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14. Januar 2002. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Congress (I) unterstützt Haltung der Regierung gegenüber Pakistan

Ein Gespräch mit Jaipal Reddy

Jaipal Reddy, Hauptsprecher des Congress (I) und früherer Informationsminister, erörterte mit mir am 13. Januar 2002 in einem fast eineinhalbstündigen Gespräch die Situation nach der Rede von Präsident Pervez Musharraf an die pakistanische Nation, in der dieser keine Gewalt im Namen von Kashmir und u. a. das Verbot der terroristischen Organisationen Jaish-e-Mohammed und Lashkar-e-Toiba ankündigte.

Musharraf unterstrich jedoch die politische, diplomatische und moralische Unterstützung des "Freiheitskampfes in Kashmir." Die indische Regierung begrüßte den Tenor der Rede, sie fordert jedoch ein konkretes Vorgehen gegen den grenzüberschreitenden Terrorismus. Sie lehnt die Vermittlung einer dritten Partei ab und erklärt die alten UN-Resolutionen zu Kashmir als bedeutungslos.

Reddy betonte, diese Rede habe ihn persönlich sehr beeindruckt, denn so eindeutig kritisch habe sich seit Kemal Atatürk kein muslimischer Regierungschef mit den Mullahs in einem islamischen Land auseinandergesetzt. Der erfahrene Parlamentarier teilt die Auffassung von K. Subrahmanyam, des Nestors der indischen Sicherheitspolitik, dass der Modernisierer Pervez Musharraf für Indien gegenwärtig die beste Option darstelle, da er offensichtlich gewillt sei, die sich gegen das von Zia ul Haq errichtete Regime in einer "revolutionären Situation" befindliche pakistanische Gesellschaft vom Zugriff der fundamentalistischen Kräfte zu befreien. Die Tragik auf dem Subkontinent bestehe allerdings darin, dass Indien sich gegenwärtig in einer "konterrevolutionären Situation", bewirkt durch die Ober- und Mittelschichten, gegen das einst von Nehru etablierte System befinde. Premierminister Atal Behari Vajpayee wäre sicherlich nicht in der Lage, sich an die hindu-fundamentalistischen Kräfte in ähnlich entschiedener Weise zu wenden.

Die Strategie des Congress (I), der in elf Staaten der Indischen Union die Regierung stellt, ziele darauf ab, der Regierung beim Absteigen vom "Tiger" der militärischen Konfrontation mit der Mobilisierung von insgesamt ca. eineinhalb Millionen Soldaten auf beiden Seiten behilflich zu sein. Diese Linie sei nach Absprache im kleinsten Kreis zwischen Sonia Gandhi, Dr. Manmohan Singh, Arjun Singh, Natwar Singh und ihm von der Parteipräsidentin während des von Vajpayee einberufenen Treffens aller Parteien am Sonntag vertreten worden, um die Regierung von innen zu beeinflussen, so Reddy. Reddy, der zum engsten Führungszirkel seiner Partei zählt, versteht sich selbst als sozialdemokratisch orientierter Liberaler. Daher habe er auch verhindert, dass der Congress (I) dem von der Regierung vorgeschlagenen Anti-Terror-Paket Prevention of Terrorism Ordinance (POTO) zugestimmt.

Er gehe davon aus, dass die Bharatiya Janata Party (BJP) aufgrund der Mitte Februar anstehenden Wahlen im bevölkerungsreichsten Unionsstaat Uttar Pradesh gegenwärtig kein unmittelbares Interesse an einer völligen Entschärfung der Lage habe. Die jüngsten Meinungsumfragen zeigten, dass die gegenwärtige Konfrontation mit Pakistan und das allgemeine Meinungsklima in Indien zugunsten einer kriegerischen Auseinandersetzung, die sogar die Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung in Kauf nehme, die Chancen der BJP in Uttar Pradesh wesentlich verbessert hätten. Musharraf erweise sich nach dem Kargil-Abenteuer von 1999 wieder als guter Wahlhelfer der BJP.

Die indische Regierung könne erwarten, dass die pakistanische Regierung in absehbarer Zeit die indischen Staatsbürger, denen von New Delhi kriminelle und terroristische Aktivitäten vorgeworfen werden, wenigstens an eine internationale Behörde wie z.B. Interpol ausliefern werde. Es müsse sich in den nächsten Wochen außerdem erweisen, ob der grenzüberschreitende Terrorismus in Kashmir wirklich gestoppt werde, auch vom Boden des von Pakistan kontrollierten Teils. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob Musharraf dies ernstlich wolle bzw. dazu wirklich in der Lage sei. Nach Ansicht von Jaipal Reddy werde es in absehbarer Zeit zu keiner nennenswerten Bewegung in der Kashmir-Frage kommen, trotz des Versuchs von Musharraf, eine internationale Vermittlung zu bewirken. Dies sei für Indien indiskutabel. Er räumte jedoch ein, dass der Einfluss Amerikas auf Pakistan noch nie so groß gewesen sei und auch der Einfluss der USA auf Indien beachtlich sei, wie die USA-Besuche von L. K. Advani, "eines gefährlichen Politikers" im Lager der "Hindu-Chauvinisten", und des einstigen Anti-Imperialisten George Fernandes zeigten. Trotz der in Indien beachteten Zurückhaltung Chinas im gegenwärtigen Konflikt äußerte sich Reddy zum Auftakt des Indien-Besuches des chinesischen Premierministers Zhu Rongji kritisch über die Rolle Pekings, denn China habe u.a. neue Kampfflugzeuge, diverse Waffen und Ersatzteile in jüngster Zeit verstärkt an seinen Verbündeten Pakistan geliefert (Times of India, 9.1.2002). Es sei eine beiderseitige Anerkennung der Line of Control und eine weitgehende Autonomie beider Teile Kashmirs jeweils von Indien und Pakistan wünschenswert, dann könnte ein freier Grenzverkehr erreicht werden.

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