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07. Juni 2006. Nachrichten: Politik & Recht - Afghanistan Dritte Halbzeit in Kabul

Aufstand in Afghanistan

Diesmal ging es nicht darum, dass in einem US-amerikanischen Gefangenenlager angeblich ein Koran in der Toilette heruntergespült wurde oder ein dänisches Provinzblatt den Propheten unvorteilhaft dargestellt hat. Demonstrationen gegen die USA waren in der Vergangenheit von islamistischen Agitatoren meist mit nur mäßigem Erfolg inszenierte Proteste. Der Aufstand in Kabul Ende Mai diesen Jahres dagegen war eine spontane Reaktion auf den Tod mehrerer Zivilisten, die bei einem Unfall starben, der von US-Militärfahrzeugen verursacht worden war.

Tim Albone, der Korrespondent der britischen Tageszeitung Times, beobachtete vor allem "wütende Teenager", die "sehen, wie all das Geld nach Afghanistan gepumpt wird, aber noch immer keinen Job haben". Für die Mehrheit der Bevölkerung haben sich die materiellen Lebensbedingungen seit dem Sturz des Taliban-Regimes nicht verbessert. Es gab gute Gründe, gegen die Rücksichtslosigkeit der Interventionstruppen zu protestieren, die für Sicherheit sorgen sollen, aber aus Furcht vor Anschlägen mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt brettern. Auch bot sich so die Gelegenheit für Plünderungen. Sehr schnell scheinen jedoch Warlords und Islamisten den Aufstand in die von ihnen gewünschte Richtung gelenkt zu haben. Mehrere Gebäude von Hilfsorganisationen wurden angezündet.

Das entspricht dem Programm des islamistischen Warlords und Parlamentsabgeordneten Burhanuddin Rabbani, der die Hilfsorganisationen als Teil einer "Verschwörung" gegen den Islam betrachtet: "Sie sind nicht hierher gekommen, um Afghanistan wieder aufzubau­en, sondern um uns zu korrumpieren." Die Feindseligekit gegenüber den Hilfsorganisationen hat nicht allein ideologische Gründe. Neben dem Staatsapparat sind ausländische NGO die Hauptkonkurrenten der Warlords bei der Klientelbildung, da sie ebenfalls Jobs anbieten.

Viele Demonstranten trugen Bilder Ahmed Shah Massouds, des im Jahr 2001 ermordeten Führers der Nordallianz. Deren verbliebene Warlords waren die wichtigsten Verbündeten der USA in der ersten Phase des Krieges. Doch Präsident Hamid Karzai hat viele von ihnen aus der Regierung verdrängt. Er hoffte, auf diese Weise in den paschtunischen Gebieten den Taliban Gefolgsleute abwerben zu können. Damit hat er vor allem tajikische Politiker wie Rabbani gegen sich aufgebracht, während die Taliban unbeeindruckt von allen Integrationsangeboten eine erfolgreiche Offensive begonnen haben und bereits wieder einige Gebiete im Süden des Landes kontrollieren.

Anfang Juni wurden bei zwei Attentaten im Norden sechs afghanische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet. Diese Region gehört nicht zum Operationsgebiet der Taliban. Es ist möglich, dass einige Warlords der ehemaligen Nordallianz eine eigenständige Terrorkampagne beginnen, um die NGO zu vertreiben und sicherzustellen, dass die Interventionstruppen sich nicht in ihre Angelegenheiten einmischen.

Die Interventionsmächte selbst haben den Islamisten eine demokratische Legitimation verschafft. Die unter ihrer Obhut erstellte Verfassung nennt die "heilige Religon des Islam" als Grundlage der Gesetzgebung, und auch Kriegsverbrecher wie Rabbani wurden zu den Wahlen zugelassen. Die Warlords kontrollieren die neben den ausländischen Hilfszahlungen einzige relevante Einnahmequelle, den Opiumhandel. Wer aus welcher Quelle bezahlt wird, ist für Passanten nicht leicht zu erkennen. Denn neben den Drogenbaronen sind es vor allem NGO-Mitarbeiter, die mit teuren Geländewagen durch die Straßen fahren.

Quelle: Der Beitrag erschien am 7. Juni 2006 in der Wochenzeitung Jungle World.

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