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25. Juli 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Südasien Indo-pakistanischer Gipfel in Agra gescheitert

Noch ist nichts verloren

Was mit Zuversicht und Hoffnung begann, endete in einer großen Enttäuschung. Das indisch-pakistanische Gipfeltreffen in Agra ist gescheitert - wegen unlösbarer Differenzen um Kaschmir. "Wir haben nicht erwartet, daß Indien und Pakistan alle Streitpunkte auf einmal vom Tisch schaffen. Aber die Gespräche hätten nicht auf diese Weise enden dürfen", versuchte Abdul Gani Bhat, einer der Sprecher der kaschmirischen Separatisten-Bewegung, die Enttäuschung in Worte zu fassen.

Hoffnungsvoller Beginn

Dabei hatte das historische Treffen am Sonntag, den 15. Juli 2001 vielversprechend begonnen. Anstatt 15-20 Minuten sprachen der indische Premierminister Atal Behari Vajpayee und der pakistanische Präsident Pervez Musharraf eineinhalb Stunden lang unter vier Augen und danach noch eine Stunde auf Delegationsebene miteinander. Die Gesprächsatmosphäre wurde von beiden Seiten als "herzlich, offen und konstruktiv" bezeichnet. Bereits vor den Verhandlungen hatte Indien zudem als vertrauensbildende Maßnahme 20.000 Soldaten aus Kaschmir abgezogen.

Pressefrühstück als Anfang vom Ende

Doch das Unheil bahnte sich am Montagmorgen an. In einem überraschend angesetzten "informellen" Pressefrühstück, dessen Fernsehbilder bewußt ausgestrahlt wurden, beschwerte sich der pakistanische Staatschef über die indische Position, "die nicht bereit ist, zuzugeben, daß es einen Disput über Kaschmir gibt". Gleichzeitig verglich er die Aktivitäten militanter Gruppierungen in Kaschmir mit dem Freiheitskampf in Palästina und wies brüsk die vertrauensbildenden Maßnahmen Indiens zurück: "Welche vertrauensbildenden Maßnahmen? Die wichtigste vertrauensbildende Maßnahme ist Kaschmir. Kaschmir ist das Hauptproblem. Und ich werde nicht aufhören, dies zu betonen, ob andere das hören wollen oder nicht".

Genau dies wollten die indischen Gastgeber nicht hören. Für die indische Seite war Kaschmir nur eines von vielen Gesprächsthemen. Der indische Außenminister Jaswant Singh bezeichnete die Äußerungen des pakistanischen Präsidenten als "engstirnig und nicht praktikabel". Nur eine erweiterte Sichtweise der bilateralen Beziehungen könne zu einer echten Entspannung führen. Damit war der "gordische Knoten" geknüpft, und trotz Konsultationen bis spät in die Nacht zum Dienstag gelang es beiden Seiten nicht, diesen zu zerschlagen. Die anvisierte "Deklaration von Agra", als Ausdruck einer neuen Annäherung zwischen den beiden Ländern, kam nicht zustande.

Kaschmir rüttelt am Staatsverständnis

Wer ist für das Scheitern des Gipfels verantwortlich? Viele politische Beobachter sind der Meinung, daß fundamentalistische Hardliner auf beiden Seiten die erhoffte Annäherung verhindert hätten. Diese Erklärungen sind zwar richtig, greifen jedoch zu kurz. Denn Kaschmir rüttelt am Staatsverständnis beider Nationen. So versteht sich Pakistan als islamischer Staat und als Heimstätte der Moslems des ehemals Britisch-Indiens. Kaschmir mit seiner mehrheitlich muslimischen Bevölkerung gehört nach dieser Sichtweise zwangsläufig zum pakistanischen Staatsgebiet. Umgekehrt ist Kaschmir für Indien Ausdruck des säkularen Staatscharakters. Eine Abtrennung Kaschmirs aus religiösen Gründen sei, so die Argumentation, der Startschuß zur Auflösung der Indischen Union.

Politik der kleinen Schritte

Angesichts dieser ideologischen Komponente ist eine schnelle Einigung im Kaschmir-Konflikt nicht zu erwarten. Eine Politik der kleinen Schritte, die praktische Verbesserungen im Umgang miteinander schafft, scheint eine realistische Alternative zu sein. Zum Beispiel könnten Teilbereiche der Grenze von Kaschmir geöffnet werden, zum ersten Mal seit 50 Jahren. Damit würden weder Indien noch Pakistan ihren Anspruch auf Kaschmir aufgeben und die Menschen in beiden Ländern würden die Reisefreiheit bejubeln. Ähnlich unkompliziert verhält es sich mit einer Intensivierung des Wirtschaftsverkehrs. Der bilaterale Handel zwischen Indien und Pakistan beträgt ca. 200 Mio. US$, während der Schmuggel auf gut das Fünffache geschätzt wird. Tee, Kaffee, Eisenerz und Textilmaschinen bieten sich u.a. für einen Warenaustausch an. Besonders Pakistan könnte dadurch wichtige Devisen sparen.

Trotz aller Enttäuschung über das Scheitern des Gipfels: Daß Indien und Pakistan überhaupt miteinander geredet haben, ist bereits ein erster Fortschritt. Zudem wurde bereits ein weiteres Treffen der beiden Staatschefs diesmal in Pakistan vereinbart. Auch eine vorzeitige Gesprächsrunde im Rahmen der UN-Vollversammlung in New York ist nicht ausgeschlossen. Und der pakistanische Präsident Musharraf sprach bereits von einem ersten wichtigen Schritt, der in Agra gemacht worden sei.

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