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24. Juni 2002. Nachrichten: Südasien - Politik & Recht Diego Garcia: Startbahn für Antiterrorbomber

Die Ilois klagen jetzt vor dem Bundesgericht in Washington um ihr Rückkehrrecht

Von der USA-Basis Diego Garcia auf dem Tschagos-Archipel, etwa 900 Kilometer südlich der Malediven, starteten B52-Bomber Richtung Afghanistan, und auch im geplanten Antiterrorfeldzug gegen Irak könnte sie eine wesentliche Rolle spielen.

Bei langfristiger Nutzung von Diego Garcia als Luftwaffen- und Marinestützpunkt im "Antiterrorkrieg" gibt es für die USA ein Problem. Die Ilois, die vor 30 Jahren von ihren paradiesischen Inseln vertrieben wurden, haben nach ihrem Londoner Erfolg jetzt auch vor einem USA-Gericht auf Rückkehr geklagt. "Diego Garcia – unser Land" rufen sie auf Demonstrationen in der mauritischen Hauptstadt Port Louis, wo die meisten von ihnen gestrandet sind.

Die Ilois wurden Opfer des Kalten Krieges: 1965 – drei Jahre vor der Unabhängigkeit von Mauritius – trennten die Briten den Tschagos-Archipel von der bisherigen Kolonie Mauritius ab und konstruierten das Kolonialterritorium British Indian Ocean Territory. Ein Jahr später verpachteten sie die größte Insel des Archipels – Diego Garcia – für 50 Jahre an die USA. Zweck der Übung: Das Pentagon brauchte eine Militärbasis im Indik gegen die Sowjetunion und aufmüpfige Dritte-Welt-Staaten. Washington gab den Briten dafür beim Kauf eines Satzes nuklearer Polaris-Raketen einen "Rabatt" von fünf Milliarden Dollar. Den Preis mussten indes die Ilois bezahlen. Denn die USA verlangten von London eine menschenfreie Zone. Und so wurden die Ilois teils durch Versprechungen, teils mit Gewalt von den Inseln entfernt.

Doch spätestens seit Dezember 2000 gerät die völkerrechtswidrige Konstruktion von 1966 ins Wanken. Seit Ende des Kalten Krieges verwiesen die Ilois in der UNO und anderswo immer wieder auf die Artikel der UNO-Menschenrechtskonvention, nach denen niemand zwangsweise exiliert und von seinem Heimatland entfernt gehalten werden darf. Die Nichtpaktgebundenen bekräftigten 1992 auf ihrem Gipfel in Jakarta ihre "volle Unterstützung für die Souveränität von Mauritius über den Tschagos-Archipel, einschließlich Diego Garcia" und fordern die frühere Kolonialmacht auf, den Archipel zurückzugeben. 1998 kam es auf Mauritius zur ersten Protestdemonstration, auf der 500 Ilois nach einer katholischen Messe durch Port Loius zogen und riefen: "Gebt unser Land zurück!" Die Ilois gingen dann vor das Oberste Gericht in London, das im Dezember 2000 die Unrechtmäßigkeit der Zwangsumsiedlung und das Rückkehrrecht der Ilois anerkannte.

"Großbritannien sah sich nach dem Kölner EU-Gipfel 1999 unter starkem Druck", erläuterte der auf Diego Garcia geborene und heute in Oslo lebende Europa-Sprecher des Ilois-Volkes Jhingoor Baptiste gegenüber ND den sensationellen Gerichtsentscheid. "Im Vorfeld hatte ich bei der EU-Kommission in Brüssel, beim deutschen EU-Vorsitz, aber auch bei der UNO-Menschenrechtskommission unsere Klage gegen Großbritannien vorgebracht. Der damalige Außenminister Robin Cook musste damit rechnen, dass wir den Fall vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof oder den UNO-Gerichtshof in Den Haag bringen. Deshalb sollte die Sache in London in aller Stille geregelt werden, um einen Skandal zu vermeiden."

Praktische Konsequenzen hatte das Londoner Urteil allerdings bisher nicht. Auch die geplante Erkundungsreise einer 25-köpfigen Abordnung der Ilois zu den rund 200 Kilometer von Diego Garcia entfernten Atollen Solomon und Peros kam nicht zu Stande – die USA setzten alle Hebel in Bewegung, sie wollen keine Ilois, die ihre Kreise rings um den Super-Flugzeugträger Diego Garcia stören könnten. Damit wurde den Deportierten endgültig klar: Der Schlüssel liegt in Washington.

Nachdem Ilois-Aktivisten nach dem 11. September mit einem Hungerstreik vor der britischen Botschaft in Port Louis auf ihre Forderungen aufmerksam machten, reichte die Tschagos Refugee Group von Louis Oliver Bancoult – vertreten durch den USA-Anwalt Michael Tigar – im Dezember 2001 mehrere Klagen beim Washingtoner Bundesgericht ein. Die Anklagepunkte reichen von Deportation bis zu Folter und Völkermord. Adressat sind die USA-Regierung und insbesondere deren Verteidigungsminister Robert McNamara, in dessen Amtszeit die Basispläne reiften, und Donald Rumsfeld, in dessen erster Amtszeit die Vertreibung vollendet wurde. Zwei gesonderte Klagen wurden gegen den Spitzendiplomaten Eric Newsome und den Öl- und Baukonzern Halliburton angestrengt. Newsome, unter Clinton Leiter des militärpolitischen Büros des Außenministeriums, wird vorgeworfen, London unter Druck gesetzt zu haben, das Rückkehrrecht der Ilois nicht anzuerkennen. Der Konzern Halliburton (Vizepräsident Cheney war dessen Chef von 1995 bis 2000) wird angeklagt, weil eine seiner Töchter große Teile der militärischen Anlagen auf Diego Garcia illegal errichtete.

Insgesamt, so Jhingoor Baptiste, fordern die Ilois vor dem Washingtoner Bundesgericht außer dem Rückkehrrecht eine Kompensation von sechs Milliarden Dollar. Auch wenn die USA-Behörden bisher noch nicht reagierten – der Ilois-Europasprecher ist sich sicher: "Früher oder später müssen die USA Diego Garcia verlassen." Er kann sich eine UNO-Treuhandverwaltung des britischen Kolonialgebietes vorstellen. Aber auch unter einer mauritischen Administration des Archipels sieht er gute Möglichkeiten, für die Selbstbestimmung der Ilois zu kämpfen.

Quelle: Dieser Artikel erschien am 24. Juni 2002 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

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