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05. Mai 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Südasien Schwere Gefechte an der Grenze zwischen Indien und Bangladesch

Nach mehrtägigen Kämpfen haben sich die indische und die bangalische Regierung am 19. April 2001 darauf geeinigt, ihre Grenzstreitigkeiten beizulegen und erneut den bisherigen Grenzverlauf zu akzeptieren. Während der Kämpfe wurden nach offiziellen Angaben 19 Menschen getötet. Tausende flüchteten.

Streitpunkt ist die Zugehörigkeit etlicher Dörfer im Norden Bangladeschs und in den indischen Bundesstaaten Meghalaya und Assam, die aufgrund ungenauer Grenzziehung zwischen den beiden Regierungen umstritten sind.

Der Konflikt brach am 16. April aus, als Soldaten der Bangladesh Rifles einen etwa einen Quadratkilometer großen Landstreifen um das bisher von Meghalaya aus verwaltete Dorf Pyrduwah (bengalisch: Padua) besetzten. Nach Angaben der indischen Regierung seien Bangladeschs Streitkräfte außerdem nahe der Stadt Dauki auf indisches Gebiet vorgedrungen. Am 18. April griffen indische Border Security Forces daraufhin bei Kurigram an der Grenze zu Assam bisher von Bangladesch kontrolliertes Territorium an. Dabei wurden 15 ihrer Soldaten getötet. Am folgenden Tag meldete das indische Außenministerium, die Regierungen beider Länder hätten sich darauf geeinigt, erneut den Zustand vor Ausbruch der Gefechte zu akzeptieren. Die Kämpfe wurden eingestellt. Zunächst bemühten sich beide Seiten, den Vorfall herunterzuspielen und die enge Freundschaft ihrer Länder zu betonen. Ende April erhöhten sich die Spannungen erneut, als bekannt wurde, 8 der 15 getöteten indischen Soldaten seien misshandelt und danach erschossen worden. Am 28. April meldete die bangalische Tageszeitung The Nation erneute Truppenmassierungen der indischen Grenztruppen in Assam und Meghalaya. Die Times of India meldete am 4. Mai, der geplante Kurzbesuch der bangalischen Premierministerin Sheik Hasina sei wegen der mutmaßlichen Misshandlungen der Soldaten von der indischen Regierung zunächst abgelehnt worden.

Die indisch-bangalische Grenze verläuft nur selten entlang natürlicher Grenzmarken. Sie war 1971, als Bangladesch seine Unabhängigkeit erkämpft hatte, nur ungenau festgelegt worden. Außerdem blieben kleine Teile der von Indien im Unabhängigkeitskrieg besetzten Gebiete unter indischer Verwaltung. Dadurch waren viele Dörfer nicht eindeutig zuzuordnen oder zu Enklaven geworden, die nur vom Nachbarstaat aus erreichbar sind. Trotz gelegentlicher Grenzzwischenfälle wurde das Problem in den folgenden Jahren jedoch weitgehend gelöst. Auf lokaler Ebene vereinbarten die Grenzbehörden vor Ort, einzelne Dörfer der jeweils erreichbareren Verwaltung zu unterstellen. In den Außenministerien wurden Arbeitsgruppen zur Bereinigung der Grenze eingesetzt, die ein im Dezember 2000 unterzeichnetes Abkommen ausarbeiteten, das den Grenzverlauf abschließend regeln sollte. Es wurde aber, wie auch ein Abkommen von 1974, von indischer Seite noch nicht ratifiziert. Die bangalische Seite fordert nun den Rückzug einzelner Vorposten der indischen Grenztruppen und die Aufnahme erneuter Verhandlungen.

Die Gründe für die bisher gewalttätigste Eskalation des Konflikts scheinen vorwiegend in der innenpolitischen Situation Bangladeschs zu liegen: Premierministerin Sheikh Hasina steht unter großem Druck der Opposition, dem sie mit der Ausschreibung vorgezogener Neuwahlen nachgab. Vor allem in der indischen Presse wurde daher vermutet, die Grenzzwischenfälle seien von der Opposition und Hardlinern im Militär eingefädelt, um das Ansehen der als pro-indisch geltenden Hasina zu untergraben. Die Premierministerin reagierte auf diese Herausforderung mit einem Telefongespräch mit dem indischen Premier Vajpayee, in dem sie ihr Bedauern ausdrückte, aber eine Entschuldigung vermied. Gegenüber der bangalischen Presse demonstrierte sie Stärke mit der Forderung nach erneuten Verhandlungen und dem Rückzug indischer Truppen aus einigen Grenzdörfern. Aufgrund ihres offensiven Umgangs mit der Situation vermutete der indische Online-Nachrichtendienst Tehelka gar, die Eskalation sei von Hasina angeordnet, um sich von ihrem pro-indischen Image zu lösen und den Wahlkampfslogans der Nationalisten zu begegnen.

Aber auch die durch den Korruptionsskandal um fiktive Waffenverkäufe bedrängte indische Regierung könnte ein Interesse an einer begrenzten Eskalation gehabt haben: Schon im Kargil-Krieg hat sich gezeigt, dass militärische Erfolge an den Grenzen den innenpolitischen Druck auf die Regierung verringern können. Aber auch wenn dem nicht so sein sollte, kann sie nach dem Bekanntwerden mutmaßlicher Misshandlungen und Hinrichtungen indischer Soldaten nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren, da sie auf die Unterstützung der (hindu-)nationalistischen Kräfte aus den eigenen Reihen und den Schwesterorganisationen angewiesen ist.

Quellen

  • Neue Zürcher Zeitung, 19.4.2001, S.5.
  • Neue Zürcher Zeitung, 20.4.2001, S.1.
  • Neue Zürcher Zeitung, 21.4.2001, S.2.
  • The New Nation, 19.4.-5.5.2001.

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