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31. Dezember 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Bilanz des Besuchs von Premierminister Vajpayee in Japan

Premierminister Atal Behari Vajpayee schloß in der ersten Dezemberhälfte mit einem fünftägigen Besuch in Japan nach früheren Besuchen in Vietnam, Indonesien und Malaysia seine "Look East Policy" im Jahre 2001 vorläufig ab. Gelang es mit dieser Reise der seit Jahren zunehmend selbstbewußteren indischen Außenpolitik, die nach den Nuklear-Tests 1998 belasteten Beziehungen mit Japan weitgehend zu normalisieren?

New Delhi. Japan rangierte vor diesen Tests mit seiner Overseas Development Assistance mit großem Abstand in Indien an erster Stelle. Japan hob seine Sanktionen gegenüber Indien im Vorfeld zu diesem Besuch im Oktober 2001 auf. "Japan beendete durch diesen Schritt seine Überreaktion und leitete damit die Normalisierung der bilateralen Beziehungen ein", so in einer Bilanz des Besuchs am 19. Dezember 2001 im India International Center in New Delhi Arjun Asrani, langjähriger indischer Botschafter in Japan, der als Teilnehmer einer Delegation des zweitgrößten indischen Unternehmerdachverbands Federation of Indian Chambers of Commerce and Industries am Rahmenprogramm des Premiers teilnahm. Danach bedankte sich Vajpayee ausdrücklich für die Aufhebung der Sanktionen als auch für die besondere Unterstützung für die Erdbebenopfer in Gujarat.

Welcher Stellenwert kommt den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu und ist in Zukunft mit verstärkten japanischen Investitionen zu rechnen, z.B. auch im Bereich der Infrastruktur? Zeichnen sich verbesserte Investitionsbedingungen für japanische Firmen ab? Wird die angestrebte "globale Partnerschaft" sich auch auf Fragen der Verteidigung und Sicherheit erstrecken? Gibt es Anzeichen dafür, daß Tokio sich aus sicherheitspolitischen Erwägungen, z. B. wegen der Zufahrtswege für seinen Energiebedarf, gegenüber Indien kooperationsbereiter als in der Vergangenheit zeigt?

Verbesserte Wirtschaftsbeziehungen?

Der indische Premier reiste u.a. in Begleitung seines Ministers Arun Shourie, der für den Abbau des staatlichen Einflusses im öffentlichen Sektor der indischen Volkswirtschaft (Minister for Disinvestment) zuständig ist. Vajpayee unterstrich, daß Indien dringend Investitionen in den Bereichen Infrastruktur, Industrieerzeugnisse und im Dienstleistungssektor benötige und ein großes, sich zunehmend an Qualität orientierendes Nachfragepotential in seinem Land bestehe. Er erwähnte das wachsende japanische Interesse am indischen Informationstechnologie-Sektor mit seinen Profitmöglichkeiten. Angesichts der japanischen Rezession dürften die indischen Erwartungen allerdings trotzdem realistisch bleiben.

Arun Shourie, ein einflußreicher intellektueller Wegbereiter des Hindu-Nationalismus, verwies gegenüber seinen Gastgebern stolz darauf, daß weder die südostasiatische Finanzkrise, noch die Wirtschaftssanktionen nach den indischen Nuklear-Tests 1998 oder auch der Kargil-Grenzkrieg mit Pakistan 1999 die indische Wirtschaft nennenswert geschwächt hätten. Bemerkenswert sei statt dessen die "Machtverlagerung vom indischen Staat zur Gesellschaft". Im indirekten Verweis auf China und auch angesichts japanischer Besorgnisse gegenüber der Volksrepublik sagte Shourie vor führenden japanischen Bankiers sowie Kapitänen der Schwer- und Autoindustrie: "Sie sollten nicht etwas nähren, was –  in Ihren Wahrnehmungen – eines Tages ein Sicherheitsproblem werden könnte. Wenn Sie in Indien investieren, dann stärken Sie keinen potentiellen Rivalen sondern einen natürlichen Verbündeten." 

Trotz verschiedener erfolgreicher Joint Ventures zwischen japanischen und indischen Unternehmen soll eine spezielle Arbeitseinheit im indischen Finanzministerium in Zukunft die vielfältigen Schwierigkeiten japanischer Firmen mit der indischen Bürokratie auf den unteren Ebenen mildern. Es bleibt wohl abzuwarten, ob dieser Ansatz nicht ein ähnliches Schicksal wie der in den späten achtziger Jahren zwischen Deutschland und Indien vereinbarte sogenannte "Fast Track" erleidet und zum "Slow track" degeneriert, zumal japanische Politiker angesichts einschlägiger indischer Versprechen (NATO: "No Action, Talk Only", so Arjun Asrani) in der Vergangenheit bereits sehr skeptisch sind. Es passiere gegenwärtig nichts Aufregendes in Indien, so japanische Unternehmer und Wirtschaftsexperten in Auswertungsgesprächen mit Arjun Asrani nach der Abreise Vajpayees. Japans Premier kündigte für Anfang 2002 den Besuch einer hochrangigen Delegation im Rahmen der japanischen Überseehilfe an, um Projekte im Infrastruktur-Bereich zu diskutieren.  

Die indische Seite legte ca. 60 Projekte vor, die an Japan vergeben werden könnten. Das japanische Angebot zur Reinigung der großen indischen Flüsse Ganges und Yamuna kam für die indische Seite überraschend. Nachdem die Entwicklungshilfe wieder aufgenommen wurde, kündigte der japanische Premier fällige Zahlungen für das Simhadri-Energieprojekt in Andhra Pradesh und die Metro in Delhi an. Arun Shourie sprach davon, daß der Energiesektor alleine 90 Mrd. US-Dollar absorbieren könne. Allerdings kam in den Gesprächen auch ein nicht zu übersehender japanischer Skeptizismus gegenüber Investitionen im Infrastruktur-Bereich in Indien zum Ausdruck, auch angesichts der Erfahrungen des amerikanischen Enron-Konzerns in den letzten Jahren. Die indischen Exporte nach Japan – hierbei handelt es sich hauptsächlich um Diamanten, Seefrüchte wie Shrimps aus Kerala, und Nahrungsmittel sowie Rohmaterialien (Eisenerz) – betragen nur 2,5 Milliarden US-Dollar. Eine gewisse Differenzierung der indischen Exporte nach Japan zeichnet sich allerdings neuerdings ab. Neben dem indischen Wunsch nach besserem Marktzugang für indische Unternehmen – denen jedoch mangelnde Dynamik und Zuverlässigkeit sowie fehlende Wettbewerbsfähigkeit attestiert wird - dürften auch die Wünsche indischer Software-Ingenieure nach einer "Green Card"-Regelung in Japan erörtert worden sein. Gegenwärtig machen die indischen Software-Exporte nach Japan nur einen sehr geringen Teil der insgesamt 3.7 Milliarden US-Dollar betragenden Exporte aus, von denen alleine ca. 62% in die USA gehen. Japan erkennt Indien mittlerweile als eine IT-Macht an. Es könnte in Zukunft im Banken- und Versicherungsbereich gewisse Tätigkeiten nach Indien auslagern. Es sollen in Indien Pläne bestehen, mit japanischer Hilfe ein Informationstechnologie-Zentrum zu errichten.

Militärtechnische Zusammenarbeit und sicherheitspolitischer Dialog

Nach dem Treffen von Vajpayee mit seinem japanischen Kollegen Junichiro Koizumu wurden in einer elf-seitigen gemeinsamen Erklärung neben dem gemeinsamen Interesse an Stabilität und Wachstum in Asien konkret ein regelmäßiger Gedankenaustausch bei Sicherheitsfragen, direkte Militärkontakte und ein gemeinsames Eintreten für die Beseitigung des Terrorismus in allen Weltregionen vereinbart. Die strittigen Themen des Comprehensive Test Ban Treaty (CTBT) und der Nichtweiterverbreitung von Nuklear-Waffen wurden diplomatisch umschifft. Indien will weiter auf einen nationalen Konsensus zum CTBT hinarbeiten, ein einseitiges Moratorium für Nuklear-Tests beachten und eine Exportkontrolle durchsetzen. Beide Seiten betonten, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen unterbinden zu wollen. In Delhi geht man davon aus, daß Japan sich mehr oder wenig mit einem nuklearen Indien abgefunden hat. Ein erfahrener Beobachter meinte jedoch, "daß weder Indien noch Japan die Sicherheitsbesorgnisse der anderen Seite wirklich verstehen würden", zumal Japan den nuklearen Schutz der USA genießt. (Payal Kapadia: "It Isn´t Easy, Breaking The Diet", in: Outlook, 24.12.2001, S.21). Beide Seiten sprachen sich für eine baldige Reform der Vereinten Nationen aus. Angeblich habe man sich informell eine wechselseitige Sicherheitsmitgliedschaft zugesichert, obwohl Japan natürlich die Asien-Gruppe konsultieren müsse.

Japan schaut aufgrund der Ereignisse in und um Afghanistan jetzt erstmals strategisch auf Südasien. Für die Anfang 2002 in Tokio geplante Aid Afghanistan Conference sprach sich der japanische Außenminister gegenüber Vajpayee für eine Teilnahme Indiens aus und signalisierte damit aus japanischer Sicht eine größere Rolle Indiens in Afghanistan und den zentral-asiatischen Republiken. Japanische Südasien-Spezialisten erwähnten gegenüber dem japanisch sprechenden Arjun Asrani, daß Indien heute in Japan nicht nur als führende Macht in Südasien sondern als eine wichtige Macht in Asien betrachtet wird. Verteidigungsminister George Fernandes hatte nach seinem Besuch in Tokio bereits von dem wachsenden japanischen Interesse an maritimer Sicherheit für seine Energielieferungen aus Westasien und der impliziten Bereitschaft Tokios gesprochen, dabei auf Indien zuzugehen, da die indische Küstenwache und Marine im Indischen Ozean sichere Seefahrt-Routen von den Energiequellen in Westasien erleichtere. Diese Tendenz wurde bei dem Besuch Vajpayees in ihren Konturen erstmals offiziell anerkannt, so Arjun Asrani.

Japan zeigte Verständnis für die indischen Sicherheitsbedürfnisse, regte jedoch Gespräche mit Pakistan an. Der Vajpayee ebenfalls begleitende Staatsminister des Äußeren, Omar Abdullah – Sohn des Ministerpräsidenten von Jammu & Kashmir, Dr. Farooq Abdullah – berichtete, man habe über  "Terrorismus und staatlich geförderten Terrorismus" gesprochen. Japanische Positionen von 1998, daß der Kashmir-Konflikt die grundlegende Ursache für die Nuklear-Tests sei und deshalb eine Tokio-Konferenz über Kashmir einzuberufen sei, spielten keine Rolle. Der neu vereinbarte Sicherheitsdialog soll jährlich auf angemessen hoher Ebene stattfinden, ungeachtet der regulären Interaktionen zwischen den Außen-, Verteidigungs- und Finanzministern sowie regelmäßigen Parlamentskontakten. Die indische Seite sagte zu, die Indo-Japanese Parliamentary Association wiederzubeleben. Arun Shourie regte eine Synthese der japanischen Fähigkeiten im Bereich der Hardware und der indischen Expertise bei der Software an, gerade auch in den militärischen Bereichen von Robotern, Sensoren und der Optik.

Perspektiven

Verstärkte Wirtschaftsbeziehungen und eine gewisse strategische Konvergenz zwischen beiden Staaten, so die indische Sicht, könnten innerhalb der sich herausbildenden Strukturen des gegenwärtigen Internationalen Systems zu einer neuen Qualität in den bilateralen Beziehungen führen. Allerdings mangelt es bislang an nennenswerten zivil-gesellschaftlichen Kontakten, wohl nicht zuletzt wegen der großen und kaum überbrückten kulturellen sowie sprachlichen Unterschiede. Drei Millionen Japaner besuchen jährlich die Volksrepublik China, ganze 115.000 Indien und dies wohl überwiegend auf der Suche nach den Spuren des Buddhismus in Indien. 20.000 chinesischen Studenten stehen ganze 200 indische Studenten in Japan gegenüber. Es gibt weder eine tägliche noch eine direkte Flugverbindung zwischen Indien und Japan. In Delhi leben allerdings 1.000 japanische Bürger. In Tokio erfreut sich wenigstens die indische Küche mit ca. 400 indischen Restaurants einer gewissen Popularität. Indien wird in absehbarer Zukunft ein Kulturzentrum in der japanischen Hauptstadt errichten. Es macht allerdings im Rahmen seiner Außen- und Kulturpolitik viel zu wenig Gebrauch von seinem großen buddhistischen Erbe, so mir gegenüber am 29. Dezember 2001 G. Parthasarathy, ehemaliger Botschafter in Pakistan und Birma (Myanmar) und heute Gastprofessor am renommierten Centre for Policy Research in New Delhi.

Es bleibt also noch ein weites Terrain für beide Seiten, um die bilateralen Beziehungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Sicherheit und Kultur auf eine neue Ebene zu stellen, zumal, so Arjun Asrani, die Außenministerien beider Länder fast eine "wechselseitige Abneigung füreinander teilen. Die Inder betrachten Japan als politischen und die Japaner Indien als wirtschaftlichen Zwerg. Es gibt eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Indien im japanischen Außenministerium".

Indien muß deshalb noch zahlreiche Hausaufgaben, gerade auch in der erkennbaren zusätzlichen Ostorientierung seiner Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, erledigen, um von Tokio als dauerhaft ernstzunehmender Partner mit Zukunftspotential akzeptiert zu werden. Dieser erste Besuch eines indischen Premierministers nach einem Jahrzehnt führte nur zu einem geringen Presseecho bzw. öffentlichen Dialog, zumal das japanische Parlament am Vortag der Ankunft von Vajpayee seine Sitzungsperiode beendete. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Indien und Japan wird wahrscheinlich mit dem Besuch des japanischen Kronprinzen in Indien in 2002 gerechnet.

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