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Angesichts der Unsicherheit und der Kontroversen über die ökologischen Folgen gentechnisch veränderter Pflanzen gilt in der globalen Umweltpolitik das Vorsorgeprinzip, das auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 definiert wurde. Danach ist der Mangel an wissenschaftlicher Gewissheit kein Argument dafür, auf vorbeugende Maßnahmen gegen mögliche Umweltschäden zu verzichten. Für die Biosicherheit heißt das: Genmanipulierte Pflanzen sollten erst dann angebaut werden, wenn wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass sie keine negativen Folgen haben.
Es gibt keine internationale Vereinbarung darüber, wie das Vorsorgeprinzip umzusetzen ist. Die Risiken der Gentechnik sind nicht quantifizierbar und zeigen sich gegebenenfalls erst Jahrzehnte nach der Anwendung. Viele europäische Länder haben ein vorübergehendes Moratorium gegen die Einfuhr von Gen-Pflanzen verhängt. Allerdings sind nur wenige andere Länder diesem Beispiel gefolgt, und die USA haben 2005 in der Welthandelsorganisation (WTO) erfolgreich gegen das Moratorium geklagt. Die USA sind dagegen, eine Technologie nur deshalb nicht anzuwenden, weil Risiken nicht völlig ausgeschlossen werden können. Für sie gilt das Prinzip der "substanziellen Äquivalenz": Wenn die erkennbaren Eigenschaften von Gen-Pflanzen und ihre Interaktion mit der Umwelt im Wesentlichen denen von genetisch unveränderten Pflanzen entsprechen, dann gibt es keinen wissenschaftlichen Grund, sie abzulehnen.
Nach dem Cartagena-Protokoll zur Biosicherheit von 1998, das auf der UN-Biodiversitätskonvention basiert, soll das Vorsorgeprinzip auf der eher schwammigen Grundlage "plausibler wissenschaftlicher Begründung" (sound science) angewendet werden. Dieser Ansatz liegt zwei WTO-Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen sowie über technische Handelshemmnisse zugrunde. Das Vorsorgeprinzip klingt auf den ersten Blick vernünftig, doch in der Praxis zeigen sich einige grundlegende Probleme.
Ein gutes Beispiel ist Indien, eines der Entwicklungsländer, die in der Biotech-Forschung Pionierarbeit geleistet haben. Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung ist Biotechnologie kein Monopol multinationaler Konzerne. Öffentliche Forschungsinstitute in Indien haben seit der Einrichtung des Ministeriums für Biotechnologie 1986 bedeutende Mittel erhalten. Zwar dominieren seit der Zulassung von Gen-Pflanzen 2002 multinationale Unternehmen den Markt. Aber angesichts der großen Zahl heimischer Saatguthersteller und Biotechnologiefirmen ist keineswegs sicher, dass sie diese Rolle behalten. Das schnelle Wachstum der Biotech-Industrie in Indien brachte ein zunehmend komplexes und ausgefeiltes System rechtlicher und politischer Regulierung hervor. 1989 wurde das Genetic Engineering Approval Committee (GEAC) im Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft eingerichtet. Es soll das Vorsorgeprinzip auf allen Stufen der Entwicklung genveränderter Produkte überwachen und sicherstellen, dass keine genveränderten Organismen freigesetzt werden, solange ihre Sicherheit nicht garantiert werden kann. Mit diesem Ansatz gab es erste Probleme, als Ende der neunziger Jahre der US-Konzern Monsanto und die indische Firma Mahyco Feldversuche mit einer insektenresistenten Baumwollsorte starteten.
Umweltaktivisten, insbesondere Vandana Shiva, behaupteten damals, Monsanto-Mahyco und die Behörden hätten die Bt-Baumwolle nicht ausreichend getestet. Es sei nicht wissenschaftlich gesichert, dass Bt-Baumwolle keine Schäden verursache, auch sozioökonomischer Art. Sie forderten weitere Studien, auch solche, die in anderen Ländern bereits durchgeführt worden waren.
Obwohl nach Auffassung der Wissenschaftler ausreichend Daten aus anderen Ländern vorlagen, wurden die Feldversuche fortgesetzt. Sie sollten das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Kontrollsystem stärken und wissenschaftliche Sicherheit bringen, erreichten aber genau das Gegenteil. Die Verzögerung motivierte kleinere Saatguthersteller, illegale Sorten von Bt-Baumwolle zu verkaufen. 2000/2001 entdeckte die indische Regierung, dass in drei Staaten Bauern illegale Sorten von Monsantos Bt-Baumwolle angebaut hatten. Es ist bis heute ungeklärt, wann, wo und wie dieser illegale Anbau begann. Offiziell wurde dem Saatguthersteller Navbharat Seeds in Ahmedabad die Schuld gegeben; das Unternehmen musste sich vor der indischen Justiz verantworten. Einige Umweltorganisationen und konkurrierende einheimische Hersteller sind davon überzeugt, Monsanto habe der illegalen Ausbreitung heimlich Vorschub geleistet. Das erscheint allerdings angesichts der damit verbundenen Einnahmenverluste und des Imageschadens eher zweifelhaft.
Natürlich brachte der illegale Anbau das Kontrollsystem durcheinander. Die Behörden waren nicht in der Lage die GEAC-Anordnung durchzusetzen, die Ernte zu vernichten. Das politische Risiko, die Ernte zu verbrennen, und die finanziellen Kosten, die Farmer zu entschädigen, waren zu hoch. Die indische Regierung war trotz Vorsorgeprinzip nicht in der Lage zu garantieren, dass Gen-Pflanzen vor ihrer Freisetzung ausreichend geprüft werden.
Als Folge des Bt-Baumwolldramas und des Versagens der Regierung ist in Indien das Vorsorgeprinzip ausgeweitet worden. Es umfasst jetzt auch sozioökonomische Aspekte und geht damit über europäische Ansätze hinaus. Als Teil der Biosicherheitsbewertung muss zusätzlich die kommerzielle Performance von Gen-Pflanzen überprüft werden. Selbst bei nachgewiesener Umweltverträglichkeit, so die Begründung, könne Indien nicht riskieren, dass nicht profitable Pflanzen verkauft werden. Die Behörden fürchten, dass die Bauern von GEAC Schadensersatz fordern könnten, wenn Gen-Pflanzen nicht höhere Erträge bringen als herkömmliche Sorten.
Die indischen Bestimmungen verlangen jetzt, dass alle Gen-Pflanzen auf ihre sozioökonomische Tauglichkeit geprüft werden. Richtlinien des Ministeriums für Biotechnologie von 1998 forderten bereits, dass GEAC die "komparativen agronomischen Vorteile" von transgenen Pflanzen überprüfen solle. Die Nationale Saatgutpolitik von 2002 hat diese Vorgabe verschärft: Danach müssen alle transgenen Sorten, bevor sie auf den Markt kommen, "mindestens zwei Anbauzyklen lang getestet werden, um ihre agronomischen Vorteile zu bestimmen". Die Behörden müssen zudem das Verhalten transgener Pflanzen im Feld nach ihrer Markteinführung "mindestens drei bis fünf Jahre lang" beobachten. Diese Bestimmungen gelten, sobald das geplante neue Saatgut-Gesetz in Kraft getreten ist.
Wie erwartet, kritisiert die Biotechnologie-Industrie diese Verschärfung als unnötige Regulierung wirtschaftlicher Aktivitäten und äußert sich besorgt über die Ausweitung "unwissenschaftlicher" bürokratischer Macht. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob hinreichende Kontrollen vorgesehen sind, die verhindern, dass der weitgefasste Ansatz des Vorsorgeprinzips Raum für Korruption und Missbrauch schafft.
Ein Bericht der Kommission für landwirtschaftliche Biotechnologie empfahl 2004 den Aufbau einer separaten Regulierungsbehörde mit Vertretern von Industrie und Zivilgesellschaft. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieser Vorschlag verwirklicht wird. Das Ministerium für Biotechnologie arbeitet zwar an einem Biotechnologie-Strategiepapier, das eine größere Beteiligung der Öffentlichkeit und von Interessenvertretern bei der Biosicherheitsbewertung vorsieht. Doch Machtkämpfe innerhalb des Ministeriums könnten Versuche unterlaufen, mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht im entstehenden Regelwerk einzuführen.
Indiens Erfahrungen mit Gen-Pflanzen weisen jedenfalls darauf hin, dass die globale Diskussion über die Vorbeugung der Risiken von Gen-Pflanzen über den Aspekt wissenschaftlicher Sicherheit hinausgehen muss. Es muss berücksichtigt werden, dass in armen Ländern nationale Entwicklungsbedürfnisse und sozioökonomische Fragen stets umstritten sind.
Außerdem werden die Beteiligten in der Debatte über Gen-Pflanzen auch künftig über "plausible wissenschaftliche Begründungen" streiten. Das indische Szenario stellt die vermeintlichen Vorteile eines allein wissenschaftlich orientierten Vorsorgeprinzips in Frage. Entscheidungsträger weltweit stehen vor der Herausforderung, die Öffentlichkeit mehr zu beteiligen. Die Akzeptanz der Gentechnik hängt entscheidend von ausreichenden Sicherungsmechanismen und der Einbeziehung der verschiedenen Interessenvertreter ab. Ansätze, die soziale und ökonomische Interessen berücksichtigen, müssen diskutiert und in ein zu schaffendes globales Biosicherheitssystem integriert werden. Um der Herausforderung der Regulierung von Gen-Pflanzen in den Entwicklungsländern gerecht zu werden, müssen wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Überlegungen zusammengeführt werden – anstatt auf der Exklusivität der Wissenschaft zu bestehen.
Quelle: Dieser Artikel erschien im Orginal in der Zeitschrift E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit 12/2006.
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