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Seit Ende 2004 sind in Deutschland Textilien und Bekleidung aus asiatischen Produktionsstätten merklich billiger geworden. T-Shirts gibt es nun bereits für 1,99 Euro das Stück, Bermudahosen für 5,85 Euro und Badetücher für 3,50 Euro. Zum 1. Januar 2005 lief das Multifaserabkommen aus (Multi-Fibre Arrangement, MFA), das seit 1974 die Textilindustrie der reichen Nationen vor billiger Konkurrenz schützte und jahrzehntelang die handelspolitische Diskussion bestimmte. Das MFA beschränkte vor allem die Exporte großer Herstellerländer wie etwa China und Indien mit festgelegten Lieferquoten.
Der deutsche Einzelhandel freut sich über den Umsatz mit den günstiger gewordenen Produkten. Zwar klagen Verbraucher hier zu Lande, dass alles teurer werde, doch preisgünstige Kleidung wurde im Sommerschlussverkauf rasant abgesetzt. Gedanken über Kinderarbeit, Mindestlöhne und Arbeitszeiten in armen Ländern treiben dabei die Konsumenten in Europa kaum um, obwohl harte Arbeitskonditionen selbstverständlich dazu beitragen, niedrige Preise zu ermöglichen. Endverbraucher haben Einfluss auf die Gepflogenheiten des Marktes und die Produktionsbedingungen.
Die Ordnungsprinzipien des Bekleidungshandels in Europa haben sich geändert. Steigender Verdrängungswettbewerb sowie das Wachstum der Discounter zwingt das traditionelle Handelssegment, sich neu zu positionieren. Früher gab es jährlich eine Sommer- und eine Winterkollektion. Heute bieten Bekleidungshäuser bis zu 18 Kollektionen pro Jahr an. Darunter gibt es ein Gros an Produkten, die als Wegwerfware gelten kann. Darüber hinaus hat sich das Angebot extrem nach Alter und Einkommen der Konsumenten segmentiert.
Dabei bleibt Mode selbstverständlich eine emotionale Angelegenheit. Deshalb konnten Kampagnen diverser nichtstaatlicher Organisationen (NRO) international Druck auf Unternehmen wie Nike, Tchibo, Adidas oder auch den deutschen Handelsriesen KarstadtQuelle machen. Den Unternehmen tut das weh, denn Imageschäden wirken nachhaltig. Aus Sorge um ihre Reputation interessieren sich heute Markenartikler und Handelshäuser für Sozial- und Umweltkriterien.
Folglich brauchen die Manager den Austausch mit den Produzenten in Asien, Afrika, Osteuropa und Südamerika. Doch der Dialog über Standards reicht nicht aus. Bislang sind Audits das meistverwandte Instrument, um Normen zu sichern. Aber sie beschreiben nur Produktionszustände, ohne konkrete Lösungsansätze für Schwachstellen in den Betrieben zu liefern.
Das Netzwerk der wichtigsten europäischen Handelsgesellschaften und ihrer Verbände hat eine Business Social Compliance Initiative (BSCI) unter dem Dach der Foreign Trade Association gestartet. So wird versucht, eine einheitliche Linie in Sachen soziale Verantwortung zu definieren und einzuhalten. Doch sie hat keine rechtliche Handhabe. Der Wettbewerb bestimmt das Geschäft, nicht die Wünsche der Branchenverbände. Trotz zahlreicher Versuche, Standards und Verhaltenskodizes mit Initiativen und NRO wie der Clean Clothes Campaign, Fair Labor Association et cetera zu harmonisieren, verfolgt jede Firma eigene Wege. Obendrein würden gemeinsame Lösungsansätze es den NRO schwer machen, Fördermittel für jeweils ihre spezielle politische Arbeit einzuwerben.
Am 11. April 2005 stürzte in Savar, im Norden von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, das neunstöckige Gebäude der Bekleidungsfirma Spectrum Sweater zusammen. Das Hochhaus war ursprünglich nicht für eine industrielle Nutzung konzipiert, es hielt den Belastungen nicht stand. In Bangladesch gibt es keine Gesetze und keine staatliche Bauaufsicht, die solch eklatanten Fälle von Fehlnutzung verhindern könnten.
Das Unglück kostete 62 Menschen das Leben und wurde zum Anlass, in Europa erneut geringe Arbeitssicherheit, unzureichende Sozialrechte, fehlende Einbindung von Gewerkschaften und Ausbeutung von Kinderarbeit im Gangesdelta anzuprangern. Der Druck auf die Handelsunternehmen stieg, und diese leiten ihn an ihre Lieferanten weiter.
Ein wichtiger Adressat ist dabei die Bangladesch Garment Manufacturer and Exporter Association (BGMEA). Dieser Verband ist in den vergangenen Jahren diverse Aktivitäten in Kooperation mit der ILO und UNICEF eingegangen. Doch oft blieb es bei der Teilnahme an Initiativen, Foren und Analysen. Plakataktionen, um Gefahren am Arbeitsplatz zu minimieren, reichen aber in einem Land kaum aus, in dem 41 Prozent der erwachsenen Bevölkerung nicht lesen können. Zwar hat Bangladesch die Kernkonventionen der ILO seit langem ratifiziert, doch die Umsetzung in den Betrieben lässt zu wünschen übrig.
Seit dem Unglück hat Bangladesch nicht nur die Wettbewerbsvorteile starker Konkurrenten wie China und Indien zu fürchten, sondern auch Kritik an seiner Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards. Die Gewährleistung sozialer Verantwortung gilt mittlerweile als drittes Ausschlusskriterium nach Preis und Qualität. Indessen reichen Foren und Kampagnen nicht aus, um die Defizite in kleinen und mittelständischen Produktionsbetrieben zu beheben. Nötig wäre vielmehr, Management und Belegschaften in den Firmen beruflich besser zu qualifizieren.
Die dauerhaft überzeugende Einhaltung der Standards bedarf praktischer, systematischer Ansätze, die über reine Audits – seien sie nun angekündigt oder nicht – hinausgehen. Es reicht auch nicht, sich die Gewährleistung der Anforderungen vom Lieferanten bei der Order des Textilhändlers schriftlich bestätigen zu lassen und einen viersprachigen Aufkleber zu verwenden. Beides propagiert neuerdings der Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels (BTE).
Arbeitskämpfe haben im Mai soziale Spannungen in Dhaka und der Hafenstadt Chittagong nochmals verdeutlicht. Bis Ende Oktober versprachen Gewerkschaften und Industrie, sich auf einen neuen Mindestlohn für Arbeiter in der Textil- und Bekleidungsindustrie zu einigen. Derzeit beträgt dieser Wert nur 930 Taka (umgerechnet etwas mehr als 10 Euro). Unabhängige Beobachter rechnen damit, dass der neue Mindestlohn wohl um die 3.000 Taka betragen dürfte.
Doch selbst wenn der Mindestlohn auf diesem Weg mehr als verdreifacht würde, sollte dieser Schritt nicht überschätzt werden. Die Lieferanten von Karstadt-Quelle und anderen großen Handelsfirmen in reichen Ländern dürften die Neuregelung nur marginal spüren. Den offiziellen Mindestlohn zahlen sie schließlich allenfalls in der Fertigung einfachster Baumwollunterhemden. In der Herstellung hochwertiger Kaschmir-Pullover verdienen Arbeiterinnen in Bangladesch jetzt schon an die 15.000 Taka. Und wie das Bespiel des kollabierten Hochhauses belegt, sind Löhne nicht das einzig sozialpolitisch relevante Thema.
KarstadtQuelle hat in diesem Kontext lokal reagiert. In Zusammenarbeit mit der staatlichen Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG), dem Kölner 3p Consortium und dem Bangladesch Centre for Advanced Studies (BCAS) startete der Handelsriese eine Public Private Partnership (PPP). Dieses Projekt dient dazu, 20 Unternehmen mit circa 29.000 Mitarbeitern fit zu machen. Es geht um den Transfer von praktischem Wissen, die Einführung einfacher Managementmethoden zum Nachweis der erforderlichen Praktiken sowie die dauerhafte Einhaltung der wichtigen Sozial- und Umweltanforderungen. Dieser Ansatz ergänzt Bemühungen – beispielsweise der GTZ – die Regierung Bangladeschs zu einer stringenteren Politik zu bewegen.
Die Kriterien relevanter Standards wie SA8000, WRAP, BSCI und FLA wurden gefiltert, gebündelt und dienen als Grundlage des Performance-Monitorings. Fragebögen, Handreichungen und Trainingsunterlagen werden auf Bengali bereitgestellt. Zahlreiche kleinteilige Instrumente zur Erfassung von Löhnen sowie Arbeits- und Überstunden wurden erarbeitet. Es gibt Konzepte für Feuerübungen, Betriebsversammlungen und Müllentsorgung – sowie zu deren Dokumentation. Einführungsseminare schaffen Vertrauen, partnerschaftlich werden Schwachstellen in den Betrieben untersucht. Nicht allein das Management, sondern auch die Belegschaften werden in diese Untersuchungen und Gespräche einbezogen.
Die Umsetzung von Korrekturmaßnahmen wird von der lokalen Organisation BCAS gesteuert und mit dem 3p Consortium abgestimmt. Regelmäßige Besuche und Trainingseinheiten des deutschen Partners in Bangladesch transferieren zusätzlich Wissen. Auf der Tagesordnung stehen rein technische Sicherheitsaspekte ebenso wie betriebssoziologische Anliegen, wie etwa die Einrichtung einer Arbeitnehmervertretung. Korrekturmaßnahmen erfordern in der Regel drei bis neun Monate. Normalerweise reichen in dieser Zeit drei Monitoringbesuche von 3p aus. Die meisten Firmen haben mittlerweile Compliance Officer und nutzen die Möglichkeiten, sich Rat zu holen.
Alle Vorgänge laufen streng vertraulich ab. KarstadtQuelle erhält nur Informationen über Trends. Der Konzern wird aber punktuell aufgefordert, bestimmte Produzenten an ihre Pflichten zu erinnern. Erst nach der Zertifizierung werden anhand von Performanceberichten Aussagen über die Gewährleistung der jeweiligen Kriterien wie Gewerkschaftsfreiheit, Kinderarbeit, Lohnzahlung, Arbeitsstunden oder Diskriminierung gemacht. Ziel ist dabei stets, das jeweilige Unternehmen zu befähigen, dauerhaft die Kriterien einzuhalten. Dafür wird schrittweise an Verbesserungen gearbeitet. Im Rahmen des PPP-Projektes wird dieser erste Schritt von den Projektpartnern kofinanziert. Die Gesamtkosten für das zweijährige Projekt belaufen sich auf 375.000 Euro. Davon trägt die DEG, eine Tochter der KfW Bankengruppe, 48 Prozent.
Das PPP-Projekt zielt indessen darauf ab, die beschriebene Assistenz nachhaltig anzubieten. Ähnlich wie Banken das für Bonitätsprüfungen tun, hat 3p Consortium eine Datenbank angelegt, die die Praktiken der untersuchten Betriebe dauerhaft transparent macht. Schon jetzt haben sich erste Produzenten gemeldet, die das Angebot des Monitorings und der Dokumentation nach Ende des PPP-Projekts weiter wahrnehmen wollen und bereit sind, solche Schritte selbst zu finanzieren. Die Manager wissen, dass dies der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Firmen gut tut.
Handelshäuser brauchen Informationen, die über Preis und Qualität von Waren hinausgehen. Sozial- und Umweltkriterien wurden bereits genannt. Hinzu kommen betriebswirtschaftliche Daten – etwa über Qualifikationen und Kompetenzen –, die dabei helfen, verlässliche Lieferanten zu erkennen. Im Falle von KarstadtQuelle ist der Handel deshalb bereit, soziale Verantwortung zu tragen und die Einhaltung von Sozial- und Umweltaspekten als Schlüsselkriterium der Lieferantenauswahl anzuerkennen. Interesse an der Art von Kooperation, die KarstadtQuelle mit DEG, 3p und BCAS in Bangladesch praktiziert, haben unterdessen auch schon andere deutsche Handelsfirmen geäußert.
Würde sich der gesamte deutsche Textileinzelhandel auf diese Strategie einlassen, hätte das freilich weitreichende Folgen, die auch die Verbraucher mittragen müssten. Vorrang hätte dann nämlich die soziale Verantwortung für Millionen von Menschen und nicht allein der Dumpingpreis von 1,99 Euro pro T-Shirt.
Quelle: Dieser Artikel erschien im Orginal in der Zeitschrift E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit 10/2006.
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