer hatten ihn mit 32 Kugeln getötet. Khankhel ist der dritte Journalist, der in diesem Jahr in Pakistan ermordet wurde, damit nimmt der südasiatische Staat in der Statistik von Reportern ohne Grenzen bislang die Spitzenposition für 2009 ein.
In den vergangenen Jahren hat sich die NWFP zu einem wichtigen Nebenschauplatz im Kampf des pakistanischen Militärs und der Sicherheitsdienste gegen islamistische Milizen entwickelt. Während ausländische Medien vorrangig über die Ereignisse in den autonomen Stammesgebieten weiter südlich an der Grenze zu Afghanistan berichten, haben die Kämpfer der TNSM im Swat-Tal und den angrenzenden Distrikte ihren Einfluss ausgebaut. Die Region, die einst als "pakistanische Schweiz" bezeichnet wurde und bei der Mittel- und Oberschicht aus der Hauptstadt Islamabad und dem benachbarten Rawalpindi ein sehr beliebtes Urlaubsziel war, beherbergt nun andere Gäste, angereiste Islamisten, die auf Seiten der TNSM kämpfen. Sufi Mohammad hatte einst die Paschtunen-Milizen der Taliban mit Kämpfern unterstützt, das Bündnis scheint bis heute Bestand zu haben.
Offiziell hat der im November 2001 bei seinem Rückzug aus Afghanistan verhaftete Muhammad dem bewaffneten Kampf abgeschworen, deshalb wurde er auf Betreiben der Provinzregierung im April 2008 aus der Haft entlassen. Ein weiterer Grund für die Freilassung dürfte sein Schwiegersohn Maulana Fazlullah sein. Er befehligt die Milizen der TNSM, die zusammen mit ihren Verbündeten die Staatsmacht durch einen anfangs recht erfolgreichen Guerillakrieg und zahlreiche Attentate auf Sicherheitskräfte, Beamte und Politiker der Provinzregierung herausforderte. Über 1.500 Menschen sollen in diesem Konflikt gestorben sein, Zehntausende waren zur Flucht gezwungen. Fazlullah, ein ehemaliger Sesselliftarbeiter, wurde durch seine Rundfunkpredigten landesweit bekannt. Seit 2007 kooperiert die Miliz mit den vorrangig aus den Stammesgebieten heraus agierenden pakistanischen Taliban, die von Baitullah Mehsud geführt werden.
Die Einführung der Sharia ist die Hauptforderung der Islamisten. Amir Haider Khan Hoti, der Ministerpräsident der NWFP, hofft, die Erfüllung dieser Forderung werde es möglich machen, die Islamisten in einen "Friedensprozess" einzubinden: "Sie werden dabei ihre Rolle spielen und wir werden die vom Konflikt betroffenen Menschen entschädigen." Kurzfristig schienen sich seine Hoffnungen zu bewahrheiten, einen Tag vor der Unterzeichung des Abkommen verkündete Fazlullah als "Geste des guten Willens" eine zehntägige Waffenpause.
De facto ist die Übereinkunft eine Anerkennung der bestehenden Situation, da die TNSM in den von ihr kontrollierten Gebieten schon längst die Sharia praktiziert, gemäß ihrer eigenen, extrem strengen Interpretation. Die islamische Rechtsprechung soll nun fortan auch offiziell in den Distrikten Swat und Malakand sowie in angrenzenden Gebieten bei Zivil- und Strafrechtsfällen angewendet werden. Die Gerichte sollen dem zentralen Sharia-Bundesgerichtshof unterstellt werden, der seit 1979 darüber wacht, dass die nationalen Gesetze der Islamischen Republik Pakistan nicht dem Koran widersprechen.
Die nun beschlossene Lösung ist sehr umstritten. Die Befürworter betonen, dass durch die Einbindung des Gerichtshofs eine Vereinheitlichung des Rechts gewährleistet und etwaigen Exessen der Islamisten vorgebeugt wird. Zudem sei so ein Konstrukt geschaffen worden, das ein Rechtsmonopol des Staates aufrechterhalte. Die Kritiker weisen darauf hin, dass reguläre Gesetze nun für einen Teil der Bevölkerung nicht mehr gelten sollen. Sowohl Juristenvereinigungen als auch Menschenrechtsverbände sprechen von einer Bedrohung des Rechtsstaats.
Allerdings wird bei dieser Diskussion verdrängt, warum gerade die islamische Rechtsprechung eine so starke Anziehungskraft entwickeln konnte, dass sich eine Bewegung wie die TNSM zur ihrer Durchsetzung gründete. Das bestehende Rechtssystem funktioniert vielerorts mehr schlecht als recht. Die Verfahren ziehen sich oft in die Länge, bei den zukünftigen Sharia-Gerichten wird deshalb eine Prozessdauer von höchstens sechs Monaten angestrebt. Arme Pakistanis konnten sich bislang selten vor Gericht durchsetzen, einflussreiche Menschen erkauften sich ihren Sieg oder ihren Freispruch. Diese Missstände trugen vielerorts zur Popularität der TNSM bei.
Doch die islamistischen Rechtsgelehrten (Qadis) der Region interpretieren die Sharia weit strenger als die meisten orthodoxen Geistlichen. Mädchenschulen werden geschlossen und Videotheken angezündet, Männer müssen einen Bart tragen und Frauen sich komplett verhüllen, sofern sie sich überhaupt in der Öffentlichkeit zeigen dürfen. An Dieben, Drogenhändlern und Ehebrechern wurden öffentlich grausame Exempel statuiert. Khankhel ist nicht das einzige Opfer eines politischen Mordes, mancherorts haben die Gotteskrieger gezielt Angehörige der lokalen Oberschicht liquidiert und Behördenangestellte verfolgt.
Unter den Eiferern litten wichtige historische Stätten der Region, die einst auch ein bedeutender Brückenkopf für die Ausbreitung des Buddhismus nach Zentralasien und China war. Angehörige religiöser Minderheiten sind aus der Region geflohen, ebenso wie Pakistanis aus anderen Landesteilen, die als mögliche Spione verdächtig erschienen. Viele Gemäßigte hoffen, dass dieser Extremismus den nationalen Rechtsgelehrten zu weit geht, zumal er auch ihre Autorität in Frage stellt.
Die von der eher säkularen Awami National Partei (ANP) geleitete Provinzregierung behauptet, dass die Sharia zur Wiederherstellung des Rechtsstaats beitragen wird. Die Milizen hätten sich verpflichtet, ihre Waffen abzulegen und die Exekutivgewalt wieder in die Hände der Polizei zu geben. Ministerpräsident Hoti erinnerte bei seiner Ansprache daran, dass Militär und Sicherheitsdienste ebenfalls ihren Teil zur Konfliktlösung beitragen müssen. Die Offensiven zur Rückeroberung der Region hatten viele Menschen zur Flucht gezwungen, das Militär wird derzeit eher als Besatzer denn als Befreier wahrgenommen.
Auch Politiker der ANP werden von den Islamisten bedroht, mehrere Parteimitglieder fielen in den vergangenen Monaten Anschlägen zu Opfer. Die ANP repräsentiert einen eher aufgeklärten Teil der lokalen Gesellschaft, da sie sich mehrheitlich aus Angehörigen der paschtunischen Oberschicht zusammensetzt, die auch den meist noch exklusiven Zugang zu höherer Bildung genießen. Gleichwohl fühlt sie sich den Traditionen verbunden und ihr liegt viel daran, die Konflikte vorrangig "intern" zu lösen, d.h. durch Verhandlungen zwischen den Führungsschichten der Region.
Der Konflikt zwischen der Oberschicht und den muslimischen Geistlichen hat historische Wurzeln. Nach Ansicht der Oberschicht haben die Religionsgelehrten zwar einen wichtigen kultischen Status inne, aber die Herrschaft soll bei den Stammesführern liegen. In den vergangenen Jahrhunderten gab es immer wieder Bestrebungen der Mullahs, größeren Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben. Am Ende setzten sich jedoch immer die Clanführer durch, deren Machtanspruch größtenteils auf dem Landbesitz basiert. Die Rechtsprechung war geteilt, Familien- und Erbrecht und kleinere, religiöse Angelegenheiten lagen im Zuständigkeitsbereich von Qadis, für alle anderen Fälle waren Richter oder Versammlungen (Jirgas) zuständig. Dieses System wurde während der britischen Kolonialzeit zunehmend verrechtlicht, es existierte bis in die siebziger Jahre und wurde danach durch lokale Magistrate ersetzt.
Im Jahr 1994, während die Taliban ihre ersten Siege in Afghanistan errangen, hatte die TNSM schon einmal bewaffnet gekämpft und für einen Monat die Swat-Region regiert. Nachdem die Staatsmacht das Gebiet wieder unter ihre Kontrolle gebracht hatte, machten sich noch viele über den Eifer der TNSM lustig, die unter anderem den landestypischen Linksverkehr als unislamisch gebrandmarkt hatte und so ein mittleres Verkehrschaos ausgelöst hatte.
Inzwischen werden die Gotteskrieger ernst genommen. Armut, Analphabetismus und ein Mangel an Entwicklungsperspektiven in dieser von der Zentralregierung vernachlässigten Region begünstigen die Islamisten. Die Einführung der Sharia kann den bewaffneten Konflikt für einige Zeit beenden, falls es Sufi Mohammad gelingt, bei seiner Rundreise zögerliche Lokalkommandanten für eine Feuerpause zu gewinnen. Dass die Islamisten sich mit ihren Erfolgen nicht zufrieden geben werden, stellte jedoch ein Sprecher des TNSM-Kommandeurs Fazlullah nach der Einführung der islamischen Rechtsprechung klar: "Wir wollen die Sharia nicht nur in Swat oder Pakistan, wir wollen sie weltweit.
Quelle: Der Beitrag erschien in leicht gekürzter Fassung am 26. Februar 2009 in der Wochenzeitung Jungle World 9/2009.
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