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Indiens neuer Premierminister heißt Manmohan Singh. Am Mittwochabend, fast eine Woche nach der sensationellen Wahlniederlage der hindunationalistischen BJP-Koalition, beauftragte Präsident Abdul Kalam den 71-jährigen Sikh mit der Regierungsbildung. Singh war mit Kongresspräsidentin Sonia Gandhi ins Präsidialamt gefahren, ausgestattet mit den Unterstützungsbriefen von einem Dutzend Parteien, darunter den Kommunisten. Zuvor war die Parlamentsfraktion der Kongresspartei endlich Gandhi gefolgt, ihren Verzicht auf das Amt zu akzeptieren und Singh das Vertrauen auszusprechen.
Den ganzen Tag hatte es verzweifelte Versuche gegeben - darunter den Rücktritt der meisten Vorstandsmitglieder, um sie zur Rücknahme ihres Entschlusses zu bewegen. Vor ihrer Residenz weigerten sich über tausend Kongressanhänger lautstark, ihre Besetzung abzubrechen. Auch Hitzschläge, die sich bei 45 Grad Celsius reihenweise ereigneten, vermochten nichts auszurichten. Erst die Audienz beim Präsidenten brach der Bewegung die Spitze.
Während Gandhi bei der Fahrt zum Präsidenten noch die Führungsfigur spielte, stellte sie sich danach bewusst ins zweite Glied hinter den designierten Regierungschef. Der sagte später, seine Ziele seien die Fortführung der Wirtschaftsreformen, aber "mit einem menschlichen Gesicht", der Friede zwischen den Religionsgruppen sowie Frieden mit Pakistan. Sein Talisman sei Mahatma Gandhis Wort, das Ziel jeder Politik müsse es sein, "die letzte Träne in den Augen jedes indischen Kinds zu trocknen".
Über die Besetzung der Ministerposten gibt es vorläufig nur Spekulationen, umso mehr als inzwischen weitere Parteien wie die südindische DMK und die "National Congress Party" der Regierung beitreten und damit auch Posten haben wollen. Als Finanzminister wird am häufigsten P. Chidamabaram genannt, der das Amt schon einmal hatte.
Gandhi, die erstmals nach Tagen gelöst auftrat, dankte ihren Anhängern für die ihr entgegengebrachte Sympathie. Zuvor hatte sie den neu gewählten Abgeordneten versichert, sie werde Parteichefin und Fraktionsvorsitzende bleiben, "solange ihr mich haben wollt".
Gandhis Verzicht auf das Amt des Premiers wurde landesweit mit großer Erleichterung und noch größerem Staunen aufgenommen. Dass eine Person auf die Macht verzichtet, wenn sie ihr zu Füßen liegt, wirkt wie ein heilsamer Schock in einem Land, in dem selbst betagte Politiker mit jeder Faser daran kleben.
Quelle: Der Beitrag erschien am 21. Mai 2004 in der "Tageszeitung" (taz).
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