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07. Februar 2014. Kommentare: Pakistan - Politik & Recht Pakistanische Paradoxien

In Pakistan sind die positiven politischen Entwicklungen bisher nur symbolisch...

Die Anklage gegen Pakistans Ex-Militärmachthaber Pervez Musharraf ist ein Novum in der Geschichte des Landes, das die meiste Zeit von Militärs regiert wurde. Musharrafs Anklage wegen Hochverrat, gemeint ist seine rechtswidrige Entmachtung hoher Richter 2007, demonstriert den Generälen, dass auch sie juristisch belangt werden können. Doch noch ist völlig offen, ob es wirklich zum Prozess gegen Musharraf kommt.

Bisher konnte er sich den gerichtlichen Vorladungen entziehen, zuletzt durch plötzliche Herzprobleme. Die lässt er mit Unterstützung der Militärführung seitdem in einem Armeekrankenhaus kurieren. Dies wird als Versuch gewertet, das Gerichtsverfahren durch die Konstruktion einer Krankheit zu torpedieren, die den Ausweg einer Behandlung im Ausland und damit des Exils eröffnet. Entsprechend prophezeite ein Spötter per Twitter: "Musharrafs Allergie gegen die Justiz kann nur im Ausland erfolgreich behandelt werden."

Musharraf müsste eigentlich vor allem für seinen (unblutigen) Putsch von 1999 angeklagt werden. Doch das ist ein noch zu großes Tabu. So versucht die Justiz dem Ex-Diktator jetzt zunächst nur den Prozess wegen seiner Gängelung von Richtern zu machen, was jedoch den Beigeschmack institutioneller Rache hat.

Neue Machtverhältnisse in Pakistan

Die Zulassung der Anklage gegen Musharraf bei womöglich gleichzeitiger Vereitelung seines Prozesses zeigt ein pakistanisches Paradox, das sich aus dem unentschiedenen Machtkampf ergibt. Der Fall Musharraf verdeutlicht, wie in Pakistan gegenwärtig die politischen Gewichte verteilt sind: Das Militär hat nicht mehr die alleinige Macht. Es muss sich diese heute mit der Regierung und zivilen Institutionen wie der Justiz teilen. Die drei Blöcke müssen die Interessen der jeweils anderen beiden berücksichtigen, sonst drohen gegenseitige Blockaden.

Diese neue graduelle Beschränkung der Macht des Militärs ist zweifellos ein Fortschritt, dass sich die Generäle aber wirklich zivilen Institutionen unterordnen, ist noch nicht in Sicht. Leider waren die zivilen Regierungen in Pakistan bisher auch wenig erfolgreich. So gilt als größte Leistung der im Mai abgewählten Regierung der Volkspartei unter Asif Ali Zardari, überhaupt die volle Legislaturperiode im Amt durchgehalten und dann die Macht erstmals in der Geschichte des Landes an einen regulär gewählten Nachfolger übergeben zu haben.

Das ist als Symbol ähnlich bedeutsam wie die Anklage gegen einen Ex-General. Hinzu kommt das positive Zeichen der höchsten Wahlbeteiligung seit 40 Jahren ­- trotz Terrordrohungen – sowie im November und Dezember die regulären Amtswechsel an der Armeespitze und im höchsten Richteramt. Die beiden Wechsel gelten als Zeichen neu erlangter Normalität. Normal sind sie leider noch nicht, denn sonst wären sie keiner Erwähnung wert.

Pakistans Außenpolitik: Paradoxes Patt

Ein paradoxes politisches Patt herrscht auch in Pakistans Außenpolitik. Die neue Regierung von Nawaz Sharif protestiert ohnmächtig gegen die Drohnenangriffe der USA in der Grenzregion zu Afghanistan. Mit dem völkerrechtlich fragwürdigen Einsatz von Drohnen werden die Führer islamistischer Terrorgruppen gejagt. Immer wieder werden so mutmaßliche Terroristen getötet, zugleich sterben dabei aber auch regelmäßig Zivilisten. Die Drohnenangriffe verletzen Pakistans Souveränität und schüren eine antiamerikanische Stimmung, die den Widerstand gegen die USA und "den Westen" befördert. So sind die USA heute in Pakistan mit der Ironie konfrontiert, kaum ein Land mit so viel Geld unterstützt zu haben wie Pakistan (rund 20 Milliarden US-Dollar seit 2002, allerdings überwiegend für das Militär), und zugleich wohl nirgendwo so unbeliebt zu sein wie ausgerechnet dort. Antiamerikanismus gehört heute zur Grundstimmung.

Dabei machen die USA mit ihren umstrittenen Drohnenangriffen eigentlich nur das, wozu Pakistans Generäle selbst nicht willens oder in der Lage sind: Zwar bekämpfen diese die Feinde des Staates auch immer wieder durch vereinzelte Offensiven. Doch ein echter Erfolg blieb aus, auch, weil die militanten Islamisten bisher ein nützliches außenpolitisches Werkzeug des pakistanischen Militärgeheimdienstes waren. Das wurde bisher vor allem in Afghanistan und auch in Kaschmir gebraucht und könnte auch künftig als nützlich betrachtet werden. Deshalb wollen manche Militärstrategen trotz verbaler Distanzierung diese Gruppen nicht wirklich zerschlagen.

Angesichts der in den letzten Jahren stetig gewachsenen Macht der militanten Islamisten wie auch der auf bis zu 50.000 Toten geschätzten Zahl ihrer Opfer ist das heute auch nicht mehr so ohne weiteres möglich. Als Ausweg werden deshalb Verhandlungen mit den Gruppen unter dem Dach der pakistanischen Taliban (TTP) propagiert. Die wollen davon in jüngster Zeit aber überhaupt nichts wissen.

Verhandlungen mit den Taliban?

Offen ist auch, was die Sharif-Regierung mit Verhandlungen überhaupt erreichen will. Sieht sie die Gespräche und deren mutmaßliches Scheitern vor allem als Mittel, um eine Militäroffensive rechtfertigen zu können? Oder versucht sie die militanten Gruppen zu spalten, um dann einige zu integrieren und anderen bekämpfen zu können? Oder ist die Regierung gar bereit, um des Friedens willen ernsthafte Zugeständnisse zu machen mit dem Risiko, selbst zur weiteren Talibanisierung beizutragen? Ein Waffenstillstand, den es vor einigen Jahren im Swat-Tal gab, war wenig ermutigend. Die Region war letztlich den militanten Islamisten kampflos überlassen worden, was angesichts derer Gewaltexzesse später dann doch zu einer massiven Militäroffensive samt Rückeroberung führte.

Als Abkehr vom Fokus einer militärischen Lösung können Verhandlungen positiv sein. Doch vermissen Beobachter bei der Sharif-Regierung ein strategisches Konzept im Umgang mit den Taliban. Der angesehen Journalist Ahmed Rashid beklagt, Verhandlungen würden von der Regierung als eine Art taktische Wunderwaffe betrachtet, ohne dass diese in ein strategisches Gesamtkonzept zur Aufstandsbekämpfung eingebettet seien. Ein solches Konzept ist nicht zu erkennen.

Afghanistanpolitik: Fortschritte aber keine Kertwende

Ein weiterer entscheidender Faktor wird die Entwicklung 2014 im Nachbarland Afghanistan sein. Bis Jahresende wollen sich die Nato-Kampftruppen von dort zurückziehen. In Pakistan gehen alle relevanten Kräfte davon aus, dass die USA trotz des Streits um das Bilaterale Sicherheitsabkommen (BSA) zwischen Kabul und Washington militärisch am Hindukusch präsent bleiben. Ein US-Abzug ist für die meisten Pakistaner schlicht unvorstellbar.

Umstritten sind dessen mögliche Auswirkungen. Manche meinen, dann würden vielen Islamisten endlich die Argumente genommen, weshalb sie zur Waffe greifen. Deshalb sehen sie einen US-Truppenabzug als Voraussetzung für einen Frieden in der Region. Andere glauben, dass bei einem US-Abzug das Bewusstsein, der Supermacht erfolgreich widerstanden zu haben, die Islamisten weiter stärken wird. Deshalb löst ein US-Abzug bei manchen ihrer Gegner eher Panik aus.

Ein von Vielen nach 2014 erwarteter Machtzuwachs der Taliban in Afghanistan, sei es durch Verhandlungen oder durch militärische Erfolge, dürfte auch die pakistanischen Taliban stärken. Umgekehrt dürfte eine – momentan überhaupt nicht absehbare – Niederlage der Taliban in Afghanistan viele bewaffnete Islamisten von Afghanistan nach Pakistan treiben und dort die Instabilität fördern.

Ein Fortschritt der pakistanischen Afghanistan-Politik gegenüber früher ist, dass Militär und Regierung nicht mehr allein auf die Taliban setzen. Eine Taliban-Regierung in Kabul wird von den meisten heute als nicht im pakistanischen Interesse angesehen. Als oberstes Interesse gelten vielmehr stabile Verhältnisse im Nachbarland. Deshalb hält man sich die Optionen offen. Doch ist umgekehrt eben auch nicht zu erwarten, dass Islamabad etwas gegen eine Taliban-Regierung in Kabul unternehmen würde, auch wenn heute Ernüchterung über die eigene Afghanistan-Politik der Vergangenheit herrscht. Doch auch hier gilt, dass die positiven Entwicklungen vor allem symbolisch sind, eine wirkliche Kehrtwende ist nicht in Sicht.

 

Quellen

Der Artikel erschien im Original am 13. Januar 2014 auf der Debattenplattform ipg-jornal.

 

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