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Das soeben in Mumbai zu Ende gegangene vierte Weltsozialforum war ein wichtiger Meilenstein für die globalisierungskritische Bewegung. Erstmals fand das Forum nicht im brasilianischen Porto Alegre, sondern in Asien statt. Dieser Umzug ist nicht nur geglückt, sondern das Forum hat in vielfacher Hinsicht davon profitiert. Die über 1200 Veranstaltungen und mehr als 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden stark von den Bewegungen des indischen Subkontinents geprägt. Wie in Porto Alegre gelang es GewerkschafterInnen, Nichtregierungsorganisationen, soziale und ökologische Initiativen genauso wie radikale Basisgruppen auf einem Forum in einem Geist von "Einheit in Pluralität" zu versammeln [1].
Viel stärker als auf den vorangegangenen Foren waren direkt von Unterdrückung Betroffene auf dem Forum dabei. Dalits, Homo- und Transsexuelle, Frauengruppen, Behinderte, aus ihren Wäldern vertriebene BewohnerInnen und Indigene machten ihre Anliegen lautstark hörbar. Gerade Gruppen, die es in Indien sonst schwer haben, konnten das Forum für sich nutzen. Ihre Basisgruppen und Organisationen schufen mit Demonstrationen, Tänzen und Musik eine zweite Sprache auf dem Forum. Die Gespräche mit ihnen waren eine große Bereicherung. Der in einigen Medien geäußerte Vorwurf des Karnevals ist arrogant und zeugt von einer sehr äußerlichen Betrachtung. Auf den Straßen war ein Wissen über die realen Lebensverhältnisse versammelt, das in den Konferenzen oft nur abstrakt vorhanden war und von dem das Forum sehr profitiert hat. Die indischen OrganisatorInnen haben es geschafft, Gruppen zum Forum zu mobilisieren, die sonst unterrepräsentiert sind. Erfreulich war, dass die Großveranstaltungen mit den Bewegungsstars diesmal eine viel kleinere Rolle spielten als in Porto Alegre.
Auf den Seminaren und Konferenzen, der ersten Sprache des Forums, waren solche Veranstaltungen besonders gut besucht, die viele Menschen in Indien direkt betreffen: Fragen des Zugangs zu Wasser, Land und Saatgut, des Kastenwesens aber auch der Vertreibungen durch Großprojekte wie Staudämme. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Auseinandersetzung um ein Coca-Cola-Werk in Südindien, das den Kleinbauern zunehmend das Wasser abgräbt. Bei Veranstaltungsthemen, die derzeit in Indien wenig diskutiert werden, sah es allerdings anders aus. Hier blieben die internationalen BewegungsvertreterInnen eher unter sich. Der Dialog mit den indischen Gruppen gelang hier nur unvollkommen.
Auffallend war auf vielen Veranstaltungen, wie stark sich Initiativen der direkt von Ausbeutung Betroffenen auf das Konzept der Menschenrechte bezogen. Die frühere Kritik an diesem "bürgerlichen Rechtskonzept" spielte hier kaum eine Rolle. Neu war auch das große Interesse an Konzepten globaler Demokratie, wie die Vorschläge des britischen Autors und Aktivisten George Monbiot zu einem Weltparlament. In die gleiche Richtung geht die Tendenz vieler Initiativen und Bewegungen sich direkter in den institutionalisierten politischen Prozess einzubringen. Diverse Gruppen bezogen sich positiv auf die UNO. Das Entstehen der G20 in der WTO wurde auch von Akteuren begrüßt, die die Abschaffung der WTO fordern. Via Campesina arbeitet an einer internationalen Konvention zu Ernährungssicherheit. Breiten Raum nahmen schließlich Veranstaltungen zu "Globalisierung & Krieg" ein.
Parallel zum Weltsozialforum fanden diverse weitere Treffen statt. Der Kongress "Mumbai Resistance" fiel besonders auf, weil dort das Forum hart kritisiert wurde. Kernpunkt der Kritik ist der Pluralismus des Weltsozialforums. Gefordert wurde vielmehr mehr politische Klarheit, man könnte es auch Enge nennen - , also eine klare anti-imperialistische und anti-kapitalistische Haltung sowie Sozialismus als konkrete Alternative zur bestehenden Weltordnung. Auch eine deutliche Ablehnung der Globalisierung wurde gefordert ("Globaliszation cannot be humanized"). Ob eine solche "Rückbesinnung" auf antiquierte Organisationsformen angesichts von Globalisierung der Herausforderungen und Pluralität der Antworten innerhalb der Bewegungen klug ist, muss bezweifelt werden. Das sahen wohl auch die meisten indischen Basisgruppen so, die zahlreich beim Weltsozialforum waren und dafür sorgten, dass Mumbai Resistance eine verhältnismäßig kleine Veranstaltung blieb.
Bedauerlich ist, dass das Thema China auf dem Forum kaum zur Sprache kam. So mussten die TibeterInnen ihre Lage ohne ChinesInnen diskutieren. ArbeitnehmerInnen- und Menschenrechte in China wurden wenig diskutiert, ebenso wie die Bedrohung der jungen Industrie vieler asiatischer Länder durch die harte chinesische Konkurrenz. So drohen Teile der indischen Industrie offen mit Abwanderung, wenn sie nicht drei weitere Sonderwirtschaftszonen bekommen. Dort sollen die ohnehin lausigen Arbeits- und Umweltstandards nicht gelten und steuerliche Vergünstigungen eingeräumt werden. Ähnliche Prozesse laufen auch in Süd-Ostasien.
Auch andere Teile der Welt wie Afrika, der Nahe Osten und Osteuropa waren auf dem Forum deutlich unterrepräsentiert. Leider haben es ebenfalls viele südamerikanische Gruppen nicht bis nach Indien geschafft. Erfreulich ist dagegen, dass über 1.000 Menschen aus Pakistan am Weltsozialforum teilgenommen haben. Zwar stoppte die indische Regierung - entgegen anderer Zusagen - die Vergabe von Visas. Trotzdem war das Forum die größte Konferenzdelegation aus dem Nachbarland seit der Unabhängigkeit.
Die Beteiligung aus Deutschland war von der Größe und politischen Zusammensetzung ähnlich wie in Porto Alegre (Gewerkschaften, kirchliche Basisgruppen, Entwicklungs-NGOs, BUND, Studierende, parteinahe Stiftungen, Attac). Dieses Mal sind allerdings die Indien-Fans gefahren, während die Lateinamerika-Fraktion zuhause geblieben ist. Leider fehlten in Mumbai führende VertreterInnen von Kirchen, Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden aus Deutschland. Erfreulich war die gestiegende Zahl von Aktiven aus Attac-Gruppen. Mit 40 Delegierten stellte Attac auch die größte deutsche Gruppe.
Die Erfahrungen von Mumbai zeigen deutlich: Um weitere Regionen in den weltweiten Sozialforumsprozess einzubeziehen, ist es nötig das Forum immer wieder an anderen Orten stattfinden zu lassen. Derzeit gehen die Planungen dahin, dass das Weltsozialforum jedes zweite Mal in Porto Alegre stattfindet und dazwischen international wandert. Bei einem Treffen der anwesenden Afrikanischen Gruppen überwog jedoch die Skepsis, ob man schon 2006 ein Weltsozialforum in Afrika ausrichten könne. Auch über die zeitliche Dimension wurde diskutiert: Immer mehr Stimmen fordern, das Forum solle nur noch alle zwei Jahre stattfinden. Fest steht, dass das nächste Forum im Januar 2005 in Porto Alegre stattfinden wird. Beibehalten werden soll auch das Weltsozialforum terminlich vor das Weltwirtschaftsforums in Davos zu ziehen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Sozialforum ist dadurch erheblich gestiegen. Weitere Entscheidungen bezüglich Zeiten, Orten und Frequenz wird der International Council des Forums treffen.
Beeindruckend war, wie es in Indien erstmals gelungen ist, das Forum weitgehend ohne Beteiligung transnationaler Unternehmen zu organisieren. Fast alle Lebensmittel und Dienstleistungen kamen von lokalen AnbieterInnen. Auch bei der Finanzierung blieb das Forum ziemlich konsequent. Zuschüsse von der Ford Foundation musst draußen bleiben, genauso wie Entwicklungsgelder von Regierungen, die am Irak-Krieg teilnehmen.
In den deutschen und zum Teil auch internationalen Medien wurden die Stimmen lauter, die fragten, was den beim Forum eigentlich rauskäme. Da es anders als bei Parteitagen keinen Leitantrag und keine Beschlüsse aller TeilnehmerInnen gibt, ist es angesichts von 1.200 Veranstaltungen für BerichterstatterInnen schwer einen Überblick über die Ergebnisse zu bekommen. Das ändert jedoch nichts daran, dass in den verschiedenen Kampagnenbereichen viele Beschlüsse für die weitere Arbeit gefasst und unzählige internationale Kontakte geknüpft wurden. Allerdings binden diese Absprachen immer nur die daran Beteiligten und niemals das gesamte Forum. Nur so ist seine Pluralität möglich. Das Weltsozialforum ist international der beste Ort, Kampagnen zu planen und mit Aktiven aus der ganzen Welt zu diskutieren. Nirgendwo sonst sind so viele der Akteure an einem Ort versammelt. Um die politische Wirkung des Forums noch zu erhöhen, wäre es trotzdem förderlich, einen Schritt weiter zu gehen. Einige politische Kernforderungen könnten zu einer Art "Konsens von Porto Alegre" werden, wie ihn Bernard Cassen von Attac Frankreich vorschlägt. Diese Forderungen müssten in einem offenen Prozess ermittelt werden. Die Kunst wird dabei darin liegen, Forderungen zu finden, die konkret und klar genug sind, um politisch Biss zu haben, ohne gleichzeitig die Breite des Forums zu gefährden. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass dies nicht gelingt, bleibt das Forum eine wichtige und unverzichtbare Veranstaltung, die keineswegs folgenlos ist.
Das diesjährige internationale Treffen von Attac war ebenfalls ein Erfolg. Es gab einen sehr guten internationalen Erfahrungsaustausch zu den verschiedenen Kampagnen – GATS, Tobinsteuer, Steueroasen, Europäische Verfassung und Privatisierung. Von vielen Mitgliedern und mehreren Sektionen wurde bedauert, dass bei der Tobinsteuer-Kampagne wegen anderer Prioritätensetzungen viel weniger gelaufen ist als noch vor zwei Jahren. In einigen Ländern ist hier ein Umdenken im Gange. In Belgien steht der Beschluss der Tobinsteuer durch das Parlament kurz bevor. Andere Attac-Sektionen planen neue Kampagnen. Im eher technischen Teil des Treffens wurden vor allem Verfahren beschlossen: Zur Überarbeitung der internationalen Attac-Plattform und zur Gestaltung der internationalen Attac-Webseiten. An der Überarbeitung der Plattform können sich alle Aktiven beteiligen.
In der parallel zum Forum tagenden Versammlung sozialer Bewegungen wurden verschiedene Aktivitäten für dieses Jahr verabredet. Unter Anwesenheit von GewerkschaftsvertreterInnen, Anti-Kriegsbewegung, dem Kleinbauernnetzwerk Via Campesina, Friends of the Earth International, Frauennetzwerken, diversen lokalen und nationalen Sozialforen und Attac wurde beschlossen am 20. März zu einen internationalen Aktionstag gegen die Besatzung im Irak aufzurufen. Auf der Versammlung der europäischen Initiativen wurden nochmals die Aktionstage gegen Sozialabbau in Europa am 2./3. April bekräftigt. Außerdem werden die anwesenden Bewegungen zur nächsten WTO-Ministerratskonferenz in Hongkong mobilisieren, deren genauer Termin jedoch noch nicht feststeht. Auf der Versammlung der Anti-Kriegsinitiativen hat sich außerdem ein Netzwerk gegen ausländische Militärbasen gegründet. In vielen Teilen der Welt regt sich zunehmender Widerstand gegen die diversen NATO-Stützpunkte. Schließlich vereinbarte die Versammlung sozialer Bewegungen die Stärkung der internationalen Strukturen. Es wurden drei permanente globale Arbeitsgruppen eingerichtet sowie ein monatlicher Rundbrief zu Fragen der Strategie sozialer Bewegungen.
Großen Wirbel in den Medien erzeugte außerdem noch ein Vorschlag von Arundhati Roy. In ihrer Rede bei der Auftaktkundgebung schlug sie vor, zwei US-Konzerne durch Aktionen "dicht zu machen", die von der neoliberalen Nachkriegsordnung im Irak profitieren. So sollten die internationale Anti-Kriegsbewegung und die Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung einen gemeinsamen Fokuspunkt finden. Dabei ließ sie zunächst offen, ob dies auch mit gewaltsamen Mitteln geschehen soll. In späteren Interviews stellte sie dies dann im Sinne der Gewaltfreiheit klar. Leider wurde der Vorschlag von den Versammlungen der Anti-Kriegsbewegung und der Versammlung sozialer Bewegungen nicht aufgegriffen. Zu sehr waren die Energien schon auf den Aktionstag 20. März konzentriert [2]. Es bleibt abzuwarten, ob der Vorschlag noch ein Eigenleben entfaltet.
Der Autor ist Miglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland.
[1] In diesen Bericht sind viele Äußerungen auf dem Abschlusstreffen der TeilnehmerInnen aus Deutschland sowie der Auswertungsdiskussion im International Council des Weltsozialforums eingeflossen.
[2] In verschiedenen Medienstatements haben Philipp Hersel und ich den Vorschlag grundsätzlich begrüßt. Allerdings, haben wir mehrfach betont, dass auch ein europäischer Konzern unter den boykottierten sein muss. Der Irak-Krieg und auch seine Nachkriegsordnung, wie auch die neuliberale Orientierung der internationalen ökonomischen Institutionen sind ebenfalls von europäischen Staaten geprägt. Außerdem war uns wichtig, dass die internationalen Aktivitäten friedlich verlaufen.
Quelle: Eine gekürzte Fassung des Textes erschien am 24. Januar 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".
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