Inhalt

10. Mai 2002. Nachrichten: Politik & Recht - Pakistan Musharraf bleibt fünf weitere Jahre Präsident

General Pervez Musharraf ging als Sieger aus dem Referendum zur Präsidentschaft vom 30. April 2002 hervor und bleibt somit weiterhin Amtsinhaber des höchsten Staatspostens in Pakistan. Zur Abstimmung waren 65 Millionen Pakistaner aufgerufen.

Erst wenige Tage zuvor zuvor hatte der Supreme Court, das Oberste Gericht, einstimmig verfügt, daß die Volksabstimmung nicht verfassungswidrig sei, wie die demokratische Opposition gefordert hatte. Laut Verfassung – die seit Musharrafs Staatsstreich im Oktober 1999 supendiert ist – wird der Präsident vom Parlament gewählt. Indem das Oberste Gericht Musharrafs Referendum absegnete, zerstörte es nun noch die letzten Hoffnungen in seine Unabhängigkeit.

Der Supreme Court hatte bereits den selbst ernannten Status des Diktators als "Chief Executive" sowie die selbsternannte Präsidentschaft vom Juni 2001 legitimiert. Sechs Monate vor der im Oktober fälligen Parlamentswahl beutet der Erfolg des Generals seinen bisher größten Sieg.

Der mit 98 Prozent mehr als eindeutige Wahlsieg des um einen demokratischen Anstrich bemühten Diktators war weitgehend erwartet worden. Das Resultat hat einen Schönheitsfehler: Es gibt weder über die Stimmbeteiligung, die als wichtigstes Barometer galt, noch über die demokratische Fairness des Plebiszit verlässlich Auskunft. Diesbezüglich sind die Angaben auch sehr unterschiedlich, eine unabhängige Menschenrechtskommission sprach jedoch von Wahlfälschungen und Stimmzwang.

Da das Oberste Gericht dem Putschistengeneral zur Auflage gemacht hatte, innerhalb von drei Jahren die Demokratie wiederherzustellen und Parlamentswahlen abzuhalten, wäre es äußerst unwahrscheinlich gewesen, daß Musharraf danach von den vormals verbotenen Parteien wiedergewählt werden würde. War er es doch, der ihnen die politische Arbeit verboten und sie bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr von der Teilnahme ausgeschlossen hatte. So kann das Referendum - von ihm als Akt direkter Willensbildung angepriesen - lediglich als Umgehung demokratischer Verfahren betrachtet werden.

Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, die ein wichtiger Punkt in Musharrafs Wahlversprechen war, ist nicht abzusehen. Investoren sehen zwar eine gewisse Stabilität, doch die hohen Militärausgaben haben dafür gesorgt, daß die ruinöse Staatsverschuldung in den letzten drei Jahren der Militärherrschaft um knapp 20 Prozent auf 38 Milliarden US-Dollar gestiegen ist. Im Hintergrund lauern trotz der historischen Rede vom 12. Januar 2002 weiterhin zahlreiche islamische Gruppen auf die nächste Gelegenheit, neue Konflikte anzuzetteln. Im übrigen sind von den Verhafteten aus den radikalsten islamistischen Organisationen, die damals verboten wurden, rund 1.400 von den 2.000 verhafteten Anhängern wieder freigelassen – darunter auch auch prominente Anführer der verbotenen Organisationen. Auch die Reform der Religionsschulen (Madrassas) zieht sich hin.

Die Infiltration von Militanten ins benachbarte Kashmir hat – laut indischen Angaben - nicht nachgelassen. Musharraf hat zur Stärkung seiner Popularität im Wahlkampf mit kriegerischen Parolen die Spannung an der indisch-pakistanischen Grenze hochgehalten.

Zudem soll Musharraf laut NZZ den 3.100 Gemeindevorstehern für den Fall ihrer Unterstützung im Referendum Geld und Posten angeboten haben. Angesichts der lauthals verkündeten Pläne Musharrafs, die lähmende Korruption abzuschaffen, erscheint das geradezu grotesk. Offensichtlich versucht Musharraf, mit den kommunalen Amtsträgern, die aus der ohne Parteien abgehaltenen Wahl im Dezember 2001 hervorgegangen sind, dem System eine neue korrupte Klasse hinzuzufügen, die von ihm persönlich abhängig ist.

Die Presse bezeichneten den Urnengang mehrheitlich als undemokratisch und verglich Musharrafs Handeln mit dem seiner demokratisch gewählten Vorgänger Nawaz Sharif und Benazir Bhutto, die er ironischer Weise noch in seinen Wahlreden als inakzeptabel bezeichnet hatte, weil sie mit der Hand in der Staatskasse erwischt worden waren.

Kaum Opposition?

Oppositionelle Parteien – insbesondere die Pakistan Muslim League (PML) und die Pakistan People’s Party (PPP) – waren an einer Gegenkampagne weitgehend gehindert worden. Sie riefen die Bevölkerung gemeinsam zum Boykott der Abstimmung auf. Mehrere kleine Parteien, die sich auf die Seite des Generals geschlagen hatten, konnte dagegen frei die Werbetrommel schlagen. Der Staatsapparat, vom staatlichen Fernsehen bis zur Beamtenschaft, war in seine Referendumskampagne eingespannt worden.

Laut Regierungsangaben hat der General die selbsternannte Hürde von 30 Prozent der Wahlberechtigten mit einer Beteiligung von rund 75 Prozent eindeutig übersprungen. Durch sein hartes Vorgehen gegenüber islamistischen Extremisten und seiner Unterstützung der USA im "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" war er auch auf große Ablehnung gestoßen, weshalb der (Militär-)Regierung besonders an einer hohen Wahlbeteiligung gelegen war.

Die Opposition sieht die Wahlbeteiligung freilich in einem völlig umgekehrten Bild: Ihrer Meinung nach lag die Beteiligung zwischen 5 und 10 Prozent. Keine der beiden Behauptungen läßt sich eindeutig überprüfen.

Insgesamt war die Wahlbeteiligung wohl sehr unterschiedlich. Städter gingen offenbar in höherer Zahl an die Urnen und Stimmlokale in den ländlichen Gegenden blieben oft leer. Die unabhängige Menschenrechtskommission sprach von Wahlfälschungen und Stimmzwang bei Staatsangestellten.

Zukunftspläne am Indus

Nun kann der "neue alte" Präsident seine eigenwilligen Vorstellungen von einer "echten Demokratisierung" bei den Wahlen zu den Zentral- und Provinzparlamenten im Herbst verwirklichen.

Dann sollen auch politische Parteien zugelassen werden, wobei sich die PML und die PPP für ihre zwangsexilierten Führer Benazir Bhutto und Nawaz Sharif neue Kandidaten zu suchen haben. Den beiden gelang es zwischen 1988 und 1999 nicht, einen Rechtsstaat zu etablieren. Im Gegenteil: Die politische Arbeit von Musharrafs gewählten Vorgängern war geprägt von Lobbyismus, Korruption und gewalttätigen, teils terroristischen Auseinandersetzungsformen mit ihren politischen Gegnern.

Das neu gewählte Parlament wird ab Oktober 2002 dann den Premierminister wählen, der als "Chief Executive" einem Dreierkreis angehören wird. Dieser soll aus dem Premierminister, dem Präsidenten und dem Armeechef bestehen. Die beiden letztgenannten Ämter übt Musharraf allerdings seit seiner Machtübernahme alleine aus. Das wird sich seinen Angaben zufolge vom 16.4. im Rahmen einer Pressekonferenz auch nicht ändern.

Als Präsident kann er in diesem Ungleichgewicht keine Benachteiligung des Premierministers sehen. im Wahlkampf hatte er versichert, den zukünftigen Regierungschef hundertprozentig gewähren lassen - solange sich dieser "recht aufführe". Zudem sei im Sinn einer breiteren Machtverteilung die Einsetzung eines "Nationalen Sicherheitsrates" geplant, der im Fall von Amtsmißbrauch alle drei Machtträger absetzen könne. Allerdings hat auch hier Musharraf vorgesorgt, indem er das Gremium selbst einsetzt. Es wird in der Mehrheit aus Generälen bestehen.

"Musharraf schlug Zia"

Daß pakistanische Tageszeitungen nach dem Referendum von einem zweifelhaften Sieg sprachen, ist kaum verwunderlich. In der Geschichte des Landes hatten sich zwei Generäle ähnlich um die demokratischen Weihen bemüht. Musharraf, so titelten einige Blätter, habe den letzten General – Muhammad Zia ul-Haq – bravourös überboten. Auch der hatte sich 1984 durch ein schein-demokratisches Referendum im Präsidentenamt bestätigen lassen. Musharraf hat sich scheinbar von der Erfüllung der Vorgabe des Obersten Gerichts verabschiedet. Sie sieht eine Abdankung des Militärherrschers - der vierte seit der Staatsgründung 1947 – vor, nachdem gewisse demokratische Verhältnisse in Pakistan hergestellt sind. Offenbar arbeitet er fleißig dagegen an.

Der Nährboden für diese Mißstände ist die tiefe Zerrissenheit innerhalb der Gesellschaft. Das Gemeinwesen wird aufgerieben durch den Kampf zwischen Islamisten und Regionalisten, extremen Sunniten und ihren schiitischen Widersachern, Großgrundbesitzern und Sozialrevolutionären, indisch-stämmigen Einwanderern (Moharjirs) und der genuinen Bevölkerung des Sindh.

Die Wiederaufnahme des demokratischen Prozesses verhindert Musharraf eindeutig mit faulen Tricks wie dem Referendum sowie den exzessiv gesteigerten Machtbefugnissen seines Amtes. Angeblich, um Stabilität zu gewährleisten.

Wahlbeteiligung unter undemokratischen Verhältnissen

Die Lokalbehörden waren, obwohl sie letztes Jahr als "unpolitische" Staatsorgane gewählt wurden, aufgerufen, die Wähler an die 87.000 Urnen zu lotsen. Das Wahlalter wurde kurzerhand auf 18 Jahre heruntergesetzt, und auf die üblichen Sicherungen gegen Wahlbetrug - wie etwa Wählerlisten - wurde verzichtet. Personen ohne Personalausweis mit Bild durften wählen, wenn sie ein Dokument der Regierung vorweisen konnten. Es reichten also auch Arbeitsausweise, Führerscheine und Studentenausweise zum Nachweis der Wahlberechtigung aus. Die größte Anzahl an Stimmlokalen in der Geschichte Pakistans, die zum Teil an außergewöhnlichen Orten eingerichtet wurden, etwa an Tankstellen, in Krankenhäusern und sogar in Gefängnissen, rechtfertigten Beobachter einstimmig: Die Regierung wollte mit diesen ungewöhnlichen Maßnahmen die Stimmbeteiligung in die Höhe treiben. Bei der letzten Parlamentswahl von 1997 beteiligten sich nur 35 Prozent der Wahlberechtigten. Den Rekord bei der Stimmbeteiligung erreichten dann diesmal auch die Gefängnisse, hier lag sie bei hundert Prozent.

Allerdings wird der Preis für die Referendumskampagne den der General zahlt, allgemein darin beziffert, daß Musharraf von seinem hohen Podest als "Retter der Nation" heruntersteigen mußte und zum Politiker wurde - Politiker haben keinen guten Ruf in Pakistan.

Kritik aus dem Ausland

Während die Opposition Musharraf vorwarf, durch immer neue Lockerungen der Wahlbestimmungen eine groß angelegte Manipulation des Referendums betrieben zu haben, wurden auch zunehmend kritische Stimmen aus dem Ausland laut. Die USA, die als einziges Nahziel die Zerstörung des Netzwerks von Ossama bin Laden haben und mit Spezialtruppen auch auf pakistanischem Territorium gegen Al-Qaida-Ziele kämpfen, wollen die Unterstützung des Generals nicht durch Hinweise auf Demokratiedefizite gefährden. Für sie sei, wie es Richard Boucher als Sprecher des State Departments ausdrückte, Präsident Musharraf nun der demokratisch legitimierte Führer der südasiatischen Atommacht. Zudem seien für die USA eher die Wahlen im Herbst ausschlaggebend.

Im Nachbarland Indien vergleicht man die Situation mit den Zeiten Zia ul-Haqs, als die USA seine Islamisierungspolitik im Interesse des Kampfs gegen die Sowjetunion hingenommen hätten.

Das Commonwealth beanstandete, daß eine fünfjährige Präsidentschaft nicht Teil der versprochenen Demokratisierung sei. Stimmen aus dem EU-Parlament bezeichneten das Referendum als verfassungswidrig und drohten mit einer Blockierung von Handelsverträgen.

Mit Billigung der US-Regierung bleibt Pakistan damit eine der wenigen Militärdiktaturen in Asien. Das ist auch der Grund, weshalb Musharraf - Männerfreund George W. Bushs – keine ernsthaften Konsequenzen durch die spärlichen Kritik des Auslands befürchten muß.

Quellen

  • Christian Kreutzer: Musharraf: Bypass zur Macht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.4.2002.
  • Referendum über zweite Amtszeit von Militärmachthaber Musharraf, in: Neue Zürcher Zeitung, 30.4.2002.
  • Bernhard Imhasly: Grosse Mehrheit für Musharraf in Pakistan, in: 
    Neue Zürcher Zeitung, 2.5.2002.
  • Steve Kingston: US cool on Musharraf vote, in: BBC South Asia, 2.5.2002.
  • Musharraf thanks 'silent majority', in: BBC South Asia, 3.5.2002.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.